Ordnungsruf:
Die Staaten legen die Axt an den Euro

„Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.“ (Artikel 125, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union)

Die Finanzhilfen, die von den Staats- und Regierungschefs auf ihrem Treffen am 11. Februar 2010 Griechenland in Aussicht gestellt wurden, beschädigen einen der Grundpfeiler der Währungsunion, der die Kaufkraft des Euro schützen soll.

Der Beschluß der Staats- und Regierungschefs ist ein Verstoß gegen den Geist des EU-Rechts. Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU stellt unmißverständlich fest, daß EU-Mitgliedstaaten nicht für die Schulden anderer Mitgliedsländer haften dürfen.

Diese Regel („No Bail Out“) wurde mit Bedacht geschaffen. Sie wirkt haushaltspolitischem Fehlverhalten eines Landes entgegen: Ein Land muß sein Fehlverhalten mit steigenden Zinsen bezahlen. Diese Disziplinierungswirkung ist nunmehr zerstört.

Die Antwort auf die griechische Schuldenkrise und die befürchtete „Ansteckungsgefahr“ muß für Griechenland wie auch alle anderen hoch verschuldeten Staaten sein: Budget sofort sanieren, vor allem durch geringere Staatsausgaben, notfalls aber auch durch höhere Steuern. Ist die griechische Politik nicht zur Durchsetzung einer nachhaltigen Finanzpolitik in der Lage, bleibt als letzte Option das Ausscheiden des Landes aus der Währungsunion.

Das aktuelle Handeln der Staats- und Regierungschefs wird absehbar das Abrutschen in eine allgemeine Politik der Staatsüberschuldung befördern. Ein europäisches Rettungsnetz ermuntert die einzelnen Mitgliedstaaten zu fiskalischer Verantwortungslosigkeit. Es schwört die ernste Gefahr herauf, daß der Euroraum zur Inflationsgemeinschaft verkommt.

1. Der griechische Haushalt ist sanierbar
Ein Staatsbankrott folgt oft nicht aus der Zahlungsunfähigkeit eines Staates, sondern aus seiner Zahlungsunwilligkeit. Erst wenn der Gegenwartswert zukünftig erzielbarer Primärüberschüsse in den öffentlichen Haushalten hinter den Schuldenstand zurückfällt, kann ernsthaft von einer Zahlungsunfähigkeit die Rede sein. Griechenland zeichnet sich durch eine vergleichsweise geringe Steuerquote aus. Das Problem der Steuerhinterziehung ist epidemisch; geltendes Steuerrecht wird teilweise kaum durchgesetzt. Gleichzeitig ist die griechische Schuldenquote mit rund 120% des BIP im Jahr 2010 zwar sehr hoch, aber keinesfalls so hoch, daß künftige Primärüberschüsse die intertemporale Budgetrestriktion nicht zum Ausgleich bringen könnten. Griechenland kann das Vertrauen seiner Gläubiger aus eigener Kraft zurück gewinnen.

2. Der Konsolidierungsdruck wird noch nicht allgemein wahrgenommen
Die Meldungen über heftige Demonstrationen und Streiks gegen die bisher von griechischen Regierung beschlossenen Maßnahmen zeigt, daß die griechische Bevölkerung den Ernst der Lage noch nicht recht erkannt hat. Offenbar gehen viele Bürger in Griechenland weiterhin davon aus, schuldenfinanzierten öffentlichen Konsum bis in alle Ewigkeit genießen zu können, ohne jemals die Rechnung zahlen zu müssen. Solange dies der Fall ist, wird keine einflußreiche Interessengruppe bereit sein, zugunsten der Konsolidierung des Haushalts Ausgabenkürzungen hinzunehmen oder Steuererhöhungen zu tragen. Alle Maßnahmen, deren Nebenwirkungen darin bestehen, die griechischen Bürger in diesem Glauben zu lassen, sind höchst problematisch.

3. Der Zeitpunkt der Ankündigung des Bailouts ist katastrophal
Die griechische Regierung müht sich derzeit nach Kräften, die Öffentlichkeit in ihrem Land von der Notwendigkeit einer strikten Haushaltskonsolidierung zu überzeugen. Sie tat dies bisher unter dem Eindruck der Unsicherheit, da immer noch die Möglichkeit bestand, daß es keinen europäischen Bailout für Griechenland geben würde. Diese Unsicherheit wurde nun beseitigt: Die griechische Regierung kann davon ausgehen, im Notfall von anderen europäischen Mitgliedstaaten unterstützt zu werden. Der Anreiz, gegen den Willen organisierter Interessengruppen den Haushalt zu konsolidieren, ist damit drastisch gesunken.

4. Eine Risikoprämie erhält man für das Eingehen von Risiken
Die Gläubiger Griechenlands profitieren von relativ hohen Renditen, die sich aus dem Aufschlag einer Risikoprämie auf die Renditen sicherer Anlagen ergeben. Es ist nicht die Aufgabe europäischer Steuerzahler, die Gläubiger Griechenlands von einem Ausfallrisiko zu befreien, das sie beim Kauf griechischer Staatsanleihen sehenden Auges akzeptiert haben. Die Tatsache, daß Griechenland im Umfang von etwa 43 Milliarden Euro bei deutschen Banken verschuldet ist (Stand: September 2009, Quelle: FAZ) mag ein Motiv für Lobbyarbeit sein, ist jedoch kein guter Grund für einen Bailout. Auch im Fall eines griechischen Staatsbankrotts ist kein Totalausfall dieser Forderungen zu befürchten. Einen Bailout für Griechenland als vorauseilende, neuerliche Aktion zur Bankenrettung zu begründen wäre daher kaum überzeugend. Vielmehr dürfte jede weitere Abwälzung von Bankenrisiken auf den Steuerzahler mit höchst unerwünschten Signal- und Anreizwirkungen verbunden sein.

5. Die Auswirkungen auf die Eurozone sind fraglich
Eine weitere von der Politik oft genannte Begründung für einen Bailout sind angeblich drohende, problematische Zweitrundeneffekte einer griechischen Zahlungsunfähigkeit. Der Euro könne relativ zu anderen Währungen an Wert verlieren und es könne Dominoeffekte geben, die auch Länder wie Spanien und Italien in den Staatsbankrott treiben. Tatsächlich ist zu erwarten, daß ein griechischer Staatsbankrott die Bedingungen der Refinanzierung für andere hoch verschuldete Euroländer kurzfristig verschlechtern wird – die Risikoprämien werden ansteigen. Aber auch ein Bailout wird negative Folgen haben (mehr dazu im nächsten Punkt). Es ist keinesfalls klar, daß die problematischen Auswirkungen eines Bailouts leichter hinzunehmen sind, als die eines griechischen Staatsbankrotts. Das Kind ist jetzt in den Brunnen gefallen, nachdem die europäischen Kontrollmechanismen versagt haben und Griechenland ein Haushaltsdefizit ausweist, das mehr als das vierfache des im Rahmen der Währungsunion noch zulässigen Schwellenwertes beträgt. Unproblematische Auswege gibt es nicht mehr.

6. Ein Bailout ist ein Desaster für den institutionellen Rahmen der Währungsunion
Formale Regeln können mit einem erheblichen ökonomischen Nutzen verbunden sein, wenn sie Zeitkonsistenzprobleme lösen. Sie verpflichten die Politik darauf, eine langfristig als effizient erkannte Politik auch dann durchzuhalten, wenn kurzfristig Anreize bestehen können, davon abzuweichen. Ein Bailout für Griechenland ist ein eklatanter Verstoß gegen Artikel 125 AEUV, der zeigt, daß die europäische Politik sich durch formale Regeln, die ihren Handlungsspielraum sinnvoll begrenzen, nicht mehr gebunden fühlt. Das wesentliche Merkmal jedes Rechtsstaates, nämlich die Unterwerfung auch der Organe des Staates unter das Recht, wird auf der europäischen Ebene ausgehebelt. Das ist an und für sich schon skandalös genug. Aus ökonomischer Sicht wird hier aber erheblicher Schaden angerichtet, indem deutlich signalisiert wird, daß die für die Stabilität des Euro wichtigen formalen Regeln jederzeit durch tagespolitische Willkür außer Kraft gesetzt werden können. Ein Bailout gefährdet mittel- und langfristig das Vertrauen nicht nur in einzelne hoch verschuldete Länder, sondern in das Projekt der gemeinsamen Währung insgesamt. Der Schaden könnte wesentlich größer sein als der einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands.

Thomas Apolte, Norbert Berthold, Frank Daumann, Thorsten Polleit, Wolf Schäfer, Gunter Schnabl, Jan Schnellenbach und Roland Vaubel
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4 Antworten auf „Ordnungsruf:
Die Staaten legen die Axt an den Euro“

  1. Der Fall Griechenland zeigt, daß die unklare verfassungsrechtliche Lage Europas erhebliche Folgen auf die Wirtschaftsverfassung hat. Trotz der Verabschiedung des Vertrags von Lissabon hat noch niemand die Frage schlüssig beantwortet, was eigentlich die Europäische Union ist. Ein Staatenbund? Ein europäischer Bundesstaat? Oder lediglich eine Freihandelszone, die 27 Staaten mit 495 Millionen Verbrauchern umfaßt, aber aus unterschiedlichen Gründen um die zwei zusätzlichen Säulen „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ und „Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik“ ergänzt wird?

    Wie der Umgang mit dem Fall Griechenland zeigt, sind Regierungen nur bedingt um das Gemeinwohl bemüht, primär wollen sie die eigene Macht, den eigenen Einfluß, das eigene Einkommen und das eigene Ansehen steigern. Unter diesen Annahmen erkennt man zwei ordnungspolitisch höchst relevante Probleme. Deutlich wird erstens, daß die einzelnen Regierungen der europäischen Staaten nur ein geringes Interesse haben, die unklare verfassungsrechtliche Lage der EU zu beenden. Denn Klarheit in verfassungsrechtlichen Fragen ist in der Regel gleichbedeutend mit einem Machtverlust der einzelnen Regierungen, deren Macht durch klare und allgemeine Regeln im Sinne der Herrschaft des Gesetzes (Rule of law) begrenzt würde.

    Darauf aufbauend, stellt sich zweitens die Frage, ob ein staatsrechtlich nicht klassifizierbares Gebilde wie die EU – dessen Unklarheiten und Unübersichtlichkeiten offensichtlich von den Mächtigen gewollt sind und das zudem an massiven Demokratiedefiziten leidet – dauerhaft in der Lage sein kann, eine Freiheit und Wohlstand sichernde Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung in 27 sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften verläßlich und unparteiisch durchzusetzen. Der Fall Griechenland zeigt schließlich bereits mehr als deutlich, welche wirtschaftspolitischen Machtprobleme aus den ungeklärten staatsrechtlichen Fragen folgen.

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