GastbeitragMehr kommunale Finanzautonomie wagen

Die Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden werden hauptsächlich durch ihre Steuereinnahmen und den kommunalen Finanzausgleich bestimmt. Der Finanzausgleich steht dabei in einem Spannungsverhältnis zur Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der Gemeinden. Dieser Beitrag plädiert für eine stärkere Gewichtung der kommunalen Finanzautonomie.

Aus liberaler Sicht ist der demokratische Staat eine Institution zur besseren Erfüllung der Bedürfnisse seiner Bürger. Föderale Staaten verteilen die öffentlichen Aufgaben auf verschiedene Ebenen. Die Vorteile dezentraler Entscheidungen zeigen sich insbesondere auf der kommunalen Ebene.

Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Gemeinden verkleinert den Abstand zwischen Bürgern und Politikern. Das erhöht die Chancen auf eine Durchsetzung des Bürgerwillens. Förderlich hierfür ist, dass die Bürger durch Abwahl und gegebenenfalls auch durch Abwanderung signalisieren können, dass sie mit dem Preis-Leistungsverhältnis ihrer Gemeinde nicht einverstanden sind.

Regional differenzierte Lösungen liefern außerdem nützliche Informationen über Kosten und Nutzen kommunaler Leistungen. Der interkommunale Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren, das die Effizienz öffentlicher Institutionen verbessern kann.

Konnexitäts- und Äquivalenzprinzip

Die Vorzüge lokaler Regierungen mit weitgehender Finanzautonomie gelten allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Die erste Bedingung für gute Entscheidungen ist das Konnexitätsprinzip. Entscheidungs- und Kostenträger der Staatsleistungen sollen danach übereinstimmen: Wer bestellt, bezahlt. Nur dann werden die Entscheidungsträger alle Kosten und Nutzen berücksichtigen und können keine Leistungen zu Lasten Dritter beschließen. Kommunalpolitiker fordern zu recht, dass das Land die Kosten übernehmen muss, wenn seine Entscheidungen zu einer Belastung der Gemeinden führen. Umgekehrt gilt aber auch, dass die Gemeinden die finanziellen Folgen ihrer Entscheidungen aus eigenen Mitteln tragen müssen.

Die zweite Bedingung für gute Entscheidungen ist die fiskalische Äquivalenz. Die Gruppen der Nutznießer und Kostenträger der Staatsleistungen sollen identisch sein. Dieses Kriterium ist erfüllt, wenn die Kosten der kommunalen Leistungen von den ortsansässigen Bürgern und Unternehmen finanziert werden. Fiskalische Äquivalenz setzt Anreize, zwischen den positiven Leistungseffekten der kommunalen Ausgaben und den negativen Belastungseffekten der Besteuerung abzuwägen. Dagegen verbilligen insbesondere zweckgebundene Zuschüsse die Leistungen aus der Sicht der Gemeinde und führen zu einer überhöhten Nachfrage.

Konnexitäts- und Äquivalenzprinzip stehen in einem Spannungsverhältnis zum Finanzausgleich. Finanzausgleich bedeutet immer, dass die Kosten auch von unbeteiligten Dritten getragen werden, die weder an den Entscheidungen mitwirken noch von den Leistungen profitieren.

Kommunale Steuereinnahmen

Die Steuerverteilung ist im Grundgesetz geregelt (Abbildung 1). Den Gemeinden stehen Anteile an den Gemeinschaftsteuern (Einkommensteuer, Umsatzsteuer) sowie das Aufkommen der Realsteuern (Grundsteuer, Gewerbesteuer) zu.

15 Prozent der Einkommensteuer im Landesgebiet gehen an die Gemeinden. Darüber hinaus werden ca. 3,7 Prozent der Umsatzsteuer nach wirtschaftsbezogenen Schlüsselgrößen verteilt. Umgekehrt müssen die Gemeinden vom Gewerbesteueraufkommen eine Gewerbesteuerumlage an den Bund (Vervielfältiger 14,5%) und die Länder (Vervielfältiger 20,5%) abführen. In Hessen zahlen sie zudem eine sogenannte Heimatumlage an das Land (Vervielfältiger 20,5%).

Die heutigen Gemeindesteuern können unter dem Gesichtspunkt der fiskalischen Äquivalenz nur begrenzt überzeugen.

  • Die Einkommensteuerbeteiligung hat keinen spürbaren Bezug zu den einwohnerbezogenen Leistungen der Gemeinden. Eine kommunale Einkommensteuer mit Hebesatzrecht wäre hierfür prinzipiell besser geeignet.
  • Auch die Gewerbesteuer hat nur einen groben Bezug zu den unternehmensbezogenen Leistungen. Sie erfasst nur die Gewerbebetriebe und ist eine wesentliche Ursache fiskalischer Ungleichheit. Eine Alternative wäre die kommunale Wertschöpfungsteuer mit Hebesatzrecht für alle Unternehmen.
  • Die Grundsteuer hat keinen ersichtlichen Bezug zu kommunalen Leistungen. Soweit spezifische Leistungen vorliegen, werden sie in der Regel über Gebühren und Beiträge finanziert.

Das kommunale Steuersystem führt weder zu einer global ausreichenden noch zu einer einigermaßen gleichmäßigen Finanzaustattung der Gemeinden. Beides muss durch den kommunalen Finanzausgleich korrigiert werden.

Vertikaler Finanzausgleich

Relativ zu ihren Ausgaben verfügen die Länder über höhere und die Gemeinden über geringere originäre Steuereinnahmen. Um die Finanzlücke der kommunalen Ebene zu schließen, ist ein vertikaler Finanzausgleich zwischen Land und Gemeinden erforderlich. Hierbei liefert das Prinzip der Verteilungssymmetrie im Sinne ungefähr gleicher Deckungsquoten eine Orientierungshilfe.

Die beträchtlichen Steuerkraftunterschiede verlangen zudem einen horizontalen Ausgleich zwischen relativ armen und reichen Gemeinden. Der kommunale Finanzausgleich verknüpft das horizontale mit dem vertikalen Ausgleichsziel und wird daher als vertikaler Ausgleich mit horizontalem Effekt bezeichnet. Insgesamt erhöhen die Zuweisungen des Landes die Finanzkraft der kommunalen Ebene und bewirken eine gleichmäßigere Verteilung unter den Gemeinden.

Der vertikale Zusammenhang zwischen Steuern und Finanzausgleich wird am Beispiel Hessen für das Jahr 2021 illustriert (Abbildung 2).

Das Land verliert ca. 3,5 Mrd. Euro Steuereinnahmen durch den Länderfinanzausgleich. Die Gemeinden verlieren durch Gewerbesteuer- und Heimatumlage ca. 835 Mio. Euro an das Land. Der kommunale Finanzausgleich transferiert Landeseinnahmen im Umfang von 6,1 Mrd. Euro an die Gemeinden und erhöht damit deren originäre Nettosteuern um über 50 Prozent.

Die Finanzausgleichsmasse umfasst Schlüsselzuweisungen und Zweckzuweisungen. Die Schlüsselmasse wird zunächst auf kreisfreie Städte, Landkreise und kreisangehörige Gemeinden verteilt (Abbildung 3).

Die Dotierung der Gruppen muss im Prinzip so erfolgen, dass die interkommunale Verteilungssymmetrie zwischen kreisfreien Städten auf der einen Seite und Landkreisen inklusive ihrer Gemeinden auf der anderen Seite gewahrt wird. Die Mindestausstattung soll jeweils gewährleisten, dass die Gemeinden ihre Pflichtaufgaben sowie ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen können.

Die Struktur der Ausgleichszahlungen zeigt, dass nur 64 Prozent der Mittel auf die Schlüsselzuweisungen entfallen (Abbildung 4). Diese Komponente ist jedoch entscheidend für den horizontalen Finanzausgleich zwischen armen und reichen Gemeinden.

Da die Schlüsselzuweisungen frei verwendbar sind, beeinträchtigen sie die Finanzautonomie der Gemeinden nicht. Im Gegensatz dazu werden die Gemeinden durch zweckgebundene Zuweisungen am goldenen Zügel des Landes geführt und treffen daher nicht die aus ihrer Sicht besten Entscheidungen.

Horizontaler Finanzausgleich

Der horizontale Finanzausgleich mittels der Schlüsselzuweisungen richtet sich nach dem Verhältnis zwischen Steuerkraft- und Ausgleichsmesszahl. Er lässt sich am Beispiel der kreisangehörigen Stadt Bad Nauheim illustrieren (Abbildung 5).

Die Steuerkraftmesszahl ergibt sich aus den tatsächlichen Einnahmen aus Einkommensteuer und Umsatzsteuer sowie den normierten Einnahmen aus Gewerbesteuer und Grundsteuer. In der Summe sind das für Bad Nauheim 45,3 Mio. Euro. Die Normierung erfolgt durch landeseinheitliche Nivellierungshebesätze. Sie sorgt dafür, dass die autonome Hebesatzpolitik der Gemeinden den Finanzausgleich nicht beeinflussen kann.

Die Ausgleichsmesszahl basiert auf der Einwohnerzahl, die den Hauptansatz bestimmt. Die Einwohnerzahl wird nach Gemeindegröße und Funktion gestaffelt. Bad Nauheim erhält dabei als kreisangehörige Gemeinde mit zentralörtlicher Funktion ein Gewicht von 130 Prozent. Aus 32.777 werden so 42.610 Einwohner. Der Hauptansatz wird u.U. durch Ergänzungsansätze aufgestockt. Diese Größen zusammen bilden den Gesamtansatz. Da Bad Nauheim keinen Ergänzungsansatz erhält, stimmt der Gesamtansatz mit dem Hauptansatz überein.

Der Gesamtansatz in Höhe von von 42.610 wird nun mit dem für alle Gemeinden gleichen Grundbetrag von 1.677 Euro multipliziert. So gelangt man zur Ausgleichsmesszahl von 71,5 Mio. Euro. Die Differenz zwischen Ausgleichsmesszahl und Steuerkraftmesszahl beträgt 26,2 Mio. Euro. Sie wird durch die Schlüsselzuweisungen B zu 65 Prozent bzw. 17 Mio. Euro kompensiert.

Abbildung 6 zeigt den gesamten Ausgleichstarif. Neben den Schlüsselzuweisungen B werden in Hessen Schlüsselzuweisungen A für besonders finanzschwache Gemeinden gezahlt. Darüber hinaus existiert eine Finanzausgleichsumlage für abundante Gemeinden.

Eine positive Differenz zwischen Ausgleichs- und Steuerkraftmesszahl wird durch Schlüsselzuweisungen A und B teilweise kompensiert, eine negative Differenz wird durch die Finanzausgleichs- bzw. Solidaritätsumlage teilweise abgeschöpft. Bad Nauheim liegt im mittleren Tarifbereich. Die Stadt ist weder besonders arm noch besonders reich. Sie erhält daher weder Schlüsselzuweisungen A noch muss sie Solidaritätsumlage zahlen.

Was bleibt von der Gewerbesteuer?

Der Finanzausgleich verkleinert die Unterschiede zwischen finanzschwachen und finanzstarken Gemeinden. Er ist zugleich eine Versicherung gegen schwankende Einnahmen. Diese nützliche Funktion hat aber eine Schattenseite: Die Anreize der Gemeinden zur Pflege der eigenen Steuerquellen werden reduziert. Am Beispiel der Gewerbesteuer lässt sich das Problem aufzeigen (Abbildung 7).

Wieviel behält Bad Nauheim von 100 Euro Gewerbesteuereinnahmen? Bad Nauheim verwendet einen Hebesatz von 380 Prozent. Im Finanzausgleich wird die Gewerbesteuer aber nur zum Nivellierungssatz von 357 Prozent angesetzt. Davon absorbieren Gewerbesteuer- und Heimatumlage 55,5 Prozentpunkte. Bezogen auf den tatsächlichen Gewerbesteuersatz sind das 14,61 Prozent.

An den Bund gehen 3,82 von 100 Euro Gewerbesteuereinnahmen. Sehr viel mehr, nämlich 10,78 Euro verliert die Gemeinde an das Land. Das ist infolge der Heimatumlage doppelt so viel wie in anderen Bundesländern. Weitere 51,57 Euro gehen im Finanzausgleich durch rückläufige Schlüsselzuweisungen verloren. Als kreisangehörige Stadt muss Bad Nauheim zudem Kreis- und Schulumlage in Höhe von 12,09 Euro abführen.

Per Saldo verbleiben nur 21,74 Euro im Gemeindehaushalt. 78,26 Euro gehen durch diverse Umlagen und geringere Schlüsselzuweisungen verloren. Eine Gemeinde sollte vor diesem Hintergrund sehr genau prüfen, ob es sich finanziell noch lohnt, die Gewerbeansiedlung aus eigenen Mitteln zu fördern.

Für finanzschwache Gemeinden, die Schlüsselzuweisungen A beziehen, sieht die Rechnung noch schlechter aus. Sie verlieren bei steigender Gewerbesteuerkraft mehr Schlüsselzuweisungen. Unter sonst gleichen Bedingungen verbleiben ihnen von 100 Euro Gewerbesteuereinnahmen nur noch 11,54 Euro. Da kann man schon von einer Armutsfalle sprechen, in der sich eigene Anstrengungen zur Verbesserung der Steuerkraft nicht mehr auszahlen.

Umverteilung durch die Heimatumlage

Obwohl die Mittel an die Kommunen zurückfließen, bedeutet die Heimatumlage für die Gemeinden in Hessen einen weiteren Autonomieverlust. Abbildung 8 illustriert den Umverteilungseffekt.

Die Heimatumlage erhöht die Finanzausgleichsmasse. Zwei Drittel des Aufkommens werden zur Projektförderung eingesetzt, z.B. für Kinderbetreuung, ÖPNV, Digitalisierung. Ein Drittel fließt in die Schlüsselmasse und kommt den relativ finanzschwachen Gemeinden zugute. Hessen entzieht also den Gemeinden Einnahmen aus der Gewerbesteuer, um sie dann scheinbar großzügig nach eigenem Ermessen umzuverteilen.

Bei der Projektförderung ist der Autonomieverlust offensichtlich. Nicht die Gemeinden, sondern das Land entscheidet darüber, welche Zwecke gefördert werden. Zudem ist die Entlastung relativ armer Gemeinden falsch gestaltet. Eine Sonderumlage für gewerbesteuerstarke Gemeinden macht keinen Sinn, da bereits eine allgemeine Finanzausgleichsumlage für steuerstarke Gemeinden existiert, die bei Bedarf stärker angespannt werden kann.

Im Ergebnis macht die Heimatumlage den Finanzausgleich unnötig kompliziert, vermindert die kommunale Finanzautonomie und erzeugt keine systematischen Ausgleichseffekte zwischen den Gemeinden.

Mehr Finanzautonomie wagen

Das heutige kommunale Finanzsystem gewichtet die Finanzautonomie zu gering und überfrachtet den Finanzausgleich mit unnötigen Elementen. Aus liberaler Sicht müsste das Reformziel lauten: Mehr Finanzautonomie wagen!

Eine große Finanzreform müsste eigentlich bei den tragenden Gemeindesteuern ansetzen. Zu denken ist dabei an ein Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer und einen Ersatz der Gewerbesteuer durch eine kommunale Wertschöpfungsteuer. Die Realisierungschancen stehen in beiden Fällen allerdings schlecht.

Eine kleine Finanzreform könnte zunächst den vertikalen Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden stark vereinfachen. Dazu müsste die Gewerbesteuerumlage und im Gegenzug die Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden abgeschafft werden. Die Entzerrung des Steuerverbundes würde die eigenen Steuereinnahmen zulasten der Gemeinschaftsteueranteile vergrößern und damit die kommunale Finanzautonomie stärken. Verschiebungen zwischen den Ebenen ließen sich im Länder- und Gemeindefinanzausgleich korrigieren.

Die Entzerrung des Steuerverbundes sollte auf der Landesebene durch eine Verschlankung des kommunalen Finanzausgleichs ergänzt werden – nach dem Motto: weg mit der Heimatumlage, weniger Zweckzuweisungen, mehr Schlüsselzuweisungen. Der lenkende Einfluss des Landes würde damit geschwächt, die kommunale Selbstverwaltung und Selbstverantwortung dagegen gestärkt. Zudem ergäbe sich eine systematische, der Systemlogik folgende Annäherung der Finanzkraftpositionen der Gemeinden.

Mehr Finanzautonomie und weniger Finanzausgleich ist also kein Zielkonflikt. Die genannten Maßnahmen erhöhen die Finanzautonomie der Gemeinden, ohne die zentralen Ziele des kommunalen Finanzausgleichs zu gefährden. Die Verschlankung des Systems würde seine Zielkonformität sogar verbessern. Ein echter Konflikt besteht nur zwischen freiheitlicher Kommunalpolitik und dirigistischer Landespolitik.

Literatur

HMDF (2022), Gemeindefinanzbericht 2022.
HMDF (2022), Starke Heimat Hessen.
Scherf (2016), Der Ausgleichstarif im hessischen KFA.
Scherf (2019), Heimatumlage statt Gewerbesteuerumlage.

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