Bildungsinflation in Deutschland
Sind wir schon zu akademisiert?

Seit Jahren geistert das Wort Bildungsinflation durch die öffentlichen Debatten. Bildungsinflation bedeutet, dass mehr Menschen Bildungszertifikate erhalten, ohne dass dies wirklich mit mehr Bildung einhergeht. Gerade beim Abitur wird oft bemängelt, dass für gleiche Leistungen immer bessere Abiturnoten vergeben werden.

Der offizielle Bildungsstand junger Menschen in Deutschland verbessert sich tatsächlich kontinuierlich. In der Tendenz erreichen auch zunehmend mehr junge Menschen einen Hochschulabschluss. Das belegen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. 33,3 Prozent der 25- bis 35-Jährigen besitzen heute einen Hochschulabschluss. Der Anteil unter den 45- bis 55-Jährigen liegt vergleichsweise noch bei 22,4 Prozent. Laut einer Studie des IFO-Instituts verfügen damit mittlerweile 18 Prozent der 18- bis 65-Jährigen über einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss. 1976 lag ihr Anteil noch bei 6 Prozent. Er hat sich innerhalb von gut 40 Jahren verdreifacht. Dafür ist der Anteil der Personen ohne beruflichen Abschluss deutlich gesunken, er hat sich mehr als halbiert. Der Anteil der Personen mit abgeschlossener Lehre/Berufsausbildung hat in diesem Zeitraum ebenfalls zugenommen. Die formale, durch Zertifikate unterlegte Qualifikation unseres Erwerbspersonenpotenzials ist besser geworden!

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Die Verschiebung des Bildungsstandes in Richtung Hochschulabschluss lässt sich auch am aktuellen Rand bei der Entwicklung der Studienanfängerzahlen ablesen. Lag der Anteil der Studienanfänger im Ausbildungsgeschehen 2007 noch bei unter 20 Prozent, liegt er mittlerweile bei über 25,5 Prozent.

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Mit der integrierten Ausbildungsberichterstattung (iABE) stehen seit einigen Jahren Daten zur Verteilung der Einsteiger im Bildungssystem zur Verfügung. Es werden die Bildungsstationen dokumentiert, die junge Erwachsene nach der Sekundarstufe I besuchen. Diese Bildungsstationen setzen sich aus den vier Hauptsektoren des Ausbildungsgeschehens zusammen: die Berufsausbildung, der Übergangsbereich, der Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung und das Studium. Die iABE führt dabei keine eigenständige Erhebung durch, sondern verknüpft („integriert“) verschiedene bereits bestehende Erhebungen. Daten werden dabei insbesondere aus der Schul- und Hochschulstatistik wie auch aus der Personalstandstatistik und der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit gewonnen. Die iABE verfolgt damit das Ziel, das Ausbildungsverhalten der jungen Erwachsenen nach der Sekundarstufe I systematisch zu dokumentieren und auszuwerten. Die Veröffentlichung dieser Berichte erscheint regelmäßig seit dem Jahr 2011. Weil junge Menschen mehrfach ins Ausbildungssystem einmünden können (im ersten Jahr ins Übergangssystem, im folgenden Jahr in die Berufsausbildung und einige Jahre später auch noch ins Studium), ist es nicht möglich, die Prozentangaben auf eine Kohorte an Schulabgängern zu beziehen. Die Daten sagen also nicht aus, dass am 2017 25,5 Prozent der Schulabgänger (oder der jungen Menschen eines entsprechenden Jahrgangs) ein Studium aufgenommen haben.

Die iABE-Daten verdeutlichen, dass in den letzten zwölf Jahren der Anteil der Einmünder in den Übergangsbereich innerhalb des Ausbildungssystems zurückgegangen ist. Der Übergangsbereich qualifiziert junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und keine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, in Maßnahmen und Berufsschulklassen, die keinen anerkannten Ausbildungsabschluss vermitteln. Hier sollen junge Menschen erst die benötigte, offenbar bisher fehlende Ausbildungsreife erwerben. Gleichzeitig ist der Anteil der jungen Menschen, die ein Studium aufnehmen, seit 2006 deutlich angestiegen. Der Anteil der Einmünder in die Berufsausbildung hat im selben Zeitraum geringfügig abgenommen (mit einem temporären Hoch in 2007), der Anteil der Einmünder in berufsschulische Schulklassen zum Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung hat derweil geringfügig zugenommen. So ergibt sich ein klares Bild einer zunehmenden Höherqualifizierung, die auf Kosten der klassischen Berufsausbildung des dualen Systems geht. Da die Jugendlichen, die zuvor im Übergangsbereich geparkt worden sind, selten später eine Hochschulreife oder gar ein Studium anstreben, hat das duale System verstärkt leistungsschwächere Schüler angezogen und dafür in der Tendenz leistungsstärkere Schüler an das Hochschulstudium verloren. Dies könnte die Qualität des Zertifikats der Berufsausbildung langfristig negativ beeinflussen.

Die damit einhergehende Akademisierung ist wiederum zunächst einmal erfreulich; eine hohe Akademikerquote deutet schließlich ein hohes Bildungsniveau einer Gesellschaft an. Mehr Bildung führt üblicherweise zu einem höheren Humankapitalanteil in einer Gesellschaft, damit zu einer höheren Produktivität und so letztlich zu steigendem Wohlstand.

Aber: Es ist sehr fraglich, ob mit dem Anstieg des Erwerbs höherwertiger Bildungszertifikate auch der tatsächliche Ausbildungsstand junger Menschen besser geworden ist. Möglichweise sind auch im Hochschulsektor einfach nur die Kosten zum Erwerb der Zertifikate künstlich verringert worden – die Verdrängung des Diploms durch den Bachelor mit einer geringeren Anzahl an Fachsemestern ist ein Indiz für diese These.

Bildung ist immer auch eine Investition. Wie die Studie des IFO-Instituts festhält: Es gibt Bildung nicht zum Nulltarif. Der Erwerb von Bildungsabschlüssen verursacht auch Studierenden Kosten. Der Staat muss die Rahmenbedingungen für die Bildungszertifikate so setzen, dass am Ende die Zertifikate aussagekräftig genug sind, dass sich diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt mit einem Zertifikat tätig sind, in ihrer Produktivität so deutlich von den anderen unterscheiden, dass sie für den Erwerb des Zertifikats und den damit verbundenen Investitionen ein deutlich höheres Gehalt beziehen. So amortisieren sich die Bildungsinvestitionen.

Bereits jetzt wird in Studien untersucht, ob das Zertifikat des Akademikers zu einem höheren Einkommen führen wird als ein dualer Berufsabschluss. Vergleicht man die Entlohnungen von Akademikern und Nicht-Akademikern, ist zunächst das Lebenseinkommen miteinander zu vergleichen, welches die beiden unterschiedlichen Bildungswege ermöglichen. Dabei zeigen Auswertungen wie jene des ifo-Instituts (2017), dass Akademiker zwar nicht doppelt so viel, aber im Schnitt immer noch deutlich mehr verdienen als Erwerbstätige mit abgeschlossener Berufsausbildung. Allerdings ist auf die erheblichen Unterschiede hinzuweisen, denn in den technischen Fächern lässt sich mit einer Berufsausbildung teilweise mehr verdienen als mit einem Abschluss in so manchem geisteswissenschaftlichen Hochschulstudium.

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Dies wird insbesondere in der Abbildung 3 deutlich. Ein männlicher Erwerbstätiger im Bereich der Human- und Zahnmedizin verdient während seines Erwerbslebens bis zu 983.000 Euro mehr als ein Erwerbstätiger der lediglich eine Berufsausbildung in diesem Bereich abgeschlossen hat. Im Berufsfeld der Sozialarbeit fällt diese Differenz des Lebenseinkommens deutlich geringer aus. Bei den männlichen Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss liegt die Differenz gegenüber dem männlichen Erwerbstätigen mit Berufsausbildung nur bei etwa 20.000 Euro.

Dabei darf man das individuelle Leid des Studierenden für die Amortisationsrechnung nicht außer Acht lassen. Spence (1973) zeigt in seinem wissenschaftlichen Beitrag zum Job Market Signalling, der maßgeblich zur Verleihung seines Nobelpreises beigetragen hat, dass die Kosten des Erwerbs eines Zertifikats neben den späteren Einkommensunterschieden die zentrale Rolle dafür spielen, wer das Zertifikat letztlich erwirbt und wer nicht. Geringere Anforderungen an einen Hochschulabschluss senken die Kosten, aber auch den Wert des Zertifikats. Das Zertifikat dient im Sinne von Spence lediglich der Informationsübermittlung an den künftigen Arbeitgeber, wer ein fleißiger und produktiver Beschäftigter sein wird und wer nicht. Denn die fleißigen und produktiven Beschäftigten empfinden die Kosten des Zertifikatserwerbs als nicht so hoch. Die vermittelte Bildung ist dabei irrelevant; wichtig ist lediglich für den Wert des Zertifikats, dass sein Erwerb Mühe und Anstrengung (Kosten) verursacht.

Letztlich entscheidet der Einzelne selbst über seinen Bildungsweg: Dabei wägt er das höhere Einkommen aufgrund des besseren Abschlusses und den höheren Status mit dem Aufwand vor allem in Form von Zeit und Mühe miteinander ab. Ist der Erwerb der Bildungsabschlüsse nicht schwierig genug und gelingt er auch jungen Menschen mit mangelnden Vorkenntnissen und geringer Produktivität, so erzeugt dies zwar formal eine höhere Akademisierungsquote, entwertet aber den Zertifikatserwerb und wird am Ende dazu führen, dass ein akademischer Abschluss zwar mehr Menschen möglich wird, sich aber weniger Menschen dafür entscheiden werden – weil das Zertifikat seinen Wert verloren hat. Zertifikate werden bei zunehmender Bildungsinflation irgendwann ihre Bedeutung verlieren.

Literaturverzeichnis

Bundesinstitut für Berufsbildung (2018): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2018 – Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung, online abgerufen am [08.01.2019] unter: https://www.bibb.de/dokumente/pdf/bibb_datenreport_2018.pdf

Spence, M. (1973): Job Market Signaling, the Quarterly Journal of Economics, Vol. 87, No. 3, pp. 355-374.

Statistisches Bundesamt (2018): Statistisches Jahrbuch 2018, online abgerufen am [08.01.2019] unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/StatistischesJahrbuch/Bildung.pdf?__blob=publicationFile

Statistisches Bundesamt (2016): Integrierte Ausbildungsberichterstattung 2016, online abgerufen am [16.01.2019] unter: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Schulen/IntegrierteAusbildungsberichterstattung5211201167004.pdf?__blob=publicationFile

Union Investment (2017): Bildung hat Zukunft – Bildungsstudie 2017, online abgerufen am [09.01.2019] unter: https://www.cesifo-group.de/DocDL/UI_ifo_Bildungsstudie_2017.pdf

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