Junge Autoren
Der hausgemachte Fachkräftemangel

In Zeiten des Fachkräftemangels wirken die wiederholten Versuche der Bundesregierung, qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland abzuwerben, gar verzweifelt. Erfolge der vergangenen Ansätze wie bspw. der Blue Card, mit der bis jetzt maximal 22.000 qualifizierte Arbeitskräfte jährlich kamen, halten sich in Grenzen. Solange der Großteil der Zuwanderer in Deutschland vergleichsweise unqualifiziert ist, sollte, ergänzend zur Fachkräftemigration, das heimische Arbeitskräftepotential unter die Lupe genommen werden.

Zusätzlich zum Fachkräftemangel bringt die demografische Alterung in Deutschland eine Reihe von wesentlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen mit sich. In der öffentlichen Debatte werden hauptsächlich die Konsequenzen im Hinblick auf die Alterssicherungssysteme diskutiert. Obwohl dieser Aspekt durchaus wichtig ist, verengt sie die Sichtweise auf die ganze Bandbreite des Themas, da die wirtschaftlichen Veränderungen über die Thematik der Alterssicherung hinausreichen. Die Frage, inwiefern sich die Alterung auf die Produktivität und Innovationskraft von Erwerbstätigen auswirkt, hat weitreichende Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum.

Der demografische Wandel ist neben einer höheren Lebenserwartung und niedrigeren Kindersterblichkeit vor allem auf den Rückgang der Fertilität seit dem Ende der 1960er-Jahre zurückzuführen. Infolge dieser Entwicklung befindet sich Deutschland in einem Schrumpfungsprozess, was bedeutet, dass die Anzahl der Bevölkerung und damit auch das Erwerbspersonenpotential langfristig abnimmt. Zudem befindet sich Deutschland aufgrund der Veränderung der Bevölkerungsstruktur in einem Alterungsprozess, wodurch sich die Relation zwischen älteren und jüngeren Menschen vergrößert.

In Bezug auf den Schrumpfungsprozess wird in einem Szenario nach Fuchs et al. (2017) das Erwerbspersonenpotential mit einer Nettoeinwanderung von 200.000 pro Jahr, einer steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen und späterem Renteneintrittsalter bis zum Jahr 2060 um 6,9 Millionen niedriger liegen als heute. Die daraus resultierende Konsequenz ist, dass zur Herstellung der gleichen pro-Kopf Menge an Konsum- und Investitionsgütern, die Erwerbstätigen bereits im Jahr 2035 15 Prozent mehr Arbeitsleistung zu erbringen hätten, als im Jahr 2010. Zum Ausgleich müssten innerhalb eines Jahres 0,45 Prozentpunkte der ungefähr 1,5 Prozent des jährlichen Produktivitätszuwachses nur dafür eingesetzt werden.

Des Weiteren spielt die Veränderung der Bevölkerungsstruktur eine wesentliche Rolle. Durch die Erhöhung des Anteils der Älteren im erwerbsfähigen Alter stellt sich die Frage, inwiefern dieser Prozess die Produktivitätsentwicklung beeinflusst. Oft wird zu Unrecht automatisch davon ausgegangen, dass ältere Mitarbeiter weniger produktiv seien, was wiederum häufig von politischen Akteuren benutzt wird, um eine Frühverrentung zu rechtfertigen. Selbst manche Lehrbücher wie „Personnel Economics“ (Lazear 1995, S. 40, Abb. 4.2) folgen implizit dieser Annahme.

In einer Studie von Börsch-Supan und Weiss (2016) wird anhand einer Fabrik eines Autoherstellers die Produktivität der Arbeiter über vier Jahre hinweg gemessen. Dabei sind Output und Arbeitszeit standardisiert. Nur die Fehlerquote der einzelnen Teams ist überprüfbar, wodurch die Arbeitsproduktivität nur anhand der Anzahl und der Ausprägung der Fehler bestimmt wird. Dadurch, dass die Produktivität von Teams gemessen wird, lösen Börsch-Supan und Weiss ein Aggregierungsproblem: Wenn ältere Arbeitnehmer dafür Zeit aufwenden, jüngeren Arbeitnehmern etwas zu erklären, würden sie bei individueller Betrachtung schlechter dastehen, da diese positiven Externalitäten sonst nicht erfasst werden könnten. Dabei kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Produktivität bis zum Alter von 65 Jahren moderat ansteigt, obwohl diese Arbeit auch körperliche Tätigkeiten voraussetzt. Vor allem qualitativ besonders schwerwiegende Fehler wurden von älteren Mitarbeitern vermieden, wohingegen die Fehlerquelle quantitativ höher lag, als bei Jüngeren. Mit dieser Arbeit konnten Börsch-Supan und Weiss zeigen, dass die negativen Effekte des Alters von den positiven Effekten in Bezug auf die Arbeitsproduktivität kompensiert werden können. Dies ist jedoch hauptsächlich auf nur schwer messbare Eigenschaften wie Erfahrung oder Teamfähigkeit zurückzuführen. Die Tatsache, dass für die Arbeit in der Fabrik physische Stärke notwendig ist und Teamarbeit im Dienstleistungssektor eine noch größere Rolle spielt, verstärkt die oben genannte Aussage der Studie.

Die empirischen Untersuchungen zum Innovationsverhalten im Alter zeichnen dabei ein ähnliches Bild. So finden Birgit et al. (2007) in ihrer Analyse des Mannheimer Innovationspanels aus dem Jahr 2001 keinen negativen Zusammenhang zwischen Alter und Innovationsoutput. Bergmann et al. (2006) konnten ebenfalls keine Altersabhängigkeit der Innovationstätigkeit feststellen, kamen aber zu dem Resultat, dass Erwerbstätige mit anspruchsvollen Tätigkeiten häufiger innovativ sind. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Arbeitsumfeld der wesentliche Indikator ist, der die Innovationsbereitschaft und Innovationsfähigkeit beeinflusst, wobei dieser Zusammenhang bei älteren Mitarbeitern besonders ausgeprägt ist.

Wenn sich also empirisch nicht bestätigen lässt, dass weder Innovationskraft noch Produktivität im Alter signifikant abnehmen, tragen Frühverrentungsprogramme, wie die abschlagsfreie Rente mit 63, dazu bei, Anreize zu setzen, produktive Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt fern zu halten und den Fachkräftemangel zu verschärfen. Dabei geht es nicht darum, körperlich arbeitende Menschen – die aus gesundheitlichen Gründen oder Saisonarbeitszeiten meist nicht auf die 45 Beitragsjahre kommen, die nötig sind, um mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen zu können – länger arbeiten zu lassen. Es geht darum, das enorme Produktivitätspotential, das in Zeiten von Fachkräftemangel umso wichtiger ist, nicht zusätzlich durch rentenpolitische Geschenke zu verringern. Zudem sollten Arbeitgeber attraktive Teilzeitmodelle entwickeln, die Ruheständlern – natürlich auf freiwilliger Basis – den Anreiz geben, weiter für ihren ehemaligen oder neuen Arbeitgeber tätig seien zu können.

Literatur

Bergmann, B., Prescher, C., Eisfeld, D. (2006): Alterstrend der Innovationstätigkeit bei Erwerbstätigen, Arbeit – Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik, Vol. 15, Nr. 1, S. 18-28.

Birgit, V., Hipp, C., Schwarz, D. (2007): Gefährden alternde Belegschaften die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen? Ergebnisse einer ersten kritischen Analyse, Working Paper Series, Chair of Organization, Human Resource & General Management, Brandenburg University of Technology, Nr. 4

Börsch-Supan, A., Weiss, M. (2016): Productivity and age: Evidence from work teams at the assembly line, The Journal of the Economics of Ageing, Vol. 7, S. 30-42.

Fuchs, J., Söhnlein, D., Weber, B. (2017): Projektion des Erwerbspersonenpotenzials bis 2060: Arbeitskräfteangebot sinkt auch bei hoher Zuwanderung, IAB-Kurzbericht, 06/2017.

2 Antworten auf „Junge Autoren
Der hausgemachte Fachkräftemangel“

  1. Auf die naheliegende Idee, daß der Fachkräftemangel auf eine fehlgeleitete Bildungspolitik zurück zu führen ist, kommt wohl keiner?
    Fachkräfte gewinnt man nicht, indem man es weiterhin hinnimmt, daß in den Schulen die MINT-Fächer ausgedünnt werden und man „Greti und Pleti“ auf die Universitäten schickt, wo sie Sozial-, Rechts- und Politikwissenschaft studieren.

  2. Der Fachkräftemangel ist ein von der Politik verordnetes Schlagwort. Die Firmen sind zu erheblichen Teilen nicht bereit auskömmliche Löhne/Gehälter zu bezahlen. Deshalb solche Auswüchse wie Generation Praktikum und bei Absolventen das Hangeln von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Bei heise.de war geschrieben, dass es 26000 Arbeitslose mit IT-Abschluss gäbe, aber gerade in dem Fach sollen unglaublich viele Fachkräfte fehlen. Die Art der Ermittlung des Fachkräftemangels ist fraglich.

    Über die Sozialsysteme braucht man kein Wort verlieren, wer >750000 HartzIV-Empfänger einschleust baut soziale und gesellschaftlische Spannungen auf, sowie verschiebt „Fachkräfte“ in die Hege, Pflege und Verwaltung dieser belogenen und betrogenen Menschen. So entstehen Fehlstrukturierungen bei der Verteilung der Fachkräfte.

    Über den Nutzen einer Reihe von „Wissenschaften“ kann man bestenfalls geteilter Meinung sein.

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