Kurz kommentiert
Wer hat Angst vor der GDL?
Mehr (Leistungs-)Wettbewerb auf der Schiene

Wer Angst vor Spartengewerkschaften hat, sollte dafür sorgen, dass der Wettbewerb auf den Absatzmärkten entfesselt wird und der (Sozial-)Staat die Budgetrestriktion der Unternehmen nicht aufweicht.

Wettbewerb ist das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.“ (Franz Böhm)

Die Lokführer stellen die Republik gerade wieder einmal auf eine harte Geduldsprobe. Seit November 2023 treten sie immer wieder in Streiks. Die Angebote der Deutschen Bahn sind für sie nicht verhandlungsfähig. Über das Geld könnte man sich vielleicht noch einigen. Knackpunkte sind die Laufzeit der Tarifverträge, vor allem aber kürzere Arbeitszeiten im Schichtdienst. Ohne vollen Lohnausgleich geht für die GDL nichts. Den verweigert die Bahn (noch). Die Verhandlungsbereitschaft der GDL ist gering. Eine Schlichtung lehnt sie bisher rundweg ab. Das alles ist durch das Streikrecht gedeckt. Allerdings sind die negativen Drittwirkungen der Bahnstreiks erheblich. Nicht nur die Pendler und Bahnreisenden sind genervt, auch die Unternehmen leiden wegen gestörter Lieferketten unter den negativen Folgen der Streiks.

Die Lokführer haben Marktmacht. Es herrscht (Fachkräfte-)Mangel. Diese Entwicklung folgt einem Trend. Die Struktur der Arbeitnehmer hat sich verändert. Qualifizierte Arbeit wird verstärkt, einfache Arbeit weniger stark nachgefragt. Profiteure sind Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen, wie Lokführer, Ärzte, Fluglotsen und Piloten. Ihre Marktmacht hat zugenommen. Sie wollen ein größeres Stück des Kuchens. Das lässt sich in Einheitsgewerkschaften schwer organisieren. Dort zählen sie zu den Verteilungsverlierern bei Tarifverhandlungen. Es bilden sich Spartengewerkschaften, wie die GDL. Die  Lokführer müssen keine Rücksicht auf einfachere Arbeit nehmen, wie etwa Begleitpersonal, Stellenwärter, Logistikplaner etc..

Der Charakter von Tarifkonflikten verändert sich. Es gibt ihn zwar noch, den „alten“ Klassenkampf von Arbeit gegen Kapital, Lokführer gegen „Deutsche Bahn“. Ein „neuer“ Klassenkampf kommt aber dazu von (qualifizierter) Arbeit gegen (weniger qualifizierte) Arbeit, Lokführer gegen andere bei der Bahn beschäftigte Arbeitnehmer. Das Tarifeinheitsgesetz hat diesen Konflikt noch verschärft. In Betrieben mit Einheits- und Spartengewerkschaften hat die Gewerkschaft lohn- und tarifpolitisch das Sagen, die mehr Mitglieder hat. Das Tarifeinheitsgesetz betrifft 72 der 300 Wahlbetriebe der Bahn. In 54 werden die Verträge der EVG, in 18 die der GDL angewandt. Die GDL kämpft um ihre Marktanteile. Auch deshalb ist der Tarifkonflikt wohl so hart.

Der Tarifkonflikt, auch wenn er heftig ausfällt, ist legal. Allerdings nehmen die ökonomischen Kollateralschäden zu. Die negativen Drittwirkungen ließen sich begrenzen, wenn es gelänge die Marktmacht der Lokführer zu begrenzen. Vorschläge gibt es viele. Die einen wollen die Hürden für Streiks höher legen, andere zwingende Schlichtungs- und Schiedsverfahren einführen, wieder andere das Arbeitskampfrecht kodifizieren und ihm den Status als Richterrecht nehmen. Was man auch arbeitskampfrechtlich tut, ein Konflikt mit der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie ist fast unvermeidlich, der Widerstand der „siamesischen“ Zwillinge von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sicher. Die Politik wird einen Teufel tun, in das Wespennest des Arbeitskampfrechtes zu stechen.

Gegen die mißbräuchliche Nutzung von Marktmacht hilft (Leistungs-)Wettbewerb. Das gilt auch für das lohn- und tarifpolitische Verhalten der Lokführer. Die Deutsche Bahn hat eine „weiche“ Budgetrestriktion. Von Wettbewerb auf dem Absatzmarkt der Bahn ist wenig zu sehen. Er kommt nur in Spurenelementen vor. Kommt es trotzdem zu Verlusten, gleicht sie der Bund als alleiniger Eigentümer aus. Hohe lohn- und tarifpolitische Forderungen der Lokführer stoßen nicht an die materielle Grenze der unternehmerischen Pleite. Darin unterscheidet sich die Bahn von privaten Unternehmen. Die sind mit einer „harten“ Budgetrestriktion konfrontiert, wenn die Politik in ihnen nicht gerade „industriepolitische“ Champions oder elementare Sicherheitsinteressen für das Land bedroht sieht. Lohn- und tarifpolitische Kooperation dominiert längerfristig den Konflikt.

Mehr Wettbewerb auf den Absatzmärkten der Bahn würde die negativen Drittwirkungen von Tarifverträgen mit den Lokführern verringern. Ein erster Schritt ist, Schiene und Verkehr zu trennen. Der Staat wäre für eine funktionierende Infrastruktur zuständig. In einem zweiten Schritt sorgt das Kartellamt für (Leistungs-)Wettbewerb auf der Schiene. Die Deutsche Bahn wird (wirklich) privatisiert. Beides würde die Budgetrestriktion aller Wettbewerber auf der Schiene härten, auch die der Deutschen Bahn, wenn sie sich dem Wettbewerb stellt. Die Anreizstruktur der Bahngewerkschaften würde sich grundlegend ändern. Ihre Lohn- und Tarifpolitiken müssten die Überlebensfähigkeit ihrer Unternehmen im Blick haben. Lohn- und tarifpolitische Amokläufe à la GDL wären eher selten.

2 Antworten auf „Kurz kommentiert
Wer hat Angst vor der GDL?
Mehr (Leistungs-)Wettbewerb auf der Schiene

  1. Trefflich analysiert! Hinzu kommt Folgendes: Die Spezifität der Lokführerqualifikation gibt im Zusammenhang mit dem inländischen Quasimonopson der Deutschen Bahn die vermutlich einzige Rechtfertigung für die Kollektivmacht der Arbeitnehmerseite: Wenn es außerhalb der DB kaum Lokführerjobs gibt, muss das Lohnniveau eben bilateral geklärt werden, weil de facto kaum Abwanderung zur Minikonkurrenz oder in einen anderen Teil des Arbeitsmarkts möglich bzw. sinnvoll ist.

  2. Die Debatte zu Drittwirkungen von Arbeitskämpfen

    Der Beitrag von Norbert Berthold ist interessant und aktuell. Er bereichert daher die aktuelle Debatte. Dies gilt auch für die kurze Reaktion hierauf von Leonard Knoll.

    Norbert Berthold verweist auf die Notwendigkeit der Internalisierung unerwünschter externer Effekte im Rahmen der verfassungsmäßig garantierten Tarifautonomie. Der Staat hat demnach den Tarifparteien neben den formal-rechtlichen Rahmenbedingungen auch die Anreize so zu setzen, dass ökonomisch und gesellschaftlich dysfunktionale Ergebnisse vermieden werden. Diese Grundidee formulierte etwa schon Ulrich Teichmann in einem damals verbreiteten Lehrbuch (Wirtschaftspolitik, 5. A. München 2001, S. 24). Er forderte, „die inhaltlich-ökonomischen Bedingungen so zwingend zu setzen, dass die autonomen tarifvertraglichen Entscheidungen mit den wirtschaftspolitischen Zielen vereinbar werden“.

    Es bleibt aber die Herausforderung, dass womöglich das Missbrauchsverhalten von Spartengewerkschaften nicht allein durch die Schaffung von mehr Wettbewerb und politische Reorganisationen kurzfristig eingedämmt werden kann, z.B wenn sichtbare Erfolge von Spezialisten-Gewerkschaften bei ihren Umverteilungsbestrebungen diese tendenziell stärken.

    Leonhard Knoll verweist auf ein schon von Walter Eucken vorgebrachtes wirtschaftspolitisches Gegenmachtargument zugunsten der Gewerkschaften im Monopsonfall (vgl. https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Arbeitskampf), wenn er ein inländisches Quasimonopson der deutschen Bahn diagnostiziert. Ein Dilemma ist allerdings, dass Machtparität zwischen den Tarifvertragsparteien allein noch keine hinreichende Bedingung für eine funktionierende gemeinwohlförderliche Tarifautonomie ist. Denn bilaterale Lösungen bzw. Kollektivverhandlungen garantieren dies nicht automatisch.

    Was dies für die Praxis bedeutet, blieb schon während der vorherigen größeren Debatte zum Thema Drittwirkungen in Arbeitskämpfen im Jahr 2016 akademisch umstritten (vgl. dazu z.B. das Themenheft „Arbeitskämpfe und ihre Drittwirkungen“, https://www.sozialerfortschritt.de/archives/3165).

    Wenn man die oben genannten hohen bzw. gestiegenen Kollateralschäden des GDL-Streiks als Maßstab für ein Überziehen der Gewerkschaft der Lokführer annimmt, könnten dieses Mal die zermürbenden Effekte auf die Nerven geschädigter Dritte diese tatsächlich überstrapazieren. Gerade dann hätte die Regierung gute Argumente, zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Gemeinwohls die wissenschaftlich schon lange debattierten Argumente etwa der „Tarifordnungspolitik“ (https://link.springer.com/article/10.1007/s10273-018-2366-8) endlich aufzugreifen, statt sich, wie bisher meist üblich, lieber „weg zu ducken“ (eine Gefahr, auf die der Ausgangstext hinweist).

    Am Ende der Streiks und der dadurch ausgelösten Debatten könnte dann einer der aktuell debattierten Vorschläge umgesetzt werden, der über die oben geforderte wettbewerbsförderliche Trennung von Schiene und Verkehr hinaus geht. Allerdings gilt auch dieses Mal: Die Hoffnung stirbt erst zuletzt.

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