Bei dem Treffen zwischen Merkel und Macron Ende Juni auf Schloss Meseberg hat die Kanzlerin der Einführung einer CO2-Grenzsteuer zugestimmt. Wird Europa nun Vorreiter im Klimaschutz oder scheitert die Abgabe an Hürden?
Auf ihrem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron Ende Juni in Brandenburg hat die Bundeskanzlerin der Einführung einer CO2-Grenzsteuer auf europäischer Ebene grundsätzlich zugestimmt. Dies ist eine seit Langem von französischer Seite vorgetragene Forderung, schon der frühere Präsident Nicolas Sarkozy hat mit ihr geliebäugelt – damals gab es aber auf deutscher Seite eine klar ablehnende Haltung. Mit der Grenzsteuer sollen Importeure aus Ländern mit weniger ambitionierten Klimazielen als den europäischen Vorgaben daran gehindert werden, dadurch einen preislichen Wettbewerbsvorteil gegenüber europäischen Unternehmen zu erhalten. Die genaue Ausgestaltung steht noch nicht fest.
Das klingt doch fair, oder? Wer nichts für das Klima tut, darf in Europa nichts verkaufen, ohne zum Klimaschutz „überredet“ zu werden. Damit leistet das weniger klimabewusste Ausland auch noch einen Beitrag zum Haushalt der Europäischen Union (EU). Wenn man genauer hinschaut, fällt allerdings auf, dass es doch nicht so einfach ist. Vor der Einführung einer CO2-Grenzsteuer sind noch etliche Hürden zu überwinden. Außerdem besteht ein Grundsatzproblem.
Beginnen wir mit den Hürden. Erst einmal ist die Berechnung einer solchen Steuer ausgesprochen kompliziert. Denn ein Gut, das aus beispielweise China importiert wird, ist keineswegs zur Gänze in China produziert worden. Die Wertschöpfungskette kann lang und global sein – wie uns in der Coronakrise gerade deutlich bewusst wird. Damit die Steuer wirklich fair ist, müsste es also genaue Angaben über den Ursprung des Gutes auf all seinen Wertschöpfungsstufen geben. Das erfordert genaue Ursprungsregeln; so wird aus einer einfachen Steuer zur Herstellung der Wettbewerbsneutralität und Klimafreundlichkeit ein bürokratisches Monster – denn es müssten nahezu alle Importgüter ihrem Ursprung nach erfasst werden.
Zweitens führt die Steuer dazu, dass viele Vorleistungen, die europäische Unternehmen im Ausland einkaufen, teurer werden, zum Beispiel Rohstoffe. Denn die zum Beispiel in Angola für die Erzeugung von Rohöl eingesetzte Energie wird viel emissionsintensiver als hierzulande erzeugt. Wenn die europäische Kommission das klimapolitische Ziel der CO2-Grenzsteuer ernst nimmt, darf sie keine Ausnahme machen. Damit gefährdet die Steuer die preisliche Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen in Europa. Man kann natürlich Ausnahmen beschließen, zum Beispiel dass die Steuer entfällt, wenn nachgewiesen werden kann, dass man das importierte Produkt in Europa nicht beziehen kann. Das wäre aber grob zynisch!
Ohnehin wäre die CO2-Grenzsteuer vor allem gegen Anbieter aus den Entwicklungsländern gerichtet. Sie wird vermutlich viele afrikanische Anbieter besonders treffen. Mit der Steuer schafft die EU damit drittens einen weiteren Grund für eine wirtschaftliche Schwächung Afrikas – mit den bekannten Folgen für Armut, Ungleichheit und Migration. Das kann nicht im Interesse der EU sein.
Viertens ist die Einführung eines neuen Importzolls – und nichts anderes ist eine CO2-Grenzsteuer – nur schwer mit dem Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar. Mindestens zwei Regeln sprechen dagegen: Erstens darf ein Mitglied keine neuen Zölle einführen oder bestehende gebundene Zölle erhöhen. Zweitens wäre ein unterschiedlich hoher Zollsatz für gleiche Güter aus verschiedenen Ländern – in Abhängigkeit ihrer Klimaschutzpolitik – mit dem Prinzip der Meistbegünstigung nicht vereinbar. Meistbegünstigung bedeutet, dass zwischen ausländischen Anbietern nicht diskriminiert wird, sie werden handelspolitisch sämtlich gleichbehandelt; verschiedene Zollsätze sind nicht statthaft. Es wäre also erheblicher Widerstand von anderen WTO-Mitgliedern und langandauernde Streitigkeiten in der WTO zu erwarten.
Das gilt insbesondere im Umgang mit den wenig rücksichtsvollen Großmächten China, Russland und den Vereinigten Staaten (USA). Gerade die USA hat sich in den vergangenen Jahren als sehr robust in Handelsfragen gezeigt. Selbst wenn der Amtsinhaber die US-Präsidentenwahl im November nicht gewinnt, ist zu erwarten, dass die Einführung einer europäischen CO2-Grenzsteuer gegen US-Unternehmen ein erhebliches Konfliktpotential hat. Somit ist fünftens von großangelegten Retorsionsmaßnahmen auszugehen.
Schließlich müssten die EU-Mitglieder ihre zahlreichen Ausnahmen für energieintensive Unternehmen, die nicht am Emissionshandel teilnehmen, dann auslaufen lassen. Diese Unternehmen wären dann zwar weiterhin gegen Importkonkurrenz wettbewerbsfähig, müssten aber im Exportwettbewerb Nachteile befürchten. Immerhin wäre diese Folge mit einer konsequenten Klimapolitik vereinbar, denn es wirkt nicht glaubwürdig, im Kampf gegen den Klimawandel ausgerechnet die größten Emittenten nicht zu beteiligen. Dennoch wäre der politische Widerstand innerhalb Europas gewaltig; es sind bereits kritische Reaktionen aus der Wirtschaft zu hören.
Das führt zum grundsätzlichen Problem, dass entsteht, wenn die EU ihren Handelspartnern eine CO2-Grenzsteuer auferlegt. Sie würde damit den betroffenen Ländern ihre Klimapolitik oktroyieren. Es mag gute Gründe dafür geben, dass Entwicklungsländer die Klimapolitik nur vorsichtig einführen und erst einmal abwarten, wie die Industrieländer sich klimapolitisch positionieren. Wenn die EU jedes Land dafür bestraft, eine andere Klimapolitik zu betreiben, disqualifiziert sie sich als ein Partner für die Entwicklungsländer.
Wenn die Europäische Union Klimaschutz ernst meint, hält sie sich an die Zusagen, die die EU-Mitgliedsländer in Kyoto und Paris gegeben haben, und akzeptiert die Zusagen der anderen. Anstatt die Unternehmer anderer Länder (und die heimischen Konsumenten) zu bestrafen, sollte Europa zum positiven Vorbild werden, das Klimaschutz mit wirtschaftlichen Erfolgen verbindet. Nur dann kann der Klimaschutz als globales Vorhaben gelingen.
Hinweis: Der Beitrag erschien am 3. Juli 2020 in der Wirtschaftswoche Online.
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