Deutschland wartete gespannt auf die Ergebnisse des sog. „Corona Gipfels“ zwischen Bund und Ländern am 29. September 2020. Neben den Regelungen zu Obergrenzen bei privaten Feiern sorgte insbesondere die Einführung eines Bußgelds für Falschangaben beim Besuch von Gaststätten für Aufsehen. Das Bußgeld soll jedoch nur verhängt werden, wo überhaupt Listen zur Eintragung vorgesehen seien. Dies ist beispielsweise in Sachsen-Anhalt nicht der Fall (https://www.tagesschau.de/inland/corona-gipfel-103.html). Das Bußgeld soll mindestens 50 Euro betragen. NRW-Gesundheitsminister (sic!) Karl-Josef Laumann brachte sogar eine Zahlung von 250 Euro in die Diskussion ein.
Aus ökonomischer Sicht ist das politische Kalkül hinter den Bußgeldern für Falschangaben bei der Registrierung in Gaststätten offensichtlich. Der Gesetzgeber möchte verhindern, dass Bürger bei Restaurantbesuchen falsche Angaben machen und sich – wie oftmals in den Medien kolportiert – als „Donald Duck“ o.ä. in die Formulare der Gastwirte eintragen (https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/corona-bussgeld-restaurant-100.html). Mit Einführung der Strafe soll die Abschreckungswirkung erhöht werden. Nach dem ökonomischen Ansatz wägt der Mensch – zumindest implizit – die erwarteten Kosten und den erwarteten Nutzen einer Handlung ab. Die Kosten, sich unter falscher Identität während der COVID-19-Pandemie in ein Lokal zu begeben, ergeben sich multiplikativ aus der Entdeckungswahrscheinlichkeit und der Höhe der Strafe. Der Nutzen kann darin gesehen werden, dass die Identität des Bürgers unbekannt bleibt, was natürlich nur durch das Individuum selbst bewertet werden kann.
Dabei drängt sich freilich sofort die Frage auf, ob eine derartige Maßnahme effektiv im Hinblick auf das verfolgte Ziel sein kann? Hierzu ist insbesondere die Entdeckungswahrscheinlichkeit zu betrachten, die möglicherweise zu gering sein könnte. Es gäbe grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wie eine Falscheintragung entdeckt werden könnte:
- Ein Kellner oder eine Kellnerin könnten sich von jedem Gast den Personalausweis zeigen lassen und die Daten mit der Eintragung abgleichen. Entdeckt er eine Abweichung (bspw. trägt sich Max Mustermann als Donald Duck ein), müsste dies in Konsequenz bedeuten, den Gast aufzufordern, seine Identität preiszugeben oder das Restaurant zu verlassen.
- Der Gast füllt das Formular aus und gibt es im Anschluss an seinen Verzehr ab bzw. legt es anonym in eine Kiste o.ä. In letzterem Fall ist es völlig ausgeschlossen, dass überhaupt ein Abgleich erfolgt.
Ad 1) Offensichtlich wird hier die Aufgabe des Ordnungsamts auf den privaten Sektor ausgelagert. Ein Gastwirt ist als Unternehmer jedoch vor allem an einer reputationsfördernden Beziehung zu seinen Gästen interessiert, die ihm einen langfristigen Einkommensstrom sichert und kein Hilfs-Ordnungshüter. Insofern dürfte er kaum mit einem Gast die Konfrontation suchen, der einen falschen Namen einträgt. Zudem ist fraglich, ob für einen volljährigen Gast überhaupt eine Pflicht besteht, sich gegenüber dem Gastwirt auszuweisen. Darüber hinaus wird der Datenschutz möglicherweise nicht gewährleistet, da in zahlreichen Gaststätten auch Aushilfskräfte arbeiten, die wohl in einer Vielzahl der Fälle keine Verschwiegenheitsvereinbarungen unterzeichnen.
Ad 2) In diesem Fall hat der Gastwirt weder eine Sanktionsmöglichkeit noch eine Sanktionsbefugnis. Was passiert, wenn sich nach der Erfüllung des Vertrages feststellt, dass ein Gast die falschen Angaben gemacht hat? Der Inhaber des Restaurants kann ihn lediglich des Hauses verweisen, allerdings hat dies keine Konsequenzen mehr.
Sofern nicht Mitarbeiter des Ordnungsamts oder der Polizei die Aufzeichnungspflicht in Gaststätten zumindest stichprobenmäßig überprüfen und bei Fehlverhalten dem Gastwirt eine empfindliche Strafe droht, kann davon ausgegangen werden, dass der Vorstoß zahlreicher Bundesländer aufgrund der minimalen Entdeckungswahrscheinlichkeit nahezu wirkungslos bleibt. Der Staat versucht, eigene Verantwortung auf Private abzuwälzen und erlässt Vorschriften, die allenfalls Aktionismus vortäuschen, bei näherem Hinsehen jedoch kaum durchdacht erscheinen.
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