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Selbst wenn die Landesregierung mehr Geld ausgeben will, wird es schwer, die Unterschiede zwischen Stadt und Land in Thüringen sowie die Unterschiede zu den alten Bundesländern zu verringern. Droht ein Teufelskreis?
Nach der Wahl in Thüringen hat die deutsche Wirtschaft in mehrfacher Hinsicht ihre Sorge um den Standort Deutschland ausgedrückt. Zum einen bedeute eine lange Verhandlung über die Regierung auch Unsicherheit für die Wirtschaft, und zum zweiten sei das Wahlergebnis, insbesondere die hohe Zustimmung zu den Parteien an den Rändern, gerade für Investoren und in der Zukunft dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland (beziehungsweise aus anderen Bundesländern) abschreckend. In diese Richtung äußerte sich auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Thomas Bareiß.
In der Tat haben über 50 Prozent der Thüringer Parteien am Rand des politischen Spektrums gewählt: Die Linke erzielte etwa 31 Prozent und die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD) über 23 Prozent. Und ohne Zweifel finden sich in beiden Parteien Strömungen, die man getrost als anti-demokratisch und totalitär bezeichnen kann. In der AfD scheint diese Strömung inzwischen die Führung zu übernehmen. Richtig ist aber auch, dass die Linke in Thüringen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow in den letzten fünf Jahren weder mit Worten noch mit politischen Handlungen zur Abwicklung von Demokratie und Marktwirtschaft beigetragen hat – wenigstens nicht mehr als die Bundesregierung unter Führung der Christdemokraten. Er scheint – anders als seine Parteifreunde in Berlin – die Funktion und Bedeutung von Märkten zu verstehen.
Trotzdem besteht Anlass zur Sorge. Denn Ramelow scheint nicht typisch für die Linke zu sein; ob er wirklich typisch für die Linke in Thüringen ist, kann zumindest hinterfragt werden. Die Linke in Thüringen stellt im Übrigen nur einen von 16 Landesverbänden, und möglicherweise einen sehr moderaten. Außerdem wiederholt sich ein Muster aus den vorangegangenen Wahlen: Der Amtsinhaber kann seinen Startvorteil nutzen. Somit sollte das Ergebnis der Thüringer Wahl nicht zum vorschnellen Urteil verleiten, die Linkspartei sei die neue Mitte. Immerhin hat sie jahrelang mit Inbrunst an der Geschichte der abgehängten und ungerecht behandelten Ostdeutschen gestrickt. Das kann die AfD jetzt eben besser. Hinzu kommt, dass Beobachter beziehungsweise Investoren von außen die Linke in Thüringen eventuell so einschätzen wie die Linke anderswo auch – und sich trotz eines beliebten Ministerpräsidenten abwenden.
Die Stärke der Ränder im Vergleich zur politischen Mitte sendet somit ein beunruhigendes Signal sowohl in den Westen der Republik als auch ins Ausland. Unternehmen und Facharbeiter, die beide gebraucht werden, um die Beschäftigung hoch zu halten, könnten davon abgestoßen werden. Das hätte dann negative Auswirkungen auf Beschäftigung und Wohlstand in Thüringen. Darunter könnten diejenigen am meisten leiden, die aus Angst vor den Unwägbarkeiten der Zukunft und aus Ärger über „die da oben“ die AfD gewählt haben. Und natürlich auch diejenigen, die denken wie die AfD-Spitze.
Allerdings ist noch keineswegs alles verloren. Denn die politische Ausrichtung der Regierungsparteien und die Stärke und der Anstand der Opposition sind nicht die einzigen Standortfaktoren der Bundesländer. Andere Aspekte sind ebenfalls wichtig. Darunter fallen zunächst die Steuerpolitik, die Regulierungsdichte, die Geldwertstabilität, Qualität der Infrastruktur, die Rechtsstaatlichkeit und die Sicherheitslage.
Dies sind alles Faktoren, die der Freistaat Thüringen nur sehr indirekt beeinflussen kann. Aber es ist möglich, wie folgendes Beispiel zeigt: Thüringen gilt als eines der Bundesländer, das Abschiebungen nur sehr zögerlich umsetzt und damit ungewollt den Rechtsstaat untergräbt – was vermutlich auch einen Beitrag zur Erklärung des AfD-Erfolgs liefert. Auch in Sachen Infrastruktur hat der Freistaat eigene Spielräume.
Daneben gibt es Felder, in denen die Bundesländer selbst Standortpolitik betreiben können. Da ist zunächst die Regionalpolitik zu nennen, also die Politik im Raum, das heißt vor allem die Anbindung der Peripherie an die Zentren. Dies ist in Thüringen nicht einfach, denn nur entlang der Bundesautobahn A4 sind größere Städte zu finden. Selbst kurze Strecken sind schwer zu überwinden: Zwischen Jena und Leinefelde liegen 120 Kilometer. Man braucht regelmäßig zwei Stunden. An- und Einbindung der ländlichen Regionen sind nicht einfach, und leider auch nicht gut gelungen. In der vergangenen Legislaturperiode scheiterte die Landesregierung mit einer Gebietsreform recht kläglich.
Ein weiterer Bereich ist die Bildungspolitik; sie ist Ländersache. Thüringen gilt hier seit Langem als führend. Schüler aus Thüringen schneiden bei den einschlägigen Tests regelmäßig überdurchschnittlich ab, die Universitäten haben einen guten Ruf. Es dauert lange, ein solches Image aufzubauen; und es geht vermutlich viel schneller, es zu zerstören. Die Bildungspolitik der Landesregierung seit 2014 ist nicht so stringent wie es nötig wäre. Sie scheint in mancherlei Hinsicht ideologiegetrieben (etwa bei den Themen Gemeinschaftsschulen, Viertelparität und Zivilklausel in den Hochschulen), ohne dass dadurch sichtbar mehr gelernt oder besser geforscht wird. Ihre praktischen Konsequenzen sind eher negativ, denn die Alterung der Lehrekollegien konnte die Landesregierung bislang nicht stoppen – der Schulausfall steigt. Hier sollte die neue Regierung noch nachbessern.
Und hier sieht man auch sehr klar den Zusammenhang zwischen extremen Wahlergebnissen und Wohlstand: Ist es attraktiv für Lehramtsstudierende oder junge Lehrerinnen, in eine Schule auf dem Land zu gehen, wenn dort die Partei der Fremdenfeindlichkeit und Engstirnigkeit über ein Drittel der Bevölkerung anzieht? Angesichts der vielfältigen Alternativen für junge Lehrerinnen und Lehrer in allen Bundesländern ist es nicht schwer vorherzusagen, dass sich nicht allzu viele junge Lehrerinnen und Lehrer für die ländlichen Gebiete in Thüringen entscheiden werden.
Selbst wenn die Landesregierung mehr Geld ausgeben will, um dem Lehrermangel zu begegnen und die ländlichen Gebiete besser an die Zentren anzuschließen, wird es sehr schwer werden, die Unterschiede zwischen Stadt und Land in Thüringen sowie die Unterschiede zu den alten Bundesländern zu verringern. Gerade diese beiden Faktoren gelten jedoch als Treiber der Unzufriedenheit und des Wahlergebnisses. Es droht ein Teufelskreis dergestalt, dass die Menschen auf dem Land sich abgehängt fühlen und AfD wählen, weswegen immer weniger Menschen mit komplementären Fähigkeiten dorthin gehen, was wiederum das Gefühl, abgehängt zu sein, verstärkt. Als Folge wird die AfD gestärkt, und der Kreislauf geht weiter.
All dies kann sehr bedrückend wirken. Es kann aber auch einen politischen Wettbewerb um die Wähler freisetzen, der mit besseren Ideen und ohne Abwertung des politischen Gegners und Hass stattfindet. Das Wahlergebnis und die politischen Festlegungen gerade der CDU und der liberalen (FDP) bietet hierfür viel Potential: Wenn die Linkspartei (mit oder ohne Sozialdemokraten und Grüne) eine Minderheitsregierung bildet, muss sie sich zu jedem Thema Mehrheiten suchen; das bedeutet Kompromiss und Dialog (möglicherweise auch mit AfD-Abgeordneten). Wenn die Landespolitik (im Verbund mit der Bundespolitik) die Sorgen der Menschen glaubwürdig aufgreift und entsprechende Maßnahmen ergreift, sollte es doch wenigstens gelingen, die Menschen wieder für konstruktive Politik zu gewinnen. Dazu muss die Linke allerdings auch über ihren Schatten springen – das Wahlergebnis schafft dafür eigentlich sehr gute Voraussetzungen.
Hinweis: Der Beitrag erschien am 1. November 2019 in der Online-Ausgabe der Wirtschaftswoche.
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