Der Untergang der deutschen Kleinkrafträderindustrie
Eine Blaupause für die deutsche Automobilindustrie?

Die deutschen und österreichischen Hersteller von Kleinkrafträdern haben durch eine gesetzliche Änderung binnen kürzester Zeit ihren Markt verloren. Ähnliches könnte den deutschen Pkw-Produzenten passieren.

Aus erkenntnistheoretischer Sicht dürfen Analogien nicht überbewertet werden, da bei einer auf dem deduktiv-nomologischen Schema basierenden Explikation (Hempel & Oppenheim 1948) sich sowohl die Antezedensbedingungen als auch die Gesetzesaussagen beim Beispiel und beim Untersuchungsobjekt notgedrungen unterscheiden. Vor diesem Hintergrund soll hier vielmehr mit Ernst Mach (1905) auf die große heuristische Bedeutung der Analogie für die Forschungspraxis hingewiesen werden. Analogisches Denken soll hier somit lediglich als Erkenntnisstrategie im Bereich des Entdeckungszusammenhangs verortet werden.

Wir wollen hier den Markt für Kleinkrafträder als Analogie für den gegenwärtigen Markt für Pkws heranziehen.

Als motorisierte zweirädrige Fortbewegungsmittel standen den Jugendlichen in 1970er Jahren die folgenden Fahrzeuge zur Verfügung:

  • Das Mofa (Motor-Fahrrad), ein einsitziges Fahrzeug mit einem maximalen Hubraum von 50 ccm und einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h, dessen Führen lediglich ein Mindestalter von 15 Jahren voraussetzte.
  • Das Mokick/Moped (Motor mit Kickstarter bzw. schwedisch motor pedaler), Fahrzeuge für maximal zwei Personen, die ebenfalls einen maximalen Hubraum von 50 ccm aufwiesen. Allerdings war bei diesen Gefährten die Geschwindigkeit auf 40km/h beschränkt. Das Führen dieser Fahrzeuge erforderte den Führerschein Klasse 5.
  • Das Kleinkraftrad (KKR). Bei diesem Fahrzeug war der Hubraum auf 50 ccm, die Geschwindigkeit jedoch nicht begrenzt. Gefahren konnten diese KKRs mit dem Führerschein Klasse 4.

Durch die Verordnung zur Änderungen der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung vom 17. November 1954 (§ 67a, Abs. 1 StVZO in der Fassung vom 17. Nov. 1954) wurde die Klasse der sog. Kleinkrafträder geschaffen. Für das Führen dieser Fahrzeuge war – wie bereits erläutert – der Führerschein Klasse 4 erforderlich, dessen Erhalt lediglich das Bestehen einer theoretischen Prüfung voraussetzte. Die KKRs waren steuerfrei; allerdings waren für die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Haftpflichtversicherung und ein amtliches Kennzeichen erforderlich.

Die anfänglich eher schwach motorisierten KKRs wurden durch die Weiterentwicklung des Motors zunehmend stärker, was im Jahre 1970 zu einer Absprache zwischen den deutschen und österreichischen Herstellern führte, die Leistung auf 6,25 PS zu begrenzen. Mit derartigen Fahrzeugen ließen sich Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h erzielen, was freilich auch eine vergleichsweise hohe Unfallhäufigkeit zur Folge hatte (BT-Drucks. 8/3548 vom 7.1.1980, S. 13 ): So zeigt die amtliche Statistik, daß im Jahre 1978 88.212 Fahrer von motorisierten Zweirädern an Unfällen mit Personenschäden beteiligt waren, wovon 16.123 Unfälle (also rund 20%) auf KKR-Führer fielen. Die Gefährdungslage wird noch deutlicher, wenn die Schadenshäufigkeitsstatistik der Kraftfahrzeugversicherungen herangezogen wird. Für das Jahr 1977 zeigt sich, daß auf 1000 Versicherungsverträge bei Kleinkrafträdern 198 Schadensfälle auftraten. Selbst Krafträder über 50 PS erreichten lediglich 172 Fälle.

Da der Markt für KKRs relativ klein war, erschien dieses Segment für die japanischen Hersteller als ziemlich uninteressant, weswegen deutsche (Hercules, Kreidler, Zündapp) und österreichische Hersteller (KTM, Puch) den Markt weitgehend unter sich aufteilten (Bauer 2008). Die Zulassungen an KKRs in Deutschland, die sich im Jahre 1976 auf etwa 36.000 Einheiten beliefen, verringerten sich jedoch in den Folgejahren auf etwa 20.000 Einheiten (1979), was dem allgemeinen Trend der Zulassung an Motorrädern in der Bundesrepublik etwas hinterherhinkte.

Bedingt durch die vergleichsweise hohen Unfallzahlen und die hohe Lärmbelästigung aufgrund der hochdrehenden Motoren beschloß der Gesetzgeber, zum 1. April 1980 zum einen die Führerscheinklassen neu zu regeln und zum anderen die Klasse der Leichtkrafträder einzuführen, die sowohl hinsichtlich des Hubraums (max. 80 ccm), der Geschwindigkeit (max. 80 km/h) und der Motordrehzahl (max. 6000 U/min) begrenzt waren. Dies führte dazu, daß die Marktnische der KKRs geschleift wurde, da die Versicherungsprämien der KKRs im Vergleich zu den der neuen Leichtkrafträdern erheblich höher waren. Den japanischen Herstellern, die unter anderem erfolgreich in der 125ccm-Klasse sich weltweit positioniert hatten, gelang es, durch eine Reduktion des Hubraums auf 80 ccm den Markt für Leichtkrafträder zu dominieren und die deutschen und österreichischen Hersteller zu verdrängen. So meldeten Kreidler (1982) und Zündapp (1984) Insolvenz an und die anderen Hersteller verloren erhebliche Marktanteile. Während sich im Jahre 1986 in der Bundesrepublik Deutschland die Neuzulassungen von Leichtkrafträdern der Hersteller Hercules, KTM und Puch zusammen auf etwa 1.000 Einheiten beliefen, konnten die japanische Hersteller Yamaha und Honda etwa 6.000 bzw. etwa 5.000 Einheiten neu in der Bundesrepublik zulassen.

Die Regelungen der StVZO von 1954 haben also ein Marktsegment geschaffen, in dem sich die deutschen und österreichischen Hersteller erfolgreich positionieren konnten und das zu klein war, um die japanischen Produzenten anzulocken. Dieses Segment wurde durch die Einführung der Fahrzeugklasse der Leichtkrafträder, in das die japanischen Hersteller problemlos eindringen und das sie aufgrund ihrer Kostenvorteile dominieren konnten, beseitigt. Dies führte zu erheblichen Umsatzeinbußen der deutschen und österreichischen Hersteller, die offenbar die sich abzeichnende Entwicklung nicht richtig einzuschätzen vermochten und daher teilweise aus dem Markt gedrängt bzw. zumindest marginalisiert wurden.

Welche Erkenntnisse hält die Geschichte der Kleinkrafträder für die deutsche Automobilindustrie bereit?

Im wesentlichen lassen sich zwei Erkenntnisse mitnehmen:

  1. Spezialwissen (hier sowohl beim Beispiel als auch beim Untersuchungsobjekt Wissen über die Antriebstechnologie Verbrennungsmotor) kann schnell obsolet werden.
  2. Die Geschwindigkeit der Erosion eines Marktsegments kann sehr hoch sein. So zeigt der Fall der Kleinkrafträder, daß innerhalb kürzester Zeit das Marktsegment der KKRs verschwand und die deutschen und österreichischen Hersteller es nicht vermochten, sich dauerhaft auf dem neuen Markt für Leichtkrafträder zu etablieren. Sie schieden entweder innerhalb weniger Jahre ganz aus dem Markt aus oder konnten nur noch einen unbedeutenden Anteil in dem neuen Markt realisieren. Freilich sollte man die Größe des Marktes für KKRs nicht überbewerten, da zuletzt (1979) lediglich etwa 20.000 Einheiten mit einem Listenpreis von meist weniger als 4.000 DM abgesetzt wurden.

Im Bereich des Marktes für Pkws mit Verbrennungsmotor zeigt sich folgende Entwicklung: Durch staatliche Intervention auf Ebene des Bundes und der Europäischen Union werden Veränderungen angestoßen, die das Marktsegment des mit einem Verbrennungsmotor angetriebenen Pkws, in dem die deutschen Hersteller sich recht erfolgreich positioniert haben, bedrohen. Zum einen erhöhen sich aufgrund der Vorgaben die Kosten der staatlichen Produktion und des Betriebs dieser Fahrzeuge und zum anderen treten ausländische Hersteller (Tesla und die chinesischen Produzenten) auf, die erhebliche Know-how- und Kostenvorteile bei der Fertigung von Pkws mit Elektroantrieb – also im Bereich der Substitutionsgüter – aufweisen. Und zu guter Letzt wurde das Marktsegment für Pkws mit Elektroantrieb durch staatliche Subventionen unterstützt. Die Etablierung dieses neuen Marktsegments entwertet also massiv das Spezialwissen, das deutsche Automobilhersteller im Bereich des Verbrennungsmotors aufgebaut haben.

Hinsichtlich der notwendigen Anpassungsgeschwindigkeit zeigt sich folgendes: Die staatliche Privilegierung des Elektromotors als Antrieb für Pkws und der daraus resultierenden Veränderungen der marktlichen Rahmenbedingungen scheinen sich die deutschen Hersteller zu Beginn nur sehr zögerlich angenommen zu haben. Vor diesem Hintergrund bedarf es erheblicher Anstrengungen der deutschen Anbieter bei der neuen Antriebstechnologie – allen voran der Fertigung von Batterien –, um den Vorsprung der ausländischen Anbieter einzuholen und sich auf dem Markt zu behaupten. Verschärfend kommt hierbei hinzu, daß die Rahmenbedingungen der Elektromobilisierung sich in einem stetigen Wandel befinden, was eine erfolgreiche strategische Positionierung erschwert.

Aus ordnungspolitischer Sicht bestätigt die Geschichte der KKRs im wesentlichen die Erkenntnis Euckens (2008), daß Wirtschaftspolitik vorhersehbar sein sollte (Konstanz der Wirtschaftspolitik). So blieb den Herstellern der Kleinkrafträder, nachdem der Gesetzgeber sein Vorhaben bekundet hatte, nur geraume Zeit zur Reaktion. Freilich wäre es auch Aufgabe der Hersteller gewesen, sich frühzeitig mit möglichen Veränderungen der Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen und für diese eine angemessene Strategie zu entwickeln.

Quellen

Bauer, R. (2008), Kurzer Boom und lange Krise : Die Deutsche Motorradindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg (1940er bis 1970er Jahre), Technikgeschichte 75, S. 307-328.

Eucken, W. (2008), Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 7. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck.

Hempel, C. G., & Oppenheim, P. (1948). Studies in the Logic of Explanation. Philosophy of Science, 15(2), 135-175.

Mach, E. (1905), Die Ähnlichkeit und Analogie als Leitmotiv der Forschung. In: Mach, Ernst: Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zu einer Psychologie der Forschung. Leipzig: Barth.

Frank Daumann

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