Ende 2023 gab es in der FAZ einen kurzen Austausch zu der Frage, ob wir einen digitalen Euro brauchen oder nicht. Befürworter führen an, dass in der Eurozone die Nachfrage nach Bargeld zu Zahlungszwecken sinkt und der Wunsch wächst, kontaktlos zu bezahlen. Derzeit bieten allein Münzen und Banknoten die Möglichkeit, gebührenfrei zu bezahlen; der digitale Euro ermöglichte dies ebenfalls – aber kontaktlos (Bindseil / Schaaf, 2023). Die Gegenposition merkt an, dass der Bedarf an digitalen Zahlungsmitteln in Europa auch von privaten Anbietern gedeckt werden kann und die Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld eine Ausweitung der Staatstätigkeit bedeutet, für deren Rechtfertigung Marktversagenstatbestände angeführt werden müssten (Bofinger, 2023).
Mögliche Konstruktionselemente des digitalen Euros
Im Sommer 2023 hat die Europäische Kommission einen Entwurf für eine Verordnung vorgelegt, aus dem die Konturen des digitalen Euros ersichtlich werden (Europäische Kommission, 2023). Es ist beabsichtigt, den digitalen Euro (neben Banknoten) zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu erklären; auf eine Verzinsung soll verzichtet werden. Die Bereitstellung erfolgt kostenlos durch Geschäftsbanken oder über eine App durch das Eurosystem selbst.
Kontoführende Kreditinstitute sind verpflichtet, auf Wunsch ihrer Kunden grundlegende Zahlungsdienste im Zusammenhang mit dem digitalen Euro anzubieten. Zudem können natürliche Personen, die kein Bankkonto wünschen, ein Konto bei einer Post oder einer anderen öffentlichen Einrichtung, z. B. einer lokalen Behörde, eröffnen und führen. Eine Haltungsobergrenze (von vermutlich 3000 Euro pro Person) ist vorgesehen. Die Verwendung erfolgt sowohl online wie auch offline, d.h. von Gerät zu Gerät ohne Internetverbindung. Damit ist der digitale Euro ein Hybrid aus Bargeld und Giroguthaben, das sowohl kontaktlose Barzahlungen als auch Überweisungen erlaubt, und es einem Nutzer beispielsweise ermöglicht, sich sein Gehalt auf sein Smartphone überweisen zu lassen.
Der Gesetzesvorschlag sieht nicht vor, dass Nichtbanken Konten beim Eurosystem unterhalten, über die sie digital verfügen. Dies soll einer Disintermediation vorbeugen und verhindern, dass Nichtbanken ihre Guthaben bei Geschäftsbanken auflösen und auf das Eurosystem übertragen. Dennoch ist der digitale Euro eine Verbindlichkeit des Eurosystems, über den Nichtbanken direkt oder unter Zuhilfenahme der Girofunktionen des privaten Finanzsektors verfügen können.
Zugleich mit der Verordnung zum digitalen Euro hat die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag zur Rolle des (physischen) Bargelds als gesetzliches Zahlungsmittel vorgelegt (European Commission, 2023). Danach besteht eine grundsätzliche Annahmepflicht für Münzen und Banknoten zum Nennwert. Allerdings kann der Zahlungsempfänger die Annahme von Euro Banknoten und Münzen ablehnen, sofern sie unverhältnismäßig wäre oder vor der Zahlung ein anderes Zahlungsmittel vereinbart wurde. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, einen „ausreichenden und effektiven Zugang zu Bargeld“ zu gewährleisten.
Lösung für welche Probleme?
Befürworter sehen zwei wesentliche eines digitalen Euros: Sicherung der Integrität des Geldsystems (einschließlich des Wettbewerbs unter den privaten Geldanbietern) sowie Gewährleistung eines reibungslosen Zahlungsverkehrs (Bindseil / Schaaf, 2023, passim). Das erste Argument sieht eine Gefährdung der bestehenden hybriden Geldverfassung, die aus öffentlich produziertem Zentralbankgeld und privat produziertem Giralgeld besteht, sollte das Bargeld infolge der Digitalisierung drastisch an Bedeutung verlieren und nicht durch digitales Zentralbankgeld ersetzt werden. Dann drohe eine Dominanz der privaten Geldanbieter, die an Marktmacht gewinnen und diese zugunsten ihrer Eigentümer ausnutzen könnten. Zudem lehrten die historischen Erfahrungen aus den „Free-Banking Perioden“ des 19. Jahrhunderts in den USA, dass von privaten Geldanbietern dominierte Geldordnungen für Krisen und Zusammenbrüche anfällig seien.
Dies führt zu der Frage, ob ein „dramatischer Bedeutungsverlust“ des Bargelds zu befürchten sei und wie weit die Bargeldhaltung absinken müsse, bis die genannten Effekte eintreten. Abbildung 1 listet aus einem Sample von 219 Ländern jene mit dem niedrigsten Bargeldumlauf auf und verdeutlicht, dass dieser dort mit zwei Ausnahmen zwischen 2009 und 2019 überall angestiegen ist. Die prominente Ausnahme ist Schweden (neben Norwegen), wo der Bargeldumlauf um über 40 % gesunken ist, wofür eine Kombination von Maßnahmen verantwortlich sein könnte, die zugleich die Bargeldnutzung unattraktiv und digitale Zahlungen leichter zugänglich gemacht haben (Armelius et al., 2022). Davon abgesehen, ist ein dramatischer Bedeutungsverlust des Bargelds in den übrigen Ländern nicht zu konstatieren.
Sollte sich dies ändern und das öffentliche Bargeld vollständig im Gebrauch verschwinden, bedeutet dies nicht eine Instabilität des Finanzsystems, sofern die Zentralbank verspricht, im Bedarfsfall Bargeld als Lender of Last Resort zur Verfügung zu stellen (Waller, 2021). Zudem erlauben wirtschaftshistorische Erfahrungen aus den „Free-Banking Perioden“ nicht immer den Schluss, dass ein privates Geldsystem in jedem Fall anfällig für Krisen ist, sofern man den Blick von den USA bspw. auf die schottischen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts wendet, wo die Geldproduktion privater, im Wettbewerb miteinander stehender Geldproduzenten durchaus krisenfrei verlief. Auch das derzeitige hybride System aus öffentlicher und privater Geldproduktion ist nicht krisenfest, wie die jüngeren Erfahrungen zeigen. Richtig ist, dass die Gründung von Zentralbanken in einigen Ländern in Reaktion auf Finanzkrisen erfolgte; in anderen Ländern war die Verstaatlichung der Geldproduktion durchaus von dem Interesse genährt, den Geldschöpfungsgewinn in den Staatshaushalt einzustellen (Vollmer, 1996, und die dort zitierte Literatur).
Das zweite Argument zugunsten des digitalen Euros befürchtet eine Gefahr für den reibungslosen Zahlungsverkehr in Europa, wo der elektronische Retail-Zahlungsverkehr von außereuropäischen Anbietern dominiert wird und ein Grad an externer Abhängigkeit erreicht sei, der in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge nicht mehr toleriert werden würde. Unklar bleibt, ob das Problem darin liegt, dass die Anbieter außereuropäisch oder privatwirtschaftlich organisiert sind.
Auf die Berechtigung einer finanziellen Xenophobie soll hier nicht eingegangen werden, wohl aber kurz auf mögliche Argumente gegen eine privatwirtschaftliche Versorgung mit elektronischen Zahlungsabwicklungen. Diese wären nur zu kritisieren, wenn ein Marktversagen vorläge, d.h. die Zahlungsabwicklung zwischen Kunden und Händler zu überhöhten Kosten erfolgte und durch eine Zentralbank kostengünstiger erfolgen könnte. Dies bezweifelt Waller (2021) für die USA, wo derzeit eine ähnliche Diskussion über den Nutzen eines digitalen Dollars geführt wird. Er findet keine Hinweise, dass der heimische Finanzsektor nicht imstande ist, Zahlungen schnell und sicher durchzuführen, und folgert, dass für den digitalen Dollar derzeit kein Bedarf besteht.
Brauchen wir einen digitalen Euro?
Derzeit heißt die Antwort wohl eher: Nein. In diese Richtung deuten auch Äußerungen in den EU-Mitgliedsländern außerhalb der Eurozone, die bislang von der Einführung eigener nationaler digitaler Zentralbankgelder absehen wollen. Dort verweisen Notenbanken auf den hohen Grad der finanziellen Inklusion der Bevölkerung, die wachsende Bargeldverwendung und die (hier nicht thematisierten) Risiken eines digitalen Zentralbankgelds (Narodowy Bank Polski, 2021). Es bedarf daher wahrscheinlich noch einiger Überzeugungsarbeit seitens des Eurosystems, um Bedenkenträger, wie den Autor dieses Beitrags, von den Vorzügen des digitalen Euros zu überzeugen.
Literatur
Armelius, H., Claussen, C.A., Reslow, A. (2022). Withering Cash: Is Sweden Ahead of the Curve of Just Special?, in: International Journal of Central Banking, Vol. 18(4), S. 91-123.
Bindseil, U., Schaaf, J. (2023), Warum wir einen digitalen Euro brauchen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.11.2023, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/warum-wir-einen-digitalen-euro-brauchen-19351312.html
Bofinger, P. (2023), Warum wir den digitalen Euro nicht brauchen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.03.2023, https://www.faz.net/aktuell/finanzen/digitaler-euro-ezb-bekaeme-deutlich-mehr-macht-19379269.html
European Commission (2023), Digital Euro Package, Brüssel, https://finance.ec.europa.eu/ publications/digital-euro-package_en
Narodowy Bank Polski (2021), Central Bank Digital Currency, Warschau.
Sveriges Riksbank (2020), Why are People in Sweden no Longer using Cash?. https://www.riksbank.se/en-gb/payments–cash/payments-in-sweden/payments-in-sweden-2020/1.-the-payment-market-is-being-digitalised/why-are-people-in-sweden-no-longer-using-cash/
Vollmer, U. (1996), Entstehung und Wettbewerb von Notenbanken: Brauchen wir eine Europäische Zentralnotenbank?, in: D. Cassel, Hg., Entstehung und Wettbewerb von Systemen, Berlin, S. 191-218.
Waller, C. (2021), CBDC: A Solution in Search of a Problem?, Speech at the American Enterprise Institute, Washington, D.C., https://www.federalreserve.gov/newsevents/ speech/waller20210805a.htm
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