Der Wohlstand in Deutschland verfällt nun für alle sichtbar. Das Buch „Deutschlands fette Jahre sind vorbei“ zeigt nicht nur die Gründe auf. Es erklärt auch, was anders werden muss, damit es wieder aufwärts geht.
Die jüngste Wachstumsprognose der großen Wirtschaftsforschungsinstitute für das Jahr 2024 liegt bei 0,1 Prozent. Die Zahl wirkt, als hätte man einen negativen Wert noch schnell ins Positive verkehrt, damit der Gesichtsverlust nicht zu groß ist. Überall in Europa läuft es besser. „Eine Wachstumsprognose von 0,1 Prozent muss der Weckruf für die Bundesregierung sein.“ ließ die bayrische Staatsregierung verlauten und forderte weniger Steuern, Abgaben und Bürokratie. Das geht zwar in die richtige Richtung, ist aber kein Befreiungsschlag für die krisengebeutelte deutsche Wirtschaft.
Denn die Probleme liegen tief, so dass ein Herumdoktern an Symptomen nicht mehr ausreichend ist. Es bedarf einer klaren Diagnose als Grundlage für die richtige Therapie. Hier setzt mein Buch „Deutschlands fette Jahre sind vorbei“ an. Es erinnert, wo der Wohlstand in Deutschland herkommt, wie die Grundpfeiler des Wohlstands ins Wanken gerieten, wie dessen schon seit längerem einsetzende Verfall nur begrenzte Zeit verschleiert werden konnte und was anders werden muss, um den Wohlstand zu sichern.
Der Wohlstand in Deutschland basiert auf der westdeutschen Wirtschafts- und Währungsreform des Jahres 1948, die eine stabile Währung, freie Preise und Wettbewerb brachte. Das Grundgesetz des Jahres 1949 sicherte Privateigentum, Vertragsfreiheit und das Haftungsprinzip, so dass eine freiheitliche Wirtschafts- und Rechtsordnung entstand. Ludwig Erhard sorgte als Wirtschaftsminister dafür, dass das wirtschaftliche Umfeld stabil war. „Ich habe als Bundesminister 80 Prozent meiner Kraft dazu verwenden müssen, gegen ökonomischen Unfug anzukämpfen,“ sagte er später. So entstand ein Wirtschaftswunder. Hohe Produktivitätsgewinne ermöglichten fortan eindrucksvolle Lohnsteigerungen und den stetigen Ausbau des Sozialstaates.
Der Ökonom Walter Eucken hatte bereits damals betont, dass das Rückgrat einer leistungsfähigen Marktwirtschaft eine stabile Währung ist. Entsprechend setzte der Verfall der marktwirtschaftlichen Ordnung mit dem Euro ein, weil dieser schrittweise von einer Hartwährung nach dem Muster der Deutschen Mark in eine Weichwährung umgebaut wurde. Die europäische Finanz- und Schuldenkrise, die auf einen Konstruktionsfehler des Euros zurückgeführt werden kann, ermöglichte es der Europäischen Zentralbank, nach dem Vorbild der Banca d’Italia in großem Umfang Staatsanleihen zu kaufen.
Seit dem Jahr 2008 haben dauerhaft niedrige Zinsen nicht nur die deutschen Unternehmen träge gemacht. Die Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank haben auch wechselnde Regierungen unter Angela Merkel dazu ermutigt, die Reformen ihres Vorgängers Gerhard Schröder zurückzudrehen. Da die Geldpolitik die Einnahmen des deutschen Staates stark aufgeblies, konnten auch die Ausgaben immens wachsen. Von rund 1.050 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf über 1.900 Milliarden Euro im Jahr 2022, wie Abbildung 1 zeigt.
Trotzdem wurden die Investitionen in Infrastruktur und in Verteidigung vernachlässigt. Die positiven Auswirkungen der wachsenden Staatsausgaben auf die Konjunktur erlaubten es, kostspielige Regulierungen vor allem im Umweltbereich voranzutreiben, weil deren Kosten nicht klar sichtbar waren. In dieser Zeit der geld- und finanzpolitischen Bonanza war jeder Widerspruch gegen die Unterwanderung marktwirtschaftlicher Prinzipien wie Preisstabilität, Haftung und Wettbewerb zwecklos.
Denn die negativen Wachstums- und Verteilungseffekte der zunehmend expansiven Geld- und Finanzpolitik waren vor der Coronakrise nur bei genauer Betrachtung sichtbar. Die Produktivitätsgewinne der einst dynamischen deutschen Volkswirtschaft sackten ab, was die Löhne breiter Bevölkerungsschichten unter Druck brachte. Steil steigende Aktien- und Immobilienpreise kombiniert mit Nullzinsen auf Spareinlagen waren ein Umverteilungsprogramm zugunsten reicher Menschen auf Kosten der Mittelschicht.
Über einige Jahre hinweg konnten die Wohlstandsverluste zudem kaschiert werden. Die steil steigenden staatlichen Ausgabenspielräume erlaubten eine Ausweitung der Beschäftigung, insbesondere im öffentlichen Sektor um mehr 2,6 Millionen Erwerbstätige seit 2008, wie Abbildung 2 zeigt. Hinzu kamen mehr als eine Million neue Beschäftigungsverhältnisse bei staats- bzw. regulierungsnahen sonstigen Dienstleistungen, während die Beschäftigung in der Industrie stagnierte. Es war also vor allem der Staat (und nicht die Demographie), welcher den Arbeitsmarkt leergefegt hat.
Die deutsche Regierung hat bei einer wachsenden Regulierung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gestützt, indem sie die Energieimporte stärker auf Russland ausrichtete. Lange Zeit haben mächtige Kapitalzuströme aus den großen Industrieländern nach China dort den Aufbau riesiger Produktionskapazitäten vorangetrieben. Diese haben nicht nur die Konsumentenpreise in den Industrieländern niedrig gehalten, sondern auch für die deutsche Industrie eine Alternative für die stockende Inlandsnachfrage geschaffen. Die deutschen Exporte wurden zusätzlich durch die fortschreitende Abwertung des Euros beflügelt. Schließlich haben die niedrigen Zinsen seit 2010 in Deutschland die Immobilienpreise und damit einen Bauboom angetrieben, der das Wachstum stabilisierte.
Seitdem jedoch im Jahr 2021 die Verbraucherpreisinflation stark angestiegen ist und die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöhen musste, hat die vom billigen Geld getriebene Scheinkonjunktur in Deutschland ein jähes Ende gefunden. Die Ausgabenspielräume der Ampelregierung sind plötzlich begrenzt, die Immobilienblasen in Deutschland und in China sind geplatzt. Mit den erhöhten Finanzierungskosten der Unternehmen wurden die hohen Kosten der Regulierung sichtbar. Der leergefegte Arbeitsmarkt hat die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ungesund potenziert, weshalb hohe Lohnforderungen die Inflation verstärken. Und zu allem Überfluss hat der Ukrainekrieg der riskanten Strategie billiger Energieimporte aus Russland ein jähes Ende gesetzt.
Die wirtschaftlichen Konsequenzen des schleichenden Abschieds von der Marktwirtschaft sind seither für alle, die es sehen wollen, klar erkennbar. Die einst stolze Wirtschaftsnation ist ratlos und fragt sich, was zu tun ist. Stress hat sich in der einst transformationseuphorischen Ampelkoalition breit gemacht. Während SPD und Grüne die Politik der schuldenfinanzierten Sozial- und Klimaausgaben gerne fortsetzen würden, stellt die FDP die wirtschaftlichen Grenzen der kostspieligen Umverteilungspolitik klar. Das führt zu Spannungen, die die Unsicherheit noch weiter erhöhen. Was ist die Lösung?
Wenn Deutschland die einschneidenden sozialen Folgen des wirtschaftlichen Abstiegs verhindern will, muss es sich auf die Grundlagen seines Wohlstands zurückbesinnen. Eine grüne Transformation schafft kein Wachstum. Wohlstand beruht auf einer stabilen Währung, freien Preisen, Wettbewerb, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung und einer Zurückhaltung des Staates bei der Wirtschaftspolitik. „Die Volkswirtschaft ist kein Patient, den man pausenlos operieren kann“, hat Ludwig Erhard einst angemerkt. Wohlstand ist keine Verteilungsmasse, sondern muss ständig neu geschaffen und verteidigt werden. Wirtschaftliche Freiheit ist nach Hayek eng mit individuellen Freiheiten verbunden. Der Weg ist also klar. Es fehlt nur noch der neue Ludwig Erhard, der die dafür notwendigen Entscheidungen trifft.
Referenzen
Erhard, Ludwig 1957: Wohlstand für alle. EconVerlag, Düsseldorf.
Eucken, Walter 1952: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Francke, Bern und Mohr, Tübingen
Schnabl, Gunther 2024: Deutschlands fette Jahre sind vorbei. Wie es kam und wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können. Finanzbuchverlag, München.