1. Der Kampf um die Ressourcen auf dem Mars
Im Fernsehkanal des National Geographic läuft zurzeit die dreiteilige Serie „Mars“. Es handelt sich nicht nur um Science Fiction, sondern auch um die am Rande wissenschaftlich begleitete Phantasiegeschichte der Besiedelung des Mars durch den Menschen und dessen Kampf um die Mars-Ressourcen. In absehbarer Zeit findet, vielleicht in sieben Jahren, wohl tatsächlich der erste Flug zum Mars statt. Ich habe mich bereits angemeldet, denn ich möchte dort noch vor Elon Musk der Erste und Einzige sein und bin gespannt, was ich dort vorfinde. Ich vermute, dass ich neben ein paar Robotern, die dort von der Erde mit naturwissenschaftlichen Aufträgen ferngesteuert herumgeistern, kein Schild vorfinde: Betreten verboten oder Betreten auf eigene Gefahr oder Eintritt nur mit gültigem Ausweis. Auf dem Mars wird die Freiheit wohl grenzenlos sein. Der Mars gehört niemandem. Er gehört aber, wenn ich da bin, sozusagen mir allein, er bildet mein und nur mein eigenes Verfügungsterrain. Also große Chancen für mich, daraus etwas zu machen: eine Hütte bauen, Messgeräte installieren, Wege planieren, Gesteinsproben nehmen, wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen. Aber es gibt auch Risiken: Wenn nach mir andere Weltraumreisende ankommen, die dasselbe wollen wie ich. Plötzlich gibt es Abgrenzungsprobleme, meine totale Freiheit ist dahin. Dürfen alle Neuankömmlinge meine planierten Wege und wissenschaftlichen Erkenntnisse ohne meine Erlaubnis und Kostenbeteiligung benutzen? Und wie ist es denn, nach einiger Zeit, auch umgekehrt? Es entsteht Konkurrenz, Wettbewerb. Am besten könnte es vielleicht auch sein, in einzelnen Aktivitäten zu kooperieren, also Coopetition zu betreiben.
Wie soll das vonstattengehen? Plötzlich brauchen wir Regeln, die das regeln, und dies erst recht, wenn und weil noch viel mehr andere Leute auf den Mars kommen. Und wer trägt die Verantwortungshaftung, wenn etwas schiefgeht? Und wer sorgt für Pflaster und Arzneimittel? Am besten ist wohl, jeder bringt die selbst auf den Mars mit, aber manchmal braucht man auch die anderen, die helfen können, weil auch sie sich mit Medikamenten und Sachkenntnis vor dem Marsflug ausgestattet haben. Und dann mein eigener Fischteich, den ich mit marstauglichen Fischen und entdecktem Marswasser angelegt habe: Der gehört eigentlich nur mir für meine Nahrungsmittel-Zukunftssicherung, aber immer mehr Ankömmlinge befischen ihn einfach, ohne zu fragen und zu bezahlen. Und alsbald sind alle Fische abgefischt, meine und die der anderen Zukunfts-Nahrungsmittelsicherheit ist verschwunden. Eine echte Tragödie für den allgemein benutzten Fischteich: a tragedy of a common! Und dann noch dies: Die Arzneimittel werden knapp, weil mehr Menschen auf den Mars kommen, die die Kapazitäten der medizinischen Versorgung, die nun für alle ausreichen sollen, ungeregelt übersteigen. Nahrungsmittelknappheit und Gesundheitsschäden: Der Wohlstand der Marsbewohner sinkt. Denn es fehlt auf dem Planeten, der offenbar nun allen gehört, an privatrechtlichen Regeln, die seiner Übernutzung Grenzen setzen würden.
2. Wohlfahrtsstaat und Diskriminierung
Es geht um die irdischen Regeln, die wir unter die Lupe nehmen müssen, und dabei soll hier der moderne Wohlfahrtsstaat auf dem Prüfstand seiner Effizienz in Bezug auf die Abwehr seiner sich selbst zerstörenden Tragödie stehen. Denn der Wohlfahrtsstaat kommt in Deutschland zunehmend wieder in den Fokus der Umstrittenheit. Die irdische Szenerie ist wie folgt beschreibbar: Wie immer man ihn in seinen verschiedenen Ausprägungen der Moderne definieren mag, in einer offenen Welt der Globalisierung, in der nicht die National-Ökonomie, sondern vielmehr die International-Ökonomie den Analyserahmen bildet, stehen alle nationalen Institutionen im inter-nationalen Wettbewerb miteinander. Weil Institutionen nichts anderes sind als geschriebene (z. B. Grundgesetz) und ungeschriebene (z. B. Sitten und Gebräuche) Regeln, bezieht sich der internationale Institutionenwettbewerb auf den Wettbewerb der nationalen Regeln von Staaten. Das betrifft auch den deutschen Wohlfahrtsstaat. Da stellt sich sofort die Frage: Warum wollen in der Welt der internationalen Migration so viele Menschen – lassen wir mal ihre individuellen Migrationshintergründe wie Kriegsflucht oder Streben nach besserem Leben außer Acht – gerade nach Deutschland kommen und nicht nach Bulgarien, Rumänien, Polen oder Griechenland? Die Frage zu stellen heißt, sie sogleich zu beantworten: Viele institutionelle Arrangements in Deutschland haben international absolute und komparative Vorteile: So begrüßt der deutsche Wohlfahrtsstaat als Institution alle Zuwanderer ungleich großzügiger als dies, wenn überhaupt, in anderen Ländern der Fall ist. Er ist eine internationale Attraktion, in die hineinzumigrieren sich lohnt, weil dies weitgehend leistungslos und mithin ohne Eintrittspreis möglich ist. Darin unterscheidet er sich auch gegenüber den Eintrittsbedingungen, die für die meisten einheimischen Leistungsträger und Bedürftige hierzulande gelten.
Es geht mithin um die Zutrittsbedingungen für die Wohlfahrtsinstitutionen eines Landes. Das deutsche Sozialsystem ist, wie in allen anderen Staaten auch, in seiner Leistungs- und Finanzierungsfähigkeit grundsätzlich orientiert an der heimischen Population und ihrer Zukunftsentwicklung. Damit diskriminiert es bewusst die Inländer von Ausländern. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Nationalismus oder gar Rassismus zu tun. Bei begrenzten Ressourcen, wie sie auf dieser irdischen Welt der Knappheit und in jedem nationalen Kontext nun mal herrschen, ist dies völlig normal. Diskriminierung ist mithin die notwenige Bedingung für die Verhinderung der Tragödie der institutionellen Selbstzerstörung in einer globalisierten Welt. Diskriminierung ist mithin das rettende Gegenteil von unterschiedsloser institutioneller Gleichbehandlung mit dem edlen Motiv der Humanität und Barmherzigkeit, die die Moral des Machbaren überfordert. Aber sie ist auch ein Bollwerk gegenüber der egozentrierten Ausbeutung eines endlichen Ressourcenpools. Um diese Überforderung zu verhindern, muss es Regeln geben, Rechtsregeln, innerhalb derer individuelle Humanität und Barmherzigkeit nur verlaufen dürfen. Denn individuelle Moral, die sich gegen das für alle geltende Recht stellt, verleitet zur Beliebigkeit und Willkür.
3. Eigentumsrechte gegen die Selbstzerstörung des Wohlfahrtssystems
Diese Rechtsregeln, die die institutionelle Selbstzerstörung eines Wohlfahrtssystems im Sinne der tragedy of the commons verhindern, sind im Allgemeinen solche der Rechtsordnung des Eigentums an Ressourcen. Diese ist dann der Rahmen für die Formulierung von Eigentumsrechten, von property rights. Ökonomisch betrachtet definieren sie den Charakter von Clubs. Was ist gemeint? Salopp ausgedrückt sind Clubs nichts anderes als Institutionen, unter denen sich gleichgesinnte Bürger und Organisationen zum Zweck der Produktion und Teilhabe an einem oder mehreren Clubgütern zusammentun. Clubgüter sind Gemeinschaftsgüter, also commons, an deren Nutzung grundsätzlich nur die Clubmitglieder teilnehmen können, die auch durch ihren Clubeintritt ihren Clubbeitrag zahlen müssen. Nichtclubmitglieder sind von der Nutzung prinzipiell ausgeschlossen, sie können aber beitreten, wenn sie ihren Obolus entrichten und die Clubregeln beachten, denn keinen Vorteil gibt es umsonst in dieser Welt: There is no free lunch. Dies ist die Basis für die Legitimierung eines Verbots der kostenlosen Ressourcenausbeutung, die zur Tragödie der institutionellen Selbstzerstörung führt.
So betrachtet leben wir in einer Welt voller (überlappender) Clubs, denn Integrationsräume und Nationen, also die EU und Deutschland sowie alle anderen EU-Mitglieder, sind jeweils spezifische Clubs ebenso wie die NATO und die WTO, aber eben auch politische Parteien, die Bundesliga und Sozialversicherungen. Es gibt mithin in dieser Welt der Clubs und Subclubs immer ein diskriminierendes Drinnen und Draußen. Grenzüberschreitende Inklusion, die heute so populäre Egalitätsforderung der Gerechtigkeitsmoralisten, steht dem Club-Denken grundsätzlich entgegen. Aber die gerechtigkeitsneutralen Tatbestände des „Drinnen und Draußen“ strukturieren die Beziehungen zwischen den Clubs, d. h. zwischen den jeweiligen Club-commons, auf dass diese nicht der internationalen Ausbeutung als vermeintlich unbegrenzte global commons ausgesetzt sind, zu denen jedermann in der Welt Zugang hat. Es gibt nicht nur kein international gültiges Recht auf die spezielle Staatenauswahl durch die Migranten noch auf deren automatischen Zugriff auf die nationalen Clubgüter eines Landes. Aber es gibt das Recht der Staaten, sich diejenigen als Zuwanderer auszusuchen, die aufgrund wohl definierter Qualitäten als neue Clubmitglieder willkommen sind, die die kostenlose Inanspruchnahme der Club-commons nicht erwarten lassen, sondern auch einen positiven Beitrag zu Quantität und Qualität dieser commons beizutragen versprechen. In diesem Sinne gibt es wohl ein individuelles Recht auf Austritt aus einem Club, also ein Recht zum Verzicht auf die Inanspruchnahme seiner Clubgüter (Emigration), nicht aber ein individuelles Recht auf Eintritt (Immigration) in einen speziellen anderen Club zur Partizipation an dessen begrenzten Clubgütern. Es scheint, dass der gegenwärtig diskutierte UN-Migrationspakt dies anders sieht, wenn er das Recht auf Immigration stärken will und damit indirekt die Philosophie und Tendenz der globalen „Allmendesierung“ von nationalen Wohlfahrtsinstitutionen befördert. Das kann nicht sinnvoll sein.
4. Barmherzigkeit, Allmende und die tragedy of the commons
Wie sollten die Grundsätze z. B. innerhalb der EU in Bezug auf die Migrationsbewegungen bei dem Binnenmarktgrundsatz der Bewegungsfreiheit von Menschen aussehen? Diese Diskussion gibt es schon seit Jahren. In Milton Friedmanns Statement, dass man nicht beides haben kann: eine offene Wirtschaft und zugleich ein offenes Sozialsystem, liegt hier die Aufforderung zugrunde, dass in der EU nicht das Bestimmungslandprinzip, sondern wie beim Güterhandel das Ursprungsland-, also das Heimatlandprinzip gelten sollte: Jeder, der immigrieren will, bringt seine eigene Heimatland-Sozialversicherung mit. Das kann und wird bedeuten, dass Migranten aus einem Land mit niedriger Sozialausstattung in einem Hochwohlstandsland mit hohem Preisniveau nicht gut oder gar schlecht zurechtkommt. Dies kann und wird dann eine Migrationsbremse bewirken. Auch die Lösung einer zeitlich verzögerten Integration ins Sozialsystem, wie sie z. B. in Großbritannien mit fünf Jahren vorgeschlagen worden ist, hat diesen, aber wohl nur abgeschwächten, nicht nachhaltigen Effekt. Darin liegt bekanntlich auch eine der Brexitbegründungen Großbritanniens.
Jedenfalls ist dies rationale Club-Theorie pur. Sie basiert auch auf der Einsicht, dass die Bewegungsfreiheit von Menschen innerhalb der vier Binnenmarktfreiheiten der EU keiner Begründung entsprechen kann, wie sie bei den übrigen Bewegungsfreiheiten von Gütern, Dienstleistungen und Kapital gegeben wird. Denn man muss darauf hinweisen, dass die Güterbewegungsfreiheit ökonomisch betrachtet ein Substitut für die Bewegungsfreiheit von Menschen ist. Letztere hat nicht direkt etwas mit komparativen Wettbewerbsvorteilen im Handel zu tun, sondern mit vielen – auch außerökonomischen – Präferenzen der migrierenden Menschen, die einfach nach einem anderen, besseren Leben streben. Hier wird dann die „Barmherzigkeit“ der Clubmitglieder herausgefordert, die entscheiden müssen, wie weit diese nur gehen darf, um die Selbstzerstörung ihrer Institutionen, die tragedy of their commons, also auch ihres Wohlfahrtsstaates, zu verhindern. Unbegrenzt aktivierende individuelle oder auch kollektiv organisierte „Barmherzigkeit“ mit der Forderung nach unbegrenztem Zugang zu begrenzten Gemeinschaftsgütern der Clubs dieser Welt, die dann zu globalisierten Allmendegütern werden, gefährdet und zerstört die wohlfahrtsstaatlich-institutionelle Infrastruktur der Clubs. Nur das durch spezielle Regeln für die Moral des Machbaren begrenzte individuelle Barmherzigkeitsaxiom verhindert die Tragödie der Selbstzerstörung funktionierender Wohlfahrtsinstitutionen eines Staates. Im Mikrokosmos der Kleingruppe (Familie, Freunde, private und kirchliche Flüchtlingshilfe etc.) ist individuelle Barmherzigkeit ehrenwert und labend, nicht aber in Bezug auf den Makrokosmos der begrenzten Institutionen, wo eine öffentlichkeitswirksam politisierte „Barmherzigkeit“ die tragedy of the commons geradezu herausfordert.
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