Gastbeitrag
Wundermittel 7%?
Die Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer für die Gastronomie ist richtig

Die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Restaurant-Dienstleistungen wird nach jetzigem Rechtsstand zum Jahresende auslaufen und dabei sollte es bleiben.

Glaubt man der Petition des Branchenverbandes DEHOGA (DEHOGA, 2023), dann steht der Gastronomie mit der Rückkehr zur normalen Mehrwertsteuer ein Schock bevor, der Gastronomen, Konsumenten und Personal allesamt massiv in Mitleidenschaft ziehen wird. Nicht nur müssten viele Restaurants aufgeben, weil sie Stromrechnungen und Lebensmittel nicht mehr finanzieren können. Auch wäre die Bereitstellung besonders gesunder und nachhaltiger Speisen gefährdet. Noch dazu könnten sich ärmere Haushalte den Gang ins Restaurant nicht mehr leisten, weil mit der Rückkehr zur normalen Besteuerung die Preise nach oben schießen würden. Das „Kulturgut“ Restaurant und Kneipe samt gastronomischer Vielfalt wären gefährdet. Obendrein wäre auch eine angemessen Bezahlung des Personals nicht länger möglich, weil erst – so die Logik der DEHOGA-Argumentation – die niedrige Mehrwertsteuer den Spielraum für faire Löhne eröffne.

Der halbwegs ökonomisch gebildete Leser fragt sich erstaunt, was für ein Finanzierungs-Wundermittel die Ermäßigung der Mehrwertsteuer sein soll. Denn der 12-Prozent-Steuersatzvorteil (derzeit 7% gegenüber dem Normalsatz von 19%) müsste gleichzeitig alles finanzieren von fairen Löhnen über bessere und nachhaltigere Qualität, höhere Einkaufspreise für Energie und Lebensmittel und obendrauf auch noch Preisnachlässen für die Kundschaft. Und schon an dieser Stelle wird deutlich, dass der langen Liste der DEHOGA-Argumente in der Zusammenschau die innere Logik fehlt. Denn entweder wird der Mehrwertsteuervorteil in erster Linie genutzt, um das Personal besser zu bezahlen. Dann bleibt aber eben kaum mehr etwas für die Marge der Restaurants, eine bessere Qualität oder günstigere Preise für die Kunden übrig. Oder aber die Restaurants geben den Mehrwertsteuervorteil weitgehend an die Kunden weiter, dann besteht aber kein nennenswerter Zusatzspielraum für eine bessere Bezahlung der Arbeitskräfte und die anderen angeblichen Vorteile des Steuervorteils. Es könnte natürlich sein, dass sich alle Beteiligten – Gastronomen, Kunden, Arbeitskräfte und Lieferanten – den Vorteil teilen und noch dazu die Qualität angehoben und mehr auf Nachhaltigkeit geachtet wird. Der Mehrwertsteuervorteil, der dann noch auf jede dieser Verwendungen entfiele, wäre aber derart minimal, dass für jeden der genannten Einzelaspekte kaum mit spürbaren Folgen zu rechnen wäre.

Aber nicht nur die Gesamtschau der Argumente zeigt, dass die 7-Prozent-Kampagne der Branche gedanklich auf dünnem Eis steht. Auch die genauere Betrachtung jedes einzelnen Gesichtspunkts wirft erhebliche Fragen auf.

  • Krisenfolgen und Strukturwandel: Diese Ausnahme war 2020 als vorübergehende steuerpolitische Hilfe für die Gastronomie in der Pandemie beschlossen worden. Mit dem Ende der Pandemie ist die ursprüngliche krisenbezogene Begründung für die Sieben-Prozent-Besteuerung von Speisen in Restaurants weggefallen. Auch im Krisenkontext war die Maßnahme nicht unumstritten. Die Erholung der Branche verläuft differenziert, besonders in den Metropolen liegen die realen Umsätze bereit wieder über dem Vorkrisenniveau (Krause et al., 2023), aber es gibt auch Verlierer. Das ist aber letztlich nichts anderes als normaler Strukturwandel. Es ist keine sinnvolle Politik, einer Branche dauerhafte Subventionen zu zahlen, weil sie mit einem sich wandelnden Marktumfeld konfrontiert ist.
  • Inflationsfolgen: Die Erwartung, dass es bei plangemäßer Beendigung der temporären Steuersubvention zu einem Preissprung der Restaurantpreise in vollem Umfang der Steuersatzdifferenz käme, ist nicht plausibel. Mit dieser Perspektive widerspricht sich die DEHOGA sogar selber. Denn letztlich besagt die oben diskutierte Liste der möglichen Folgen, dass die Preise längst nicht das einzige Anpassungsinstrument sind. Auch darf nicht übersehen werden, dass die Branche trotz Mehrwertsteuersenkung bereits erhebliche Preissteigerungen durchgesetzt hat. Unabhängig davon ist der Versuch, Inflation durch schuldenfinanzierte Preissubventionen bekämpfen zu wollen, nicht aussichtsreich. Das Festhalten an kostspieligen Krisenhilfen trotz Ende der Pandemie ist aus makroökonomischer Perspektive kontraproduktiv und erschwert die Aufgabe der Europäischen Zentralbank, dauerhaft zur Preisstabilität zurückzukehren.
  • Arbeitskräftemangel und faire Löhne: Der Mangel an Arbeitskräften kann die steuerliche Sonderbehandlung einer Branche nicht rechtfertigen. Die deutsche Wirtschaft ist in der Breite, in allen Sektoren und den meisten Qualifikationsstufen mit einem wachsenden Arbeitskräftemangel konfrontiert. Die Subventionierung ausgewählter Branchen würde die Probleme nur zwischen den Sektoren verschieben uns ist daher kein sinnvoller Lösungsweg. Noch dazu würden die Steuerausfälle bei der Mehrwertsteuer den Druck auf eine Erhöhung anderer Steuern wie der Einkommensteuer erhöhen und durch die dann weiter sinkenden Leistungsanreize den Arbeitskräftemangel weiter verschärfen.
  • Bezahlbare Preise für ärmere Haushalte: Die durchschnittlichen Haushaltsausgaben für Restaurations- und Verpflegungsleistungen steigen mit dem Haushaltseinkommen. Kinderlose Haushalte fragen im Verhältnis mehr von diesen Dienstleistungen nach als Haushalte mit Kindern. Die Steuerermäßigung für Restaurants ist somit regressiv: Sie begünstigt relativ reiche und kinderlose Haushalte. Die Steuerermäßigung für die Gastronomie ist daher kein taugliches Verteilungsinstrument. Will man ärmeren Haushalten und Familien helfen, sind die Mittel der Wahl gezielte Transfers wie das Kindergeld, nicht aber regressiv wirkende Subventionen, die nur zu einem sehr geringen Teil die eigentliche Zielgruppe erreichen.
  • Kulturgut Restaurants und ländlicher Raum: Die Sichtweise, dass die Steuersubvention geeignet sein könnte,  nicht mehr nachgefragte Restaurants in Innenstädten oder in Dörfern zu bewahren, überzeugt nicht. Steuersubventionen müssen mit substanziellen inhaltlichen Argumenten begründet werden und es ist zwecklos, Unternehmen ohne lebensfähiges Geschäftsmodell mit solchen Instrumenten noch kurzzeitig über Wasser zu halten.
  • Nachhaltigkeit: Mit der Steuerermäßigung für Restaurants sind keinerlei Auflagen zur Ökologie oder zur Gesundheit der Speisen verbunden. Das argentinische Steakhaus wird nicht weniger begünstigt als ein veganes Restaurant, das nur lokale Lebensmittel verarbeitet. Insofern muss die mehrwertbezogene Steuersubvention bereits im Ansatz als ungeeignet angesehen werden, Nachhaltigkeitsziele auf effektive und effiziente Art und Weise anzusteuern.

Die Branche verweist außerdem noch auf Ungleichbehandlungen, die aus ihrer Sicht die Entfristung der 7-Prozent für die Gastronomie rechtfertigen: In der EU besteuert die Mehrzahl der Mitgliedstaaten die Restaurants zum ermäßigten Satz, das würde zu Wettbewerbsproblemen führen. Und im Inland gäbe es eine nicht akzeptable Ungleichbehandlung mit direkt gekauften Lebensmitteln und den Lieferdiensten, die nur die ermäßigte Steuer zahlen. Letztlich verändern aber auch diese beiden Gesichtspunkte nicht die Gesamtbeurteilung.

  • Internationaler Wettbewerb: Es stimmt, dass andere EU-Staaten für Restaurants oft einen niedrigen Satz anwenden. Ein Grund dafür dürfte in einigen Ländern mit ausgeprägter Schattenwirtschaft die Sorge vor Steuerhinterziehung sein. Eine nennenswerte Benachteiligung der deutschen Gastronomie im Wettbewerb resultiert aus einer niedrigeren Mehrwertsteuer in anderen Ländern jedoch nicht. Gastronomische Dienstleistungen sind lokal und eine Umlenkung von Tourismus oder Geschäftsreisen durch unterschiedliche Mehrwertsteuern auf Restaurantdienstleistungen ist abgesehen von Grenzgebieten aufgrund der geringen Bedeutung in den gesamten Reisekosten nicht zu erwarten.
  • Ungleichbehandlung mit Lebensmitteln und Lieferdiensten: Die ermäßigte Besteuerung für Lebensmittel ist im Gegensatz zu den Gastronomiedienstleistungen verteilungspolitisch überzeugend begründet. Umgekehrt zu den Restaurantbesuchen ist der Anteil von Lebensmitteln im Warenkorb ärmerer Haushalte vergleichsweise hoch. Die Ermäßigung vor Lieferdiensten ist damit begründet, dass diese keine umfangreiche Dienstleistung im Lokal bereitstellen. Tatsächlich ist diese Abgrenzung schwammig. Fragwürdigen Anwendungen des ermäßigten Steuersatzes sollte aber nicht dadurch begegnet werde, diese noch auszuweiten.

Im Ergebnis können die vorgebrachten Argumente für eine Entfristung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie nicht überzeugen. Die Post-Pandemie-Zeit mutet der Gastronomie wie anderen Branchen auch einen weiteren Strukturwandel zu, der aber keine Rechtfertigung für eine dauerhafte Subventionierung liefert. Mit dieser Subvention sind jährliche Steuerausfälle von derzeit gut drei Milliarden Euro verbunden. Bei einer Entfristung würden diese Kosten mit dem nominalem Umsatzwachstum der Branche kontinuierlich zunehmen. Für das kommende Jahrzehnt wäre mit Gesamtkosten in Höhe von etwa 38 Mrd. Euro zu rechnen, die durch höhere Steuern an anderer Stelle oder Ausgabenkürzungen gegenfinanziert werden müssten. Auch darf die Verteilungswirkung dieser Steuersubvention nicht übersehen werden, die eher wohlhabende und kinderlose Haushalte begünstigt, aber letztlich von der Gemeinschaft aller Steuerzahlenden zu finanzieren ist.

Die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Restaurant-Dienstleistungen wird nach jetzigem Rechtsstand zum Jahresende auslaufen und dabei sollte es bleiben. Die Bundesregierung sollte sich nun umgehend zum Ende des ermäßigten Steuersatzes für Restaurantdienstleistungen zum Jahresende bekennen, um etwaige Planungsunsicherheiten für das kommende Jahr endgültig zu beseitigen.

Stichhaltig sind die Argumente für einen ermäßigten Steuersatz allerdings für den engen Teilbereich der gastronomischen Versorgung von Schulen und Kindergärten. Hier sprechen nicht nur verteilungspolitische Argumente – die zielgenauere Begünstigung ärmerer Haushalte – sondern auch der Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft für eine besondere Betrachtung. Darüber hinaus sollte eine weitere Aushöhlung der Umsatzsteuer vermieden werden und tendenziell bereits bestehende Ausnahmen zurückgefahren werden.

Dieser Beitrag beruht auf der ausführlichen Studie:

Heinemann, Friedrich, Katharina Nicolay und Daniela Steinbrenner (2023), Die ermäßigte Mehrwertsteuer in der Gastronomie, Bewertung und subventionspolitische Schlussfolgerungen, ZEW-Kurzexpertise Nr. 23-04, Mannheim.

Link: https://www.zew.de/publikationen/die-ermaessigte-mehrwertsteuer-in-der-gastronomie

DEHOGA (2023): 7% MWSt. auf Speisen müssen bleiben, damit wir erhalten, was unser Land lebenswert und liebenswert macht, Petition, https://www.openpetition.de/petition/online/keine-steuererhoehung-7-mehrwertsteuer-auf-speisen-in-der-gastronomie-muessen-bleiben

Krause, Simon, Carla Krolage, Christoph Ungemach, Jennifer Meder, Jonas Riefle, Stefanie Schill und Lena Fischer (2023): Gastronomie im Aufschwung trotz vieler Krisen: Wie sieht das neue Konsumverhalten nach Corona aus?, ifo Schnelldienst 9/2023, S. 51-56.

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