Steuern, Daten und Moral
Der Staat in der Zwickmühle der Steuerdurchsetzung

Auf den ersten Blick sieht es nach einer ganz einfachen Angelegenheit aus: Dem Staat werden Daten-CDs mit den Namen mutmaßlicher Steuerhinterzieher angeboten. Ob der Verdacht in jedem Einzelfall zutrifft, ist offen – immerhin gibt es auch legale Motive für Geldanlagen im Ausland. Aber man kann davon ausgehen, daß der Fiskus bisher durchaus nicht über alle auf den CDs verzeichneten Konten informiert ist. Ein Ankauf der Daten wird dem Staat also ganz einfach zusätzliche Einnahmen verschaffen. Oder etwa nicht?

Moral

Bei vielen täglichen Geschäften vertrauen wir implizit darauf, daß sich unser Gegenüber zumindest ein wenig moralisch verhält. Ein Tankwart beispielsweise könnte uns problemlos Normalbenzin als SuperPlus verkaufen, wir würden es im Alltag nicht merken. Den Unterschied zwischen Bio-Petersilie und billigem Pestizidkraut erschmecken auch nur wenige Connaisseurs, während wir Normalsterblichen im Zweifelsfall dem Gemüsehändler vertrauen. Lückenlose Kontrolle wäre im Alltag oft undurchführbar oder schlicht zu teuer. Stattdessen vertrauen wir einfach darauf, daß unsere Transaktionspartner sich in der Regel ehrlich verhalten und nicht jede Gelegenheit zu kurzfristigem Opportunismus nutzen. Meistens liegen wir damit wohl auch richtig, auch wenn es immer wieder spektakuläre Gegenbeispiele in die Zeitungen schaffen. Das dem Vertrauen zugrunde liegende moralische Verhalten wirkt letztendlich als Schmiermittel für ein reibungsloses Funktionieren von Märkten bei geringen Transaktionskosten.

Wenn der Staat auf uns Steuerzahler trifft, geht es ihm ganz ähnlich. Es könnte sein, daß er es mit kühl kalkulierenden Steuerzahlern zu tun hat, die ihren persönlichen Nutzen aus einer Steuerhinterziehung abwägen gegen die ihnen drohenden Strafen sowie die Wahrscheinlichkeit, mit der sie entdeckt werden. In diesem Fall wird die Steuerdurchsetzung teuer; vor allem die Kontrolldichte muß dann bedrohlich hoch sein, was eine sehr große Zahl von Steuer- und Zollfahndern voraussetzt. Die Kosten der Steuerdurchsetzung sind niedriger, je ausgeprägter die Neigung zur Steuerehrlichkeit sogar dann noch ist wenn sie eigentlich dem kurzfristigen materiellen Eigeninteresse des Steuerzahlers zuwider läuft. Tatsächlich gibt es für die Existenz einer solchen Steuermoral reichlich empirische Evidenz.

Steuermoral

Zahlreiche Steuerzahler halten sich einfach nach bestem Wissen und Gewissen an Recht und Gesetz. Sie lassen sich erst gar nicht erst auf die Überlegung ein, welches Ausmaß an Steuerhinterziehung im Einzelfall für sie rechnerisch effizient wäre. Diese Steuerzahler reagieren auch nicht auf kleine Veränderungen von Anreizen. Wenn etwa die Kontrolldichte etwas absinkt weil weniger Steuerfahnder aktiv sind, dann wird diese Gruppe von Steuerzahlern nicht mit einer Ausweitung der Steuerhinterziehung reagieren. Mit reiner risikoscheu ist dieses Verhalten nicht zu erklären; es geht hier eher darum, daß das Handeln im Rahmen von Recht und Gesetz etwas Selbstverständliches hat. Und so ungewöhnlich ist dies nicht: Die meisten von uns werden ja – hoffentlich – auch nicht zu Ladendieben, wenn sie gerade keinen Kaufhausdetektiv erspähen.

Eine andere Gruppe von Steuerzahlern reagiert mit dem Ausmaß ihrer individuellen Steuerhinterziehung durchaus auf Anreize und Rahmenbedingungen. Die Steuerzahler in dieser zweiten Gruppe reagieren aber nicht nur auf Kontrolldruck und Strafandrohungen. Sie sind weniger strikt als diejenigen in der ersten Gruppe, sind vielleicht nicht immer völlig ehrlich, aber neigen doch zu einer größeren Steuerehrlichkeit als jemand, der nur zwischen erwarteter Strafe und dem erwarteten monetären Nutzen abwägt. Auch hier wirkt also noch Steuermoral, wenn auch nicht so verläßlich wie bei den Haushalten in der ersten Gruppe.

Und schließlich gibt es natürlich auch die Skrupellosen, die ungebremst von Gewissensbissen schlicht tun, was monetär für sie kurzfristig vorteilhaft ist. Dieser dritten Gruppe wird man tatsächlich nur mit Investitionen in die Steuerdurchsetzung beikommen können. Wichtig ist aber, daß empirische Forschungsergebnisse die Vermutung stützen, daß Steuermoral insgesamt ein quantitativ sehr bedeutsames Phänomen ist. Man muß also bei jeder Diskussion politischer Vorschläge zur Steuerdurchsetzung stets berücksichtigen, daß die Adressaten der Politik nicht nur die Skrupellosen sind, sondern auch solche Steuerzahler, für deren Handeln Steuermoral von Bedeutung ist.

Der Staat und die Steuermoral

Man kann sich Steuermoral als das Resultat eines impliziten, psychologischen Vertrages zwischen Staat und Steuerzahler vorstellen. In diesem Vertrag spielen viele Dinge eine Rolle, die teils banal erscheinen. Beispielsweise gibt es empirische Studien, die zeigen, daß Haushalte Steuerhinterziehung weniger vertretbar finden, wenn sie von der Steuerverwaltung freundlich behandelt werden; ein obrigkeitsstaatlicher Habitus führt dagegen eher zu einem Abschmelzen der Steuermoral.

Für den Steuerzahler ist auch das materielle Tauschverhältnis mit dem Staat wichtig. Wer mit einem Angebot sinnvoller öffentlicher Güter rechnet, wird sich als Steuerzahler eher moralisch verhalten als jemand, der dem öffentlichen Sektor nur Verschwendung und Ineffizienz vorwirft. Studien auf Basis von Daten aus der Schweiz zeigen, daß Steuermoral ceteris paribus in Kantonen mit stärkeren direkt-demokratischen Partizipationsmöglichkeiten ausgeprägter ist, als in stärker repräsentativ-demokratischen Kantonen. Dies mag etwas mit den besseren Resultaten der Politik in erstgenannten Kantonen zu tun haben, aber es liegt vor allem auch am demokratischen Entscheidungsprozeß selbst. Wer das Gefühl hat, selbst stark in Entscheidungen über das öffentliche Budget involviert zu sein, der betrügt sich als Steuerhinterzieher letztendlich auch selbst.

Reziprozität zwischen Steuerzahler und Staat ist also wichtig für das Ausmaß der Steuermoral. Aber auch Reziprozität zwischen Steuerzahlern spielt eine Rolle: Wer denkt, daß Steuerhinterziehung ein Volkssport ist, an dem sich alle beteiligen, der wird schnell das Gefühl haben, daß er als der Ehrliche vor allem der Dumme ist. Der Abbau von Steuermoral in einer Bevölkerung kann dann geradezu epidemisch vonstatten gehen. Ist auf der anderen Seite das gesellschaftliche Niveau der Steuerehrlichkeit ohnehin hoch, dann fällt es dem einzelnen leichter, ebenfalls steuerehrlich zu sein, ohne sich relativ zu seinen Nachbarn ausgebeutet zu fühlen. Es ist aus der Makroperspektive zu erwarten, daß es mehrere lokal stabile Gleichgewichte mit unterschiedlichen Niveaus der Steuermoral gibt und daß Übergänge von einem Gleichgewicht zum anderen unter geeigneten Umständen möglich sind.

Das (un)moralische Datenangebot

Ist der Ankauf augenscheinlich illegal beschaffter Kontodaten durch den Staat selbst legal? Als juristischer Laie will und kann ich dazu hier nichts schreiben. Das Problem scheint jedenfalls auch unter Juristen umstritten zu sein. Eine schwarz-gelbe Koalition in Baden-Württemberg kommt zu einer anderen juristischen Einschätzung als eine schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen. Beide werden sicherlich kompetent beraten, man kann die Situation also wohl mit jeweils guten Gründen juristisch unterschiedlich deuten. Vielleicht werden wir erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über einen noch anhängigen Liechtenstein-Fall wirklich wissen, was der Staat im Rahmen der Gesetze mit einem solchen Angebot anfangen darf und was nicht.

Die wenigsten Steuerzahler haben allerdings den juristischen Sachverstand von Verfassungsrichtern. Sie bewerten das Handeln des Staates also zumindest einstweilen eher anhand von Daumenregeln. Es ist leicht denkbar, daß dem Ankauf illegal erworbener Daten auch von ehrlichen Steuerzahlern mit Mißtrauen begegnet wird. Ein Staat, der Kriminelle in Millionenhöhe bereichert, um sich selbst Einnahmen zu verschaffen, agiert jedenfalls in einer moralischen Grauzone. Und ein solcher Staat setzt offen Anreize zu weiterem kriminellen Verhalten – ein Markt für illegale Daten wird von ihm geradezu erst geschaffen. Wenn Regierende sich selbst nicht mehr moralisch verhalten in dem Sinne, daß sie sich an übergeordnete Regeln halten auch wenn dies kurzfristig für sie nicht vorteilhaft ist, dann kann man sich leicht vorstellen, wie das reziproke Verhalten bisher noch moralisch handelnder Steuerbürger aussehen könnte.

Es kann aber natürlich auch ganz anders aussehen: Vielleicht imponiert denjenigen Bürgern, die ohnehin schon eine hohe Steuermoral haben, die konsequente Steuerdurchsetzung um fast jeden Preis. Vielleicht erkennen sie an, daß das Sprichwort nach dem der Ehrliche der Dumme ist, an steuerlicher Praxisrelevanz verliert. Vielleicht interpretieren sie immer neue Daten-CDs, die in der Folge erfolgreicher Transaktionen sicher in den nächsten Monaten auftauchen würden, aber auch als Signal dafür, daß es noch viel mehr unehrliche Steuerzahler gibt als bisher vermutet und stellen dann ihre eigenen moralischen Dispositionen infrage.

Was tun?

Man sieht: Wir tappen hier im Dunkel der öffentlichen Meinung und können es bestenfalls mit informierten Spekulationen versuchen. Wir wissen, daß es Steuermoral gibt, aber in welcher Weise eine einzelne, konkrete politische Entscheidungen wie diese auf Steuermoral wirkt, das wissen wir kaum. Indem sie das unmoralische Angebot der Datenhändler öffentlich gemacht haben, haben sich Bundes- und Landesregierungen auf unbekanntes Terrain begeben. Sowohl ein Kauf, als auch ein Verzicht auf die Daten können nun erhebliche negative Auswirkungen auf die Steuermoral haben. Der daraus folgende negative Effekt auf das Steueraufkommen kann wiederum höher und nachhaltiger ausfallen als kurzfristige zusätzliche Einnahmen von ertappten Steuersündern.

Wie oben dargelegt, muß es dazu nicht kommen.  Das Risiko besteht allerdings. Insofern wäre es wahrscheinlich eine klügere Lösung gewesen, das unmoralische Angebot der Datenhändler diskret zu beerdigen und nicht bewußt die Öffentlichkeit zu suchen. Es gibt schließlich elegantere und moralisch weniger zweideutige Wege der Steuerdurchsetzung. Sei es durch eine personelle Aufstockung in der Finanzverwaltung, oder – noch eleganter – durch Institutionen, die die Steuermoral der Bürger stärken.

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