Der Europäische Rat hat sich auf seiner Sitzung vom 10./11. Dezember – auf Betreiben von Gordon Brown, Nicolas Sarkozy und Angela Merkel – einstimmig für eine Steuer auf Finanzmarkttransaktionen ausgesprochen und den Internationalen Währungsfonds aufgefordert, einen konkreten Vorschlag auszuarbeiten. In der deutschen Politik geht diese Idee auf den ehemaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) zurück. Die Steuer wird oft als „Tobin Tax“ bezeichnet, obwohl sich der Vorschlag von James Tobin nicht auf Finanzmarkttransaktionen, sondern auf Devisenmarkttransaktionen bezog. Aber die Ziele – und die Probleme! – sind strikt analog.
Das Hauptziel ist die Dämpfung der Spekulation und der Kursausschläge. Die Steuer soll der Entstehung spekulativer Blasen entgegenwirken. Das kann sie aber nicht, denn der Vorschlag beruht auf einem elementaren ökonomischen Denkfehler.
Betrachten wir die Preisentwicklung auf einem Wertpapiermarkt – zum Beispiel auf dem amerikanischen Markt für verbriefte Hypothekarkredite, denn von dort ging die Finanzkrise ja aus. Ob die Kurse steigen oder fallen, hängt vom Wertpapierangebot und der Nachfrage nach diesen Wertpapieren ab. Wenn die Nachfrage relativ zum Angebot steigt, steigen auch die Kurse. Die Kurse hängen nicht von dem Transaktionsvolumen – dem Umsatz – ab. Die (Geld- und Brief-) Kurse können sogar (dramatisch!) steigen (oder fallen!), ohne dass irgendeine Transaktion stattfindet. Das ist dann der Fall, wenn sich die Erwartungen aller Marktteilnehmer in gleicher Weise verändern. Ein hohes Transaktionsvolumen zeigt auf einem Finanz- oder Devisenmarkt an, dass die Marktteilnehmer sehr unterschiedliche Erwartungen haben. Das Transaktionsvolumen ist aber in der Regel nicht mit dem Börsenkurs korreliert. Das zeigen auch empirische Untersuchungen.
Eine Steuer auf Finanz- oder Devisenmarkttransaktionen dämpft daher nicht die Kursausschläge, sondern sie behindert Pareto-verbessernde Transaktionen zwischen Marktteilnehmern mit unterschiedlichen Erwartungen. Damit ist niemandem – außer dem Fiskus – gedient.
Wie ist es möglich, dass ein Nobelpreisträger wie James Tobin einen so wenig zielführenden Vorschlag unterbreitet hat? Tobin war ein prominenter Keynesianer, und er war noch der Wechselkurstheorie der sechziger Jahre verhaftet. Diese Theorie (das Mundell-Fleming-Modell) erklärte den nominalen Wechselkurs mit Hilfe von Stromgrößen der Zahlungsbilanz, also Transaktionssalden. In den siebziger Jahren erkannte man, dass diese Theorie zwar geeignet ist, den realen (d.h. inflationsbereinigten) Wechselkurs zu erklären, aber nicht den nominalen. Denn der nominale Wechselkurs ist der relative Preis zwischen zwei Währungen – d.h. Geldmengen, und diese sind Bestandsgrößen. Genau wie der Preis eines Wertpapiers durch das Bestandsangebot und die Bestandsnachfrage nach diesem Wertpapier (und nicht durch die Transaktionsvolumina) bestimmt ist, wird der nominale Wechselkurs durch das Geldangebot und die Geldnachfrage (und nicht durch Devisenmarkttransaktionen oder –salden) determiniert. Der alte Stromgleichgewichtsansatz zur Erklärung des nominalen Wechselkurses war portfoliotheoretisch unsinnig. Leider hat sich das außerhalb der Wissenschaft noch nicht sehr weit herumgesprochen. Das könnte erklären, weshalb die Tobin Tax immer noch in den Köpfen europäischer Politiker herumspukt. Oder hoffen viele von ihnen, dass die Obama-Administration dem vor den Augen der Wähler inszenierten Schauspiel irgendwann ein Ende setzt?
Richtig ist die Überlegung, dass die Banken nicht dauerhaft vom Staat subventioniert werden dürfen. Denn das ginge zu Lasten der anderen Wirtschaftszweige und würde die Allokation verzerren – von eventuellen Anreizproblemen ganz zu schweigen. Spätestens seit der Lehman-Pleite, die die weltweite Panik ausgelöst hat, ist jedoch klar, dass der Staat sogar Banken, die lediglich mittelgroß und reine Investment-Banken sind, auffangen muss, wenn er schwere gesamtwirtschaftliche Krisen verhindern will. Er kann sich dieser Rolle als „insurer of last resort“ nicht entziehen, aber er kann dafür einen marktgerechten Versicherungsbeitrag einfordern. Da die Wahrscheinlichkeit, dass der Staat einspringen muss, mit der Größe des Finanzinstituts wächst, ist der risikogerechte Versicherungsbeitrag progressiv, d.h., er steigt überproportional mit den nicht durch Eigenkapital abgesicherten Verbindlichkeiten der Bank. Die Progression hätte überdies zur Folge, dass es weniger große Banken gäbe, die „too big to fail“ sind. Ein risikogerechter progressiver Versicherungsbeitrag verhindert daher nicht nur, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen die Allokation verzerren; er reduziert auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie überhaupt ergriffen werden müssen.
Genügt es aber nicht vielleicht, die vorgeschriebenen Eigenkapitalquoten drastisch zu erhöhen? Wenn es keine Krisen gibt, braucht der Staat auch nicht mit Subventionen einzuspringen. Es genügt nicht. Solange die Eigenkapitalquote 100 Prozent unterschreitet, ist keine Bank ganz krisensicher. Die Deutsche Bank ging 1929 mit einer Eigenkapitalquote von über 30 Prozent in die Weltwirtschaftskrise. Trotzdem musste sie 1931 vom Deutschen Reich gestützt werden.
Notwendig ist nicht eine Steuer – und schon gar nicht eine Steuer auf Transaktionen –, sondern ein risikogerechter Versicherungsbeitrag, der sich nach einer Bestandsgröße bemisst – nach den nicht durch Eigenkapital abgesicherten Verbindlichkeiten der Kreditinstitute.
Kurze Verständnisfrage:
geht es bei der aktuellen Initiative wirklich darum die Preise zu beeinflussen?
Ich hatte gedacht, es ginge darum, Spekulationen per se unattraktiver zu machen. Und das könnte doch durchaus mit der Tobin Steuer erreicht werden, oder?
Da liegen sie aber ziemlich falsch!
Der Ökonom Stephan Schulmeister hat sich 20 Jahre damit beschäftigt und Untersuchungen durchgeführt.
Hier sein Working Paper:
http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=37742&typeid=8&display_mode=2
Und hier der dazugehörige Werbespot für die Finanztransaktionssteuer:
Heike Makatsch und Jan Josef Liefers in „make finance work“ … http://u.nu/9bvu5 #Spot
noch eine kurze Verständnisfrage:
Was verstehen Sie konkret unter „nicht durch Eigenkapital abgesicherten Verbindlichkeiten der Kreditinstitute“? Ist diese Bestandsgröße so zu interpretieren, dass kein Versicherungsbeitrag anfällt, wenn die Eigenkapitalquote eines Kreditinstituts 50% oder größer ist, denn dann sind auf der Passivseite der Bilanz eines Kreditinstituts alle Verbindlichkeiten durch Eigenkapital abgesichert.
Es muss sich wirklich um ein Missverständnis handeln – Die Tobin-Steuer ist überhaupt nicht dafür ausgelegt Preisverzerrungen, wie die US-Immobilienblase zu verhindern. Sie soll lediglich volkswirtschaftlich fragwürdige Spekulationen ( „… [vermeintlich] Pareto-verbessernde Transaktionen zwischen Marktteilnehmern mit unterschiedlichen Erwartungen“) reduzieren, ohne dass der grundsätzliche Marktmechanismus, bzw. die langfristigen Kapitalströme gestört werden.
D.h. das Kapital würde trotz Steuer immer noch in die „richtige“ (volkswirtschaftlich sinnvolle) Richtung fließt.
Dass nebenbei noch erhebliche Einnahmen anfallen, die zur Finanzierung notwendiger, globaler Projekte genutzt werden können, ist ein netter Bonus.
Die Auferstehung der Tobin-Steuer, Dani Rodrik – Project Syndicate (11.9.2009)
„(…) Das Schöne an einer Tobin-Steuer ist, dass sie von kurzfristigen Spekulationen abschrecken würde, ohne größere negative Auswirkungen auf langfristige internationale Anlageentscheidungen auszuüben. (…)
Wirtschaftliche Aktivitäten dieser Art sind von fragwürdigem gesellschaftlichen Wert, verschlingen jedoch reale Ressourcen: menschliches Talent, Rechnerleistung und Fremdkapital. Also sollten wir den Niedergang derartiger Handelspraktiken nicht bejammern.
Investoren mit einem langfristigeren Anlagehorizont dagegen würden von einer solchen Steuer nicht weiter abgeschreckt; längerfristig gesehen würde das Kapital also weiter in die richtige Richtung fließen. Auch würde eine Tobin-Steuer nicht verhindern, dass die Finanzmärkte Regierungen für ein grobes Missmanagement ihrer Volkswirtschaften abstrafen.
(…) Wobei die Tobin-Steuer uns nicht hilft, sind die längerfristigen Fehlausrichtungen auf den Finanzmärkten. So hätte eine derartige Steuer das Ungleichgewicht im Handel zwischen den USA und China nicht verhindert. Genau so wenig hätte man damit vermieden, dass sich die weltweite Kapitalschwemme in eine Zeitbombe für die Weltwirtschaft verwandelt. (…) Und sie würde entsprechend geneigte Regierungen nicht davon abhalten, eine durch externe Kredite finanzierte, nicht nachhaltige Geld- und Fiskalpolitik zu betreiben.
Für all diese Probleme brauchen wir andere gesamtwirtschaftliche und finanzielle Lösungen. Doch um eine kraftvolle Botschaft über den gesellschaftlichen Wert jenes Kasinos auszusenden, das als globale Finanzwelt bekannt ist, ist eine Tobin-Steuer ein guter Ausgangspunkt.“
http://www.project-syndicate.org/commentary/rodrik35/German