Seit weltweit führende Staaten wie China und die USA enorm hohe Summen in ihre Wirtschaft pumpen, ist die Industriepolitik wieder en vogue. Die amerikanische Regierung will mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) mit Hilfe von Steuergutschriften die Reindustrialisierung des eigenen Landes ermöglichen sowie die Resilienz und Unabhängigkeit von Produktion und Lieferketten sichern.
Auch hierzulande kommt die Industriepolitik in den unterschiedlichsten Gewändern daher: angefangen bei Milliarden-Subventionen für Chiphersteller über einen subventionierten Industriestrompreis bis hin zur Klimapolitik. Der frühere Minister Matthias Machnig und Ökonom Oliver Holtemöller sind unterschiedlicher Meinung, wie stark der Staat in die Wirtschaft eingreifen sollte.
Pro von Matthias Machnig
Ausgangslage
Wir betreiben seit langem Industriepolitik. Die Frage ist nur, ob dies die richtige Politik war, um die Probleme zu adressieren und um die Ziele von nachhaltiger Transformation sowie mehr Resilienz für die Wirtschaft zu erreichen.
Empirie
China hat mit seinen neuen Strategien klare industriepolitische Leitvorstellungen entwickelt. Der IRA zeigt, dass die Investitionsdynamik wächst und es zunehmend eine Verlagerung aus Deutschland in die USA gibt, während das hiesige Investitionsniveau schwächelt und nicht mal ausreicht, um den überalterten Kapitalstock zu erneuern – geschweige denn, die nötigen Investitionen für die Transformation anzuschieben.
Kernargument
Für Deutschland ist die Industrie ein Kernsektor für Wohlstand, Beschäftigung und die Sicherung regionaler Wertschöpfungsketten. Wer Resilienz will, muss zudem Abhängigkeiten in strategischen Sektoren reduzieren. Das gilt für die Chip-Produktion genauso wie für Batterien und die Batteriezell-Produktion für die E-Mobilität.
Handlungsempfehlungen
Die Transformation kann nur durch ein intelligentes Zusammenspiel von öffentlichen und privaten Investitionen sowie wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen gelingen. Dazu ist erforderlich, einen europäischen Transformationsfonds einzurichten, die Beihilferegelungen anzupassen, Super-Abschreibungen für bestimmte Investitionen und einen befristeten Industriestrompreis einzuführen. Auch eine echte Entbürokratisierungs- und Beschleunigungsstrategie ist notwendig.
Contra von Oliver Holtemöller
Ausgangslage
Die deutsche Wirtschaft schwächelt, insbesondere die energieintensiven Industrien. Die Frage ist, ob Industriepolitik, also Maßnahmen, die auf die staatliche Förderung einzelner Industriezweige und die Steuerung der Wirtschaftsstruktur abzielen, die Aussichten verbessern.
Empirie
Die Empirie deutet darauf hin, dass die Subventionierung einzelner Unternehmen oder Wirtschaftsbereiche keine großen positiven Effekte auf Wohlstand und Beschäftigung hat. Aussichtsreicher ist eine Wirtschaftspolitik, die sich an den Ursachen von Marktversagen orientiert, also etwa Bildungs- und Innovationsförderung aufgrund positiver externer Effekte.
Kernargument
Ein Problem ist, dass bestimmte Arten von Industriepolitik theoretisch zwar positive Effekte haben können, in der Praxis aber eher Partikularinteressen die politischen Entscheidungen treiben. Große und politisch gut vernetzte Unternehmen haben einen stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen als kleine oder etwaige neue Unternehmen, die allerdings häufig innovativer sind.
Handlungsempfehlungen
Die Politik sollte besser Standort- statt Industriepolitik betreiben. Die größten Hürden liegen in der Bürokratie, Defiziten bei der Digitalisierung, Engpässen bei der treibhausgasneutralen Energieversorgung und der demografisch bedingt schrumpfenden Erwerbsbevölkerung. Diese Probleme sind gesamtwirtschaftlich anzugehen.
Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg.
Hinweis: Das Pro & Contra erscheint in Heft 10 (2023) der Fachzeitschrift WiSt.
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