Das Problem mit dem Umlageverfahren: Anmerkungen zur Rentenfinanzierung

Die demographische Herausforderung konfrontiert alle Industriestaaten. Die vordergründige Auseinandersetzung stellt den Aspekt der Aufrechterhaltung des Solidargedankens in den Mittelpunkt. Die weit wichtigere Frage ist jedoch die Lösung der nachhaltigen Finanzierung einer sozialen Sicherung, die es auch in Zukunft erlaubt, einerseits den Zugang zu einer qualitativ hoch ausgestatteten Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und andererseits die finanzielle Ausstattung zwischen den Generationen nicht über Gebühr zu strapazieren. Wohingegen der erste Aspekt auf die Reformfähigkeit der Krankenversicherung fokussiert – wobei gemäß dem Prinzip der Interdependenz der Ordnungen letztendlich alle Sicherungssysteme im Zusammenhang stehen – konzentriert sich der zweite Aspekt auf die Ausgestaltung der Rentenversicherung.

Das zentrale Problem der Rentenversicherung ist grundsätzlich bekannt und eindeutig. Damit lässt sich einfach darlegen, dass die Rentnerquote, d. h. der Quotient aus der Zahl der Rentenempfänger und der Zahl der beitragszahlenden Versicherten, ansteigen wird (Vgl. grundsätzlich zur Konstitution der Rentenversicherung Lampert, H./Althammer, J., Lehrbuch der Sozialpolitik, siebte überarbeitete Auflage, Heidelberg 2004, S. 266 ff.).

Die Bedeutung des Alters in dieser Entwicklung ist nicht nur scheinbar offensichtlich. Nach den Ergebnissen der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wird der Gesamtlastquotient in Gesamtdeutschland von 77,6 im Jahre 1997 auf 111,8 im Jahre 2050 steigen. Dies bedeutet, dass im Jahr 2050 auf 100 Personen im Alter von 20 bis 60 Jahren, vereinfacht wird von Erwerbstätigen gesprochen 111,8 Personen unter 20 oder über 60 Jahren, es wird von nicht oder nicht mehr Erwerbstätigen gesprochen, entfallen (Vgl. Statisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2050. Ergebnisse der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2004, Presseexemplar, S. 17 ff.). Diese Entwicklung korrespondiert mit einem Rückgang der Nettoreproduktionsrate, d. h. der Geburtenrate pro gebärfähige Frau sowie der längeren Rentenbezugsdauer durch die Veränderung der durchschnittlichen Lebenserwartung pro Alterskohorte.

Wie bei jedem umlagefinanzierten System gilt die Aussage, dass ein steigender Anteil von Rentnern (bei Konstanz oder moderaten Steigen des Einkommens) durch ein Steigen des Beitragssatzes bzw. eine Reduzierung der Rentenhöhe herbeigeführt werden kann. Ist damit jedoch zwangsläufig ein Problem für die Idee einer Umlagefinanzierung verbunden?

Der Vergleich mit der Alternative eines kapitalgedeckten Systems ergibt folgenden Zusammenhang:

Grundsätzlich bindet jedes Alterssicherungssystem finanzielle Mittel, die in der Konsumphase nicht mehr zur Verfügung stehen und für die Rentenphase aufgespart werden müssen. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit lässt sich schlussfolgern, das jenes Verfahren „effizienter“ ist, dem es gelingt, bei gleicher Ausgabenhöhe im Rentenfall mit geringeren Beiträgen auszukommen.

Ein Umlageverfahren ist zunächst genauso effizient wie ein kapitalgedecktes System wenn das Produkt aus Wachstum der Beitragszahler und Wachstum der beitragspflichtigen Einkommen („Humankapitalverzinsung“) mindestens der Kapitalrendite des Kapitaldeckungsverfahrens entspricht. Beim Blick auf die Generationenentwicklung in postindustrialisierten Ländern liegen aber beide Faktoren in der Regel deutlich unter der Kapitalmarktrendite. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass es langfristig deutlich weniger Erwerbstätige geben wird, die das von allen nachgefragte, langfristig zudem höhere Konsumniveau produzieren müssen. Dies impliziert makroökonomisch entweder einen höheren Importanteil oder eine höhere Kapitalintensität, d. h., das fehlende Humankapital wird durch Realkapital ersetzt werden müssen. Darüber hinaus gilt es festzuhalten, welche Anreizwirkungen durch ein Umlagesystem induziert werden (Vgl. Grömling, M: Wirtschaftswachstum, in: Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.): Perspektive 2050. Ökonomik des demographischen Wandels, 2. aktualisierte Auflage, Köln 2005, S. 67 ff.).

In einer Untersuchung von Breyer wird darauf hingewiesen, dass das Interesse des Menschen an einer höheren Lebenserwartung – im ökonomischen Kontext als Anreiz zur Lebensverlängerung bezeichnet – nicht unabhängig ist von der Ausgestaltung der Leistungsgewährung der sozialen Sicherungskonzeptionen, mit anderen Worten eine Abwägung zwischen Lebensdauer und Konsum stattfindet (Vgl. Breyer, F., Auf Leben und Tod – steigende Lebenserwartung und Sozialversicherung, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2004 5(2): 227-241.).

Beim Umlageverfahren einer gesetzlichen Versicherung wird dies deutlich. Da der Medianwähler noch den größten Teil der Leistungsansprüche vor sich hat, das Schwergewicht der Beitragszahlungen der Beitragszahlungen bereits aber hinter ihm liegt, steigt das Interesse an Ausweitung der Leistungen.

Diese Überlegungen legen es nahe, die Frage der „Haftung“ im Sinne von Walter Eucken neu zu definieren. Das Umlageverfahren ist gerade deswegen ordnungspolitisch problematisch, weil es der Illusion Vorschub leistet, der einzelne Mensch könne seine Lebensdauer nach der Erwerbstätigkeit ausdehnen, ohne die damit induzierten Kosten adäquat zu berücksichtigen. Die Frage nach einer Gerechtigkeit zwischen den Generationen muss daher beantworten, wer die wachsenden Ausgaben bei verlängernder Restlebensspanne der einzelnen Menschen, anreizkompatibel tragen kann. Der Einzelne und seine adäquate Bedürfnisbefriedigung und nicht Institutionen und deren Schutz müssen demzufolge im Mittelpunkt stehen.

Eine ordnungspolitische Reform der sozialen Sicherung kann beispielsweise bedeuten, Stärkung ökonomisch Schwacher durch Einkommenstransfers bei gleichzeitiger Respektierung der Souveränität des Einzelnen. Die Einführung der dynamischen Rente war daher schon von Beginn an ein Sicherungsversprechen auf tönernen Füßen.

Ziel der Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung, wie aller Systeme der Sozialen Sicherung in Deutschland, muss es sein, Entscheidungskompetenzen und Verantwortung auf die Ebene der einzelnen Bürger zurückzuverlagern, gleichzeitig aber eine anreizkompatible Umverteilung zu gewährleisten . Dabei muss es sich nicht um einen gordischen Knoten handeln, wenn berücksichtigt wird, dass eine Verschwendung der Ressourcen solange systeminhärent ist, solange Anreize bestehen, über fremde Ressourcen zu verfügen. Bei einer Zusammenführung individueller Handlung und finanzieller Verantwortung ließen sich derartige Anreizfragen lösen.

4 Antworten auf „Das Problem mit dem Umlageverfahren: Anmerkungen zur Rentenfinanzierung“

  1. Meine Anmerkungen zu diesem Beitrag sind weniger gravierend als üblich. Das mag daran liegen, dass Oberender verglichen zu den anderen Autoren der Ursprungsbeiträge diese mit weniger Eifer und mehr Kompetenz bestückt.

    1. “Nach den Ergebnissen der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wird der Gesamtlastquotient in Gesamtdeutschland von 77,6 im Jahre 1997 auf 111,8 im Jahre 2050 steigen.“

    Sie wissen aber schon, Herr Oberender, dass 2006 das Statische Bundesamt die 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung veröffentlicht hat, oder? Gibt es einen Grund, dass Sie hier veraltetes Zahlenmaterial verwenden?

    2. “In einer Untersuchung von Breyer wird darauf hingewiesen, dass das Interesse des Menschen an einer höheren Lebenserwartung – im ökonomischen Kontext als Anreiz zur Lebensverlängerung bezeichnet – nicht unabhängig ist von der Ausgestaltung der Leistungsgewährung der sozialen Sicherungskonzeptionen, mit anderen Worten eine Abwägung zwischen Lebensdauer und Konsum stattfindet“

    Was ist das denn für ein absurder Zynismus? Ehrlich, mir ist niemand bekannt, der eine solche Abwägung vornimmt. Da in den letzten Jahren ja die soziale Sicherungskonzeptionen verringert worden sind, müsste auch der Wunsch nach einem möglichst langem Leben in Deutschland zurückgegangen sein. Ich jedenfalls konnte derartiges nicht beobachten. Und natürlich kommt man, wenn man lebensfremde und falsche Annahmen implementiert, in der Regel nicht zu richtigen Ergebnissen.

    3. “Wie bei jedem umlagefinanzierten System gilt die Aussage, dass ein steigender Anteil von Rentnern (bei Konstanz oder moderaten Steigen des Einkommens) durch ein Steigen des Beitragssatzes bzw. eine Reduzierung der Rentenhöhe herbeigeführt werden kann.“

    Haben Sie sich da verschrieben? Meinen Sie wirklich “herbeigeführt“, nicht “begegnet“? Also: wenn der Rentenbeitragssatz erhöht bzw. die Rentenauszahlung gesenkt wird, dann haben wir einen höheren Anteil von Rentnern in der Bevölkerung? Sorry, kann mir irgendjemand hier den logischen Zusammenhang erklären? Das verstehe ich wirklich nicht.

    4. “Ein Umlageverfahren ist zunächst genauso effizient wie ein kapitalgedecktes System wenn das Produkt aus Wachstum der Beitragszahler und Wachstum der beitragspflichtigen Einkommen („Humankapitalverzinsung“) mindestens der Kapitalrendite des Kapitaldeckungsverfahrens entspricht. Beim Blick auf die Generationenentwicklung in postindustrialisierten Ländern liegen aber beide Faktoren in der Regel deutlich unter der Kapitalmarktrendite.“

    Sie sind sich da sicher? Berücksichtigt haben Sie auch, die Rentner, die eine Null-Auszahlung erhalten, weil ihr Versicherer Konkurs gegangen ist? Berücksichtigt haben Sie auch die Gewinne, die Versicherer bei vorzeitiger Kündigung einstreichen (und mit denen Sie andere Verträge quersubventionieren können)? Sie wissen sicherlich, dass nach Berechnungen der Ratingagentur Assekurata die durchschnittliche garantierte Beitragsrendite von privaten Rentenverträgen mit 1,37 Prozent bei der aktuellen Inflation von 1,7 Prozent nicht einmal mehr für den Werterhalt des eingesetzten Kapitals reicht. Und Sie wissen sicherlich, dass mit Hilfe des Umlageverfahrens viele Nicht-Einzahler eine Auszahlung erhalten (nämlich die DDR-Rentner, deren Nicht-Einzahlung ihnen ja nicht vorzuwerfen ist), was bei einer kapitalgedeckten Rentenversicherung nie der Fall wäre.

    5. „Das Umlageverfahren ist gerade deswegen ordnungspolitisch problematisch, weil es der Illusion Vorschub leistet, der einzelne Mensch könne seine Lebensdauer nach der Erwerbstätigkeit ausdehnen, ohne die damit induzierten Kosten adäquat zu berücksichtigen.“

    Warum nicht? Berücksichtigt man Wachstum und Produktivitätsfortschritt, dann existiert hier ein Verteilungsspielraum, der nicht den Rentner zu Verfügung gestellt werden muss, aber werden kann. Begründet werden kann dies aber vor allem damit, dass die Rentner Wachstum und Produktivitätsfortschritt in ihrem Erwerbsleben geschaffen haben.

  2. ist der her Prof. Dr. Med Dent Ralf Heinrichs hier in dem Blog inzwischen fest angestellt oder einfach nur arbeitslos?

  3. 1. Ich bin nicht Prof. Dr. Med Dent Ralf Heinrichs sondern wenn schon Dr. rer. pol. Ralf Henrichs (Volkswirt).

    2. Ich bin nicht im Blog fest angestellt, habe aber eine feste Vollzeitstelle. Danke der Nachfrage.

  4. Die Rendite von Rentenpapieren wie sie schon seit Urzeiten existieren kann man ganz einfach an der Börse feststellen. Das sind sicher mehr als 1,37 %. Es ist auch sinnlos auf dieser Basis zu argumentieren weil im staatlichen Rentensystem natürlich die Umverteilung eine erhebliche Rolle spielt. Letztlich kann man sich da nur auf moralische Instanzen berufen.

    Interessant ist der Verweis auf die ständig steigende Produktivität. Demnach müßten so aller 10 Jahre nur noch halb so viel Menschen für das selbe Niveau an Gütern und Dienstleistungen arbeiten. Die Niveausteigerung ist marginal, die Wochenarbeitszeit steigt eher. Wo bleibt der sich ergebende Übeschuss?

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