The Simple Question
Ist die globale Mindeststeuer eine gute Idee?

Die Vereinbarung wurde einhellig bahnbrechend genannt, als am 1. Juli 2021 die G7-Staaten zusammen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bekannt gab, dass mehr als 130 Staaten (hier die Liste aller Länder) planen, „die internationalen Steuervorschriften zu reformieren und sicherzustellen, dass multinationale Unternehmen überall dort, wo sie tätig sind, einen angemessenen Anteil an den Steuern zahlen.“

Kern dieser Vereinbarung ist, dass multinationale Unternehmen ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro in Zukunft in jedem Land in dem sie tätig sind, wenigstens 15 Prozent Steuer auf ihren Gewinn zahlen sollen.

Es gibt eine ökonomische Notwendigkeit hinter dieser Vereinbarung: Kapital ist mobil. Da es bisher nur nationale Steuergesetzgebungen gibt, fällt es Kapital und Unternehmen bisweilen vergleichsweise leicht, Steuerzahlungen zu minimieren. Die internationale Aufstellung großer Firmen macht es möglich, Gewinne bisweilen vor allem dort anfallen zu lassen, wo die Gewinnsteuern vergleichsweise niedrig sind. Die Folge: Die Steuerlast verlagert sich auf alles was immobil ist: Grundeigentum, lokale Firmen, auch auf den Produktionsfaktor Arbeit.

Was die Theorie vermutet, ist in der Praxis geschehen. Die Unternehmenssteuersätze gingen in den vergangenen 40 Jahren kontinuierlich nach unten. „Der gewichtete durchschnittliche Körperschaftsteuersatz ist von 46,52 Prozent im Jahre 1980 auf 25,85 Prozent in 2020 gesunken, dies entspricht einer Reduzierung um 44 Prozent in den 40 untersuchten Jahren“, schreibt Elke Asen, Policy Analyst bei Tax Foundation.

Theoretisch kann die jetzt eingeführte globale Mindeststeuer das „Race to the bottom“ bei 15 Prozent stoppen. Aber wird das auch geschehen? Und wer profitiert eigentlich von einer solchen Steuer? Um mit letzterem zu starten: Die meisten reichen Länder haben sich leicht getan, einer globalen Mindeststeuer zu zustimmen. Viele Staaten (unter anderem die USA) hatten sogar für einen höheren Satz votiert.

Die Motivation ist offensichtlich: Diese Staaten haben meist über dem globalen Durchschnitt liegende Steuersätze. Sie fürchten daher den Steuerwettbewerb. Ihre relative Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu, wenn (meist ärmere) Staaten mit niedrigen Steuersätzen diese anheben.

Etwas zweites kommt hinzu: Gleiche Steuersätze bedeutet nicht automatisch Gleichstand beim Standortwettbewerb. Das staatliche Leistungsangebot spielt eine entscheidende Rolle. Was bekomme ich für meine Geld (Steuern)? Das ist die wesentliche Frage bei (Investitions-)Entscheidungen eines Unternehmens für oder gegen ein Land. Am Ende also ist das Preis-Leistungs-Verhältnis die relevante Größe.

Wird daher die globale Mindeststeuer auf dem Rücken der armen Länder ausgetragen werde? Nein, sagt der Internationale Währungsfonds (IMF). Die Entwicklungsländer könnten auch von der Mindeststeuer profitieren, ist die Organisation überzeugt. Deren Argument: Diese Länder haben häufig schwache Institutionen zur Durchsetzung von umfassenden Steueransprüchen. Vor allem die tatsächliche Besteuerung von multinationalen Unternehmen scheitere bisweilen. Ziel der Mindestbesteuerung ist es, „eine Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlage durch die übermäßige Nutzung sogenannter ‚Steuerpräferenzen‘ zu verhindern“, schreiben Aqib Aslam and Maria Coelho vom IMW im Hausblog. Und: „Diese Steuervergünstigungen erfolgen in Form von Anrechnungen, Abzügen, Sonderbefreiungen und Freibeträgen und führen in der Regel zu einer Verringerung der Steuerschuld eines Unternehmens. Durch die Einführung eines Mindeststeuersatzes für Unternehmen garantieren die Regierungen eine Untergrenze für den Beitrag der Unternehmen zu den öffentlichen Haushalten”

Entscheidend ist also die Frage, ob es gelingt, durch eine globale Mindeststeuer „Steuerschlupflöcher“ zu schließen und schwache Steuerinstitutionen zu stärken. Denn auch das ist klar: Wenn (noch mehr) Subventionswettbewerb an die Stelle des Steuerwettbewerbs tritt, ist nichts gewonnen. Im Gegenteil.

Die Erfahrung mit inländischen Mindeststeuer-Regelungen macht Hoffnung. In dem Paper „A Firm Lower Bound: Characteristics and Impact of Corporate Minimum Taxation“ zeigen Aslam and Coelho, dass die Steuereinnahmen des Staates steigen, wo solche Regeln eingeführt wurden. „Was wir sehen ist, dass die Einführung einer Mindeststeuer mit einer Erhöhung des durchschnittlichen effektiven Steuersatzes einhergeht – also des tatsächlich von Kapitalgesellschaften nach Berücksichtigung von Steuererleichterungen gezahlten Steuersatzes – und zwar um knapp mehr als 1,5 Prozentpunkte bezogen auf den Umsatz und rund 10 Prozentpunkte bezogen auf den Gewinn.“

Es sieht also so aus, dass sowohl die entwickelten Hochsteuer-Länder von einer globalen Mindeststeuer profitieren können als auch die Entwicklungsländer mit vergleichsweise niedrigen Steuern. Der Mindeststeuersatz von 15 Prozent wird schätzungsweise jährlich rund 150 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen weltweiten Steuereinnahmen generieren, hat die OECD kalkuliert.

Dann steht also einer erfolgreichen Einführung nichts mehr im Wege, oder? Vielleicht doch. Denn erstens muss die Vereinbarung noch in nationale Gesetzgebungen überführt werden – 132 mal. Und zweitens wird auch mit der Vereinbarung der grundsätzliche Anreiz für Staaten bestehen bleiben, von der Mindeststeuer nach unten abzuweichen – um Kapital anzuziehen. Das gilt um so mehr für jene Staaten, die erst gar nicht der Vereinbarung zugestimmt haben, zum Beispiel Estland und Irland.

Randbemerkung zum Schluss: Ökonomen lieben es bekanntlich, Optima zu ermitteln. Könnte es etwa einen optimalen globalen Mindeststeuersatz geben? Und falls Ja, wie würde dieser aussehen? Ich habe dazu keine Literatur gefunden. Anders freilich als zur optimalen Steuertheorie im Allgemeinen. Bei dieser Theorie geht es wesentlich darum, jene Steuer(sätze) zu finden, die eine soziale Wohlfahrtsfunktion unter Maßgabe wirtschaftlicher Bedingungen maximiert. Ich kann „Optimal Taxation in Theory and Practice“ von N. Gregory Mankiw, Matthew Weinzierl, and Danny Yagan empfehlen. Das Paper gibt, meinem Eindruck nach, einen guten Überblick über den aktuellen Wissensstand. Dieser baut auf einer lange Tradition auf. In „The Wealth of Nations“ schreibt Adam Smith: “Gute Steuern erfüllen vier Hauptkriterien. Sie sind (1) proportional zu Einkommen oder Zahlungsfähigkeit, (2) bestimmt statt willkürlich (3) zahlbar zu einem bestimmten Zeitpunkt und auf eine für die Steuerzahler bequeme Weise und (4) kostengünstig zu verwalten und einzuziehen.“ Ein Steuersystem, welches sich daran orientieren würde, wäre vermutlich nicht das schlechteste.

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Eine Frage – eine Antwort: „The Simple Question“ beantwortet Fragen aus unser aller Leben mit Hilfe ökonomischer Erkenntnis und in Kürze. Alle Folgen gibt es hier (auf Englisch).

Johannes Eber

Eine Antwort auf „The Simple Question
Ist die globale Mindeststeuer eine gute Idee?“

  1. Lieber Johannes, vielen Dank für Deinen wichtigen Beitrag. Für eine ergänzende und vertiefende Diskussion kann ich folgenden Beitrag empfehlen: L. Eden, „Taxing Multinationals: The GloBE Proposal for a Global Minimum Tax“ in: Tax Management International Journal, Vol. 49, No. 01, 01/10/2020.
    Kritisch anmerken würde ich, dass die suggerierte „Leichtigkeit“ der Verteilung der Gewinne in Niedrigsteuerländer nach BEPS nicht mehr zutreffend ist. Auch ist es gerade in diesem Zusammenhang mE wichtig auf den Zusammenhang mit dem „Pillar 1“ (kurz) einzugehen. Die Mindeststeuer wurde von der OECD (IF) ja (bewusst) als zweite Säule (Pillar 2) installiert und die Diskussionen/Verhandlungen hierbei natürlich auch (stark) verknüpft sind.
    Lieber Gruß
    Oliver

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