Die Bedeutung von Drittmitteln in der deutschen Hochschullandschaft nimmt schon seit einiger Zeit erheblich zu. So tragen in deutschen Universitäten Drittmittel mittlerweile mehr als ein Viertel zu den Gesamteinnahmen bei. Auch die Karriereaussichten eines Wissenschaftlers hängen heute oftmals von der Fähigkeit und Bereitschaft ab, Drittmitteln einzuwerben. Offenbar haben also Drittmittel einen wichtigen Einfluß auf das Wissenschaftssystem.
Aus der Bedeutung der Drittmittel für die Finanzierung der Universitäten und für die Karriere der Wissenschaftler resultiert ein zunehmender Wettbewerb zwischen den Universitäten und auch zwischen den Wissenschaftlern. Dieser wird durch entsprechende Drittmittelprogramme staatlicher bzw. halb-staatlicher Organisationen zusätzlich befeuert.
Die zunehmende Bedeutung der Drittmittel hat unterschiedliche Ursachen. Sicherlich geht es zum einen darum, das Budget der öffentlichen Hand etwas zu entlasten. Zum anderen wird dem Sachverhalt Rechnung getragen, daß sich die Rolle der Universitäten verändert hat. Während vor geraumer Zeit die Funktion der Universität vor allem im Bereich der Lehre und der Forschung lagen, wobei die Forschung sich eher durch eine nach Fachbereichen unterschiedliche, aber meist eher geringe Anbindung an die Industrie auszeichnete, wird die Universität mittlerweile als zentraler Akteur regionaler Innovationen betrachtet. Universitäten sollen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit nationaler Unternehmen und des heimischen Standorts in einem globalen zunehmend wissensbasierten Markt einen erheblichen Beitrag leisten. So wird etwa als erstes Ziel der Exzellenzstrategie die „nachhaltige Stärkung des Wissenschaftsstandorts Deutschland durch Verbesserung seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ genannt (BMBF 2019).
Damit stellt sich die Frage, wie diese zunehmende Drittmittelausrichtung aus ökonomischer Sicht zu bewerten ist.
Eine maßgebliche Aufgabe der Universität besteht in der Produktion von Wissen (Weber, 1919). Von einem Wettbewerb zwischen den Universitäten bzw. von einem wissenschaftlichen Wettbewerb erhofft man sich, daß Forschungsergebnisse einer systematischen Analyse in Form eines umfassend verstandenen Peer Review-Systems erfolgen, das die Qualität des Outputs hochhält. Dadurch sollte sich eine faire und transparente Würdigung der Forschungsergebnisse sowie eine höhere Produktivität der Forschung ergeben (Anderson et al., 2007). Oftmals wird der wissenschaftliche Wettbewerb als treibende Kraft zur Hervorbringung von Innovationen gesehen (Hagstrom 1974, Ben-David 1960, Ben-David & Zloczower 1962).
Freilich hat dieser wissenschaftliche Wettbewerb, bei dem der zeitliche Vorsprung bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen eine erhebliche Rolle spielt und der oftmals die Form eines Winner-Takes-it-all-Contest aufweist (z. B. Stephan, 1996), auch seine Schattenseiten: So kann die Rivalität zwischen den Forschern den wissenschaftlichen Fortschritt behindern. Blumenthal al. (2006) berichten in ihrer Analyse der Life Sciences davon, daß Forscher Daten, Ergebnisse und Informationen usw. zurückzuhalten, um sich einen persönlichen Vorteil in diesem Wettbewerb zu verschaffen. Sie behindern also aus Karrieregründen die unbeschränkte Wissensdiffusion. Allerdings ist das verständlich, denn niemand möchte seine Ergebnisse in einem Paper eines Kollegen veröffentlich sehen, bevor man die Ergebnisse selbst publiziert hat. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht entstehen jedoch durch den Timelag und etwaige Doppelforschungen erhebliche Effizienzverluste. Neben diesen durchaus legalen Mechanismen findet sich zudem auch Wissenschaftsbetrug, indem Daten – auf welche Weise auch immer – erfunden oder auch Daten, Ideen und Texte ohne Quellenangaben abgekupfert werden.
Alles in allem dürften aus Perspektive der Volkswirtschaft jedoch die Wohlfahrtsgewinne eines wissenschaftlichen Wettbewerbs die Kosten erheblich überwiegen. Durch die zunehmende Bedeutung der Drittmittel wird dieser Wettbewerb erheblich intensiviert und auch verändert.
Einerseits werden von den Forschern erhebliche Ressourcen investiert, um Drittmittel einzuwerben – Ressourcen, die sonst für Forschungsprojekte verwendet würden und die auch nur zum begrenzten Umfang weiter verwertet werden können. Und andererseits führt der Wettbewerb um Drittmittel zu einer Änderung des Forschungsportfolios dergestalt, daß die Forschung zunehmend in für Drittmittel relevante Bereiche gelenkt wird. Letzteres bedeutet, daß die beantragenden Forscher sich am vorgegebenen Programminhalt bzw. an den vermuteten Vorlieben der Gutachter orientieren. Die Außensteuerung zwingt den Wissenschaftler also zu einer „Homogenisierung von Verhalten und Forschungsfragen“ (Emrich, 2015).
Im Hinblick auf den ersten Aspekt zeigt die klassische Rent-Seeking-Literatur (z. B. Tullock, 1967; 1980; Posner, 1975) – das Phänomen des Rent-Seeking läßt sich sehr gut vergleichen mit dem Wettbewerb um Drittmittel –, daß erhebliche Ressourcen in die Generierung von Renten alloziiert werden. Dies führt zu einer erheblichen Verminderung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt. Freilich wird auch argumentiert, daß durch Rent Seeking Produkte und Märkte geschaffen würden, die ohne diesen Wettbewerb nicht existierten (Abbott & Brady 1991). Übertragen auf den wissenschaftlichen Wettbewerb bedeutet dies, daß ohne den Wettbewerb um Drittmittel bestimmte wissenschaftliche Ergebnisse möglicherweise nie erforscht worden wären. Da allerdings Drittmittel häufig für anwendungsorientierte Forschung ausgereicht werden, scheint dieses Argument von zweifelhafter Güte zu sein. Dies führt uns zum zweiten Aspekt.
Zu 2) Da Drittmittel häufig für anwendungsorientierte Forschung vergeben werden, was insbesondere für die Drittmittelausreichungen der Industrie gilt, werden Forschungspfade eingeschlagen, bei denen die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse im Vordergrund steht. Diese angewandte Forschung hat meist jedoch einen sehr eingeschränkten Einsatzbereich und daher geringere Skaleneffekte im Vergleich zur Grundlagenforschung. Während anwendungsbezogene Forschung sich vergleichsweise schnell amortisiert – etwa durch Patente bei technischer Forschung –, kann die Grundlagenforschung ein breiteres Spektrum potentieller Anwendungsfelder haben und sich normalerweise erst auf lange Sicht – wenn überhaupt – auszahlen. Oft ist es sogar schwer, eine direkte Verbindung zwischen der durchgeführten Grundlagenforschung und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinnen herzustellen. Häufig generiert Grundlagenforschung Erkenntnisse, die später auf anderen Gebieten verwertet werden können (David et al., 1992). Zudem gelingt oft die Appropriierung der Erträge aus den Forschungsergebnissen nicht, da diese – etwa in Form eines Patents – nicht absichert werden können.
Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, die Universitäten mit einem Budget auszustatten, daß es ihnen in einem gewünschten Maß erlaubt, Ressourcen in die Grundlagenforschung zu alloziieren, dabei aber durchaus den wissenschaftlichen Wettbewerb etwa durch die Modalitäten bei der Vergabe von Forschungspositionen oder durch die Ausgestaltung der Entlohnung der Forscher zu initiieren. Gleichzeitig sollte jedoch die Bedeutung anwendungsorientierter Drittmittelforschung in den Universitäten reduziert werden. Dies könnte etwa geschehen, indem bei der Vergabe von Forschungspositionen oder bei der Entlohnung der Forscher die Einwerbung anwendungsorientierter Drittmittel nicht berücksichtigt wird. Dabei sollte jedoch folgendes beachtet werden: Viele Wissenschaftler sind tendenziell intrinsisch motiviert. Eine verstärkte Außensteuerung würde hierbei diese intrinsische Motivation erheblich beeinträchtigen (als Überblick Frey 1997).
Zudem muß freilich durch entsprechende Anreiz- und Kontrollsysteme dafür gesorgt werden, daß die oben angeführten nicht legalen Methoden aufgedeckt und entsprechend sanktioniert werden. Hierzu reicht es oftmals schon aus, illegitimes – wenn auch nicht illegales – Verhalten durch (moralische) Sanktionierung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu unterbinden (hierzu Emrich und Follert 2019).
Literatur
Abbot, A.F., Brady, G.L. (1991), Welfare gains from innovation-induced rent seeking. Cato Journal, 11, 89-97.
Anderson, M.S., Ronning, E.A., De Vries, R., Martinson, B.C. (2007), The perverse effects of competition on scientists´ work and relationships. Science and Engineering Ethics, 13, 437-461.
Ben-David, J., Zloczower, A. (1962), Universities and academic systems in modern societies. European Journal of Sociology, 3, 45-84.
Ben-David, J. (1960), Scientific productivity and academic organization in nineteenth century medicine. American Sociological Review, 25, 828-843.
Blumenthal, D., Campbell, E.G., Gokhale, M., Yucel, R., Clarridge, B., Hilgartner, S., Holtzman, N.A. (2006), Data withholding in genetics and other life sciences: Prevalences and predictors. Academic Medicine, 81, 137-145.
BMBF (2019), Die Exzellenzstrategie, https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/das-wissenschaftssystem/die-exzellenzstrategie/die-exzellenzstrategie.html (Zugriff: 29.8.2021).
David, P.A., Mowery, D., Steinmueller, W.E. (1992), Analysing the economic payoffs from basic research, Economics of Innovation and New Technology, 2, 73-90.
Emrich, E. (2015), Evaluation zwischen Angebot und Nachfrage – Vom Ethos der Forschung und dessen Wirkung die Wissensmärkte. In Vera Hennefeld, Wolfgang Meyer, Stefan Sivestrini (Hrsg.) Nachhaltige Evaluation? Auftragsforschung zwischen Praxis und Wissenschaft. Festschrift für Reinhard Stockmann, Münster: Waxmann, 73-98.
Emrich, E., Follert, F. (2019). Eigenplagiate aus ökonomischer Sicht. Eine institutionenökonomische Betrachtung. ORDO 70, 239-255.
Frey, B.S. (1997), Markt und Motivation. Wie ökonomische Anreize die (Arbeits-)Moral verdrängen. München: Vahlen.
Hagstrom, W.O. (1974), Competition in science. American Sociological Review, 39, 1-18.
Posner, R. (1975), The social costs of monopoly and regulation. Journal of Political Economy, 83, 807-827.
Stephan, P.E. (1996), The economics of science. Journal of Economic Literature, 34, 1199-1235.
Tullock, G. (1967), The welfare costs of tariffs, monopolies, and theft. Western Economic Journal, 5, 224-232.
Tullock, G. (1980), Efficient rent seeking, in: Buchanan, J., Tollison, R., Tullock, G. (Eds.), Toward a theory of the rent-seeking society. Texas A&M University Press, College Station, 97-112.
Weber, M. (1919), Wissenschaft als Beruf, in: Winckelmann, J. (Ed.). Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. 2nd. ed., Tübingen 1951, 566-597.
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