Freihandel als Prinzip

Die Leier der Globalisierungsgegner lautete, Freihandel würde zu Lohndumping führen und Arbeits- sowie Umweltstandards senken. Die Realität gestaltet sich deutlich anders.

Die alte Leier der Globalisierungsgegner in den letzten Jahrzehnten lautete, Freihandel würde zu Lohndumping führen und Arbeits- sowie Umweltstandards senken. Nur Großunternehmen würden von der Globalisierung profitieren, während der Rest der Gesellschaft – sowohl in den Industrieländern und insbesondere auch in den Entwicklungsländern – den Kürzeren ziehe. Mittlerweile sind die Stimmen der Globalisierungsgegner fast verstummt und hin zu Forderungen einer Regulierung von globalen Lieferketten mutiert. Die Realität hat sie eingeholt und diese gestaltet sich deutlich anders.

Mythos der Verarmung durch Freihandel

Mit der Zunahme des weltweiten Handels seit 1990 und dessen weiterer Ausdehnung ab dem Jahr 2000 – zusätzlich angefacht durch den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation – stiegt der weltweite Handel und gleichzeitig auch der Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten, insbesondere in ärmeren Ländern. Die Kinderarbeit ist weltweit zurückgegangen, obwohl sie aufgrund der globalen Vernetzung und leichten Informationsverfügbarkeit für manche vielleicht präsenter erscheint als vor 30 Jahren. Zudem gibt es keine relevante Senkung von Standards im Umweltbereich. Mit zunehmendem Wohlstand schützen Länder ihre Umwelt sogar verstärkt, und der weltweite Handel beschleunigt den Übergang zu neuen, oft und gerne als „grün“ bezeichneten Technologien.

Handel hebt den Wohlstand

Unternehmen und Investoren suchen nicht gezielt die ärmsten Länder der Welt auf, um sie auszubeuten, sondern tätigen ihre Investitionen hauptsächlich in verhältnismäßig wohlhabenden Ländern und Schwellenländern. Wenn sie in besonders arme Länder investieren, sei es durch Direktinvestitionen oder durch Investitionen ihre Lieferketten und Zulieferer, besteht eine der Hauptauswirkungen der Investitionen darin, die Produktivität und darauffolgend Löhne sowie Arbeitsstandards zu verbessern. Auch wenn die Löhne und Standards vielerorts natürlich noch nicht das hohe Niveau der USA oder mancher EU-Länder erreichen, ist im Vergleich vor mehr als 30 Jahren ein Fortschritt in eine positive Richtung erkennbar.

Nahezu jede Prognose und Warnung der Globalisierungsgegner hat sich als weitestgehend unzutreffend erwiesen. Die Betrachtung globaler Daten offenbart, dass der weltweite Anteil der Beschäftigten, die in extremer Armut leben, zwischen 2000 und 2022 von rund 26.3% auf 6.4% gesunken ist. Ohne die teilweise maßlosen Lockdowns während der Corona-Pandemie – auch in Ländern mit einer sehr jungen Bevölkerung – wäre die extreme Armut mit hoher Wahrscheinlichkeit noch stärker zurückgegangen.

Ein Indikator für Ausbeutung ist Kinderarbeit. Zwischen 2000 und 2020 verringerte sich der Anteil der Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren, die Arbeiten verrichteten, für die sie gemäß der gängigen Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen zu jung waren oder die ihre Gesundheit oder Sicherheit gefährden könnten, von etwa 16% auf 9.6%. Es ist bemerkenswert, dass Kinder in ländlichen Gegenden armer Länder etwa dreimal so oft arbeitstätig sind wie in städtischen Gebieten, in denen sich eher Zulieferbetriebe für westliche Unternehmen befinden. Viele Unternehmen in den Lieferketten für westliche Unternehmen bieten vielleicht keine großartigen Löhne nach hiesigem Verständnis, aber doch oft solche, dass Eltern ihre Kinder nicht zur Arbeit schicken müssen, sondern sie zur Schule gehen lassen können.

Auch im Bereich der Umwelt zeigt sich, dass ein steigender Wohlstand oft mit einer Verbesserung der Umweltqualität einhergeht. Der Environmental Performance Index der Yale University und ihrer Partner versucht, die ökologische Nachhaltigkeit nahezu aller Länder weltweit zu bewerten, wobei Faktoren wie Biodiversität und Luftverschmutzung mitberücksichtigt werden. Demokratische Marktwirtschaften, die aktiv am Freihandel teilnehmen, belegen die oberen Ränge. Autokratien mit geringem Außenhandel belegen hingegen eher die unteren Ränge. Zwar ist unklar, ob Freihandel auch zu einer Demokratisierung beiträgt, aber kein Handel macht die Bevölkerung in der Tendenz wohl abhängiger von Autokraten.

Warum erhöht Freihandel den Wohlstand?

Das Aufkommen globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten hat dazu geführt, dass Unternehmen ihre Zulieferer in anderen Ländern wenigstens zum Teil als Bestandteil ihres eigenen Geschäftsmodells betrachten. Technologien und Prozesse, die für eine effizientere Produktion dienlich sind, finden dadurch weltweit Verbreitung. So konnten viele ärmere Länder, wie Indonesien oder Vietnam, sowie mittlerweile wohlhabende Länder wie etwa Polen, mehrere Entwicklungsstufen überspringen und rasches Wachstum realisieren. Sie alle sind heute ein Teil der globalen Wertschöpfungsketten. In der Vergangenheit profitierten sie nicht oder nur bedingt vom Welthandel und die mit ihm einhergehenden Chancen.

Wenn politische Entscheidungsträger keine Handelshemmnisse schaffen, sondern die Rolle ihrer Länder als Zulieferer und Empfänger von Direktinvestitionen als Chance begreifen, erscheinen auch Infrastrukturinvestitionen sinnvoller. Sobald Straßen, Häfen und Fabriken errichtet sind, um beispielsweise Textilien oder Plastikspielzeug herzustellen und zu transportieren, können diese Infrastrukturen teilweise für andere Industrien oder selbst High-Tech Unternehmen vor Ort genutzt werden. Viele Schwellenländer, insbesondere China, demonstrierten bereits, wie realistisch dieser Weg ist.

All dies ermöglicht es Arbeitnehmern, mit ihrer Arbeit einen höheren Wert zu schaffen. Dann wiederum erhalten sie auch eine bessere Vergütung. Tatsächlich bieten exportorientierte Unternehmen in armen Ländern höhere Löhne als Produzenten, die nur für den heimischen Markt produzieren – noch besser zahlen oft nur direkt ausländisch geführte Unternehmen. Die Arbeit ist bei Zulieferern in ärmeren Ländern attraktiver und die Arbeitsstandards sind höher als in anderen Wirtschaftsbereichen. Die Weltbank empfiehlt beispielsweise zur Verbesserung der Arbeitsplatzqualität in der kambodschanischen Wirtschaft, dass dort einheimische Unternehmen dieselben Arbeitsstandards wie die Bekleidungsfabriken von Zulieferern für den internationalen Markt anwenden sollen. Ausbeutung findet in der Tendenz weniger bei Zulieferern als bei rein einheimischen Unternehmen statt.

Nicht alles ist rosig

Die Argumente der Globalisierungskritiker waren stets wenig konsistent und die Entwicklungen der letzten 30 Jahre demonstrieren das Potenzial des Freihandels für die weltweite Steigerung des Wohlstands.

Doch eine konsistente ökonomische Perspektive muss berücksichtigen, dass Freihandel nicht immer ausschließlich positive Auswirkungen hat. Ein Argument in diesem Kontext ist die potenzielle Schutzbedürftigkeit junger Industrien. Es postuliert, dass neue Branchen möglicherweise vor internationaler Konkurrenz geschützt werden müssen, bis sie ausgereift und wettbewerbsfähig sind. Dieses Argument ist unter gewissen Annahmen theoretisch stichhaltig. Allerdings berücksichtigt es politökonomische Anreizstrukturen unzureichend. Wird ein Wirtschaftssektor vor ausländischer Konkurrenz geschützt, ist eine positive Entwicklung nicht garantiert, da es für die begünstigten Schützlinge oft rentabler ist, sich politisch für dauerhaften Schutz und immer neue Subventionen einzusetzen, anstatt die Industrie wirklich zu entwickeln.

Angesichts des weltweit steigenden CO2-Ausstoßes könnte es sinnvoll sein, den Freihandel durch Klimazölle etwas zu regulieren. In Ländern, die Klimaschutz effizient durch eine CO2-Bepreisung betreiben, sind die Produktionskosten aufgrund der Bepreisung etwas höher. Um diesen Nachteil im internationalen Wettbewerb auszugleichen, wird mitunter vorgeschlagen, einen Ausgleich über Klimazölle zu schaffen. Dadurch würden CO2-intensive Produkte aus Ländern, die keinen oder nur wenig Klimaschutz betreiben, mit einem Zoll belegt, um den Wettbewerb gegenüber jenen, die das Klima schützen, potenziell „fairer“ zu gestalten. Wiederum ist dieses Argument theoretisch stichhaltig. Allerdings werden auch hier politökonomische Aspekte vernachlässigt. Klimazölle verursachen einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Insbesondere aber besteht die große Gefahr, dass sie für protektionistische Zwecke missbraucht werden. So dürften manche politischen Entscheidungsträger bald auf die Idee kommen, inländischen Unternehmen zu „helfen“, indem sie mit besonders hohen Klimazöllen schützen. Eine Umnutzung von Klimazöllen zum Schutz vor ausländischer Konkurrenz ist sogar wahrscheinlich, da „Klima“ heutzutage eine Rechtfertigung für fast jede beliebige Maßnahme zu sein scheint, die den aktuellen politischen Entscheidungsträgern gerade genehm ist.

Obwohl es theoretisch nachvollziehbare Argumente gegen Globalisierung und Freihandel geben kann, stellt Freihandel angesichts der oft völlig verzerrten Anreize in der Politik eine hervorragende Regel, ja ein Prinzip dar. Vom Prinzip des Freihandels sollte, wenn überhaupt, nur in absoluten Ausnahmefällen und dann auch nur für eine im Voraus stark begrenzte Zeitperiode abgewichen werden.

Hinweis: Eine modifizierte Form des Artikels wurde in Thema Vorarlberg (01. März 2024) veröffentlicht.

David Stadelmann
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