Ende 2019 laufen die 1995 etablierten Regelungen zur erhöhten Gewerbesteuerumlage aus. Das ist eine gute Gelegenheit zur Entflechtung der intransparenten Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Sie wird wohl ungenutzt verstreichen. Manche Länder sind sogar auf der Suche nach einem Ersatz, der ihren Einfluss auf die Kommunen erhöht.
Die Gewerbesteuerumlage wurde mit der Gemeindefinanzreform 1969 eingeführt. Sie sollte die Belastung von Bund und Ländern durch die neu geschaffene Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer teilweise kompensieren. Seither ist die Gewerbesteuer faktisch eine Gemeinschaftsteuer von Bund, Ländern und Gemeinden. Berechnet wird die Gewerbesteuerumlage als Produkt aus dem Steuermessbetrag (Gewerbesteueraufkommen dividiert durch den Hebesatz) und einem Vervielfältiger. Sie ist damit unabhängig vom Hebesatz der einzelnen Gemeinden.
Im Jahr 2019 beträgt der Vervielfältiger in den alten Ländern 64% und in den neuen Ländern 35%. Auf den Bund entfallen jeweils 14,5%. Der Länderanteil besteht aus einer Normalumlage von 14,5% und einer erhöhten Umlage. Letztere umfasst in allen Ländern 6% wegen der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der damit verknüpften Beteiligung an der Umsatzsteuer im Jahr 1998. In den alten Ländern kommen 29% hinzu für die Beteiligung der Kommunen an den Länderlasten aus der Reform des Länderfinanzausgleichs 1995. Damit hat sich die Gewerbesteuerumlage “von einem ursprünglich zeitlich befristet vorgesehenen Instrument zu einem immer unübersichtlicheren, insbesondere für die alten Länder aber auch gewichtigen Bestandteil im Geflecht der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden entwickelt.“ [1]
Die Gewerbesteuerumlage ist verzichtbar
Funktional hat die Gewerbesteuerumlage keinen zwingend notwendigen Platz im System der föderalen Finanzbeziehungen. Als fiskalische Kompensation des Verzichts von Bund und Ländern auf Anteile an der Einkommensteuer (1969) und an der Umsatzsteuer (1998) mag sie noch gerechtfertigt erscheinen. Aber selbst hierfür gibt es andere Optionen.
2019 hätte ein kompletter Wegfall der Gewerbesteuerumlage inklusive der Erhöhung durch den Solidarpakt (8.242 Mio. Euro) die Gemeinden ziemlich exakt im Umfang ihrer Beteiligung an der Umsatzsteuer (8.248 Mio. Euro) entlastet [2]. Durch einen Steuertausch hätten die ostdeutschen Gemeinden aufgrund des geringeren Vervielfältigers allerdings per Saldo ca. 500 Mio. Euro verloren und die westdeutschen Gemeinden ebenso viel gewonnen. Eine solche Lösung wäre am Widerstand der ostdeutschen Länder gescheitert.
2020 entfällt jedoch die erhöhte Umlage von 29% in den westdeutschen Bundesländern. Dann wird nur noch eine bundesweit einheitliche Gewerbesteuerumlage mit einem Vervielfältiger von 35% erhoben. Die Abschaffung der verbleibenden Gewerbesteuerumlage (2019: 4.815 Mio. Euro) bei gleichzeitiger Absenkung des kommunalen Umsatzsteueranteils erzeugt nur noch Verschiebungen von ca. 100 Mio. Euro zwischen ost- und westdeutschen Gemeinden. Dieser Effekt wird zudem durch den Länderfinanzausgleich relativiert. Eine steigende kommunale Steuerkraft im Westen führt zu wachsenden Ausgleichszahlungen an die ostdeutschen Länder, die zur Aufstockung des dortigen kommunalen Finanzausgleichs dienen können. Daher ist die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage in allen Bundesländern eine realistische Reformoption. Sie würde die vertikale Steuerverflechtung deutlich reduzieren.
Auch die westdeutschen Bundesländer haben keinen Grund, nach einer Ersatzlösung für ihre um 29% höhere Umlage zu suchen. Eine (Teil-) Kompensation der durch den Wegfall sinkenden Ländereinnahmen ist im Bedarfsfall eigenständig möglich durch Reduktion der Landesmittel, die in den kommunalen Finanzausgleich fließen. Die kommunale Ebene wird hierdurch nicht geschwächt, da sich Mehreinnahmen aus der Gewerbesteuer und Mindereinnahmen aus Finanzzuweisungen kompensieren. Die kommunale Finanzautonomie profitiert sogar davon, dass vom Land zugewiesene durch eigene, autonom beeinflussbare Mittel ersetzt werden.
Hessen will umettikettierte Umlage fortführen
Hessen hat sich offenbar für einen anderen Weg entschieden [3]. Das Land will die Umlage über 2019 hinaus fortführen. Die als Heimatumlage titulierte Nachfolgeregelung soll 75% des bisherigen Aufkommens bzw. 300 Mio. Euro erbringen. Die übrigen 25% bzw. 100 Mio. Euro verbleiben direkt bei den Kommunen. Das Land will zwei Drittel der Mittel aus der Heimatumlage bzw. 200 Mio. Euro für “konkrete Projekte“ und ein Drittel bzw. 100 Mio. Euro für die Aufstockung des kommunalen Finanzausgleichs einsetzen. Formal verzichtet das Land damit auf eine weitere Verwendung der Umlage für den Landeshaushalt.
Allerdings entzieht das Land den Kommunen weiterhin Steuereinnahmen, um sie nach eigenen Maßstäben innerhalb der “kommunalen Familie“ umzuverteilen. Besonders problematisch erscheint der überwiegende Einsatz der Mittel für konkrete Projekte. Gefördert werden Kinderbetreuung, Krankenhausinvestitionen, Schulverwaltungen, ÖPNV und kommunale Digitalisierung. Nicht die Gemeinden entscheiden darüber, welche Projekte sie als besonders dringlich ansehen, sondern das Land nimmt sie wieder einmal an den “goldenen Zügel“. Auf die Idee, dass die Gemeinden die Mittel auch für Steuersenkungen verwenden könnten, kommt offenbar niemand.
Auch die Aufstockung des kommunalen Finanzausgleichs ist nicht sachgerecht konzipiert. Faktisch zahlen die gewerbesteuerstarken Gemeinden eine zusätzliche Umlage, die in die Finanzausgleichsmasse fließt und dann über Investitions- und Schlüsselzuweisungen umverteilt wird. Eine solche Sonderumlage ist keineswegs zielsicher. Nicht nur Gewerbestandorte, auch Gemeinden mit besonders wohlhabender Bevölkerung und wertvollen Grundstücken können eine überdurchschnittliche Steuerkraft aufweisen. Konsequenterweise sollten alle abundanten Gemeinden, die so finanzstark sind, dass sie keine Schlüsselzuweisungen erhalten, eine Finanzausgleichsumlage zahlen.
Eine solche Finanzausgleichsumlage existiert bereits im hessischen kommunalen Finanzausgleich [4]. Insofern wäre es naheliegender und hinsichtlich der erzielbaren Ausgleicheffekte günstiger, den direkten Anteil der Gemeinden an der bisherigen Gewerbesteuerumlage um die Aufstockungsmittel zu erhöhen und eine danach eventuell überdurchschnittliche Finanzkraft systematisch mit der vorhandenen Umlage abzuschöpfen. Genauso könnte man mit den für Lenkungszwecke des Landes eingeplanten Mitteln verfahren und den Kommunen damit Gestaltungsfreiheit zurückgeben.
Der horizontale Finanzausgleich würde darunter nicht leiden. Bei Wegfall der Gewerbesteuerumlage verfügen alle Gemeinden über eine höhere Steuerkraft. Jedoch erhalten die gewerbesteuerschwachen Gemeinden anschließend höhere und die gewerbesteuerstarken Gemeinden geringere Schlüsselzuweisungen oder zahlen eine höhere Finanzausgleichsumlage. Diese Verteilungswirkungen folgen der Systematik des kommunalen Finanzausgleichs, während die geplante Lösung dagegen verstößt.
Mehr Finanzautonomie wagen
Insgesamt wäre es ohne Weiteres möglich, die erhöhte Gewerbesteuerumlage vollständig zugunsten der eigenen Steuereinnahmen der Gemeinden entfallen zu lassen. Die kommunale Finanzautonomie würde davon profitieren, was eine bessere Anpassung der kommunalen Leistungen an die Bedarfe der Wohnbevölkerung und der ortsansässigen Unternehmen erwarten lässt. Vergrößerte Finanzkraftdifferenzen vor Finanzausgleich können über die Finanzausgleichsumlage und die daraus resultierende Aufstockung der Finanzausgleichsmasse sowie über die Landeszuweisungen systematisch korrigiert werden. Im Sinne der Finanzautonomie sollte das Land dabei nicht die Zweckzuweisungen, sondern die Schlüsselzuweisungen an die finanzschwachen Kommunen verstärken.
Anmerkungen
[1] BMF Dokumentation: Die Entwicklung der Gewerbesteuerumlage.
[2] Die Basisdaten stammen aus der Steuerschätzung vom Mai 2019.
[3] Präsentation des Programms Starke Heimat Hessen vom 28.5.2019.
[4] Der Ausgleichstarif im hessischen kommunalen Finanzausgleich.
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