Gastbeitrag
Detroit lässt grüßen
Zukunft des Automobilstandorts Deutschland

Die Corona-Pandemie löst extreme konjunkturelle Schwankungen in der deutschen Automobilindustrie aus. Dennoch bleiben strukturelle Herausforderungen sehr viel relevanter. Sie stellen eine Gefahr für den Automobilstandort Deutschland dar. Manche der Herausforderungen werden durch regulatorische Rahmenbedingungen ausgelöst, andere basieren auf Marktentwicklungen.

Strenge CO2-Grenzwerte für neue Pkw in der EU führen dazu, dass die Hersteller mehr Elektroautos auf den Markt bringen müssen. Der resultierende Kostenanstieg verschärft den Strukturwandel in der Branche. Kaum jemand erwartet, dass die Netto-Bilanz dieses Strukturwandels für die Wertschöpfung und Beschäftigung der Automobilindustrie in Deutschland positiv ausfallen wird.

Die Unsicherheiten hinsichtlich der Klima- und Energiepolitik haben dazu beige- tragen, dass der Kapitalstock in energieintensiven Branchen wie der Metallerzeugung oder der Chemieindustrie in Deutschland seit vielen Jahren sinkt. Diese Sektoren zählen auch zur automobilen Wertschöpfungskette. Durch die Investitionszurückhaltung werden Teile dieser Kette geschwächt.

Höhere Kosten kommen auf die Autoindustrie auch durch die geplante Verschärfung der europäischen Abgasnormen zu (Euro 7). Im Volumensegment dürfte der Kostenaufschlag pro Fahrzeug besonders ins Gewicht fallen. Dies setzt die Produktion von „Autos für den Durchschnittsbürger“ in Hochlohnländern wie Deutschland, aber auch in Frankreich oder Italien unter Druck.

Bei klassischen Standortfaktoren wie der Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften, Lohnhöhe oder der Flexibilität bei Arbeitszeiten hat sich Deutschlands Position im internationalen Vergleich zuletzt eher verschlechtert. Auch die an- haltenden Handelskonflikte hemmen die Investitionsbereitschaft. Zudem ist die Pkw-Nachfrage im wichtigen westeuropäischen Absatzmarkt gesättigt. Schließlich bedeutet die demografische Entwicklung eine Herausforderung, da sie zu einem sinkenden Erwerbspersonenpotenzial führt und die Nachfrage dämpft.

Der Automobilstandort Deutschland konnte sich von den beiden tiefen Krisen der letzten 30 Jahre (1993 sowie 2008/09) jeweils nach einigen Jahren wieder erholen. Angesichts der strukturellen Herausforderungen ist es aber fraglich, ob die früheren Höchststände am Standort Deutschland jemals wieder erreicht werden. Wir befürchten, dass es immer schwerer wird, eine konkurrenzfähige Produktion von Pkw im Volumensegment in Deutschland aufrechtzuerhalten.

Der Anteil Deutschlands an der globalen, aber auch an der europäischen Automobilproduktion könnte in den kommenden Jahren sinken. Ähnlich erging es der Autoindustrie im US-Bundesstaat Michigan (Detroit), wo heute deutlich weniger Fahrzeuge gefertigt werden als zu Beginn des Jahrhunderts.

Die deutsche Autoindustrie ist besser für die elektromobile Zukunft und andere strukturelle Herausforderungen der Branche gerüstet als der Automobilstandort Deutschland.

Strukturelle Herausforderungen gravierender als Corona-Krise

Für die kurzfristige konjunkturelle Entwicklung der deutschen Automobilindustrie ist in erster Linie der Verlauf der Corona-Krise maßgeblich. 2020 dürfte der Produktionsindex der Branche in Deutschland um real etwa 25% gesunken sein. Dies ist der dritte Rückgang in Folge. Für 2021 rechnen wir dank der global wie- der anziehenden Pkw-Nachfrage mit einem Zuwachs des Produktionsindex in der Branche um real etwa 30%.

Diese starken konjunkturellen Schwankungen aufgrund eines externen Schocks wie der Corona-Pandemie sind ungewöhnlich und belasten die Branche schwer. Dennoch bleiben strukturelle Herausforderungen für die Automobilindustrie in den kommenden Jahren sehr viel relevanter. Sie stellen sogar eine Gefahr für den Automobilstandort Deutschland dar. Manche der Herausforderungen wer- den durch regulatorische und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen ausgelöst, andere basieren auf Marktentwicklungen. Auch der demografische Wandel spielt eine Rolle. Im Folgenden verschaffen wir uns einen Überblick.

CO2-Regulierung und Subventionen für E-Mobilität: Zuckerbrot und Peitsche

Die klimapolitische Regulierung des Automobilsektors löst in der Branche den größten Strukturbruch seit Jahrzehnten aus. Strenge CO2-Grenzwerte für neue Pkw in der EU für die Jahre 2020/21 sowie für 2030 führen dazu, dass die Hersteller mehr Elektroautos auf den Markt bringen müssen. Ähnliche Regelungen gibt es in anderen Ländern, die jedoch nicht so ambitioniert ausfallen wie in der EU. Batterieelektrische Autos (BEV) werden in der EU als Null-Emissionsfahr- zeuge behandelt, obwohl dies nur für die lokalen Emissionen und nicht für die Stromerzeugung oder gar die gesamte Wertschöpfungskette inklusive Rohstoffgewinnung und Batterieproduktion gilt. Auch Plug-in-Hybride (PHEV) gelten als Autos mit geringen CO2-Emissionen pro Kilometer, obwohl diese aufgrund des zusätzlichen Gewichts hoch ausfallen, wenn die Fahrzeuge vom Verbrennungsmotor angetrieben werden. Daher wird die aktuell gültige CO2-Regulierung für Plug-in-Hybride bereits zunehmend kritisiert.

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Viele Länder gewähren Subventionen für den Kauf von Elektroautos, da die reine Marktnachfrage noch immer recht klein ist. Diese Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ (Subventionen und Grenzwerte) führt dazu, dass die Automobilindustrie Fahrzeuge entwickelt und produziert bzw. produzieren muss, die den durchschnittlichen Autokäufer (ohne Förderung) noch nicht überzeugen. Dieser hält sich wegen hoher Anschaffungspreise gerade im Volumensegment, der geringeren Reichweite, fehlender Ladeinfrastruktur, wegen der längeren Ladedauer oder aus anderen Gründen zumeist noch zurück. Der Marktanteil von Elektroautos in der EU steigt zwar, aber Subventionen sind hierfür der wesentliche Treiber. Die aufgrund der Corona-Krise gesunkene Nachfrage nach Benzinern oder Diesel-Pkw im Jahr 2020 bei gleichzeitiger starker Subventionierung von E-Autos trägt dazu bei, dass deren Anteil an den Pkw-Neuzulassungen in der EU kräftig zugenommen hat. 2020 lag er für BEV, PHEV und Autos mit Brennstoffzelle über 8%, gegenüber 3% im Jahr 2019. In Deutschland waren 2020 es sogar 13,5%.

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Was bedeutet dieser Strukturwandel für die Branche? Zunächst einmal führt er zu höheren Kosten (insbesondere Investitionen in die neue Technologie) und zu sinkenden durchschnittlichen Renditen pro Fahrzeug, denn auch die Autoindustrie subventioniert oftmals den Absatz von Elektroautos. Jene Hersteller, die ihre CO2-Grenzwerte 2020 und 2021 verfehlen, müssen Strafzahlungen leisten.

Auch hieraus resultieren dann gegebenenfalls höhere Kosten. Ein Teil dieser Kosten wird an die Kunden und Zulieferer weitergegeben, ein Teil schmälert die Gewinnspanne der Unternehmen und fehlt damit für Investitionen, Gehaltserhöhungen oder Bonuszahlungen für die Beschäftigten sowie für Ausschüttungen an Aktionäre.

Auf die steigenden Kosten reagiert die Branche zudem mit der Verlagerung von Wertschöpfung an kostengünstigere Standorte. Dies geschieht zumeist nicht von heute auf morgen, sondern vollzieht sich über viele Jahre. Ferner führt die Umstellung vom traditionellen Verbrennungsmotor auf elektrische Antriebe zu Verschiebungen in der Wertschöpfungskette. Es wird wohl auch in Deutschland eine nennenswerte Batteriezellenproduktion geben. Gleichwohl dürften Batterien für Elektroautos künftig zu einem nennenswerten Anteil importiert werden. Mit einem steigenden Marktanteil von Elektroautos werden weniger Teile und Komponenten des klassischen Antriebsstrangs benötigt (neben Motoren auch Getriebe, Abgasanlagen usw.), die heute noch zu einem großen Teil in Deutschland hergestellt werden. Zuletzt waren schon die ersten Ankündigungen aus der Branche zu vernehmen, dass die traditionelle Motorenproduktion aus Deutschland ins Ausland verlagert wird. Kaum jemand erwartet, dass die Netto- Bilanz dieses Strukturwandels für die Wertschöpfung und Beschäftigung der Automobilindustrie in Deutschland positiv ausfallen wird. Wir erwarten dies zum heutigen Zeitpunkt auch nicht.

Diese Ausführungen sollten nicht falsch verstanden werden: Die CO2- Emissionen des Verkehrssektors tragen zum Klimawandel bei und sind ein externer Effekt, der auf geeignete Weise internalisiert werden sollte. Eine Regulierung dieser Emissionen ist ordnungspolitisch angezeigt. Leider sind die von der EU gewählten CO2-Grenzwerte für neue Pkw gepaart mit massiven Subventionen für Elektroautos auf nationaler Ebene äußerst ineffiziente (teure) und kaum wirksame Instrumente, um dies zu erreichen. Der steigende Anteil von Elektroautos wird bei den gesamten CO2-Emissionen in Deutschland oder der EU in den kommenden Jahren keinen nennenswerten Unterschied machen. Global könnte der Anteilsgewinn von Elektroautos aufgrund der energieintensiven Rohstoffgewinnung und Batterieproduktion sowie wegen des hohen Anteils an Kohlestrom, der in vielen Ländern (China) für das Laden der Fahrzeuge eingesetzt wird, vorerst sogar mit steigenden CO2-Emissionen verbunden sein. Selbst im Falle einer positiven CO2-Bilanz ist es besonders teuer, durch die Elektrifizierung von Autos CO2-Emissionen einzusparen.

Wir plädieren daher wie viele andere Ökonomen dafür, die Emissionen des Verkehrssektors über einen Upstream-Ansatz in den EU-Emissionshandel zu integrieren. Das deutsche Klimaschutzpaket von 2019 umfasst zumindest teilweise einen solchen Ansatz. CO2-Grenzwerte für Neuwagen und technologiespezifische Subventionen wären nicht notwendig, wenn es eine umfassende Integration des Verkehrssektors in den Emissionshandel gäbe. Auch eine einheitliche CO2-Steuer wäre besser als das gewählte Regime.

Aktuell sieht es jedoch nicht danach aus, dass die bestehende Regulierung im Grundsatz geändert würde. Dazu dürfte es allenfalls dann kommen, wenn alle europäischen Autobauer – also auch jene aus Frankreich und Italien – in den kommenden Jahren Probleme bekommen sollten, die CO2-Grenzwerte einzuhalten. Dann dürfte auch aus diesen Ländern der politische Druck auf die EU zunehmen. Dies hängt also in erster Linie von der künftigen Entwicklung der Nachfrage nach Elektroautos ab. Noch ist ungewiss, wann diese Nachfrage keiner staatlichen Förderung mehr bedarf. In China sank die Nachfrage nach Elektroautos im Sommer 2019 rapide, als die Subventionen gekürzt wurden.

Standort Deutschland durch andere Faktoren unter Druck

Es gibt weitere Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit des Automobilstandorts Deutschland unter Druck setzen:

    • Die Unsicherheiten über die künftige Ausgestaltung der deutschen Klima- und Energiepolitik haben dazu beigetragen, dass der Kapitalstock in energieintensiven Branchen wie der Metallerzeugung oder der Chemieindustrie in Deutschland seit vielen Jahren sinkt. Auslöser dafür ist weniger der tat- sächlich zu zahlende Strompreis, denn dieser liegt wegen der Ausnahmeregelungen beim EEG oder beim EU-Emissionshandel für energieintensive Unternehmen auf einem recht niedrigen Niveau. Relevanter ist vielmehr die Unsicherheit, wie lange diese Ausnahmeregelungen gewährt werden. Eine solche Unsicherheit schmälert im Großanlagenbau offenkundig die Investitionsbereitschaft. Metallerzeugung und Chemieindustrie zählen letztlich auch zur automobilen Wertschöpfungskette in Deutschland. Durch die Investitionszurückhaltung werden Teile dieser Kette geschwächt. Für die Autoindustrie selbst oder auch den Maschinenbau als wichtigen Ausrüster sind die im internationalen Vergleich hohen industriellen Strompreise dagegen tatsächlich eine Belastung, auch wenn die eigentlichen Produktionsprozesse dieser Branchen nicht energieintensiv sind. Hohe Strompreise sind für Investitionsentscheidungen an einem Standort dann nachteilig, wenn – wie in den nächsten Jahren zu erwarten ist – die Automatisierung der Produktion weiter vorangetrieben wird. Auch hier hat sich Deutschlands relative Wettbewerbsposition in den letzten Jahren verschlechtert.

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    • Höhere Kosten kommen auf die Autoindustrie auch durch die geplante Verschärfung der europäischen Abgasnormen zu (Euro 7). Vorschläge hierzu liegen bereits auf dem Tisch, die deutlich strengere Obergrenzen für Stickoxidemissionen vorsehen. Diese könnten schon 2025 in Kraft treten. Der europäische Automobilverband ACEA erklärt dazu, dass es technisch unmöglich sei, diese Vorgaben mit einem Verbrennungsmotor zu erfüllen. Ob diese Einwände jedoch im politischen Entscheidungsprozess berücksichtigt werden, ist ungewiss. Ein Teil der Politik wird die Hinweise aus der Branche auf physikalische Grenzen, technologische Machbarkeit oder steigende Kosten jedenfalls ignorieren. Unstrittig ist jedoch, dass strengere Grenzwerte, wie immer sie im Detail ausfallen, zu höheren Kosten führen. Im Volumensegment dürfte der Kostenaufschlag pro Fahrzeug besonders ins Gewicht fallen. Dies setzt die Produktion solcher „Autos für den Durchschnittsbürger“ in Hochlohnländern wie Deutschland, aber auch in Frankreich oder Italien kostenseitig unter Druck. Problematisch ist, dass die Debatte über die Schadstoffemissionen von Pkw sowie eine geeignete Regulierung emotional stark aufgeladen ist und teilweise ideologisch geführt wird. Dies hängt natürlich mit dem Diesel-Skandal zusammen, der die Glaubwürdigkeit der Automobilindustrie unterminiert hat. Für viele politische Entscheidungsträger ist die Branche seither ein Feindbild; für andere war sie es schon immer. Die volkswirtschaftlichen Wohlfahrtseffekte sowie die immensen Impulse für die F&E-Ausgaben, die von einer prosperierenden Automobilindustrie aus- gehen, rücken dabei in den Hintergrund. In Deutschland entfällt mehr als ein Drittel aller F&E-Ausgaben allein auf die Automobilindustrie. Wer in dieser Debatte die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Kosten und Nutzen strengerer Abgasnormen stellt, gerät bereits in Verdacht, die Gesundheit der Menschen wirtschaftlichen Interessen opfern zu wollen. Dabei sind die absoluten NOX-Emissionen und NOX-Konzentrationen z.B. in der EU und in Deutschland in den letzten Jahren stetig gesunken und werden weiter zurückgehen.
    • Bei klassischen Standortfaktoren wie der Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften, Lohnhöhe oder der Flexibilität bei Arbeitszeiten (inklusive Leiharbeit) hat sich Deutschlands Position im internationalen Vergleich zuletzt eher verschlechtert. Ein starrer Arbeitsmarkt und zugleich hohe absolute Lohnkosten sind für viele Unternehmen auf Dauer wirtschaftlich nicht tragfähig.
    • Etwa drei Viertel aller Pkw, die in Deutschland produziert werden, gehen in den Export. Die Branche führt zudem Motoren, Getriebe sowie andere Teile und Fahrzeugkomponenten aus. Für den Standort Deutschland sind offene Märkte und eine liberale Handelspolitik daher essenziell. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China, die unter der Trump-Administration angedrohten höheren Zölle der USA auf Autoimporte aus der EU oder die Brexit-Hängepartie waren und sind hier nicht förderlich, sondern hemmen Investitionen. Schnelle Fortschritte in der internationalen Handelspolitik sind aktuell nicht in Sicht. Je weniger es der EU gelingt, Barrieren im Handel mit großen Wachstumsmärkten wie China, Indien, den ASEAN-Staaten, aber auch den USA abzubauen, desto wahrscheinlicher wird es, dass diese Märkte künftig noch mehr als bislang durch Produktionsstätten deutscher Hersteller in den jeweiligen Absatzmärkten bedient werden. So könnten die Fabriken deutscher Unternehmen in China nach dem Abschluss eines Freihandelsabkommens von 15 Asien-Pazifik-Staaten Ende 2020 (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP) künftig als Export-Hub für die gesamte Region dienen. Dies würde auch zu Lasten von Ausfuhren aus Deutschland in die süd- und südostasiatischen Staaten gehen. Schon seit vielen Jahren wächst die Produktion deutscher Hersteller im Ausland deutlich schneller als die Inlandsfertigung – der Trend wird anhalten.

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    • Die EU ist der wichtigste Absatzmarkt für Fahrzeuge aus deutscher Produktion. Der Pkw-Markt in der EU ist jedoch gesättigt. Weiteres Wachstum dürfte nur noch mit einer besseren Ausstattung der Autos und nicht über die Stückzahlen zu erzielen sein. Die lokalen Nachfrageimpulse für die heimische Produktion sind also begrenzt.

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  • Nachteilig für den Produktionsstandort Deutschland wirkt sich schließlich das perspektivisch sinkende Erwerbspersonenpotenzial aus. Die Generation der Baby-Boomer beginnt in den kommenden Jahren, in den Ruhestand zu gehen. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie die Rente mit 63 sind hier kontraproduktiv. Das Erwerbspersonenpotenzial (20- bis 66-Jährige) dürfte bis 2030 um mehr als 2 Mio. sinken. Dies kann zwar teilweise durch mehr Automatisierung und digitale Technologien (Stichwort: Industrie 4.0) ausgeglichen werden. Der langfristige Netto-Effekt könnte jedoch negativ sein. Dabei spielen die erwähnten hohen Stromkosten in Deutschland eine Rolle, denn diese verteuern eine Automatisierung der Produktion.

Werden die früheren Höchststände jemals wieder erreicht?

Der Automobilstandort Deutschland verfügt über außergewöhnliche Vorteile. Zu nennen ist vor allem die enge technologische und räumliche Verzahnung von Herstellern, industriellen Zulieferern, Ausrüstern (z.B. Maschinenbau), Entwicklungsdienstleistern, Logistikunternehmen sowie von universitären und sonstigen Forschungseinrichtungen. Von dieser vertikal integrierten Wertschöpfungskette sowie dem über Jahrzehnte gewachsenen Know-how der Beschäftigten kann der Standort zehren. Auch der intensive brancheninterne Wettbewerb war und ist ein Motor für stetige Innovationskraft und Produktivitätsfortschritte. Fasst man alle zuvor skizzierten Faktoren zusammen, fällt es jedoch schwer, die Zukunftsaussichten für den Automobilstandort optimistisch zu sehen.

Der Corona-Schock war heftig. Noch nie seit der Wiedervereinigung rollten in einem Jahr so wenige Pkw von den Fertigungsbändern in Deutschland wie im Jahr 2020. Mit gut 3,5 Mio. Einheiten lag die stückzahlmäßige Pkw-Produktion in Deutschland zum ersten Mal seit 1993 unter der Marke von 4 Mio. Einheiten. Damals folgte auf den Boom der Wiedervereinigung ein tiefer konjunktureller Einbruch. Für lange Zeit galt die Faustregel, dass es für den Standort Deutschland ein zufriedenstellendes Ergebnis ist, wenn jährlich mehr als 5 Mio. Autos produziert werden. Der höchste Wert datiert auf das Jahr 2011 mit einer Jahresproduktion von knapp 5,9 Mio. Pkw. 2020 lag die Fertigung um 40% unter diesem Wert.

Der Produktionsindex der Automobilindustrie, der auch qualitative Komponenten wie die bessere Ausstattung der Fahrzeuge umfasst, tendierte seit 1993 nach oben. Dieser langfristige Trend wurde lediglich durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 temporär unterbrochen. Der Index sank jedoch schon in den beiden Jahren vor der Corona-Krise aufgrund der schwachen globalen Autonachfrage. 2020 dürfte der Produktionsindex um ein Drittel unter dem Höchstwert von 2017 liegen.

Der Automobilstandort Deutschland konnte sich von den beiden tiefen Krisen der letzten 30 Jahre (1993 sowie 2008/09) jeweils nach einigen Jahren wieder erholen. Angesichts der strukturellen Herausforderungen für den Standort Deutschland ist es aber fraglich, ob nach der Corona-Krise die früheren Höchst- stände am Standort Deutschland jemals wieder erreicht werden. Wir befürchten, dass es künftig immer schwerer wird, eine konkurrenzfähige Produktion von Pkw im Volumensegment (Klein- und Kompaktwagen) in Deutschland aufrechtzuerhalten. Dies gilt auch für Teile und Zubehör, die technologisch weniger anspruchsvoll sind. Kostenfaktoren, die auch auf klima- und umweltpolitische Regulierung zurückzuführen sind, könnten in den kommenden Jahren dazu führen, dass die Produktion in Deutschland in diesen Bereichen schrittweise zurückgefahren wird.

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Die Konsolidierung der globalen Automobilindustrie gerade im Massenmarkt wird hierzu einen Beitrag leisten. Die jüngsten Zusammenschlüsse von Unternehmen in diesem Segment bestätigen das. Dadurch wird der unternehmensinterne Wettbewerb für Standorte in Deutschland gegenüber Produktionsstätten im Ausland intensiviert.

Optimistischer sind wir vorerst für Produktion von Pkw ab der (gehobenen) Mittelklasse sowie für weiteres qualitatives Wachstum in Deutschland. Dieses resultiert u.a. aus dem zweiten bedeutenden technologischen Strukturwandel in der Automobilindustrie, dem Megatrend in Richtung vernetztes und (teil-) autonomes Fahren. Durch diesen Trend steigt der Bedarf an zusätzlicher Soft- und Hardware, was ceteris paribus zu mehr Wertschöpfung führt. Auch Forschung und Entwicklung werden in Deutschland wichtig bleiben. Dagegen erfolgt beim Strukturwandel vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität eine Substitution von Technologien, bei der die Nettobilanz für die Wertschöpfung in Deutschland negativ ausfallen dürfte.

Deutsche Autohersteller besser für Zukunft gewappnet als Standort Deutschland

Der in der Überschrift dieses Beitrags angedeutete Vergleich der Zukunftsperspektiven des Automobilstandorts Deutschland mit der Entwicklung der Automobilindustrie in und um Detroit, dem traditionellen Zentrum der Branche in den USA, mag zunächst schockieren. Schließlich gilt Detroit im US-Bundesstaat Michigan für viele als Synonym für den Niedergang einer ganzen Industrie in einer Region. Dieses Bild ist jedoch nicht richtig. Noch immer werden in Michigan viele Light Vehicles (LV) produziert. Allerdings waren es in den letzten Jahren etwa ein Drittel weniger Fahrzeuge als zu Beginn dieses Jahrhunderts. In der Folge ist der Anteil des Bundestaates an der gesamten LV-Produktion der USA von knapp 25% im Jahr 2000 auf deutlich weniger als 20% in den letzten Jahren gesunken. Profitiert haben dagegen einige Südstaaten, in denen auch deutsche Hersteller in neue Autofabriken investiert haben. Hohe Standortkosten in Michigan (z.B. Lohn- und Pensionskosten der angestammten Belegschaft) waren ein wesentlicher Grund für diese Verschiebung innerhalb der USA.

Eine ähnliche Entwicklung ist für den Automobilstandort Deutschland nicht unwahrscheinlich, wenngleich jene Treiber maßgeblich sind, die wir oben skizziert haben. Auch in Deutschland könnten die Produktionszahlen der Branche dauerhaft unterhalb der früheren Niveaus verharren. Der Anteil Deutschlands nicht nur an der globalen, sondern auch an der europäischen Automobilproduktion droht zu sinken.

Der Abgesang auf die deutsche Automobilindustrie wird von manchen Marktbeobachtern schon seit vielen Jahrzehnten angestimmt. Der Standardvorwurf lautet, dass die deutsche Autoindustrie „alle technologischen Trends verschlafen“ habe. Dieser Vorwurf war in dieser Pauschalität schon immer falsch und nie Ergebnis einer nüchternen Analyse relevanter Daten. Zutreffender ist eher, dass die deutschen Hersteller bei manchen Technologien nicht die schnellsten waren, im zweiten Schritt aber häufig zu den besten Anbietern zählten. Gemessen an relevanten messbaren Indikatoren wie Marktanteilen in wichtigen Automärkten, wirtschaftlicher Rentabilität oder Innovationskraft mussten sich die deutschen Hersteller und ihre Zulieferer noch nie vor der ausländischen Konkurrenz verstecken.

Der Vorwurf an die deutsche Autoindustrie, technologische Trends zu verschlafen, wird auch beim Übergang zu E-Mobilität stetig wiederholt. Doch auch in diesem Fall ist er nicht pauschal zutreffend. Richtig ist, dass der Anteil deutscher Hersteller an den verkauften Elektroautos in vielen Märkten unter ihrem Marktanteil bei traditionellen Fahrzeugen liegt. Gleichwohl gleicht der Übergang vom Verbrennungsmotor zur E-Mobilität einem Langstreckenlauf und nicht einem Sprint. Kein Anbieter liegt uneinholbar vorne. Zudem ist die Produktpipeline der deutschen Hersteller gut gefüllt. Die Deutschen sind später dran als manche Konkurrenten, aus unserer Sicht jedoch nicht zu spät. Mittel- bis längerfristig wird es ohnehin entscheidend sein, ob die Hersteller bei Elektroautos Marktanteile gewinnen können, wenn staatliche Subventionen zurückgefahren werden oder ganz auslaufen. Erst dann kann man ein finales Urteil fällen. Hier sehen wir für die deutschen Unternehmen mit ihrem Fokus auf Fahrzeuge im Premium-Segment gute Chancen.

Unter dem Strich sind wir davon überzeugt, dass die deutsche Automobilindustrie besser für die „elektromobile“ Zukunft und andere strukturelle Herausforderungen der Branche gerüstet ist als der Automobilstandort Deutschland. Die Unternehmen können Standortentscheidungen frei treffen und sich im Laufe der Zeit anpassen, wenn sich die Rahmenbedingungen an einem Standort verschlechtern. Bei der Beurteilung der Zukunftsperspektiven des Standorts Deutschland überwiegen aus heutiger Sicht jedoch die negativen Faktoren. Bedauerlich ist dabei, dass ein Teil dieser Faktoren durch eine klimapolitische Regulierung begünstigt wird, die deutlich weniger effektiv als möglich und teurer  als nötig ist. Sollte diese Politik in den regionalen Hochburgen der Automobilindustrie zu spürbaren Arbeitsplatzverlusten führen, die auch betriebsbedingte Kündigungen umfassen, dürfte dies die politische Debatte intensivieren und oppositionelle Kräfte auf den Plan rufen. Dies ist ein Warnruf, denn es muss nicht so kommen. Das Produkt Automobil ist noch nicht am Ende der technologischen Fahnenstange angekommen; mehr Wertschöpfung durch technischen Fort- schritt am Standort Deutschland ist nicht ausgeschlossen. Befremdlich wirkt es dennoch, wenn große Teile der Politik die sich verschlechternden Rahmenbedingungen (nicht nur) für die Automobilindustrie eher mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Einmal verlorene Wertschöpfung am Standort lässt sich nicht so leicht wieder zurückholen.

Eine Antwort auf „Gastbeitrag
Detroit lässt grüßen
Zukunft des Automobilstandorts Deutschland

  1. Gar nicht erwähnt wird die Anstrengung der Automobilwirtschaft eigene Betriebssysteme für Autos zu bauen. Genau genommen ist zumindest das von VW nur ein Fork von Android, aber das dürfte keinen Unterschied machen. Ich erwarte nämlich, dass diese Innovation dazu führen wird, dass die Zulieferer sich dem Anpassen müssen und damit eine weitergehende Digitalisierung ihrer Produkte erfolgt. Ich gehe davon aus, dass diese neuen Dinge auch in Verbrenner Einzug halten werden, da die Antriebsart Verbrenner oder Elektromotor – damit eigentlich nichts zu tun hat. Auch ein Gang in die Cloud wird mit dem neuen Betriebssystem erfolgen, so dass auch ein Fundus an Daten entstehen wird. Also, es passiert endlich das was bisher nur weitgehend ein buzword war.

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