Die Bundestagswahl hat Ergebnisse gebracht, aus denen sich ein interessanter Generationengegensatz herauslesen lässt. Es heißt „jung“ gegen „alt“, aber in einer anderen Weise als von vielen vermutet und vorhergesagt. Das Thema Klimawandel scheint trotz größter medialer Aufmerksamkeit nur eine begrenzte Wirkung auf die Wahlergebnisse gehabt zu haben; genauso wichtig oder sogar wichtiger scheint das Thema Rente gewesen zu sein. Hier konnte die SPD offenbar bei den Senioren punkten, während überraschend viele Jungwähler der FDP ihre Stimme gaben – aus Sorge vor und als Gegengewicht zu einer strukturellen Mehrheit der Rentner? Egal, ob die Ampel oder Jamaika das Ergebnis der Regierungsbildung sein wird, in der nächsten Bundesregierung werden zwei kleinere, von der jüngeren Bevölkerung gestützte Parteien einer größeren Partei mit Fokus auf eine ältere Klientel gegenüberstehen. Dies ist Chance und Risiko zugleich.
Laut Wahlanalysen hat die SPD in der jüngsten Bundestagswahl überdurchschnittlich viele Stimmen bei den über 60-Jährigen hinzugewinnen können, dafür aber bei den Jüngeren Stimmenanteile verloren. Bei der Union, die traditionell eine ältere Wählerschicht anspricht, waren die Verluste in den älteren Kohorten geringer als in den jüngeren. Bei der FDP und den Grünen wiederum konzentrierten sich die Zugewinne auf die jungen Kohorten, während man bei den Älteren nur geringfügig zulegen konnte (Grüne) oder sogar Stimmen verlor (FDP).
Zwar sollte man sich hüten, derartige Zahlen überzubewerten und mit Interpretationen zu überfrachten, doch lässt sich vermuten, dass Olaf Scholz mit seiner – angesichts der demographischen Entwicklung recht tollkühnen – Aussage „das Rentenniveau bleibt stabil und das Renteneintrittsalter wird nicht weiter steigen“ einen Nerv bei den heutigen Rentnerinnen und Rentnern sowie den rentennahen Jahrgängen getroffen hat. Die verbliebenen Wählerinnen und Wähler der Union im Seniorenalter dürften sich derweil an der CSU-Forderung nach einer weiteren Runde der Mütterrente gewärmt haben.
Derart großzügige Zusicherungen hatten die anderen Parteien nicht im Angebot oder haben sie zumindest weniger lautstark kommuniziert. Vor allem die Grünen hatten eher klimapolitische Zumutungen quer durch alle Generationen zu bieten, während die Steuerversprechen der FDP in erster Linie denjenigen galten, deren Einkommen jenseits der Beitragsbemessungsgrundlage angesiedelt sind, was sie rentenpolitisch unbedeutend machte.
Natürlich haben alle Parteien rentenpolitische Konzepte formuliert, die die kritische demographische Lage zumindest anerkennen. Ein rentenpolitisches Harakiri nach der Wahl muss also nicht befürchtet werden. Sehr wohl problematisch und offen ist jedoch die Frage, wer zukünftig welchen Anteil der Lasten einer unausweichlichen, großen Rentenreform wird tragen müssen.
Die SPD unter Olaf Scholz wird mittelfristig vermutlich schwer an ihren Ankündigungen tragen. Der Versuch, diese einzuhalten, wird die finanziellen Lasten deutlich in Richtung der jüngeren, erwerbstätigen Bevölkerung verschieben. Zugleich ist die SPD (oder wahlweise die CDU/CSU) in einer Dreierkoalition nicht stark genug, um nach dem Koch-und-Kellner-Prinzip rentenpolitische Vorstellungen durchzudrücken. Grüne und FDP haben gemeinsam einen höheren Stimmenanteil erreicht als jeweils die SPD bzw. CDU/CSU alleine. Es gibt also Chancen, dass die beiden kleineren Parteien mit ihrer jüngeren Wählerbasis ein Gegengewicht zu den Parteien der Älteren bilden werden.
In der besten aller Welten würde in einer solchen Konstellation dann eine Rentenreform durchgeführt werden, die die Interessen von Jung und Alt (und möglicherweise sogar der zukünftigen Generationen) in einer Weise austariert, dass es zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens kommt. Gänzlich unwahrscheinlich ist dies nicht, denn auch beim Thema Klimawandel muss ja ein vergleichbarer Ausgleich über die Generationen hinweg geschaffen werden. Ökologische und fiskalische Nachhaltigkeit liegen dicht beieinander.
Man kann die Dinge allerdings auch skeptischer sehen. Derzeit ist nicht wirklich zu erkennen, dass die beteiligten Parteien die spröde, zugleich aber konfliktträchtige Rentenpolitik als Mandat und Kernaufgabe für die neue Legislaturperiode betrachten. Hinzu kommt, dass große Rentenreformen traditionell in einem breiten Konsens auch mit der Opposition beschlossen werden. Wenn aber eine zweite „große“ Partei (CDU/CSU respektive SPD) zu den Verhandlungen hinzustößt, verschieben sich die politischen Gewichte weg von den kleineren Parteien mit ihrer jüngeren Wählerschaft. Die strukturelle Mehrheit der Alten bliebe in diesen Verhandlungen also gewahrt.
Schon einmal – in der Zeit der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder – hatte man zudem gemeint, sozial- und rentenpolitische Reformschritte zunächst unterlassen zu können, weil sie politisch nicht opportun erschienen. Erst in der zweiten Regierung Schröder begann man ernsthaft zu reformieren – nachdem das Kind bereits in den Brunnen gefallen war. Auch heute besteht durchaus die Gefahr, dass die Koalitionäre sich entweder gegenseitig blockieren oder man zunächst versuchen wird, einen großen und unvermeidbar schmerzhaften Schritt in der Rentenpolitik zu vermeiden, und stattdessen an den Symptomen herumdoktert. Immerhin stehen ja auch (politisch) teure Lösungen im Bereich des Klimaschutzes an, die man möglicherweise nicht auch noch durch die Rentenpolitik erschweren will.
Statt die Rentenformel durch Nachhaltigkeitsfaktoren wieder in die Richtung langfristiger fiskalischer Tragfähigkeit zu entwickeln und eventuell auch das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln, könnte in einem solchen Szenario ein fragwürdiger Kompromiss entstehen. Für die SPD könnte der Bundeszuschuss noch etwas weiter erhöht werden, sodass Olaf Scholz‘ Versprechen nicht angetastet werden müsste. Um ein marktwirtschaftliches Element einzuführen (und die Finanzindustrie glücklich zu machen), bekommt die FDP einen Deutschlandfonds auf Aktienbasis, wie man ihn aus Skandinavien kennt und in den verpflichtend einzuzahlen wäre. Dieser Fonds würde dann – ganz im Sinne der Grünen – nur in Aktien nachhaltig wirtschaftender Unternehmen anlegen.
So ließe sich mit einem kleinen rentenpolitischen Feuerwerk, das jedoch nur marginale Wirkungen hat (die Ähnlichkeit zur totgerittenen Riesterrente ist ja augenfällig), eine umfassende Rentenreform in der neuen Legislaturperiode vermeiden. Wer möchte sich schon an einer Rentenreform die Finger verbrennen, wenn die Lage noch nicht ganz akut ist? Der Beginn des massiven Eintritts der Babyboomer in den Ruhestand wird schließlich erst für das (Bundestagswahl-)Jahr 2025 erwartet. Nachhaltig und sonderlich generationengerecht wäre diese Vorgehensweise erkennbar nicht, aber – ähnlich wie bei der zögerlichen Herangehensweise an die Bekämpfung des Klimawandels – entspräche es langgehegter politischer Praxis.
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und die Chance ist größer als das Risiko, sodass dieses Mal vielleicht doch alles anders wird und die Neukoalitionäre Mittel und Wege finden, eine nachhaltige Politik in all ihren Ausprägungen – von der ökologischen bis zur fiskalischen – tatsächlich voranzubringen. Die Wettquoten, dass im Titel des Koalitionsvertrags das Wort „Nachhaltigkeit“ auftaucht, dürften jedenfalls gering sein. Die Frage ist nur, wie das Wort inhaltlich ausbuchstabiert wird…
Blog-Beiträge zum Thema:
Norbert Berthold: Demographie, Klimawandel und Generationenkonflikte. Hat die Demokratie eine inter-generative Schlagseite?
Podcasts zum Thema:
Demographie und Klima (1): Lassen sich Generationenkonflikte vermeiden? Prof. Dr. Norbert Berthold (JMU) im Gespräch mit Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen (ALU) und Prof. Dr. Joachim Weimann (OVG)
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