Am 9. März 2022 titelte BBC News „Private military firms see demand in Ukraine war“ (Debusmann 2022) und stellte fest, daß sich offenbar für private Militärunternehmen und dabei insbesondere für sog. Private Military Companies (PMC) in der Ukraine ein erhebliches Betätigungsfeld abzeichnen würde. Das Aufkommen an privaten Militärunternehmen hat sich insbesondere seit Beginn der 1990er Jahre erheblich vergrößert. So betrugen die personellen Anteile privater Militärunternehmen an den US-Streitkräften während der militärischen Interventionen im Irak und in Afghanistan in der Spitze etwa fünfzig Prozent bzw. etwa siebzig Prozent (McFate, 2019, S. 18). Im Vergleich dazu setzten die amerikanischen Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs etwa zehn Prozent „privates“ Militärpersonal ein. Die Größe des Marktes für private Militärdienstleistungen wird für das Jahr 2016 von der UN auf etwa 244 Mrd. US-$ geschätzt (Eckert 2016, S. 7).
Als Private Military Companies werden private militärische Dienstleister bezeichnet, die ein breites Spektrum militärischer Dienstleistungen sowohl national als auch international mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, gegen Entgelt an unterschiedlichste Klientel anbieten (McFate 2015). Beim Angebotsspektrum handelt es sich dabei entweder um militärische Dienstleistungen vorwiegend auf taktischer Ebene im unmittelbaren Kampfgebiet oder aber um Beratungs- und Schulungsdienstleistungen, die auf eine Qualitätsverbesserung des Militärs des Klienten oder auf eine Umstrukturierung desselben hinzielen. Eine PMC beschafft im Regelfall die zur Leistungserbringung notwendigen personellen und sachlichen Ressourcen (Söldner und Ausrüstung) und kombiniert diese zum Zweck der Leistungserstellung.
Das private Militärunternehmertum ist kein neues Phänomen, sondern läßt sich bereits in der Antike vorfinden. Das heutige Verständnis dieses Phänomens ist oftmals durch die Condottieri der italienischen Renaissance wie etwa Francesco Sforza, Cesare Borgia oder Giovanni de Medici und die etwas später auftretenden Landsknechte wie Georg v. Frundsberg, Merk Sittich v. Ems und Franz v. Sickingen geprägt. Das Aufkommen stehender Heere im späten 17. Jhd. und die zunehmende Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols im Nachgang des Westfälischen Friedens von 1648 und insbesondere der Französischen Revolution drängten die privaten Militärunternehmer – zumindest in Europa – zurück (Förster, Jansen & Kronenbitter 2010, S. 12).
Insbesondere seit den 1990er Jahren erfreut sich dieser Markt nun einer Revitalisierung, deren maßgebliche Ursache im erheblichen Abbau der militärischen Kapazitäten nach Ende des Kalten Krieges zu suchen ist. Dieser hat zum einen hoch spezialisiertes Personal freigesetzt, das nach einer Anschlußbeschäftigung suchte und zum anderen die Möglichkeiten des nationalen Militärs, militärische Operationen mit eigener Kraft durchzuführen, erheblich beschränkt (Wulf 2010). In diese Lücke stießen PMCs, die gleichsam die notwendigen militärischen Kapazitäten on demand bereitstellen können und dies scheinbar kostengünstiger als das nationale Militär zu tun vermögen, da die Vorhaltekosten wegfallen. Neben dem Kostenargument und der Möglichkeit, Leistungen zu erbringen, die nationales Militär nicht oder nur unzureichend erfüllen kann, können bei der Verpflichtung von PMCs noch andere Aspekte eine bedeutsame Rolle spielen: Die Leistungen der PMCs sind vergleichsweise schnell verfügbar, was insbesondere bei zeitsensiblen Aufgabenstellungen ein erheblicher Vorteil ist. Ein wesentlicher Aspekt für die Auftraggeber besteht jedoch in der Willfährigkeit der PMCs: So läßt sich offenbar für jegliche Aufgabenstellung ein entsprechender Leistungsanbieter finden. Weiterhin ermöglicht es die Verpflichtung von PMCs, die Legislative zu umgehen und verdeckte Operationen durchzuführen, die nicht unbedingt mit dem Auftraggeber in Zusammenhang gebracht werden und bei deren Scheitern Verantwortlichkeiten weitergereicht werden können (Batka et al. 2020). Darüber hinaus treten personelle Ausfälle bei PMCs weder in den Verlustlisten auf, noch erfahren sie in den Medien entsprechende Aufmerksamkeit (Godfrey et al. 2014, S. 113 f.).
Da die Angehörigen von PMCs in der Regel nicht unter den Kombattanten-Status (Art. 43 Nr. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention von 1949) fallen und die Legaldefinition des Begriffs „Mercenary“ (Art. 47 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Konventionen vom 12. August 1949) sehr restriktiv gehalten ist, agieren PMCs in einem Graubereich des Völkerrechts (Swed & Materne 2021). Sie können sich offenbar verstärkt einer juristischen Verfolgung bei begangenen Straftaten erfolgreich entziehen (Cameron & Chetail 2013, S. 383 ff.). Ein international anerkannter und gültiger Rechtsrahmen scheint für PMCs nicht zu existieren. Jedoch gibt es nationale Rechtsvorschriften, die das Tätigkeitsfeld einer PMC sowie die Verdingung als Söldner einschränken bzw. unterbinden. So ist es beispielsweise in Deutschland gem. § 109h StGB bei Androhung einer Freiheitsstrafe untersagt, „… einen Deutschen zum Wehrdienst in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung“ anzuwerben bzw. „ihren Werbern oder dem Wehrdienst einer solchen Einrichtung“ zuzuführen. Ähnliche Vorschriften finden sich in einer Vielzahl anderer Staaten.
Bei Verletzungen des Humanitären Völkerrechts bleibt oftmals unklar, welche Behörde Ermittlungen einleiten und Vergehen sanktionieren soll (Singer 2006). Da PMCs häufig in sog. schwachen Staaten eingesetzt werden, die selbst kaum in der Lage sind, derartige Vergehen aufzudecken und entsprechend zu verfolgen, obliegt dies meist dem Herkunftsstaat der PMC. Dieser steht freilich vor dem Dilemma, daß zum einen die Ermittlung und Strafverfolgung auf fremden Staatsterritorium nicht nur aus praktischen Gründen schwierig ist, sondern darüber hinaus Verletzungen der Souveränität des „Gastlandes“ implizieren kann (Schneiker 2008).
Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, daß PMCs bei der Auftragserfüllung die Normen des Humanitären Völkerrechts außer acht lassen, da diese sich entweder für die Erfüllung des Auftragsziels als hinderlich erweisen, zu höheren Kosten führen oder ihnen in den Verträgen keine besondere Priorität zugeordnet wird (Zedek 2007; Swed & Materne 2021). Eine damit verbundene Übertretung der Menschenrechte wird dabei unbewußt oder bewußt in Kauf genommen oder erfolgt gar absichtlich (Singer 2003, 216 ff.). Zudem eröffnen sich für die PMCs bzw. deren Angehörige weitere Möglichkeiten der Einkommenserzielung: Hierzu zählen etwa der Schmuggel, Plünderungen, Menschenhandel oder die Organisation von Prostitution (Ramirez & Wood 2019). Ebenso ist hier die Erpressung von Lösegeldern für Gefangene einzuordnen (Fredland 2004).
Um die Qualität der Dienstleistung (insbesondere in Bezug auf Beachtung des Humanitären Völkerrechts) zu heben bzw. zumindest dies den Klienten zu suggerieren, sind Formen der Selbstregulierung etabliert worden. In diesem Zusammenhang sind etwa die American Society for Industrial Security (ASIS) bzw. seit 2002 ASIS International, die International Stability Operations Association (ISOA) mit dem ISOA Code of Conduct (ISOA 2020) sowie die International Code of Conduct Association (ICoCA) mit dem International Code of Conduct for Private Security Providers (ICoC) zu nennen (McFate 2020).
Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkt stellt sich die Frage, ob derartige Selbstregulierungen ausreichen, um die im Zusammenhang mit einem Markt für private Militärdienstleistungen auftretenden Verwerfungen einzudämmen. Unter normativen Gesichtspunkten dürfte wohl Einigkeit darüber bestehen, daß friedlichen Lösungen von Konflikten stets der Vorzug zu geben ist. Tatsache ist jedoch, daß sich offenbar gewaltsame Konflikte nicht vermeiden lassen.
Für die Beurteilung des Sachverhalt spielen drei Aspekte eine erhebliche Rolle:
1. Bestimmte Auftraggeber sind eben gerade an einer „geräuschlosen“ und verdeckten militärischen Dienstleistung interessiert und werden daher in erster Linie sog. downscale firms verpflichten. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich nicht an die Vorgaben der Selbstregulierung halten, intransparent arbeiten und im Zweifel auch bereit sind, nationale und internationale Normen zu brechen, wenn dies für die Erfüllung der Aufgabe notwendig ist (Schneiker 2008). Der erhoffte Wirkungsmechanismus, durch die Orientierung an den Vorgaben der Selbst-Regulierung eine positive Reputation aufzubauen und damit downscale firms aus den Markt zu drängen, verkehrt sich geradezu ins Gegenteil, denn ruchlose Auftraggeber werden eben gezielt nach ruchlosen Leistungserbringern suchen.
2. Aufgrund der damit verbundenen Rückwirkungen in den Medien (reputational risk effect) kann beim Auftraggeber von PMCs – unabhängig davon, ob diese sich zur Selbstregulierung bekennen oder nicht – ein geringes Interesse bzw. sogar Widerwillen festgestellt werden, Übertretungen des Humanitären Völkerrechts durch Angehörige der PMCs aufzudecken und zu verfolgen (Cockayne 2007).
3. Die Aufdeckung von Verstößen gegen das Humanitäre Völkerrecht durch die Angehörigen der PMCs und eine wirkungsvolle Ahndung derselben, ist aus den o.g. Gründen sehr schwierig.
Damit zeigt sich, daß die Selbstverpflichtung sicherlich in bestimmten Segmenten des Marktes – etwa bei der Verpflichtung von PMCs durch die UNO oder durch internationale Konzerne – durchaus wirksam sein kann, allerdings in einem großen Teil des Marktes unerheblich bleibt. Für dieses Segment des Markts sind demzufolge andere – notgedrungen auf internationaler Ebene anzusiedelnde – Maßnahmen notwendig, die von transparenzschaffenden Instrumenten (Aufdeckung und Ächtung des Auftraggebers oder der PMC) bis zu einem durchsetzbaren Verbot reichen können.
Literatur
Batka, Caroline, Molly Dunigan, and Rachel Burns. 2020. “Private military contractors’ financial experiences and incentives.“ Defense & Security Analysis, DOI: 10.1080/14751798.2020.1750180.
Cameron, Lindsey, and Vincent Chetail. 2013. Privatizing war: private military and security companies under public international law. Cambridge University Press.
Cockayne, James. 2007. „Make or buy? Principal-agent theory and the regulation of private military companies.“ In From Mercenaries to Market: The Rise of Regulation of Private Military Companies, edited by Simon Chesterman and Chia Lehnardt, 196-216. New York: Cambridge University Press.
Debusmann Jr, Bernd, Private military firms see demand in Ukraine war, Accessed March 9th, 2022, https://www.bbc.com/news/world-us-canada-60669763?at_custom3=BBC+News&at_custom2=facebook_page&at_campaign=64&at_custom4=1314D966-9F4C-11EC-9306-8E5C16F31EAE&at_medium=custom7&at_custom1=%5Bpost+type%5D
Eckert, Amy E. 2016. Outsourcing War. The Just War Tradition in the age of Military Privatization. New Dehli: Speaking Tiger Academic.
Förster, Stig, Christian Jansen, and Günther Kronenbitter. 2010. „Einleitung.“ In: Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär zwischen staatlichem Monopol und Privatisierung: Von der Antike bis zur Gegenwart, edited by Förster, Stig, Christian Jansen, and Günther Kronenbitter, 11-25. Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh.
Fredland, Eric. 2004. “Outsourcing Military Force: A Transactions Cost Perspective on the Role of Military Companies.” Defence and Peace Economics, 15(3): 205-19. DOI: 10.1080/10242690310001623410.
Godfrey, Richard, Jo Brewis, Jo Grady, and Chris Grocott. 2014. „The private military industry and neoliberal imperialism: Mapping the terrain.“ Organization, 21 (1): 106-125. doi:10.1177/1350508412470731.
International Stability Operations Association (ISOA). 2020. ISOA Code of Conduct. Accessed December 13th, 2021, https://cdn.ymaws.com/stability-operations.org/resource/resmgr/files/ISOA_Code_of_Conduct_13.2.pdf.
McFate, Sean. 2015. The Modern Mercenary: Private Armies and What They Mean for World Order. New York: Oxford University Press.
McFate, Sean. 2019. Mercenaries and War: Understanding Private Armies Today. Washington, D.C.: National Defense University Press.
McFate, Sean. 2020. Mercenaries and Privatizised Warfare. Current Trends and Developments. Accessed February 7th, 2022, https://www.ohchr.org/Documents/issues/Mercenaries/WG/OtherStakeholders/sean-mcfate-submission.pdf.
Ramirez, Mark D., and Reed M. Wood. 2019. “Public Attitudes toward Private Military Companies: Insights from Principal-Agent Theory.“ Journal of Conflict Resolution 63 (6): 1433-1459. doi:10.1177/0022002718797166
Schneiker, Andrea. 2008. „Die Selbstregulierung privater Sicherheits- und Militärfirmen als Instrument der Marktbeeinflussung.“ Sicherheit und Frieden (S+F) / Security and Peace 26 (4): 214-219.
Singer, Peter W. 2006. „Humanitarian Principles, Private Military Agents: Implications of the Privatized Military Industry for the Humanitarian Community.“ Brown Journal of World Affairs 13 (1), 105-121.
Singer, Peter. 2003. Corporate Warriors: The Rise of Privatized Military Industry. New York: Cornell University Press.
Swed, Ori, and Adam Materne. 2021. “No Accounting for Bad Contracting: Private Military and Security Contracts and Ineffective Regulation in Conflict Areas.“ Studies in Comparative International Development 2021: 1-27. https://doi.org/10.1007/s12116-021-09327-8
Wulf, Herbert. 2010. „Konflikt, Krieg und Kriegsgewinnler. Liberalisierung der Wirtschaft – Reprivatisierung des Militärs.“ In: Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär zwischen staatlichem Monopol und Privatisierung: Von der Antike bis zur Gegenwart, edited by Förster, Stig, Christian Jansen, and Günther Kronenbitter, 311-23. Paderborn, München, Wien, Zürich: Ferdinand Schöningh.
Zedeck, Rachel. 2007. „Private military security companies, human rights, and state building in Africa.“ Africa Security Review 16 (4): 98-104.
- Wählerstimmenkauf in Sportvereinen ermöglichen? - 16. November 2024
- Der unendliche Raumbedarf in Universitäten - 4. September 2024
- Brauchen wir eine Negotiation List an den Universitäten? - 5. Juli 2024