Ohne Bremsen in die Schulden
Wohin führt die nächste Grundgesetzänderung?

Kann beim gerade angestoßenen Prozess zur Reform der Schuldenbremse ein sinnvolles Ergebnis herauskommen? Weder die Zusammensetzung der Expertenkommission noch die politische Konstellation lassen Gutes erwarten.

Die Kommission zur Reform der Schuldenbremse hat ihre Arbeit aufgenommen. Aber wozu eigentlich? Ist die Schuldenbremse nicht schon längst ausgehebelt? Ja und nein. Das Infrastruktur-Sondervermögen steht begrenzt zur Verfügung: Projekte können bis 2037 beschlossen werden, bis 2045 muss das Geld für die beschlossenen Projekte dann endgültig abfließen. Danach bräuchte es erneut eine Zweidrittelmehrheit, wenn man ein neues Sondervermögen beschließen wollte.

Die Änderung von Art. 109 des Grundgesetzes dagegen ist permanent. Ohne zeitliche Begrenzung zählen Mittel, die für einen erweiterten Verteidigungsbegriff aufgewendet werden, nicht gegen die Schuldenbremse, soweit sie 1 Prozent des BIP übersteigen. Damit ist diese Änderung eigentlich auch die schwerwiegendere, obwohl das Sondervermögen in den Medien viel breiter diskutiert wurde. Vielleicht war es einfach greifbarer, über den konkreten, großen Betrag von 500 Mrd. zu sprechen.

Es war ein geschickter Schachzug der Gegner der Schuldenbremse, diese Form der Änderung von Art. 109 durchzusetzen. Denn wenn es dabei bleibt, dann kann man mit dem erweiterten Verteidigungsbegriff bei Bedarf kreativ umgehen und sich zwar nicht unbegrenzte, aber doch einige weitere Verschuldungsspielräume verschaffen. Damit sichert man sich aber auch eine gewisse Verhandlungsbereitschaft über eine Neuformulierung der Schuldenbremse bei deren Befürwortern. Denen muss Art. 109 in seiner aktuellen Form ein Dorn im Auge sein, so dass es zumindest ein Interesse an einer eleganteren, systematischeren Lösung geben dürfte.

So sitzt nun also eine Expertenkommission an Reformvorschlägen. Schon an der personellen Besetzung merkt man: Während es bei den Unions-Nominierungen um Kompetenz ging, steht ansonsten oft erkennbar die ideologische Linientreue im Vordergrund. Ob diese recht disparate Gruppe sich auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen können wird, ist offen. Der Zeitplan ist eng gesteckt, die Politik will möglichst im Frühjahr 2026 ins Gesetzgebungsverfahren.

Dieses Verfahren wiederum wird nicht ganz einfach zu navigieren sein, denn für die Zweidrittelmehrheit braucht es die Linke. Egal, was die Kommission beschließt – es wird nur ein Aufschlag für die weiteren politischen Verhandlungen sein, die dann, Unvereinbarkeitsbeschluss der Union hin oder her, mit der Linken folgen werden.

Spätestens dort ist es dann schwierig zu sehen, wie ein Kompromiss mit Linken und SPD aussehen könnte, der für die Union nicht zu einem völligen Gesichtsverlust wird. Die Union hat ihre Wähler schon im Frühjahr massiv enttäuscht, mit ihrer Zustimmung zu den damals hastig beschlossenen Änderungen des Grundgesetzes. Hier noch eine Schippe draufzulegen und eine dauerhafte, weitere Lockerung der Schuldenbremse zu beschließen, würde den Umfragewerten der Partei sicher nicht guttun. Ihre Glaubwürdigkeit als wirtschaftspolitische Stabilitäts- und Reformpartei wäre am Ende.

Aber nicht nur das. Es ist jetzt schon abzusehen, dass die Koalition bei wachstumsfördernden, angebotspolitischen Reformen weit hinter den Erwartungen zurückbleiben wird. Schon die jetzt angestoßene zusätzliche Verschuldung wird sich bei diesem langsamen Reformtempo und weiterhin geringem BIP-Wachstum in einer hohen Staatsschuldenquote und hohen Zinslasten in zukünftigen Bundeshaushalten niederschlagen. Denn es fehlt nicht nur an strukturellen Reformen. Auch die Finanzierung wachstumsfördernder Ausgaben mit den neuen Schulden fällt weitgehend aus.

Studien von Bundesbank und ifo haben jüngst den großen Verschiebebahnhof nachgewiesen, mit dem die Koalition alte Investitionsausgaben ins Sondervermögen schiebt und die neu gewonnenen Spielräume vor allem für Konsum und Umverteilung nutzt. So wird es also auch nichts mit dem versprochenen Wachstumsimpuls. Die problematischen Entwicklungen, vor denen die durch polit-ökonomische Forschung informierten Befürworter der Schuldenbremse lange gewarnt haben, treffen ein.

Als die ausgesuchten ökonomischen Berater im Frühjahr während der Koalitionsverhandlungen den Schliff der Schuldenbremse befürwortet hatten und genau diese Einwände ignorierten, konnte man ihnen vielleicht noch Naivität zugutehalten. So wohlwollend wird man die Arbeit der Expertenkommission aber nicht mehr beurteilen können, falls diese nun, in Kenntnis der jüngsten Erfahrungen, ähnliche Fehler wiederholt.

Angesichts der politischen Konstellation ist eine Zweidrittelmehrheit für eine sinnvolle Reform der Schuldenbremse jedenfalls so gut wie ausgeschlossen. Unter diesen Umständen kann man den Unionsmitgliedern in der Kommission nur raten, prinzipienfest zu bleiben und sich auf keine faulen Kompromisse einzulassen. Und für die Union kann man nur hoffen, dass diese zwar mit gutem Willen verhandelt, aber am Ende lieber mit dem Status Quo leben wird, als ihre finanzpolitische Rest-Reputation einer faulen Zweidrittelmehrheit zu opfern.

Blog-Beiträge zum Thema:

Jörg König (Stiftung Marktwirtschaft, 2025): Sollte die Schuldenbremse „modernisiert“ werden?

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