Gastbeitrag
Corona: Kommt die zweite Welle?

Meldungen aus den USA und China haben die Angst vor einer zweiten Infektionswelle mit dem Coronavirus merklich steigen lassen. So ist in einigen Regionen der USA die Zahl der Neuinfektionen gestiegen, weshalb die landesweiten Neuansteckungen zuletzt nicht mehr gefallen sind. Auch in China haben neue Infektionen in Peking die Sorge vor einem Wiederaufflammen der schon besiegt geglaubten Pandemie verstärkt. Für die Weltwirtschaft ist eine etwaige zweite Infektionswelle das zentrale Prognoserisiko der nächsten Monate, auch wenn in diesem Fall wohl bei weitem nicht mit solch umfassenden Lockdown-Maßnahmen wie bei der ersten Welle zu rechnen wäre.

USA: Neuinfektionen gehen nicht mehr zurück, …

Im April hatte in den USA die Zahl der bei Tests festgestellten Neuinfektionen ihren Höhepunkt erreicht und war danach allmählich zurückgegangen. Seit einigen Wochen stagnieren die Neuansteckungen allerdings (Abbildung 1).

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… aber der Schwerpunkt verlagert sich

Dabei überdeckt die nationale Zahl unterschiedliche Trends in einzelnen Bundesstaaten. Denn der Brennpunkt der Krise hat sich von den ursprünglich besonders betroffenen Staaten im Nordosten der USA zu Bundesstaaten im Westen und im Süden (Abbildung 2) verschoben. Allerdings liegen dort die Infektionszahlen noch deutlich unter den Werten, die am Höhepunkt der Krise im Nordosten beobachtet wurden. Zudem haben die sechs von uns betrachteten südlichen Staaten mit 80 Mio Einwohnern eine größere Bevölkerung als die vier nordöstlichen mit 50 Mio.

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Zweite Welle – oder Ausbreitung auf zuvor verschonte Regionen?

Damit ist es zumindest im Falle der USA verfrüht, von einer zweiten Welle zu sprechen. Denn dies würde bedeuten, dass Infektionen dort wieder deutlich steigen, wo sie zuvor gefallen waren. Vielmehr breitet sich das Virus regional weiter aus.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die Datengrundlage geändert hat. Denn die USA haben die Anzahl der Tests in den letzten Monaten massiv erhöht. So wurden zuletzt täglich fast 500 Tsd Tests auf das Corona-Virus durchgeführt und damit dreimal so viele wie im Durchschnitt des April (Abbildung 3).

Gerade in Staaten, die jetzt besonders viele Neuinfektionen aufweisen, wurde die Anzahl der Tests stark nach oben gefahren. Somit dürfte ein Teil der hohen Zahlen darauf zurückzuführen sein, dass die Fälle jetzt besser erfasst werden. So hat sich der Anteil der positiv ausgefallenen Testresultate (also diese, die auf eine Infektion schließen lassen) in den letzten Wochen bei etwa 5% eingependelt. Dies deutet daraufhin hin, dass die Datengrundlage jetzt stabiler ist.

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China – Neuinfektionen in Peking schüren Sorgen

In China ist hingegen das Risiko eines Wiederaufflammens des Corona-Virus ohne Frage gestiegen. In Peking sind in den vergangenen Tagen vermehrt neue Covid-19-Fälle aufgetreten, nachdem seit Mitte April keine Neuinfektionen gemeldet wurden (Abbildung 4). Bislang stehen alle Fälle in Zusammenhang mit dem größten Lebensmittelgroßmarkt in China. Die Regierung hat umgehend reagiert und diesen Xinfadi-Markt sowie – als Vorsichtsmaßnahme – einige weitere Lebensmittelmärkte in Peking geschlossen. Auch Grundschüler der ersten bis dritten Klasse dürfen vorerst nicht – wie ursprünglich geplant – ab heute wieder die Schule besuchen. Das Gesundheitsamt hat bereits mehr als 70.000 Personen getestet, und die Tests laufen weiter. Die Regierung könnte sich dazu entschließen, wie vor wenigen Wochen in Wuhan die gesamten 22 Millionen Einwohner Pekings zu testen. In Wuhan hatten die Tests für die 11 Millionen Einwohner zwei Wochen gedauert.

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Was heißt das für die Wirtschaft?

Die chinesische Wirtschaft hat wohl im Februar ihren Tiefpunkt erreicht, die amerikanische im April. In beiden Ländern setzte danach eine spürbare Erholung ein. Dies zeigt sich in China etwa an den Daten zur Produktion, in den USA ist die Beschäftigung im Mai unerwartet bereits wieder gestiegen.

Eine kräftige anfängliche Erholung ist nach dem vorhergehenden Einbruch und der Lockerung der Kontaktbeschränkungen wenig überraschend. Der weitere Fortgang der Konjunkturerholung hängt davon ab, ob die befürchtete zweite Infektionswelle einsetzt. Und er hängt insbesondere davon ab, wie die Regierungen auf eine etwaige zweite Welle reagieren. Dies wird für jede Regierung eine Gratwanderung.

Kein allgemeiner Lockdown mehr wahrscheinlich

Wie sich im Falle Chinas aktuell zeigt, ist vor allem mit lokalen Maßnahmen zu rechnen. Mit einem neuerlichen umfassenden Lockdown würde die Regierung sonst riskieren, dass die bereits recht weit fortgeschrittene wirtschaftliche Erholung zunichte gemacht wird. Dies hätte für Teile der Bevölkerung, insbesondere die unteren Einkommensschichten, gravierende Auswirkungen.

Schließlich ist die Arbeitslosenquote in China im Zuge der Corona-Krise von gut 5% auf rund 6% gestiegen. Für chinesische Verhältnisse ist schon dies durchaus beachtlich, zumal erst heute veröffentlichte Zahlen der nationalen Statistikbehörde zeigen, dass etwa 1¼% der Beschäftigten zwar noch ihren Arbeitsplatz haben, derzeit allerdings keine Arbeitsstunden leisten und damit kein Gehalt beziehen. Insofern dürfte die tatsächliche Arbeitslosenquote bei mehr als 7% liegen (Abbildung 5).

Hinzu kommt, dass die Zahl der beschäftigten Wanderarbeiter noch weit unter üblichen Niveaus liegt. Die Wanderarbeiter machen in etwa 22% der Beschäftigten in China aus, im Zuge der Corona-Krise ist diese Quote auf 15% eingebrochen. Vor diesem Hintergrund dürfte die Regierung solange als möglich an lokalen Einschränkungen festhalten.

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In den USA, wo die Lockdown-Maßnahmen im März und April voll auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen haben, werden die Verantwortlichen auch alles daran setzen, ein neuerliches Herunterfahren der Wirtschaft zu vermeiden. Dazu kommt, dass angesichts der Wahlen im November Präsident und Bundesstaaten eine Verlängerung der wirtschaftlichen Krise nach Möglichkeit vermeiden wollen.

Zweite Welle ist zentrales Prognoserisiko

Nach den Erfahrungen mit dem ersten Lockdown, der auf möglichst umfassende Kontaktsperren abzielte, ist bei einer neuerlichen Infektionswelle mit differenzierteren und lokal begrenzten Maßnahme zu rechnen. Auch dies erhöht allerdings die Unsicherheit für die Unternehmen und würde sie dazu bringen, Investitionen vorerst zurückzustellen. Der private Verbrauch könnte einen Rückschlag erleiden. Die „zweite Welle“ ist somit das zentrale Prognoserisiko für die nächsten Monate.

Bernd Weidensteiner und Marco Wagner
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