Das Phänomen ist nicht neu, gerät seit Trumps Machtübernahme aber noch stärker unter Beschuss: Deutschlands Rolle als Exportweltmeister, die zu weltweit hohen Ungleichgewichten in den Leistungsbilanzen führt. Das bedeutet, dass der Wert der exportierten Güter und Dienstleistungen und der Wert der Importe stark auseinanderfallen.
Wenn es Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen gibt, muss es auch solche mit Defiziten geben, die deshalb unter Druck geraten können. Daher verlangt die EU auch von ihren Mitgliedsländern eine Begrenzung ihrer Überschüsse, die Deutschland regelmäßig nicht einhält. Die renommierten Wirtschaftsinstitutspräsidenten Marcel Fratzscher und Gabriel Felbermayr sind unterschiedlicher Meinung, ob Leistungsbilanzüberschüsse abgebaut werden sollten.
Pro: Marcel Fratzscher
Prof. Marcel Fratzscher, Ph.D. leitet als Präsident das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität Berlin. Darüber hinaus ist er u.a. Vorsitzender der Expertenkommission zur „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ der Bundesregierung. Seine inhaltliche Arbeit fokussiert sich auf Themen der Makroökonomie, monetären Ökonomie, Finanzmärkte und der globalen Wirtschaft.
Das Problem
Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 260 Milliarden € im Jahr ist nicht allein schädlich, weil er zu globalen Ungleichgewichten von Schulden und Ersparnissen beiträgt, wie häufig kritisiert wird. Der Überschuss schadet in erster Linie unserem Land selbst und seinen künftigen Generationen.
Die Begründung
Deutsche Investoren haben in den letzten 20 Jahren knapp 500 Milliarden € ihrer Auslandsinvestitionen verloren (z.B. in der US-Subprime-Krise). Investitionen in Deutschland dagegen haben meist gute Renditen ermöglicht. Der Leistungsbilanzüberschuss spiegelt direkt die große private und öffentliche Investitionslücke in Deutschland wider: Die Verkehrsinfrastruktur verfällt, öffentliche Gebäude sind in marodem Zustand. Deutschland hat zudem eine der schlechtesten digitalen Infrastrukturen unter den Industrieländern und investiert vergleichsweise wenig in Bildung und Innovation.
Der Appell
Solche notwendigen inländischen Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder Innovation würden das Wachstum, die Anzahl guter Jobs und letztlich den Standort Deutschland langfristig stärken. Und es würde helfen, Deutschlands exzessive Leistungsbilanzüberschüsse genauso wie Leistungsbilanzdefizite und andere Ungleichgewichte anderswo abzubauen. Die Politik ist in der Pflicht, nicht nur öffentliche Gelder für Zukunftsinvestitionen zu nutzen, sondern auch die Rahmenbedingungen für private Investitionen (z.B. via Regulierung, Arbeitsmarktreformen, Bürokratieabbau und Venture Capital) zu verbessern. Somit wäre Deutschland der große Gewinner des Abbaus der eigenen Leistungsbilanzüberschüsse.
Contra: Gabriel Felbermayr
Prof. Gabriel Felbermayr, Ph.D. ist seit 1. März dieses Jahres der neue Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungs- und Beratungstätigkeit konzentriert sich auf Governance-Fragen in der internationalen Wirtschaftspolitik, die wirtschaftliche Integration Europas und die deutsche Wirtschaftspolitik.
Der Vorwurf
Deutschland hat nun schon mehrere Jahre in Folge den größten Leistungsbilanzüberschuss der Welt und wird dafür kritisiert. Mit seinem Überschuss entziehe es seinen Handelspartnern aggregierte Nachfrage und schaffe dort Arbeitslosigkeit. Außerdem lege es die Überschüsse im Ausland schlecht an. Diese Thesen führen in die Irre.
Die Begründung
Die Überschüsse sind identisch mit Kapitalexporten Deutschlands ins Ausland. Diese sind dort in aller Regel höchst willkommen, vor allem wenn es sich um Direktinvestitionen handelt, denn diese erhöhen die produktive Kapazität und schaffen Arbeitsplätze. Empirisch lässt sich keine Korrelation zwischen dem Saldo der Leistungsbilanz und der Arbeitslosenquote belegen. Auch die Vorstellung, die Auslandsvermögen Deutschlands seien im Vergleich zu Inlandsanlagen schlecht angelegt, stimmt nicht. Dass die alternde deutsche Gesellschaft einen Teil ihrer Ersparnisse exportiert, ist normal.
Der Appell
Manche Handelspartner sehen den deutschen Überschuss als Ergebnis merkantilistischer Wirtschaftspolitik und drohen mit Protektionismus. Dies würde Deutschland zweifellos schaden. Aber eine neue staatliche Schuldenpolitik in einer Größenordnung, die den Überschuss deutlich senkt, wäre ebenfalls schädlich und belastet zukünftige Generationen. Gleichwohl sollte die Bundesregierung mit steuerlichen Anreizen und der Verbesserung von Rahmenbedingungen die Attraktivität Deutschlands für private Investitionen steigern. Auch eine groß angelegte staatliche Investitionsoffensive wäre hilfreich, um den Überschuss unter die von der EU erlaubte Grenze von 6 % des BIP zu drücken.
Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Es erschien in Heft 4 (2019) der Fachzeitschrift WiSt.
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