Bidens Wirtschaftspolitik – nicht alles anders!

1. Schwieriger Ausgangspunkt für Joe Biden

Gleich nach seiner Amtseinführung hat der neue amerikanische Präsident deutlich gemacht, dass er in vielen Politikbereichen grundsätzliche Änderungen herbeiführen will. Dies gilt auch für die Wirtschaftspolitik. Wie in anderen Politikbereichen steht Joe Biden vor größeren Problemen als seine Vorgänger bei deren Amtsantritt. In den USA leben 5% der Weltbevölkerung, aber auf sie entfiel bis Anfang Februar 2021 ein Viertel aller weltweit diagnostizierten COVID-19-Fälle. Die Wirtschaft ist gezeichnet von dem pandemiebedingten Einbruch im Jahr 2020, der die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen und die Kluft zwischen arm und reich noch deutlicher werden ließ. In den USA ist die Infrastruktur marode und die Vorgängerregierung hat die Klimaproblematik weitgehend ignoriert. Ferner haben die internationalen Handelsbeziehungen während der letzten vier Jahre gelitten.  Auch wenn viele konkrete Maßnahmen der neuen Regierung noch abzuwarten sind, zeichnet sich bereits die Stoßrichtung bei zentralen wirtschaftspolitischen Themen ab.

2. Bidenomics – Umkehr der Wirtschaftspolitik in einigen zentralen Bereichen

Mit Joe Biden wird sich zwar die Ideologie in der Wirtschaftspolitik verändern, nicht aber in allen Bereichen deren konkrete Ausgestaltung. Joe Biden wird dem Staat wieder eine größere Rolle einräumen. Die meisten amerikanischen Wähler erwarten von der Regierung ein Engagement für die inneren Angelegenheiten und sind weniger an einer Mitwirkung der USA auf der internationalen Bühne interessiert. Auch wenn Joe Biden die Rückkehr zum Multilateralismus und die Rückgewinnung des Vertrauens der Alliierten betont, wird dies nicht die oberste Priorität haben.

Vom Grundsatz her wird Joe Bidens Wirtschaftspolitik auf die Bekämpfung der Folgen der COVID-19 Pandemie, die Verbesserung der Situation der Einkommensschwachen, die höhere Besteuerung von Einkommensstarken, die Stärkung des Industriestandorts USA, die Verbesserung der Infrastruktur und Maßnahmen der Klimapolitik ausgerichtet sein. Gerade bezüglich der Klimapolitik hat Joe Biden in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft bereits bedeutende Veränderungen angeordnet, so z.B. den Wiedereintritt zum Pariser Klimaschutzabkommen und das Verbot, künftig Land in staatlichem Besitz mehr für Öl- und Gasbohrungen zu verpachten. Die stärkere Förderung regenerativer Energien wird wirtschaftliche Auswirkungen haben, wenngleich diese vermutlich begrenzt sein werden, da die USA hier von einem niedrigen Niveau starten. Dies zeigt sich beispielsweise in der Windenergie. Hier sind derzeit ein Dutzend Projekte geplant oder im Bau, aber erst eine stromerzeugende Anlage realisiert.

Bei allen fiskalpolitischen Entscheidungen wird sich Joe Biden auf die Unterstützung der amerikanischen Notenbank verlassen können. Diese hatte unter ihrem Vorsitzenden Jerome Powell erst kürzlich eine Modifikation der geldpolitischen Strategie beschlossen. Danach wird in Zukunft auch ein Überschreiten des Inflationsziels von zwei Prozent toleriert werden, solange der Arbeitsmarkt nicht als überhitzt gilt.

In drei herausragenden wirtschaftspolitischen Bereichen wird sich vorerst kein grundlegender Wandel ergeben. Erstens wird auch Joe Biden eine sehr expansive Fiskalpolitik betreiben. Zweitens wird auch seine Politik protektionistische Züge aufweisen. Drittens wird der Wettstreit mit China in geopolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht ein Fokus von Joe Biden sein. Der Handelskrieg zwischen den USA und China wird hierbei vermutlich nicht unmittelbar eingestellt werden.

3. Umkehr in der Steuerpolitik

Joe Biden beabsichtigt, verschiedene Steuern anzuheben und damit Mehreinnahmen in Höhe von 3.300 Billionen US-Dollar über 10 Jahre zu erzielen. Dabei stellt er auf eine Steuererhöhung hoher Einkommen und von Großunternehmen ab. So soll der Spitzengrenzsteuersatz der Einkommensteuer von 37% auf 39,6% zurückgesetzt und die Kapitalertragsteuer für Jahreseinkommen über 1 Mio. US-Dollar von 20% auf 39,6% erhöht werden. Außerdem sollen unrealisierte Gewinne bei Vererbung versteuert werden. Weiterhin sollen Einkommen über 400.000 US-Dollar pro Jahr stärker für Sozialversicherungsbeiträge herangezogen werden. Bei den Unternehmen soll die Steuer auf Gewinne von 21% auf 28% steigen. Ferner soll für Unternehmen mit mindestens 100 Mio.US-Dollar Jahresgewinn eine Mindeststeuer von 15% auf Buchgewinne eingeführt werden. Die bisher nicht besteuerte Gewinnbestandsteile von ausländischen Tochtergesellschaften sollen künftig mit einem Steuersatz von 21% besteuert werden. Abb. 1 zeigt den Umfang der erwarteten Einnahmen aus verschiedenen steuerpolitischen Entscheidungen.

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Weitere angekündigte Maßnahmen zielen auf Steuererleichterungen aus sozialpolitischen Überlegungen ab. So soll temporär der Kinderfreibetrag von 2.000 US-Dollar auf 3.000 US-Dollar ansteigen und es soll auf einen Teil der Forderungen aus Studentendarlehen verzichtet werden. Ferner sollen die Studiengebühren für Community Colleges und die Studiengebühren an öffentlichen Hochschulen für Familien mit einem Einkommen von unter 125.000 US-Dollar abgeschafft werden. In den Bereich der Sozialpolitik fällt auch die Förderung des Wohnungsbaus für sozial Schwache. So sind für Bezieher niedrigerer Einkommen Steuersubventionen für den Erwerb oder die Renovierung von Immobilien und Steuererleichterungen für Mieter mit niedrigem Einkommen. Die hierfür geschätzten 15 Mrd. US-Dollar an Steuermindereinnahmen legen allerdings nahe, dass hiermit neuer Wohnraum nur für weniger als einem Prozent der Bevölkerung entstehen kann.

4. Weiterhin expansive Staatsausgaben, aber andere Schwerpunkte

Schon einige Tage vor seiner Amtseinführung kündigte Joe Biden ein COVID-19-Rettungspaket in einem Umfang von knapp 1.900 Mrd. US-Dollar (rd. 9% des Bruttoninlandsprodukts der USA) an. Mit dem Programm sollen eine Reihe von Maßnahmen finanziert werden, zu denen u.a. Einmalzahlungen in Höhe von 1.400 US-Dollar pro US-Bürger mit weniger als 75.000 US-Dollar Jahreseinkommen (150,000 US-Dollar bei Ehepaaren), höhere Zahlungen und Mietzuschüsse an Arbeitslose, temporäre Erhöhungen der Kinderfreibeträgen, Zuschüsse für die Krankenversicherung von Arbeitslosen, Ausgleichszahlungen an Bundesstaaten und Kommunen für Steuermindereinnahmen, Zuschüsse und Kredite für kleinere Unternehmen, Lebensmittelmarken, Lohnsubventionen, die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar, Maßnahmen zur sicheren Öffnung von Schulen und ein umfangreiches Test- und Impfprogramm zählen.

Ein Schwerpunkt, der Joe Biden von seinem Vorgänger unterscheidet, wird die Klimapolitik sein. An dem Vorschlag des „Green New Deal“ ansetzend sind bedeutende Projekte mit dem Fernziel vorgesehen, die USA bis 2050 zu einem Netto-Null-Emissions-Land zu machen. Neben dem Wiederbeitritt zum Pariser Klimaschutzabkommen plant er zur Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen die Förderung von E-Autos und E-Bussen, die Errichtung von zusätzlichen 500.000 Ladestationen für E-Autos bis 2030 sowie Projekte zur Verstärkung der Wärmedämmung. Insgesamt sind für die Maßnahmen zur Klimapolitik Ausgaben in Höhe von 2.000 Mrd. US-Dollar über 4 Jahre vorgesehen. Angesichts des Ignorierens der Klimaproblematik durch die Vorgängerregierung und der enormen Externalitäten des Schadstoffausstoßes kann diese Ausrichtung nur begrüßt werden.

Joe Biden plant außerdem, die Infrastruktur der USA mit großzügigen Ausgabenprogrammen zu verbessern. Er hatte die Notwendigkeit von Investitionen im Infrastrukturbereich bereits in den Zeiten seiner Vizepräsidentschaft betont. So bezeichnete er einmal den New Yorker Flughafen LaGuardia als Dritte-Welt-Flughafen. Mit dem „Build Back Better Plan“ zielt er auf eine Verbesserung von Straßen, Brücken, Tunneln, Bahnhöfen, Schnellbahntrassen, Flughäfen, öffentlichen Schulen, Krankenhäusern und den Ausbau des Breitbandnetzes in ländlichen Gebieten ab. Für die Realisierung dieser Vorhaben plant er über einen Zeitraum von 10 Jahre Ausgaben in Höhe von 1.300 Mrd. US-Dollar.

Die geplanten Ausgabenprogramme werden die amerikanischen Staatsfinanzen stark belasten. Wenn Joe Bidens Pläne realisiert werden, wird das staatliche Haushaltsdefizit, das für 2020 auf 19% des Bruttoinlandsprodukts geschätzt wird, auf deutlich über 20% ansteigen und die Staatsverschuldung, die 2019 bereits über 130% des Bruttoinlandsprodukts betrug, wird in den nächsten Jahren auf über 160% ansteigen. Dennoch erscheint die fiskalische Ausrichtung angesichts des Umfangs der Probleme vom Grundsatz her richtig. Gerade die USA mit ihren noch immer unbegrenzten Verschuldungsmöglichkeiten können es sich leisten, die Wirtschaft jetzt mit massiven Ausgaben zu stützen. Nach Berechnungen von Moody’s Analytics würde das Bruttoinlandsprodukt in 2021 bei Umsetzung des Rettungspakets um fast 8% steigen. Dies wäre ungefähr doppelt so viel, wie für die USA ohne das Paket prognostiziert wird. Für 2021 würden geschätzt 7,5 Millionen Arbeitsplätze entstehen und weitere 2,5 Millionen im Jahr 2022.

Die Effekte des Rettungsprogramms würden kurzfristig ausschließlich über die Nachfrageseite entstehen. Einige der Maßnahmen könnten mittelfristig über eine verbesserte Infrastruktur und eine Erhöhung des Arbeitsangebots zu Angebotseffekten führen. Der letztgenannte Effekt könnte insbesondere dann eintreten, wenn Frauen, die wegen des stärkeren Erfordernisses der Kinderbetreuung während der Pandemie aus dem Pool der Erwerbspersonen ausgeschieden waren, erneut dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Bei einer Bewertung der Effekte des fiskalischen Impulses ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Paket zur Erzielung der erforderlichen Mehrheiten vermutlich an verschiedenen Stellen gekürzt werden muss. In diesem Falle werden die expansiven Effekte entsprechend geringer ausfallen.

Auch wenn die Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat (mit der Stimme der Vizepräsidentin) über Mehrheiten verfügen, sind Widerstände bei der Durchsetzung der Ausgabenprogramme nicht auszuschließen. Der Präsident zielt daher von Beginn an auf eine überparteiliche Einigung ab. Das COVID-19-Rettungsprogramm, das im März die letzten parlamentarischen Hürden nehmen soll, wird der erste Test für die neue Regierung werden.

5. Ein „Buy American“-Programm

Der neue amerikanische Präsident propagiert zwar nicht mehr „America First“, aber hinsichtlich der Wirtschaftspolitik ein Programm des „Made in America“ oder „Buy American“. Dieses ist eindeutig protektionistisch ausgerichtet und setzt insofern die Ausrichtung der Vorgängerregierung fort. In einer „Executive Order“ ordnete Joe Biden an, dass zukünftig ein größerer Teil der jährlichen Staatsausgaben für amerikanische Produkte ausgegeben werden sollen. Tatsächlich entspricht diese Ausrichtung keinem neuen radikalen Kurs. Bereits 1933 unterschrieb Herbert Hoover den „Buy American Act“; Joe Bidens Vorgänger erließ mehr als 10 Executive Orders mit ähnlichem Ziel. Danach müssen ab dem 22. Februar 2021 für Staatsaufträge ab 10.000 US-Dollar einheimische Unternehmen bevorzugt werden, sofern ihre Waren zu mindestens 55% (zuvor 50%) aus heimischer Produktion stammen. Davon kann nur abgewichen werden, wenn die Preise der heimischen Waren 20% (zuvor 6%) oder mehr über denen von gleichwertigen ausländischen Anbietern liegen.

Joe Biden könnte diese von seinem Vorgänger bereits erhöhten Grenzen noch weiter anheben. Eine solche Politik der sogenannten Importsubstitution führt jedoch zu erheblichen Nachteilen. Zum einen erzeugt sie wie alle protektionistischen Maßnahmen über Kostenineffizienzen Wohlfahrtsverluste und reduziert ferner den Modernisierungsdruck. Zum anderen könnten für amerikanische Unternehmen Probleme auftreten, entsprechende Lieferketten im Inland aufzubauen oder, falls dies gelingt, könnten sie dann aufgrund der höheren Kosten auf anderen Märkten nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Allerdings scheinen die Wirkungen dieser Regierungsanordnung begrenzt zu sein, da Aufträge über 182.000 US-Dollar auch den Mitgliedsländern des „Government Procurement Agreement“ (GPA) der WTO (insgesamt 48 Länder), zu dem die USA gehören, offenstehen müssen. Zu diesen anderen Mitgliedsländern gehören auch die Länder der EU. Außerdem gingen in der Vergangenheit ohnehin nur insgesamt 4%-6% des gesamten Wertes der öffentlichen Aufträge an ausländische Unternehmen, wie selbst die amerikanische Regierungsbehörde Government Accountability Office im Jahr 2019 feststellte. Sie betonte, dass auch amerikanische Unternehmen Regierungsaufträge von anderen Staaten des GPA erhielten. Dass die USA das GPA verlassen, ist gerade jetzt kaum vorstellbar. Es ist daher anzunehmen, dass die „Buy American“-Regierungsanordnung kaum größere ökonomische Auswirkungen haben wird.

6. Wirtschaftspolitik gegenüber China

Ein zentrales Thema nicht nur der Wirtschaftspolitik wird für die Regierung von Joe Biden der Umgang mit China sein. Hier haben sich in den letzten Jahren Spannungen aufgebaut, die sich möglicherweise mit dem Versuch der USA erklären lassen, ihre Vormachtstellung gegenüber dem bedeutendsten Rivalen zu verteidigen. Joe Biden wird erheblichem Druck ausgesetzt sein, die USA gegenüber China zu behaupten. Sicherheits- und geopolitische Aspekte sind hierbei vermutlich noch bedeutender als ökonomische Aspekte, obwohl sie sich nur schwer trennen lassen.

Da Joe Biden zeigen muss, dass er die Bedeutung der USA stärkt, wird er auch den amerikanisch-chinesischen Handelskrieg nicht unmittelbar beenden. In wirtschaftspolitischer Hinsicht ist in den USA der Eindruck weit verbreitet, dass chinesische Unternehmen ihre Produkte entweder aufgrund von Subventionen oder durch Währungsmanipulation zu billig verkaufen und dass außerdem chinesische Unternehmen intellektuelle Eigentumsrechte verletzen. Die USA fürchten außerdem um ihre Vormachtstellung im Cyberspace und – wie sich beim Thema Huawei zeigt – um das Risiko, dass chinesische Unternehmen Daten in anderen Ländern an sich ziehen könnten. Unilaterale Zollsenkungen der USA sind daher nicht zu erwarten. Wenn es zu Gesprächen zwischen der amerikanischen und der chinesischen Regierung kommt, wird Joe Biden möglicherweise die Zollsenkungen als Pfand in Verhandlungen über Zugeständnisse in anderen Bereichen verwenden.

7. Fazit

Die Wirtschaftspolitik von Joe Biden unterscheidet sich in vielen Bereichen deutlich von der seines Vorgängers. Die Unterschiede machen sich am deutlichsten bemerkbar in der Bekämpfung der COVID-19 Pandemie, in der Klimapolitik, in der Steuer- und Sozialpolitik sowie in der Einstellung zum Multilateralismus. Deutlich geringer fallen die Unterschiede indes in der auch im historischen Vergleich sehr expansiven Fiskalpolitik und in der protektionistischen Ausrichtung von Teilen der Wirtschaftspolitik aus, auch wenn Bidens Präsidentschaft mit mehr Berechenbarkeit und Diplomatie verbunden sein wird.

Die sehr expansive Ausrichtung der Fiskalpolitik erscheint angesichts der Größenordnung der von Joe Bidens Vorgänger hinterlassenen Probleme temporär gerechtfertigt. Es wird herausfordernd sein, die geplanten Einnahmen- und Ausgabenprogramme durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Noch herausfordernder wird es allerdings sein, nach Ende der Pandemie – aus heutiger Sicht mithin in ein bis zwei Jahren – die Umkehr der fiskalpolitischen Ausrichtung zu erreichen, um wieder Stabilität in den Staatsfinanzen zurückzugewinnen.

Literatur

Moody’s Analytics, The Biden Fiscal Rescue Package: Light on the Horizon, 15. Januar 2021.

The Economist, What effect will Joe Biden’s “Buy American” order have?, Ausgabe 20. Januar 2021.

United States Government Accountability Office (2019), International Trade – Foreign Sourcing in Government Procurement, Washington.

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