Von Werten, Preisen, und Spielern, die sich nicht an Verträge halten wollen*
Einige ökonomische Gedanken – nicht nur zum Fall Lewandowski

Es ist Sommerpause und das Transferkarussell im Profifußball dreht sich. Der FC Bayern München gab jüngst die Verpflichtung des senegalesischen Spielers Sadio Mané bekannt. Eine andere Transferangelegenheit ist hingegen noch offen: Die Causa Lewandowski sorgt medial für Aufmerksamkeit (https://www.focus.de/sport/fussball/bundesliga1/dringender-wechselwunsch-lewandowski-biograf-nichts-und-niemand-haelt-ihn-mehr-bei-bayern-muenchen_id_107991773.html). Der Stürmer, der den Torrekord Gerd Müllers einstellte, möchte den Klub verlassen. Dies ist bemerkenswert, besteht doch zwischen ihm und der FC Bayern München AG ein gültiger Vertrag, der ihn bindet. Es ist seit einigen Jahren zu beobachten, dass der Grundsatz pacta sunt servanda! im professionellen Fußball zunehmend verwässert (Follert 2017). Aktuell stehen sich Robert Lewandowski und der FC Bayern München einander gegenüber. Beide beharren auf ihrer Position. Lewandowski möchte weg: „Nichts und niemand hält ihn“ (https://www.focus.de/sport/fussball/bundesliga1/dringender-wechselwunsch-lewandowski-biograf-nichts-und-niemand-haelt-ihn-mehr-bei-bayern-muenchen_id_107991773.html). Bayern München besteht jedoch auf Vertragserfüllung. Wie es zu einer solchen Machtprobe kommen kann und was das mit James Dean zu tun hat, soll im vorliegenden Beitrag aus ökonomischer Sicht erläutert werden.

Zeiten ändern sich – vom Kauf zum Chicken Game

Spielerlizenzen verkörpern als immaterielle Vermögensgegenstände das sportliche und wirtschaftliche Nutzenpotential eines Fußballklubs. Dass es sich bei dem Recht, einen Spieler einzusetzen auch im bilanztheoretischen Sinne um einen Vermögensgegenstand handelt, dessen wohl wichtigste Eigenschaft die selbständige Verwertbarkeit ist (Baetge/Kirsch/Thiele 2021), ist offenkundig, wenn wir die Dynamik des Fußballtransfermarkts betrachten, auf dem jene Lizenzen und mithin das Humankapital der Spieler als wertbestimmender Faktor gehandelt werden.

Der Transfermarkt ist insofern ein besonderer Markt (Daumann/Follert/Werner 2022) als die Transaktion einer Lizenz zwar zwischen den Klubs als Anbieter und Nachfrager stattfindet, gleichzeitig jedoch ein Vertrag zwischen dem Spieler als Träger des Humankapitals und dem übernehmenden Klub als Arbeitgeber geschlossen wird. Ein Transfer setzt also nicht nur die übereinstimmenden Willenserklärungen zwischen verkaufendem und erwerbendem Klub, sondern auch eine Einigung zwischen Spieler und Klub voraus. Zudem darf der Einfluss der Spielerberater als weitere Akteure, die ein Interesse an dem Transfer haben, nicht unterschätzt werden.

Wenn die Spielerlizenz einen Vermögensgegenstand darstellt, ist ihr Erwerb betriebswirtschaftlich als Investition zu begreifen. Eine solche ist hinsichtlich ihrer Zahlungsstruktur dadurch gekennzeichnet, dass nach einer Anfangsauszahlung in den Folgeperioden Einzahlungsüberschüsse erwartet werden. Erwirbt ein Klub eine Spielerlizenz, stellt die zu entrichtende Ablösesumme – wenn der Spieler einen laufenden Vertrag hat – als Kaufpreis die Anfangsauszahlung dar. Während der Vertragslaufzeit erwartet sich der übernehmende Klub Einzahlungsüberschüsse aus der Investition. Diese können sich beispielsweise aus dem Verkauf von Werbeartikeln, dem monetären Gegenwert der sportlichen Leistung oder positiven Reputationseffekten ergeben (etwa Rapp 2014; Leifheit/Follert 2021) – ganz allgemein kann von Nutzen gesprochen werden. Als Auszahlungen fallen während der Vertragslaufzeit die Gehaltszahlungen als größte Position an. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht tätigt der Klub die Investition, wenn der Gegenwartswert der (unsicheren) Einzahlungen die Auszahlungen übersteigt. Wird im Vertrag eine sog. „Ablösesumme“ vereinbart, dürfte diese aus ökonomischer Sicht dem Grenzpreis des Klubs entsprechen. Dieser Betrag entspricht dem Entscheidungswert (Matschke 1975) des Verkäufers also seiner untere Konzessionsgrenze. Zu diesem Preis würde der Klub den Spieler auch vor Vertragsende und damit vor Amortisierung der Auszahlungen verkaufen, ohne einen ökonomischen Nachteil zu erleiden (Rapp 2013 am Beispiel Mario Götze). Ähnliche Überlegungen wird der potentielle Käufer vornehmen. Die Werte von Käufer und Verkäufer sind subjektiv und hängen von den individuellen Zielen und Alternativen ab. Insbesondere die heterogene Einschätzung des durch den Spieler erworbenen zukünftigen Nutzenpotentials sorgt für divergierende Wertvorstellungen.

Ist der Entscheidungswert des potentiellen Käufers größer als der Wert des verkaufenden Klubs, werden die Akteure in Verhandlungen eintreten und sich möglicherweise über einen Transferpreis einigen. Dieser kann beispielsweise durch Teilung des ökonomischen Vorteils in der Mitte des Intervalls festgelegt werden Bedingung (siehe Abbildung 1) – dies ist jedoch keine notwendige. Rationale Verhandlungspartner werden keinen Preis akzeptieren, der ihren Wert über- (kaufender Klub) respektive unterschreitet (verkaufender Klub). Unproblematisch ist die Konstellation daher regelmäßig, wenn ein Spieler eine Wechselabsicht während der Vertragslaufzeit bekundet und ein potentieller Käufer bereit ist, dem derzeitigen Lizenzinhaber mindestens dessen Entscheidungswert zu zahlen.

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Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass auch der potentielle Käufer wahrscheinlich investitionstheoretische Überlegungen anstellt. Gehen wir annahmegemäß von konstanten positiven Nutzenströmen aus, die er sich von dem Spieler erwartet, dürfen die Auszahlungen diese nicht übersteigen, damit sich der Transfer ökonomisch lohnt. Wenn wir weiter davon ausgehen, dass diese Auszahlungen auf den Transferpreis und die Gehaltszahlungen verteilt werden können, ist leicht erkennbar, dass auch der Spieler als zusätzlicher Akteur der Transaktion ein Interesse daran hat, dass die Transferentschädigung eher niedrig ausfällt, da er dann bei den Gehaltsverhandlungen einen größeren Spielraum hat.

Zudem ist es denkbar, dass ein Klub den Spieler per se nicht abgeben möchte, weil er den Wert des Spielers, so hoch einschätzt, dass er die vermutete Zahlungsbereitschaft der potentiellen Käufer deutlich übersteigt. Dann ist der Grenzpreis des verkaufenden Klubs höher als die Obergrenze des Käufers und es besteht kein Verhandlungsspielraum. Dabei ist zu bemerken, dass es aufgrund der subjektiven Zielsetzungen des Klubs, zu denen auch nichtfinanzielle Motive zählen können, keineswegs als „irrational“ angesehen werden muss, wenn ein Klub auf Vertragserfüllung besteht, obwohl die Restlaufzeit des Vertrags z.B. nur noch bei einem Jahr liegt.

Eine solche Gemengelage kann in eine Situation führen, die aus der Spieltheorie als Chicken Game (Feiglingsspiel) bekannt ist. Der Fußballprofi äußert eine Wechselabsicht, der bisherige Arbeitgeber besteht auf Vertragserfüllung.

Lewandowski versus FC Bayern München

Die Situation, in der sich der FC Bayern und Lewandowski aktuell befinden, kann als Chicken Game verstanden werde. Dieses einfache spieltheoretische Konzept stellt ein Simultanspiel dar und kann im Rahmen der Analyse von Verhandlungssituation ein hilfreiches Instrument sein, um die Aufmerksamkeit auf die Handlungsoptionen der Parteien zu richten. Am Beispiel des Fußballs wurde etwa der Vertragspoker zwischen Borussia Dortmund und Dembélé vor einigen Jahren entsprechend thematisiert (Stadtmann/Pierdzioch/Stadtmann 2017). Bekanntheit erlangte dieses Spiel nicht zuletzt durch den Film „…denn sie wissen nicht, was sie tun“, (im Englischen „Rebel without a cause“) mit James Dean aus dem Jahre 1955. In der Filmversion rasen zwei junge Autofahrer auf eine Klippe zu. Derjenige, der ausweicht, ist das Chicken (der Feigling). In einer Variation stehen sich zwei Autofahrer einander gegenüber und fahren mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Diese Variante ist vergleichbar mit der Situation „Bayern München vs. Lewandowski“. Beide Spieler können zwischen einer aggressiven Strategie („standhaft bleiben“) und einer defensiven Strategie („nachgeben“) wählen. Wir gehen davon aus, dass ein „Frontalzusammenstoß“ (Follert 2018) mit der höchsten Nutzeneinbuße einhergeht. Eine Kompromisslösung, in der sich die Parteien einigen (im besten Fall wird über die Einigungsbedingungen Stillschweigen vereinbart) führt dazu, dass keine Partei ihr Gesicht verliert. Diese Kombination ist Pareto-optimal, da keiner der Spieler besser gestellt werden kann, ohne die Position des anderen zu verschlechtern. Allerdings stellt diese Lösung kein Nash-Gleichgewicht dar. Ein Nash-Gleichgewicht ist dadurch charakterisiert, dass ein Akteur auch bei Kenntnis der Strategie des Kontrahenten keinen Anreiz hat, von seiner gewählten Strategie abzuweichen. Lediglich die beiden Lösungen, in denen ein Spieler standhaft bleibt und der andere nachgibt, sind Nash-Gleichgewichte in reinen Strategien – auf Gleichgewichte in gemischten oder korrelierten Strategien soll hier der Einfachheit halber nicht eingegangen werden (dazu etwa Holler/Illing/Napel 2019). Gegeben die aggressive Strategie des anderen Spielers, geben folglich beide Akteure nach.

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Welcher der Beteiligten am Ende nachgibt, um eine völlige Eskalation zu vermeiden, hängt entscheidend davon ab, wie glaubwürdig die Akteure ihre Drohungen vermitteln. Auf den ersten Blick erscheint das Drohpotential des Spielers als besonders mächtig. Lewandowski könnte etwa implizit oder explizit damit drohen, sein Anstrengungsniveau abzusenken, Missstimmung in der Mannschaft zu verbreiten oder dem Klub auf andere – nicht justiziable Weise – zu schaden. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass ein Spieler mit seinem Verhalten ein Signal an künftige Arbeitgeber sendet und auch seine Reputation in der Öffentlichkeit aufs Spiel setzt (Follert 2017). Zudem kann bei einem Spitzensportler von einer hohen intrinsischen Motivation ausgegangen werden, sodass fraglich ist, ob er die Drohung in die Tat umsetzen kann. Bei einem Spieler in Lewandowskis Alter können die Motive jedoch durchaus anders gewichtet sein.

Aus Sicht des Vereins könnte man prima facie davon ausgehen, dass es ökonomisch nachteilig sei, auf Vertragserfüllung zu bestehen, und einem ggf. unmotivierten Spieler, der andere Spieler beeinflusst und Unruhe im Klub verbreiten könnte weiterhin seine vollen Bezüge zu zahlen. Andererseits muss jedoch bedacht werden, dass ein „Nachgeben“ eine negative Signalwirkung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Klubs entfalten würde. Gerade ein Klub mit dem Selbstverständnis des FC Bayern Münchens könnte hierdurch als schwach wahrgenommen werden. Sicherlich gibt es auch Argumente, die ein Ausweichen des Klubs unterstützen, etwa, wenn es sich um einen besonders verdienten Spieler – wie im Fall Lewandowski – handelt. Zudem muss der Klub überlegen, ob der Grenznutzen der weiteren Vertragslaufzeit die Grenzkosten eine Reduzierung der geplanten Ablösesumme wirklich übersteigt.

Mit Blick auf das Phänomen der Vertragsuntreue im Profifußball scheint sich die Machtasymmetrie zunehmend zugunsten der Fußballspieler auszuwirken, sodass vermutet werden kann, dass der Klub am Ende nachgibt, um die sprichwörtliche Ruhe in das Team zu bringen. Dieser Ausgang ist aber natürlich nicht zwingend. Entscheidend wird sein, wie glaubwürdig der FC Bayern seine Drohung, in jedem Fall standhaft zu bleiben, kommuniziert. Der Klub könnte als glaubwürdige Drohung möglicherweise sein berühmtes „Festgeldkonto“ als Symbol für seine wirtschaftliche Stärke und die „Mia san mia“-Mentalität anführen und damit drohen, den Spieler bei vollen Bezügen von seiner Leistungsverpflichtung zu entbinden. Dies könnte ein wirksames Signal an die gesamte Branche und andere Klubs darstellen, dass Verträge auch für Fußballprofis einzuhalten sind.

Literatur

Baetge, J., Kirsch, H.-J., Thiele, S. (2021). Bilanzen, 16. Aufl., Düsseldorf: IDW.

Daumann, F., Follert, F., Werner, J.B. (2022). Der Parker des Transfermarkts: Zum Einfluss der Plattform Transfermarkt.de. Wirtschaftswissenschaftliches Studium 51(5), 37-39.

Follert, F. (2017), Vertragstreue im Profifußball – eine entscheidungs- und spieltheoretische Betrachtung. Wirtschaftswissenschaftliches Studium 46(10), 29–35.

Follert, F. (2018), „Jamaika“-Sondierungsgespräche und Spieltheorie. Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 47(7-8), 48-50.

Holler, M.J., Illing, G., Napel, S. (2019). Einführung in die Spieltheorie, 8. Aufl., Berlin: Springer.

Leifheit, N. & Follert, F., Financial Player Valuation from the Perspective of the Club: The Case of Football. Managing Sport and Leisure doi: 10.1080/23750472.2021.1944821.

Matschke, M.J. (1975). Der Entscheidungswert der Unternehmung. Wiesbaden: Gabler.

Rapp, D. (2013). Profifußball – Der Fall Götze. Das Wirtschaftsstudium 42(12), 1528-1529.

Rapp, D. (2014). Die Fälle Lewandowski und Götze – Eine bewertungstheoretische Nachlese aktueller Transferentscheidungen im Profifußball – Ergänzende Anmerkungen zum Beitrag von Cannivé/Reers, CFL 2013, S. 182-191. Corporate Finance 5(2), 61-64.

Stadtmann, G., Pierdzioch, C., Stadtmann, T. (2017), Borussia Dortmund, Dembélé und ein Chicken Game. Das Wirtschaftsstudium 46(10), 1116–1117

[*] Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den der Autor am 23. Juni 2022 auf Einladung des Rotary Clubs München-Bavaria hielt.

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