Pyrotechnik: Welchen Beitrag kann die Ökonomik leisten?

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Das jüngste Hauptstadtderby zwischen dem 1. FC Union Berlin und Hertha BSC Berlin rückte die Problematik um das unerlaubte Abbrennen von Feuerwerkskörpern (Pyrotechnik) wieder in das Bewusstsein der deutschen Medienlandschaft. Fußballfunktionäre zeigen sich zunehmend ratlos, die Suche nach geeigneten Gegenmaßnahmen gestaltet sich schwierig. Das Zünden derartiger Feuerwerkskörper in Fußballstadien zieht erhebliche Kosten nach sich: Einerseits entstehen durch die Aktionen seitens der „Ultras“ Gefahren für die Gesundheit der Zuschauer, andererseits wird der entsprechende Klub durch nicht unerhebliche Strafzahlungen belastet (Follert 2019). Zudem können einem Fußballklub durch sog. „Geisterspiele“ monetäre Nachteile in Form entgangener Zuschauereinnahmen entstehen. Die negativen wirtschaftlichen Folgen gelten insbesondere für Vereine, die nicht die Finanzstärke der Bundesligaklubs aufweisen und beispielsweise in der Regionalliga spielen. Hier fallen Verursachung und Haftung auseinander, das augenblickliche Instrumentarium reicht offensichtlich nicht aus, die Problematik zu reduzieren.

Während die Diskussion um mögliche Lösungsansätze der Gewalt- und Pyrotechnikproblematik bislang vornehmlich von Juristen (etwa Niemeier 2015, Kober 2015), Soziologen (etwa Dunning/Murphy/Williams 1986, Pilz 1996) oder Sportwissenschaftlern (etwa Schwier 2005) geführt wird, bleibt die ökonomische Perspektive bislang weitgehend (etwa Poutvaara/Priks 2009, eine sozioökonomische Modellierung findet sich bei Anthonj/Emrich/Pierdzioch 2015, Follert 2019) unberücksichtigt. Dies ist bedauerlich, hat der ökonomische Ansatz doch in einer Vielzahl von Fällen gezeigt, dass er innovative Ideen zur Problembewältigung im Rahmen sozialer Interaktionen hervorbringen kann.

Die Ökonomik als Handlungswissenschaft, die sich mit der Reaktion von Individuen auf Anreize beschäftigt, kann möglicherweise Einsichten liefern, die zur Begrenzung der Problematik beitragen können. Anhand der ökonomischen Theorie der Kriminalität (grundlegend Becker 1968) lässt sich das Entscheidungskalkül eines Pyrotechnikers auf wenige Determinanten reduzieren. Nach dem ökonomischen Verhaltensmodell (eingehend Kirchgässner 2013) führt er die Handlung dann aus, wenn der erwartete Nutzen die prognostizierten Kosten übersteigt. Der Nettonutzen (UN) ergibt sich aus dem Bruttonutzen (UB) abzüglich der Kosten (K).

UN = UB – K                                                                                                                            (1)

Der Bruttonutzen ist im Beispiel des „Ultras“, der Rauchbomben oder bengalische Feuer zündet, insbesondere immaterieller Gestalt, beispielsweise in Form von Prestigegefühlen gegenüber den gegnerischen Anhängern (Follert 2019).

Die Kosten der Handlung ergeben sich aus dem Produkt der Entdeckungswahrscheinlichkeit (W) und der Strafe (S) sowie den noch zu subtrahierenden Opportunitätskosten (O) als entgangener Nutzen der besten Alternative. Es gilt somit folgendes Entscheidungskalkül:

UN = UB – W x S – O                                                                                                               (2)

Während in den neoklassischen Modellierungen in aller Regel von einem risikoscheuen Straftäter ausgegangen wird (siehe hierzu Englerth 2010), dürfte ein „Ultra“ tendenziell risikoaffin sein. Im Hinblick auf die Abschreckungswirkung ist dies von Bedeutung, da sich risikofreudige Individuen eher durch Beeinflussung der Wahrscheinlichkeit abschrecken lassen, während risikoaverse Typen eher auf eine Erhöhung der Strafe reagieren (Becker 1968).

Bislang wird der Fokus insbesondere auf die abschreckende Wirkung der Kosten gelegt (WxS). Durch Videoüberwachungen der betreffenden Stadionblöcke wird versucht, die Entdeckungswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Zudem wird bereits bei Einlass in das Stadion versucht, mitgebrachte Utensilien zu entdecken. Bei konstanter Strafe steigen c.p. die Kosten der Handlung, das Abbrennen von Feuerwerkskörpern wird folglich teurer. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass die Anhänger sukzessive „nachrüsten“ und sehr geschickt darin sind, die Feuerwerkskörper ins Stadion zu bringen (Kober 2015) und es für die Polizei schwierig ist, die Täter beim Abbrennen zu identifizieren, insbesondere, weil diese zunehmend vermummt agieren. Jedoch entstehen dem potentiellen Pyrotechniker hierbei Begehungskosten KB, die seinen Nettonutzen schmälern. Diese Camouflage der Täter schlägt sich in einer verminderten Aufdeckungswahrscheinlichkeit Wn (mit Wn < W) nieder.

UN = UB – KB – Wn x S – O                                                                                                      (3)

Es lässt sich erkennen, wenn die Ungleichung

UB – KB – Wn x S > O                                                                                                               (4)

erfüllt ist, die Tat begangen wird. Offensichtlich ist diese Ungleichung in einer Vielzahl der Fälle erfüllt. Das Problem des unerlaubten Abbrennens von Feuerwerkskörpern in Fußballstadien besteht fort und hat sich jüngst sogar verschärft. Es braucht folglich neue Ansätze, um Anhänger vom Zündeln abzuhalten.

Ein Mittel könnte darin bestehen, den Bruttonutzen zu reduzieren, indem den Pyrotechnikern die von ihnen bezweckte Aufmerksamkeit (Kober 2015, Follert 2019) entzogen wird. So könnten Medien beispielweise keine Bilder der Rauchbomben und bengalischen Feuer mehr zeigen, was den Bruttonutzen tendenziell schmälern würde.

Weiterhin könnte versucht werden, die rechte Seite der Ungleichung zu beeinflussen: Es müssten also die Opportunitätskosten erhöht werden. So versucht werden, den „Ultras“ Anreize zu setzen, sich gegen die illegale Handlung zu entscheiden. Ein Ansatz, der auf positive Anreize anstelle der abschreckenden Wirkung von Strafen setzt, kann nach Frey (2004) als „positive Ökonomik“ bezeichnet werden. Denkbar wären beispielsweise spezielle Belohnungssysteme für das Wohlverhalten der Anhänger (Follert 2019).

Auch ein Modell, welches den Kartenpreis im nächsten Heimspiel an das Verhalten der „Ultra“-Szene knüpft, wäre erfolgsversprechend (im Folgenden, Follert 2019). Durch ein solches System der Umlagefinanzierung könnte der bestrafte Klub, die (verantwortlichen) Anhänger an den ökonomischen Kosten der Handlung beteiligen. Da selten ein gesamter Fanblock für die Pyroaktionen verantwortlich ist, ist es wahrscheinlich, dass Unbeteiligte, die dennoch einen erhöhten Preis für die Karte entrichten müssen, sozialen Druck auf die Pyrotechniker ausüben. Zudem würden die (antizipierten) Kosten im Entscheidungskalkül steigen, da der künftig höhere Kartenpreis als zusätzliche Strafe angesehen werden kann, sodass sich die Handlung verteuert. Theoretisch denkbar wäre es auch – ähnlich einer Bank im Kreditgeschäft –, generell anhand einer Wahrscheinlichkeitsschätzung eine Risikoprämie in die Preise einzubeziehen (Follert 2019).

Zusammenfassend lässt sich der ökonomische Ansatz zur Behandlung der Problematik als vielversprechend erkennen, da er insbesondere die Handlungsanreize in den Mittelpunkt stellt. Hieraus lassen sich Implikationen für die rechts- und sportpolitischen Verantwortungsträger ableiten.

Literatur

Anthonj, P./Emrich, E./Pierdzioch, Ch. (2015), Zur Dynamik sozialer Probleme im Sport: Eine Analyse der Fangewalt und ihrer Bekämpfung im deutschen Fußball. Soziale Probleme 26, S. 91–117.

Becker, G.S. (1968), Crime and Punishment: An Economic Approach, Journal of Political Economy 76(2), S. 169–217.

Dunning, E./Murphy, P./Williams, J. (1986), Violence at Football Matches: Towards a Sociological Explanation. The British Journal of Sociology 37(2), S. 221–244.

Englerth, M. (2010), Der beschränkt rationale Verbrecher, Berlin.

Follert, F. (2019), Einsatz von Pyrotechnik in Fußballstadien: Ökonomische Überlegungen zu einem aktuellen Problem. Wirtschaftswissenschaftliches Studium 48(11), S. 51–53.

Frey, B.S. (2004), Plädoyer für eine positive Ökonomik, in: C.A. Schaltegger, S.C. Schaltegger (Hrsg.), Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Zürich 2004, 759–766.

Kirchgässner, G. (2013), Homo Oeconomicus, 4. Aufl., Tübingen.

Kober, S.A. (2015), Pyrotechnik in deutschen Fußballstadien, Baden-Baden.

Niemeier, F. (2015), Gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten der Bekämpfung ritualisierten Gewaltverhaltens im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen, Berlin.

Pilz, G.A. (1996), Social Factors Influencing Sport and Violence: On the “Problem” of Football Hooliganism in Germany. International Review for the Sociology of Sport 31(1), S. 49-66.

Poutvaara, P./Priks, M. (2009), Hooliganism and Police Tactics. Journal of Public Economic Theory 11(3), S. 441-453.

Schwier, J. (2005), Die Welt der Ultras: Eine neue Generation von Fußballfans, in: Sport und Gesellschaft, 2(1), S. 21–38.

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