Folgt man der öffentlichen Meinung, dann sollten sich angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise vor allem die Bankmanager „ schämen“. Äußert aber ein führender Manager wie der Deutsche Bank Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann, dass er sich schämen würde, wenn er öffentliche Hilfe für die von ihm geführte Bank entgegennehmen müsste, dann rufen Öffentlichkeit und Politik „Skandal“. Obwohl sich Herr Ackermann nicht in der Öffentlichkeit, sondern unternehmensintern geäußert hat, sah man seine Worte überdies als Loyalitätsbruch gegenüber der Regierung an. Die Rettungsbemühungen der Politik, an deren Konzipierung Herr Ackermann doch selbst teilgenommen habe, würden von ihm nun konterkariert. Also „Skandal um Josi?“
1. Der ehrbare Acker-Kauf-Mann
Eigentlich hat Herr Ackermann sich genau in der Form geäußert, die man von einem ehrbaren Kaufmann erwarten muss. Denn der ehrbare Kaufmann schämt sich, wenn er geschäftliche Probleme nicht aus eigener Wirtschaftskraft lösen kann. Er will in der Lage sein, zu jeder Zeit, die Verantwortung für seine früheren Entscheidungen durch Einsatz der eigenen Mittel zu übernehmen. Die Deutsche Bank und ihr Vorstandsvorsitzender trauen sich diese Verantwortungsübernahme ungeachtet herber Verluste immer noch zu. Als ehrbare Kaufleute sollten sie daher Hilfe nicht beantragen und zwar selbst dann nicht, wenn das die Kreditaufnahme für sie gegenüber den staatlich gestützten Konkurrenten verteuern sollte.
Der ehrbare Kaufmann handelt gewinnorientiert. Er entzieht sich dennoch nicht der Mitwirkung an öffentlichen Entscheidungsprozessen, auch wenn er daraus keinen unmittelbaren Gewinn ziehen kann. Der ehrbare Kaufmann opfert seine Interessen oder die eines von ihm geführten Unternehmens nicht einseitig dem allgemeinen Wohl, doch bürdet er auch der öffentlichen Hand ohne Not nichts auf. Herr Ackermann hat an der Entwicklung eines Rettungspakets, dessen er selbst für die von ihm geführte Bank nicht zu bedürfen glaubte, beratend teilgenommen und damit zur Förderung einer Maßnahme von allgemeinem Interesse beigetragen. Das ist zunächst uneigennütziger als das Handeln von Personen, die auf direkte Hilfe für sich selbst abzielen. Natürlich hat die Deutsche Bank aber auch ein Interesse daran, dass der Bankensektor insgesamt funktionsfähig bleibt. Dieses allgemeine Interesse haben wir Bürger ebenfalls. Indem wir die Banken öffentlich unterstützen, retten wir nicht in erster Linie Bankmanager und –eigner, wir retten uns selbst vor einer noch größeren Krise – oder versuchen es doch zumindest.
2. Herden und ihre Triebe
Es soll hier nicht die kaum zu überbietende Albernheit begangen werden, die deutschen Bankiers als Verfolgte zu stilisieren. Weder zu Mitleid noch zu Selbstmitleid besteht ihnen gegenüber in einem funktionierenden Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Anlass. Sie sind wie jeder andere Personenkreis gegen direkte Verleumdungen geschützt. Zugleich beziehen sie hinreichende Kompensationen, um ihnen auch harsche und unberechtigte Kritik und Polemik zumuten zu dürfen. Sie haben sich schließlich selbst an die Spitze von Unternehmen vorgewagt und müssen daher damit rechnen, mit der Unausgewogenheit behandelt zu werden, die in der Öffentlichkeit nun einmal üblich ist.
In sachlicher Kritik steht außer Frage, dass die Bankmanager Fehler begangen haben. Vor allem sind sie häufig unbedacht „der Herde gefolgt“ und haben es an einer nüchternen und eigenständigen Urteilsbildung (zentralen Kaufmannstugenden) fehlen lassen. Gegenüber einem Bankmanager wiegt der Vorwurf der Leichtgläubigkeit und des blinde Befolgens von Trends besonders schwer. Doch die Börsen selbst waren nicht viel besser. Gerade an den Aktienbörsen hat es Herdenverhalten gegeben. Sich in der Informationsbewertung einfach auf die Effizienz von Kapitalmärkten zu verlassen, scheint angesichts dieser und früherer Erfahrungen nicht zielführend. Diese auf lange Frist immer noch besten Systeme zur Verarbeitung von disparaten zukunftsbezogenen Informationen sind auf kurze Sicht anfällig für Übertreibungen und sich selbstverstärkende Trends. Krisen wird es daher immer geben, aber auch Erfolge.
3. Die Party und ihr Ende
Jedes Ding hat die sprichwörtlichen zwei Seiten. Die guten Zeiten, die der Finanzkrise vorausgingen, waren zumindest teilweise auch dem Herdenverhalten geschuldet. Der Glaube an eine bessere Zukunft versetzt bekanntlich manchmal Berge. Die positiven Erwartungen bewahrheiteten sich teilweise selbst. Zumal in Amerika entstanden Optimismus und positive Erwartungen keineswegs spontan, sondern wurden von der „Politik des leichten Geldes“ (mit-)verursacht. Nachdem der ältere Bush vor allem auch an seiner Wirtschaftspolitik (einschließlich einer merkwürdigen Geldmengenentwicklung) und der darauf zurückgehenden wirtschaftlichen Unzufriedenheit seiner Bürger scheiterte, wurde Bill Clinton gewählt. Dieser betrieb in Zusammenwirken mit einem republikanisch dominierten Kongress eine zunächst erstaunlich vernünftige Politik zur Reform der Wohlfahrtssysteme und der Haushaltskonsolidierung in Kombination mit einer angemessenen Geldpolitik. Das trug von 1993 an zunächst langsam und dann mit zunehmender Geschwindigkeit reiche Früchte. Nach dem Platzen der Internetblase kam es unter der Nachfolgeadministration jedoch im Zuge der Krisenabwehr zur Flutung der Wirtschaft mit Liquidität. Der Bush-Administration fehlte die Kraft, die Liquidität wieder zurückzuführen. Und so nahm die „Konsumenten-Party“ mit schon leicht benebelten Teilnehmern von 2004 an erneut und sogar gesteigert Fahrt auf.
Nach insgesamt fünfzehn Jahre währenden Festivitäten, wachen wir alle nun mit einem Kater auf. Während wir mit Kopfschmerz erneut in das unangenehme Licht des „kalten Sterns der Knappheit“ blinzeln, sollten wir jedoch nicht vergessen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in den meisten entwickelten Ländern lange Zeit ganz gern reich gerechnet und auf Kredit gut amüsiert hat. Zugleich haben es in Ländern der sogenannten Dritten Welt — nicht zuletzt von der Konsumkonjunkturlokomotive USA mitgezogen — Millionen von Bürgern geschafft, sich aus absoluter Armut zu befreien (über längere Zeiträume jeden Monat etwa eine Million Menschen allein in China). Man sollte nicht so tun, als sei das alles unbeachtlich. Trotzdem hätte man gern einen Schuldigen, den man, wenn nicht für die Zeche, so doch für den Nachschmerz zahlen lassen könnte. Bankvorstände und deren Einkommen bilden insoweit eine ideale Zielgruppe.
4. Auch die Banker zur Kasse bitte
Herdenverhalten der Aufsichtsgremien großer Publikumsgesellschaften hat anscheinend unter anderem zu der immer wieder beklagten weitgehenden Entkopplung von Managementqualität und Vorstandsbezügen geführt. Das Ziel wurde verfehlt, insbesondere Bankmanager durch Beteiligung am langfristigen Gewinn in die Rolle des nicht nur kurzfristig denkenden ehrbaren Kaufmanns zu bringen. Man lieferte Vorstände und Manager kontraproduktiv den ebenfalls stark von Herdenverhalten geprägten kurzfristigen Bewertungen durch Analysten aus, ohne dem durch entsprechend langfristige Optionen entgegenzuwirken.
Da die Aktienmärkte insoweit bislang – womöglich aufgrund des Streubesitzes von Aktien – nicht für Abhilfe sorgten, könnte ein gewisser rechtlicher Regelungsbedarf hinsichtlich der Fristigkeit von Optionen für Topmanager bestehen. Eine Verbesserung der Anreizsteuerung von Vorständen ist allerdings leider nicht das Ziel der öffentlichen Debatte gewesen. Gegenüber der Ordnungspolitik traten dort unberechtigterweise die Verteilungspolitik und eine Beschränkung der Vorstandsbezüge in den Vordergrund. Eigentlich sind das aber Entscheidungen, die den Gesetzgeber nichts angehen. Eine Beschränkung der Bezüge von Vorständen öffentliche Hilfe in Anspruch nehmender Banken ist aber etwas ganz anderes. Als vorübergehende Maßnahme wird sie ökonomisch nicht allzu viel Schaden anrichten, politisch aber zum Ausdruck bringen, dass die öffentliche Hilfe nicht primär im Interesse der Führungsetagen von Banken, sondern im Interesse der Bürger insgesamt vollzogen wird. Diese Nachricht im öffentlichen Raum zu verbreiten, ist vermutlich im Augenblick das Wichtigste. Denn nur so werden wir eine Chance zu vernünftiger Ordnungspolitik haben.
Herr Ackermann hat mit Bezug auf die an sich untergeordnete Dimension der Vorstandseinkommen augenscheinlich die Bedeutung symbolischen Handelns erkannt. Er hat auf größere Einkommensbestandteile freiwillig verzichtet und so signalisiert, dass er „mit-leiden“ will. Überdies sollte dies dartun, dass er die öffentliche Hilfe nicht deshalb ablehnt, weil er die eigenen Einkünfte sichern will. Verkannt hat Herr Ackermann, dass ein solches Signal in der aufgeheizten Diskussion nicht wahrgenommen wird. Die Öffentlichkeit, aus deren Sicht er auch nach Verzicht immer noch überreichlich verdient, schiebt die Nachricht vom Gehaltsverzicht vielmehr als leicht durchschaubaren Manipulationsversuch zur Seite. Auch ein Verzicht in Millionenhöhe gilt nichts, wenn er von einem Bankvorstand kommt, während jeder Sport- oder Medien-Großverdiener für ein vergleichbares Verhalten überschwänglich gepriesen worden wäre.
Eine gewisse Sperrigkeit der Person hilft bei der Skandalisierung des führenden deutschen Bankenvertreters, um unterschwellig das Stereotyp von der „dunkle Macht des Mammons“ zu bedienen. Das ist ordnungspolitisch gefährlich. Denn die Verteufelung der „Finanzwelt“ und politische Schuldzuweisungen können zu furchtbaren Verwerfungen beigetragen. Auch in der großen Krise nach 1929 ging es darum, Sündenböcke auszumachen und Schuld zuzuweisen. Politische Interessensüppchen wurden auf dieser Flamme gekocht, ohne dass man sich um die tatsächlichen ordnungspolitischen Fragen gekümmert hätte. Angesichts einer Krise, die von durchaus vergleichbarer Anfangsdramatik wie die Weltwirtschaftskrise ist, sollte es auch heute an der Zeit sein, sich um die Auswirkungen im politischen Raum zu sorgen.
5. Von der Schuldzuweisung zur politischen Reinigung?
Der alte Reflex gegen den Mammon kann in Zeiten der Krise endlich wieder betätigt werden. Jetzt soll nicht mehr nur gebellt, sondern gebissen werden. Die Märkte haben versagt, heißt es und dies sei die Stunde des Staates. Aber vergessen wir nicht, es gab in der Krisenentstehung soviel Staats- wie Marktversagen. Warum sollte es nun keine Risiken des Staatseingriffs geben? Ohne staatliche Regulierung kommen die Finanzsysteme nicht aus. Aber es geht darum, eine Ordnungspolitik zu entwickeln, die künftig vor allem auch das Staatsversagen in der Geldpolitik, welches durch kurzfristige Krisenvermeidung Bankversagen erst in dem zu beobachtenden Umfang provozierte, zu vermeiden.
Auch bei geglückter Ordnungspolitik wird es immer wieder zu Krisen kommen. Banken, die auf den Kapitalmärkten agieren, transformieren kurzfristige Liquidität in langfristig verfügbare investiv verwendbare Kredite. Das ist unvermeidlich krisenträchtig, aber es ist zugleich ordnungspolitisch gewollt. Banken entziehen aber auch „dezentral“ den weniger produktiven Bereichen Mittel oder verteuern diese als Ausdruck gestiegener Risiko- und gesunkener Produktivitätserwartungen. Damit werden Banken zwangsläufig zum Überbringer schlechter Nachrichten für alle, denen sie Kredite verweigern. Man schreibt ihnen die Pleiten schlecht und sich selbst die Erfolge gut: Man lässt den Banken die Krisen, den Aufschwung reklamieren die Kreditnehmer für sich allein.
Das in weiten Teilen der öffentlichen Meinung vorherrschende brisante Gemisch aus Ablehnung des Zinses und verwaltungsfreudiger Vodoo-Ökonomik tut sein übriges, um die Einsicht in die Notwendigkeit einer effektiven Bewertung von Investitionen durch Kapitalmärkte zu behindern. Doch allein funktionierende Kapitalmärkte sorgen dafür, dass die von Marx sogenannte „gesellschaftlich notwendige Arbeit“ auch produktiv eingesetzt wird. Nur durch freie Kapitalmärkte kann Arbeit durch den Kofaktor Kapital jene Produktivität erhalten, die wir uns alle wünschen müssen, wollen wir unseren Wohlstand erhalten. Banken sind hier zentraler Mittler.
Wir müssen uns eine Fortsetzung der angesichts der Komplexität des Geschehens und der Kakophonie unterschiedlicher Meinungen bislang erstaunlich kompetenten, sachlichen und entschlossenen Krisenbewältigung vor allem westlicher Regierungen wünschen. Darüber hinaus sollten wir aber eine nüchterne Analyse der Vorkommnisse erhoffen. Gerade als Zaudern und Zögern diskreditierbare Politiken, die sich an langfristigen Zielen orientieren – das, was man von der privaten Wirtschaft immer fordert – werden große politische Stärke verlangen. Wir müssen es in unser aller Interesse politisch schaffen, den Banken weiterhin große Entscheidungsspielräume einzuräumen. Die Grundlagen freier Kapitalmärkte, von denen unser aller Wohlstand abhängt, auch gegen allfälligen Populismus zu verteidigen, ist keine kleine Aufgabe.
Literatur
Bernholz, Peter: War die aktuelle Krise voraussehbar oder vermeidbar? Finanz und Wirtschaft, 81. Jg., Nr. 25, 29.3.2008, S. 40.
Klink, Daniel: Der ehrbare Kaufmann.
Uhlig, Harald: Die Welt-Finanzkrise: Ackermann, die Bundesregierung und Mechanism Design.
- Zum 13. August
„Nie wieder Krieg, es sei denn, es geht gegen Sachsen!“ - 13. August 2024 - Widerspruchslösung in der Organentnahme
„Für und Wider“ - 16. Juni 2024 - Das Grundgesetz
Keuschheitsgürtel der Demokratie - 23. Mai 2024
Für die Aussage mit dem schämen, verdient Ackermann das Bundestverdienstkreuz. Nur für seine Arbeit an einer ‚Bad Bank‘ zumindest ein paar Jahre Gefängnis. Ja jeder der das Geld von diesem unsäglichen „Enteignungsgesetzt“ animmt sollte zumindest erst mal 80-90 % seines Vermögens mit einsetzen müssen.
Und ich kann es nicht mehr lesen. Offensichtlich hat der Markt wunderbar geklappt. Offensichtlich hielten sich einige für schlauer und gewitzter, und meinten Markt findet woanders statt. Man selber ist davor „gefeit“. Offensichtlich wurde und wird diese Überheblichkeit derzeit angemessen „behandelt“