Gehört der Impfstoff uns allen?
Die Diskussion um Patentschutz und öffentliche Fördermittel bei Biontech

Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um ein Aussetzen des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe gibt es unter den Befürwortern verschiedene Argumentationsstränge. Beide Stränge sollen in diesem Beitrag einer kurzen, kritischen Diskussion unterzogen werden.

Bessere Impfstoffversorgung ohne Patente?

Auf der einen Seite wird argumentiert, dass ein Aussetzen des Patentschutzes es Nachahmern erleichtern würde, zusätzliche Kapazitäten aufzubauen und die Welt schneller mit Impfstoff zu versorgen. Dies ist jedoch aus verschiedenen Gründen falsch. Die Herstellung der Impfstoffe, insbesondere der neuen mRNA-Impfstoffe, ist komplex und von Generika-Herstellern kaum auf eigene Faust zu beherrschen. Außerdem gibt es Engpässe bei Vorprodukten und sehr komplexe Lieferketten. Alex Tabarrok hat darauf in einem aktuellen Beitrag hingewiesen.

Die Produktion ist mit großer Sicherheit nicht in kurzer Zeit ohne die Hilfe der etablierten Produzenten wie Biontech oder Moderna skalierbar. Dort ist das Wissen: Man benötigt nicht nur ein Patent als Kochrezept, sondern letztlich auch die erfahrenen Experten solcher Firmen, die über das tacit knowledge verfügen, das hier notwendig ist. Die notwendige Kooperation lässt sich aber nicht durch ein Aussetzen des Patentschutzes erzwingen.

Will man schnell neue Kapazitäten aufbauen, dann wäre es sinnvoll, diese staatlich zu subventionieren. Das lässt sich mit einem Externalitätenargument leicht begründen: Die Preise, die bisher pro Dosis gezahlt werden, liegen um ein Vielfaches unter dem gesellschaftlichen Nutzen einer weiteren Impfdosis. Die Gesellschaft sollte hier eine höhere Zahlungsbereitschaft äußern, verbunden mit der Bedingung eines schnellen Aufbaus weiterer Produktionsmöglichkeiten. Dieser Weg ist sicherer und schneller als die faktische Enteignung gerade derjenigen Firmen, auf deren Kooperation man immer noch angewiesen sein wird.

Was verdankt Biontech dem Staat?

Die zweite Argumentationslinie setzt bei der Finanzierung der Entwicklungsprozesse der Covid-Impfstoffe an. Diese seien, so heißt es, ohne staatliche Förderung kaum möglich gewesen. Folglich gehöre nun, zumindest moralisch gesehen, das produzierte Wissen doch eigentlich auch der Allgemeinheit. Aber wie plausibel ist diese Argumentation?

Biontech wurde 2008 von drei Medizinern gegründet: Ugur Sahin, Özlem Türeci und Christoph Huber. Das Ziel war vor allem die Entwicklung neuer Krebstherapien. Finanziell beteiligt waren von Anfang an die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann, die zuvor als Gründer der Pharmafirma Hexal ein Vermögen machten, sowie einige weitere Finanzinvestoren. Allein die Strüngmann-Brüder investierten 2008 bereits 180 Millionen Euro.

Im Pharmabereich ist die Zeit, die es von einer Idee zu einem marktreifen Produkt braucht, fast immer lang und riskant. Die meisten Entwicklungen scheitern irgendwann, nur wenige Ideen schaffen es am Ende tatsächlich in die Apotheken und Krankenhäuser. Im Fall von Biontech war das Risiko sogar noch höher, denn es ging darum, einen ganz neuen Ansatz in der Krebstherapie zu verfolgen.

Biontech hatte vor seinem Covid-Impfstoff noch kein einziges fertiges medizinisches Produkt am Markt. Einnahmen erzielte die Firma beispielsweise aus der Lizensierung von Patenten an andere Unternehmen. Die Umsätze waren gering; noch 2019 beliefen sie sich auf lediglich 109 Millionen Euro. Dennoch gelang der Firma im Oktober 2019 ein erfolgreicher Börsengang. Die Marktkapitalisierung von Biontech betrug unmittelbar nach dem Börsengang 3,139 Milliarden Euro bei einem Kurs von 13 Euro. Die Anleger schätzten die Chancen, dass Biontechs neuer Ansatz auch wirtschaftlich Erfolg haben würde, schon damals sehr positiv ein. Heute beträgt die Marktkapitalisierung rund 35 Milliarden Euro.

Wie sieht es nun mit staatlichen Förderungen aus? Die Gründer des Unternehmens haben als universitäre Forscher Mittel für Grundlagenforschung von der DFG erhalten. Die Informationen dazu kann man in der GEPRIS-Datenbank einsehen. Dabei handelte es sich größtenteils um Teilprojekte von Sonderforschungsbereichen an der Uni Mainz, an denen sehr viele dortige Wissenschaftler mit Teilprojekten beteiligt waren, die mit Biontech nichts zu tun haben. Ebenso waren Biontech-Gründer beteiligt an einem Graduiertenkolleg der Uni Mainz, das der Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs dient.

Es handelt sich hier also um ganz normale Förderung von Grundlagenforschung an einer Universität. Noch als Universitätsmediziner erhielt zunächst Ugur Sahin und später die Firma Biontech auch eine Förderung des BMBF, und zwar aus dem Programm GO-Bio, das unternehmerische Ausgründungen aus Hochschulen im Bereich der Lebenswissenschaften fördern sollte.

Über sechs Jahre flossen insgesamt vier Millionen Euro. Der Beginn des Förderzeitraums liegt kurz vor der Gründung von Biontech. Man kann also sagen: In diesem Fall hat die Förderung ihr Ziel erfüllt. Mit einem verglichen mit den Beteiligungen der Finanzinvestoren kleinen Betrag wurde bei der Unternehmensgründung geholfen. Ob Biontech ohne diese Förderung in der aktuellen Form nicht existieren würde, ist schwer zu sagen. Das Counterfactual kennen wir nicht. Wir wissen aber, dass die Fördersumme verglichen mit dem später bereitgestellten privaten Eigenkapital sehr klein war.

Bis 2020 erhielt Biontech dann immer wieder auch weitere kleinere Förderungen vom BMBF. Einmal von 2012 bis 2017 als Teil eines Clusters von Biotechnologie-Unternehmen, die an individualisierten Immuntherapien arbeiten. Und es gab einige kleinere Projektförderungen, ebenfalls vom BMBF, aber auch vom European Research Council. Stets ging es dabei aber um Summen, die für die naturwissenschaftliche Forschungsförderung üblich sind und die sich im einstelligen Millionenbereich bewegen. Verglichen mit den Beträgen, die Biontech bei kommerziellen Partnerunternehmen mobilisieren konnte, sind auch dies recht geringe Summen.

Das Jahr 2020: Biontech und der Covid-Impfstoff

Wir haben bisher gesehen, dass in der Unternehmensgeschichte von 2008 bis Ende 2019 die öffentliche Förderung bei Biontech eine eher geringe Rolle gespielt hat. Es handelte sich um übliche Projektförderungen in einem für die Forschungsförderung gewöhnlichen Umfang, für die Forscher immer wieder Anträge schreiben, die mal bewilligt werden und mal nicht. Also um absolute Routine.

Verglichen mit den zugeflossenen Mitteln von privaten Investoren und Partnerunternehmen war der Umfang öffentlicher Förderung gering. Ob er in irgendeiner Form entscheidend für die Entwicklung des Unternehmens war, ist kaum zu sagen. Wahrscheinlich ist das nicht, aber wenn, dann vermutlich vor allem in der frühen Gründungsphase 2007 und 2008.

Nun aber kommt das entscheidende Jahr 2020. Hier ist es wichtig, einen Blick auf den genauen Zeitablauf zu werfen. Die eigentliche Entwicklung des Impfstoffs erfolgte im ersten Quartal 2020. Es wird berichtet, dass der letztlich erfolgreiche Impfstoff im Prinzip schon im Januar 2020 konzipiert war. In dieser Zeit entwickelte das Unternehmen aber 20 Kandidaten für einen Impfstoff; daran schlossen sich die weiteren Studien an, in denen der effektivste Impfstoff ermittelt wurde.

Die schnelle Entwicklung der Impfstoffkandidaten war aber nur möglich, weil Biontech auf das Wissen zurückgreifen konnte, dass es seit 2008 angesammelt hatte. In diesen Jahren hat das Unternehmen die Plattform entwickelt, die eine schnelle Entwicklung eines mRNA-Impfstoffs überhaupt möglich machte. Und wie wir gesehen haben, finanzierte sich diese langjährige Entwicklung ebenso wie die Entwicklung der Impfstoffkandidaten selbst zum absolut überwiegenden Teil aus privaten, nicht staatlichen Mitteln.

Öffentliche Förderung kam 2020 zunächst im April ins Spiel, als es nicht mehr um die eigentliche Entwicklung, sondern um die Finanzierung der klinischen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit des bereits entwickelten Impfstoffs ging. Und der wirklich große Klops, von dem in der öffentlichen Diskussion nun oft die Rede ist, kam erst im September 2020: 375 Millionen Euro vom BMBF, um den inzwischen in ersten klinischen Studien als vielversprechend bestätigten Impfstoff schnell durch den weiteren Test- und Zulassungsprozess zu bringen und um Produktionskapazitäten schnell auszubauen.

Hier ist es wichtig, nochmal genau hinzuschauen: Es war eben keine Förderung der Impfstoffentwicklung oder der Grundlagenforschung, sondern der Bund zahlte die Mittel, um den fertig entwickelten Impfstoff schneller und in größerer Menge an den Markt zu bringen. Das war eine in der Pandemie völlig rationale Entscheidung, welche die Tatsache widerspiegelt, dass der gesellschaftliche Nutzen einer schnellen Produktion großer Mengen des Impfstoffs riesig war und ist.

Hierzu beigetragen hat auch ein günstiger Kredit der Europäischen Investitionsbank für 100 Millionen Euro im Juno 2020. Einen weiteren günstigen Kredit der EIB über 50 Millionen Euro erhielt Biontech bereits im Dezember 2019 für die Erforschung von Krebstherapien. Eine Verbindung dieses Kredits zur Impfstoffentwicklung ist schon angesichts der Zeitlinie nicht herzustellen.

Fazit

Die Behauptung, dass Biontech seinen Covid-Impfstoff nicht ohne öffentliche Förderung hätte entwickeln können, erscheint dubios. Die Masse der Förderung erfolgte vielmehr erst, als das Risiko der Entwicklung bereits weitgehend verschwunden war und feststand, dass Biontech mit hoher Wahrscheinlichkeit einen sehr wirksamen, sehr sicheren Impfstoff anbieten kann. In der langen Phase von 2008 bis zum Spätsommer 2020 dagegen wurde die Grundlagenforschung, die den Impfstoff erst ermöglichte, zum allergrößten Teil privat finanziert.

Letztendlich verdanken wir die Existenz vom Comirnaty vor allem den privaten Risikokapitalgebern, die über ein Jahrzehnt ein damals fast durchwegs verlustbringendes Unternehmen finanzierten. Sie taten dies, weil sie überzeugt waren, dass am langen Ende der innovative Ansatz des Unternehmens noch bahnbrechende neue Medikamente hervorbringen würde. Dies ist nun passiert – in einer Form, die noch im Herbst 2019 niemand geahnt hätte.

Nun den Patentschutz für den Impfstoff aufzuheben, könnte fatale Folgen haben. Biontech verdient nun nach 13 Jahren erstmals Geld. Dieses kann die Expansion des Unternehmens finanzieren, und vor allem: die Entwicklung vieler weiterer Produkte auf der Basis der seit 2008 mühsam entwickelten Plattform. Diesen potentiellen Innovationsstrom sollte niemand durch eine kurzsichtige, pseudo-solidarische Politik gefährden wollen.

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