Gastbeitrag
Coronavirus – die wirtschaftlichen Folgen

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Das Coronavirus hat die Finanzmärkte nervös gemacht und es kommen immer mehr Fragen zu den ökonomischen Folgen auf. Wir versuchen, einen nüchternen Blick auf die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen zu geben.

In der Vergangenheit ähnelten die ökonomischen Folgen derartiger Krisen zumeist denen von Naturkatastrophen wie schwerer Stürme. Auch diese versetzen der betroffenen Wirtschaft einen Schock: Die Beschäftigten können teilweise nicht zu ihren Arbeitsstellen, weshalb die Produktion zurückgeht. Verbraucher verschieben ihren Konsum in die Zukunft. Die Nachfrage nach Hotelübernachtungen, Restaurantbesuchen, öffentlichen Veranstaltungen und im Einzelhandel sinkt. Diese Einbrüche werden nach Beruhigung der Lage aber normalerweise rasch wieder gut gemacht, zusätzliche Investitionen – vor allem für den Wiederaufbau – beschleunigen die Erholung zusätzlich. Auf den Wachstumstrend entwickelter Wirtschaften haben solche Naturkatastrophen daher gewöhnlich keine Auswirkung.

Diese allgemeinen Betrachtungen sind eine erste Annäherung an die voraussichtlichen ökonomischen Folgen der aktuellen Krise. Der plötzliche Schock für die Wirtschaft zeigt sich gegenwärtig in China beispielsweise an den Passagierzahlen der chinesischen Eisenbahnen, die in den letzten Tagen drastisch gefallen sind (Abb. 1).

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Welche Auswirkungen hatte SARS?

Auch der Ausbruch der Infektionskrankheit SARS in der chinesischen Provinz Guangdong zwischen November 2002 und Mitte 2003 hatte einen schockartigen, aber recht kurzfristigen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung. Der Einzelhandelsumsatz in China verlor im ersten Halbjahr 2003 deutlich an Dynamik, und in Hongkong schrumpfte die Wirtschaft im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal (nicht-annualisiert) um 2,3%.

Die internationalen Auswirkungen der Krise zeigen zum Beispiel die Daten zum Luftverkehr in der Region Asien/Pazifik. Der Luftverkehr, gemessen in Passagierkilometern, brach ein und lag im Mai 2003 mehr als ein Drittel unter dem Vorkrisenniveau (Abb. 2). Nach diesem Schock erholte sich der Luftverkehr allerdings rasch und lag wenige Monate später wieder auf dem Vorkrisenniveau.

Studien über die globalen wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krise schätzen den „Schaden“ auf etwa 40 Mrd Dollar, was rund 0,1% der damaligen Weltwirtschaftsleistung entsprach. Die langfristige Entwicklung der betroffenen Länder (v.a. China, Hongkong, Singapur) wurde davon nicht messbar beeinflusst.

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Schätzung von Pandemie-Kosten

Im Nachgang zu SARS wurden zahlreiche Studien zu den ökonomischen Folgen von Pandemien erstellt. Diese konzentrieren sich auf schwere Pandemien, für die es in der modernen Zeit nur ein Beispiel gibt, die „Spanische Grippe“ von 1918 mit geschätzt 40 Millionen Todesopfern. Dies ist mit der gegenwärtigen Situation nicht im Entferntesten vergleichbar, sodass die darauf basierenden Schadensabschätzungen den schlimmstmöglichen Fall darstellen. „Leichte“ Pandemien wie SARS hatten merklich geringere ökonomische Kosten (siehe oben).

Wie Tabelle 1 zeigt, gehen die Schätzungen der Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung weit auseinander. Die Übertragbarkeit der Folgen schwerer Krisen auf die heutige Zeit ist ohnehin mit Fragezeichen zu versehen. Denn die Datenlage 1918, auf Basis derer die ökonomische Folgeabschätzung der „spanischen Grippe“ beruht, ist mit der heutigen Situation kaum zu vergleichen, und die wirtschaftlichen Strukturen haben sich seither gravieren gewandelt. Alle diese Schätzungen sind daher mit Vorsicht zu genießen.

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Wie wichtig ist Wuhan für Chinas Wirtschaft?

Der Schwerpunkt von SARS lag in Guangdong und Hongkong, dem wirtschaftlich am weitesten entwickelten Gebiet Chinas. Die gegenwärtig vor allem betroffene Stadt Wuhan liegt in Zentralchina und hat 11 Millionen Einwohner. Sie ist ein bedeutender Wirtschaftsstandort Chinas und trägt annähernd 2% zum Bruttoinlandsprodukt des gesamten Landes bei. Damit ist Wuhans Wirtschaftskraft mit der Portugals, Vietnams oder Tschechiens vergleichbar. Der Fokus liegt auf dem Fahrzeugbau und den Zulieferbranchen Eletronik sowie Metallherstellung und -verarbeitung. Bereits Anfang der 1990er Jahre haben sich viele ausländische Automobilhersteller wie Renault, Honda, Toyota und PSA hier angesiedelt. Vereinzelt sind auch deutsche Zulieferer und Logistikunternehmen in Wuhan ansässig.

Wuhan ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Im „Chicago Chinas“ kreuzen sich die Autobahnen, die alle wichtigen Wirtschaftsräume Chinas miteinander verbinden. Zudem hat Wuhan den größten Binnenhafen Chinas und ist ein wichtiges Drehkreuz für den Luftverkehr, vor allem für nationale Flüge.

Die von den Behörden verfügte Abriegelung Wuhans ist ein deutlich aggressiveres Vorgehen als die damals zur Eindämmung von SARS ergriffenen Maßnahmen. Dadurch dürften zumindest vorübergehend die Fertigungsstätten in Wuhan aus den Produktionsketten herausgenommen werden, was den wirtschaftlichen Schaden wohl vergrößert. Dies gilt vor allem, wenn die Abriegelung länger anhält. Denn zurzeit dürfte die Produktion aufgrund des Neujahrsfestes in China ohnehin eingeschränkt sein.

Virus trifft eine geschwächte Wirtschaft

Die chinesische Wirtschaft befindet sich derzeit ohnehin – wie auch die Weltwirtschaft insgesamt – in einer Schwächephase. Je länger der Ausnahmezustand – sprich: das Reiseverbot in China – anhält und je weiter sich das Virus ausbreitet, desto gravierender werden die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft sein.

Die indirekten Folgen könnten für China in ökonomischer Hinsicht sogar schwerwiegender sein als die direkten. Denn im Unterschied zu Epidemien der Vergangenheit bieten die „sozialen Medien“ heute einen viel stärkeren Resonanzboden für die Sorgen und Ängste der Bevölkerung. Die Stimmung der Verbraucher könnte daher stärker in Mitleidenschaft gezogen werden als die anhand der Krisen der Vergangenheit aufgestellten Modellrechnungen nahelegen.

Wie stark trifft es die asiatischen Nachbarn?

Chinesische Touristen sind in den letzten Jahren für einige asiatische Länder zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. In Hongkong beispielsweise macht der Tourismus 11% des BIP aus, wobei die Festland-Chinesen den Großteil der Touristen stellen. Rechnerisch entfällt damit auf die chinesischen Touristen fast ein Zehntel der Wirtschaftsleistung Hongkongs (Abb. 3). Auch in Kambodscha, Thailand, Vietnam und Singapur spielen chinesische Touristen eine bedeutende Rolle. Diese Dienstleistungsexporte dürften kurzfristig massiv fallen, was vor allem bei kleineren Volkswirtschaften zu einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung führen kann.

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Wie wichtig ist China für Deutschland?

Die verfügbaren Daten lassen es nicht zu, die Handelsströme Deutschlands mit einzelnen chinesischen Städten abzubilden. Allerdings hat China ingesamt in den vergangenen Jahrzehnten für die deutsche Wirtschaft enorm an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile gehen gut 7% der deutschen Exporte nach China, wohingegen wir fast 10% unserer Importe aus dem fernöstlichen Land beziehen. Hauptsächlich exportieren deutsche Firmen Autos und Autoteile (27% der Exporte nach China) sowie Maschinen (21%) nach China. Umgekehrt importiert Deutschland insbesondere Datenverarbeitungsgeräte (36% der Einfuhren aus China) sowie elektrische Ausrüstungen (13%).

Die Struktur der Exporte spiegelt sich gleichsam in den deutschen Investitionen in China wider. Nach der Bundesbank-Statistik waren 2018 deutsche Unternehmen mit knapp 90 Mrd Euro in China investiert. Diese Zahl dürfte die tatsächlichen Investitionen merklich unterschätzen, da die Statistik der ausländischen Direktinvestitionen nur diejenigen ab einer Beteiligungsgröße von 10% berücksichtigt. Etwas mehr als ein Drittel der Investitionen halten deutsche Investoren and Firmen in der Automobilbranche.

Wo stehen wir?

Der weitere Fortgang der durch das Coronavirus ausgelösten Krise ist ungewiss. Zwar sorgt die weltweite Vernetzung und der stark gestiegene Tourismus potenziell für eine raschere Übertragung auf andere Länder. Allerdings sind die gegenwärtigen medizinischen Möglichkeiten deutlich weiter fortgeschritten als bei Pandemien der Vergangenheit. Zudem hat die chinesische Regierung rasch reagiert. Daher rechnen wir derzeit nicht damit, dass es zu gravierenden und anhaltenden ökonomischen Folgen kommt.

Anhang: Literaturverzeichnis zu Tabelle 1

1) Congressional Budget Office (2006): „A Potential Influenza Pandemic: An Update on Possible Macroeconomic Effects and Policy Issues“.

2) Steven Kennedy, Jim Thompson udn Petar Vujanovic (2006): „A Primer on the Macroeconomic Effects of an Influenza Pandemic“, Working Paper 2006-01.

3) Warwick McKibbin und Alexandra Sidorenko (2006): „Global Consequences of Pandemic Influenza“, Brookings Institution, Lowy Institute for International Policy.

4) Steven James und Timothy Sargent (2006): „The Economic Impact of an Influenza Pandemic“, Mimeo, Department of Finance, Canada.

5) Lesli Ott (2008): „The Economic Impact of an Influenza Pandemic on the United States“, Federal Reserve Bank of St. Louis, Economic Information Letter.

6) Sherry Cooper (2006): „The Avian Flu Crisis: An Economic Update“, Bank of Montreal Special Report.

7) Lars Jonung und Werner Röger (2006): The Economic Effects of a Pandemic in Euorpa – A Model Based Assessment“, EU-Kommission, Economic Papers.

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Hinweis: Der Beitrag erschien am 28. Januar 2020 als Economic Insight der Commerzbank Economic Research.

Christoph Balz, Bernd Weidensteiner und Marco Wagner
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