Jeder Förster weiß: Mischwälder sind robuster als Monokulturen. Im übertragenen Sinne gilt dies auch für Volkswirtschaften. Die allzu einseitige Spezialisierung auf einzelne Industriezweige macht anfällig für globale Marktschwankungen und das schubartige Auftreten neuer Konkurrenten. Ist die deutsche Wirtschaft dabei, ihre traditionell breitgefächerte Produktpalette aufzugeben und sich in eine Monokultur zu verwandeln, die durch wenige dominante Industriezweige wie den Automobilbau geprägt ist? Ein Blick in die Beschäftigtenstatistik kann helfen, erste Antworten auf diese Frage zu finden.
Trotz der aktuellen Aufhellung am Arbeitsmarkt kennt die längerfristige Entwicklung der Beschäftigung in der deutschen Industrie nur einen Trend: sie schrumpft und schrumpft und schrumpft. Ab 1990 wurde dieser Trend noch verschärft durch den Zusammenbruch weiter Teile der ostdeutschen Industrie. Doch auch danach ging die Zahl der Arbeitsplätze im Produzierenden Gewerbe kontinuierlich weiter zurück, und zwar von 1991 bis heute um fast fünf Millionen auf nunmehr nur noch 10 Millionen. Der Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung sank damit von 34 Prozent auf 25 Prozent. Ein entsprechender Trend ist für Westdeutschland schon seit Mitte der siebziger Jahre zu beobachten und wird sich aller Voraussicht nach auch künftig fortsetzen.
Allerdings sind die verschiedenen Industriebranchen in höchst unterschiedlichen Maßen davon betroffen. Manche von ihnen – so der Bergbau, das Bekleidungsgewerbe und die Lederverarbeitung – traf es besonders hart. Sie haben die Zahl ihrer Arbeitsplätze derart stark abgebaut, dass von ihnen für die Zukunft kaum noch eine wichtige Rolle am Standort Deutschland erwartet werden kann. Andere dagegen haben ihre inländische Beschäftigung im wesentlichen gehalten oder sogar noch ausgebaut, darunter die Nahrungsmittelindustrie, die Kunststoffverarbeitung sowie insbesondere der Fahrzeugbau.
Im Ergebnis wird die deutsche Industrie damit immer stärker von wenigen großen Branchen dominiert, allen voran dem Fahrzeugbau, auf den mittlerweile rund zehn Prozent aller industrieller Arbeitsplätze in Deutschland entfallen. Weitere Schwergewichte sind die Nahrungsmittelindustrie und der Maschinenbau, auf die ebenfalls jeweils rund zehn Prozent aller industriellen Arbeitsplätze entfallen, sowie die Chemische Industrie und die Kunststoffverarbeitung, die zusammen noch einmal fast zehn Prozent ausmachen.
Die Dramatik dieser Entwicklung wird allerdings stark relativiert, wenn man sie nicht im industriellen, sondern im gesamtwirtschaftlichen Kontext betrachtet. Denn dem Verlust industrieller Arbeitsplätze seit 1991 steht ein Zugewinn von mehr als fünf Millionen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor gegenüber. Und die fünf oben genannten Branchen, die etwa vierzig Prozent aller industriellen Arbeitsplätze auf sich vereinen, haben an der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung einen Anteil von gerade einmal zehn Prozent. Allein die unternehmensbezogenen Dienstleistungen, deren Beschäftigung seit 1991 um stolze siebzig Prozent gewachsen ist, stellen heute schon 2,7 Millionen Arbeitsplätze bereit – das sind mehr als in der Chemischen Industrie, dem Fahrzeugbau und dem Maschinenbau zusammengenommen. Insofern wird die abnehmende industrielle Vielfalt durch die Dynamik relativ junger Dienstleistungsbranchen zumindest kompensiert. Und für die deutsche Wirtschaft insgesamt nimmt die Abhängigkeit vom Wohl und Wehe einzelner Branchen im Zeitablauf nicht etwa zu, sondern sie verlagert sich von den traditionellen Industriebranchen auf die neuen Dienstleistungsbranchen.
Wichtiger noch als dieser Strukturwandel von der Industrie zu den Dienstleistungen ist der Strukturwandel innerhalb der Industrie, der durch das Vordringen wissensintensiver Produktionen geprägt ist. Gerade jene Industriezweige, die ihre Beschäftigung halten konnten, haben dies erreicht, indem sie sich in globale Produktionsnetzwerke integriert haben. Dabei wurden jene Komponenten ins Ausland ausgelagert, die dem Kostendruck des globalen Wettbewerbs am Standort Deutschland nicht gewachsen waren. Dies hat nicht nur die im Inland verbleibenden industriellen Arbeitsplätze sicherer gemacht, sondern auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten bei den wissensintensiven Komponenten globaler, exportorientierter Wertschöpfungsketten eröffnet.
Natürlich hat Deutschland gravierende Wirtschaftsprobleme, die sich mit den Stichworten Wachstumsschwäche und strukturelle Arbeitslosigkeit kennzeichnen lassen. Sie haben ihre Ursache jedoch nicht im Strukturwandel, wie er sich in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen hat und immer noch vollzieht. Im Gegenteil: Ohne die Flexibilität im Strukturwandel, mit der die deutschen Unternehmen auf die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs reagiert haben, wären die gesamtwirtschaftliche Wachstumsschwäche und der Anstieg der Arbeitslosigkeit vermutlich noch drastischer ausgefallen.
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Sehr geehrter Herr Klodt,
dieser Beitrag überrascht mich. Hiess es doch bislang (gerade bei Neoliberalen): Konkurrenz der Nationen und Konzentration auf die eigenen Stärken. Meistens wurde dann (durchaus falsch) Ricardo zitiert, dass es für alle von Vorteil sei, wenn sich Portugal auf Wein und England auf Tuch konzentrieren würde. Dass nun offensichtlich auch hier erkannt wird, dass die Freihandelsdoktrin falsch und für Deutschland von Nachteil ist, finde ich bemerkenswert.
Daher ein Lob von mir dieses Mal für diesen Beitrag. Bleibt nur zu bemerken, die Konzentration auf wenige (beschäftigungs-)starke Branchen in Deutschland ergibt sich ja aufgrund des freien Marktes. Will man dies nicht mehr, muss der Staat eingreifen. Welche Staatseingriffe würden Sie daher befürworten?
Auch muss beachtet werden, dass einige Branchen in den letzten Jahren zwar relativ beschäftigungsschwach geworden, aber dennoch produktionsstark geblieben sind (siehe Leistungsbilanzüberschuss). Welche beschäftigungspolitischen Staatseingriffe fordern Sie?
Freundliche Grüsse
Christian Holzer