Profite auf den Schultern der Geknechteten
Tourismus zur Fußball-WM 2022 nach Katar

Bereits 1970 argumentierte Milton Friedman in dem vielzitierten Zeitungsartikel „The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits“, dass privatwirtschaftliche Unternehmen lediglich die Maximierung der eigenen Gewinne anstreben sollten. Soziale Belange oder ethische Bedenken gehören Friedmans Auffassung nach nicht in die Verantwortung des Unternehmens. Sie dürfen ruhig ausgeblendet werden (Friedman, 1970).

Doch ist es ethisch korrekt, so zu argumentieren, wenn zugunsten hoher Profite Menschen unwürdig behandelt und ausgebeutet werden? Die Vergabe der Fußball-WM 2022 nach Katar durch die FIFA sorgt nach wie vor für weltweite Unruhen in den Medien. Neben den Korruptionsvorwürfen im Rahmen der Vergabeentscheidung stehen vor allem die sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen der vielen Gastarbeiter des Emirats im Fokus internationaler Kritik.

Katars Ziel ist es, sich durch die Austragung der Fußball-WM weiterzuentwickeln. Zurzeit ist das Emirat stark von der Rohstoffförderung abhängig und generiert die meisten Einnahmen in diesem Sektor. Gemessen am BIP, welches pro Kopf 124.000 US-Dollar beträgt, ist Katar mit Öl und Gas ein reiches Land geworden. Jedoch wird die Öl- und Gasförderung voraussichtlich Mitte dieses Jahrhunderts ausgeschöpft sein, sodass Katar bereits jetzt bemüht ist, die Weichen für die Zukunft zu stellen und im Rahmen einer Diversifizierung andere Wirtschaftssektoren zu erschließen. So möchten sich die Katarer auch für die Zukunft den derzeitigen Lebensstandard erhalten. Vor allem der Tourismussektor soll künftig ausgebaut werden, weshalb die Fußball-WM für Katar eine große Chance darstellt, weltweit als Urlaubsland wahrgenommen zu werden und von den vielfachen Vorteilen des Megaevents WM zu profitieren (Morakubati et al., 2014). Eine Fußball-WM ist ein internationales Megaevent, welches üblicherweise das medial weltweit am stärksten wahrgenommene Event des jeweiligen Jahres darstellt. Gleichzeitig lockt eine solche Veranstaltung viele Besucher in das Austragungsland. Dies sorgt für Einnahmen. Zudem können Kontakte geknüpft und Netzwerke gebildet werden, womit die Ausrichtung eines solchen Events auch einen intangiblen Vorteil für Katar darstellt (Kaplanidou et al., 2016).  Aufgrund der genannten Vorteile verwundert es nicht, dass viele Länder darum bemüht gewesen sind, Ausrichtungsort der Fußball-WM 2022 zu werden. Katar hat sich gegen Australien, Japan, Südkorea und die USA durchgesetzt und wird im Jahr 2022 die Fußball-Weltmeisterschaft veranstalten – in der WM-Geschichte ist es der erste Gastgeber aus dem Orient.

Bei vielen Menschen erzeugt das Bauchschmerzen. Genau wie andere arabische Länder hat Katar aufgrund von Vorwürfen zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen weltweit ein negatives Image. Aktuell hat Katar eine Bevölkerungsanzahl von ca. 2,4 Millionen Einwohnern – davon sind jedoch nur 14 Prozent Staatsbürger des Emirats (Ganji, 2016, S.225). Die große Mehrheit der in Katar lebenden Menschen setzt sich aus ausländischen Gastarbeitern zusammen, die hauptsächlich aus Asien, Afrika und dem mittleren Osten stammen. Mit knapp 24 Prozent machen indische Migranten den Hauptteil der Bevölkerung aus, dicht gefolgt von Nepalesen mit ungefähr 17 Prozent (Ganji, 2016, S.223).

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90 Prozent der Arbeitskräfte in Katar setzen sich aus Migranten zusammen, weshalb Katars Planungen bezüglich der WM stark von den ausländischen Gastarbeitern abhängig sind: Allein für Vorbereitung und Organisation des Events werden schätzungsweise zwischen 500.000 bis 1,5 Millionen Arbeitskräfte benötigt, um die Entwicklungspläne mit geschätzten Kosten von etwa 200 Milliarden US-Dollar zu verwirklichen (Ganji, 2016, S.222).

Diese Gastarbeiter unterliegen dem sogenannten Kafala- bzw. Sponsorship-System. Es regelt gesetzlich die Ein- und Ausreise und den Aufenthalt der Migranten. Das System sieht vor, dass der Arbeitgeber als Sponsor für den Gastarbeiter zuständig ist. Er übernimmt für ihn die finanzielle und rechtliche Verantwortung. Der Arbeitgeber kann deshalb auch autonom über die Ein- und Ausreise seines Gastarbeiters bestimmen. Widersetzt sich sein Gastarbeiter, drohen diesem Geldstrafen, Arbeitssperren oder gar Verbote einer Wiedereinreise. Mit diesen strikten Regelungen verbinden viele jedoch nicht die bloße Lenkung der Migrantenströme, sondern eine ungleichgewichtige Machtverteilung zugunsten der Katarer. Die Gesetze begünstigen Zwangsarbeit und helfen, die Gastarbeiter auszubeuten (Björnsson, 2015, S.15f). Das spiegelt sich auch in den Arbeits- und Lebensbedingungen der Gastarbeiter wieder: Im Baugewerbe arbeiten viele Migranten mehr als 60 Stunden die Woche, für die sie oft unzureichend oder gar nicht entlohnt werden. Bei Temperaturen, die im Sommer bis zu 50 Grad Celsius ansteigen, ist eine angemessene Wasserversorgung häufig nicht gegeben. Auch die Arbeitsplatzsicherheit ist oft nicht gewährleistet (Ganji, 2016, S.235f). Aufgrund von solchen Bedingungen starben im Baugewerbe allein im Jahr 2012 über 1000 Gastarbeiter (Devi, 2014). Ein großes Problem stellt auch das Einbehalten von Reisepässen durch den Arbeitgeber dar. Obwohl das mittlerweile illegal ist, ist es aufgrund unzureichender Kontrollen in vielen Unternehmen immer noch der Fall. Oft wird der Pass selbst auf Anfrage nicht herausgegeben (Björnsson, 2015, S.20). Die Lebensbedingungen sehen nicht besser aus: Die Gastarbeiter leben oft zusammen mit 10 bis 15 Personen pro Zimmer in Arbeitercamps, die außerhalb der Großstadt liegen. Die Bewohner haben weder Privatsphäre noch funktionierende Klimaanlagen. Kochmöglichkeiten oder Sanitäranlagen sind oftmals unzureichend und unhygienisch (Ganji, 2016, S.235f).

Internationale Tourismusunternehmen werden zahlreiche Gäste auch aus Deutschland zur Fußball-WM bringen. Wenn Katar mit seiner Strategie, Netzwerke zu knüpfen und das Image aufzupolieren, um zukünftig als angesagtes Ziel für Touristen wahrgenommen zu werden, erfolgreich ist, kommen auch danach weiterhin Touristen. Für die Unternehmen, die mit der Beförderung, Beherbergung und Unterhaltung der Touristen Profite machen, stellt sich damit das Problem, dass all diese schönen Gewinne auf den Schultern geknechteter Gastarbeiter erzielt werden. Katar ist kein demokratisches Land. Es gehört offenbar zu seinem Geschäftsmodell, Gastarbeiter systematisch auszubeuten. Dies können wir kritisieren, ändern können wir es nicht. Westliche Unternehmen können und sollten jedoch überdenken, ob sie tatsächlich dieses Geschäftsfeld nutzen wollen oder ob sie nicht doch – entgegen der Aussage Friedmans – hier soziale Verantwortung empfinden. Entweder sie entwickeln Strategien, um auch den Gastarbeitern zu helfen, oder sie sollten die Finger vom Eventtourismus in Katar lassen.

Literatur

Björnsson, O., Shattered Dreams – Migrant workers and rights violations in the Dubai tourism sector, 2015, Online im                Internet: URL: https://fairaction.se/wp-content/uploads/2015/10/75_dubai_lowres_new.pdf (Abrufdatum:               06.01.2019).

Devi, S., Concerns over mistreatment of migrant workers in Qatar, in: World Report, Vol. 383 (2014) S. 1709.

Friedman M. (1970): The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits in: The New York Times Magazine.

Ganji, S. K., Leveraging the World Cup: Mega Sporting Events, Human Rights Risk, and Worker Welfare Reform in Qatar,         in: Journal of Migration and Human Security, Vol. 4, No. 4 (2016), S. 221-259.

Kaplanidou, K., A. Al Emadi, M. Sagas, A. Diop, G. Fritz, Business legacy planning for mega events: The case of the 2022         World Cup in Qatar, in: Journal of Business Research, Vol. 69, No. 10 (2016), S. 4103-4111.

Morakabati, Y., J. Beavis, J. Fletcher, Planning for a Qatar without Oil: Tourism and economic diversification, a battle of              perceptions, in: Tourism Planning and Development, Vol. 11, No. 4 (2014), S. 415-434.

Michael Neumann

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