Populismus und Verschwörungstheorien

Menschen, die populistische Parteien oder Politiker wählen, neigen zu Verschwörungstheorien, wie sich statistisch leicht zeigen lässt. Der gesellschaftliche Wandel, welcher ab Ende der 1980er Jahre soziale, regionale und schichtspezifische Bindungen weitgehend auflöste, hat dem politischen Wettbewerb eine bis dahin nicht beachtete Nebenwirkung geraubt: die uns Menschen eigene Neigung zu Verschwörungstheorien im Zaum zu halten. Das hat dazu geführt, dass populistische Politikanbieter heute einen Wettbewerbsvorteil daraus ziehen können, die Regeln unseres politischen Systems als Verschwörung zu denunzieren.

1 Wer wählt populistische Parteien oder Politiker?

Es hat sich herumgesprochen, dass es nicht allein die ökonomischen Verlierer und gesellschaftlich Abgehängten sind, die populistische Partien oder Politiker wählen. Aber wer ist es dann? Gewiss kann man das nicht eindimensional beantworten. Aber ein Faktor fällt immer wieder auf: die Neigung zum Glauben an Verschwörungen. Das GESIS Institut für Sozialwissenschaften führt regelmäßig eine Längsschnitt-Wahlstudie (German Longitudinal Election Study; GLES) durch, in der über 10.000 Personen nach ihren Wahlabsichten und nach einer größeren Zahl weiterer Merkmale befragt werden. Die letzte GLES wurde im Jahr 2023 durchgeführt und jüngst veröffentlicht. Aus Datenschutzgründen sind nicht alle Antworten öffentlich verfügbar, aber bereits aus den öffentlich verfügbaren Daten lassen sich einige interessante Einsichten gewinnen.

Für unsere Zwecke sind zunächst drei Fragen interessant:

  1. Was (welche Partei) würden Sie auf Ihrem Stimmzettel ankreuzen?
  2. Was halten Sie von… (Politiker X; -5 bis +5)?
  3. Wie beurteilen Sie Ihre derzeitige eigene wirtschaftliche Lage? (1=sehr gut; 5=sehr schlecht).

Als zweites wird nach der Einstellung zu Verschwörungen gefragt, und zwar mit folgenden Aussagen, die man auf einer Skala von 1 (lehne stark ab) bis 7 (stimme stark zu) beurteilen kann. Die Fragen sind:

a) Die meisten Menschen machen sich keine Vorstellung davon, wie sehr unser Leben bestimmt wird von im Geheimen geschmiedeten Plänen.

b) Es gibt bestimmte politische Zirkel, die geheime Pläne verfolgen und sehr viel Einfluss haben.

c) Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden.

d) Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.

Für unsere weiteren Betrachtungen haben wir die Frage b verwendet, weil sie abfragt, ob man selbst an eine Verschwörung im Hintergrund glaubt. Ganz ähnliche Ergebnisse wie unsere findet man aber auch mit den anderen Fragen. Um die Daten auszuwerten, haben wir zunächst alle Personen, welche die Frage b mit 5, 6 oder 7 auf der Skala bewerteten, als Personen bezeichnet, welche zum Glauben an Verschwörungen neigen. Im Anschluss haben wir dies mit der Frage nach der eigenen wirtschaftlichen Situation kombiniert und beides zusammen dann auf die Wahlabsicht für eine bestimmte Partei bezogen. Ein Ergebnis für die Wahlabsicht für die GRÜNEN findet sich in der blauen Linie in Abbildung 1 und liest sich wie folgt: Eine befragte Person, welche ihre eigene wirtschaftliche Situation mit sehr gut (1) bewertet und zum Glauben an Verschwörungen neigt, wählt die GRÜNEN mit einer Wahrscheinlichkeit, die knapp 14 Prozent kleiner ist als eine entsprechende Person, die nicht zum Glauben an Verschwörungen neigt. Eine Person, die ihre eigene wirtschaftliche Situation sehr schlecht (5) bewertet und zum Glauben an Verschwörungen neigt, wählt die GRÜNEN immer noch mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als eine, die nicht zum Glauben an Verschwörungen neigt; aber die Wahrscheinlichkeit ist hier nur noch 7,3 Prozent kleiner.

    Es scheint also so zu sein, dass Personen, die zu Glauben an Verschwörungen neigen, die GRÜNEN eher meiden. Es scheint weiterhin so zu sein, dass diese Abneigung am größten bei jenen Personen ist, die ihre wirtschaftliche Situation sehr gut einschätzen. Wie sieht es bei anderen Parteien aus? Bei SPD und FDP ist der Befund sehr ähnlich, allerdings weniger ausgeprägt, wie Abbildung 2 zeigt.

    Bei der CDU und der den LINKEN findet sich schließlich überhaupt kein Zusammenhang. Das erkennt man in Abbildung 3 daran, dass die senkrechten blauen Linien über den Ziffern 1 bis 5 die rote Nulllinie schneiden. Zwischen der oberen und unteren Markierung liegt das „Konfidenzintervall“ von 95 Prozent, und dazwischen liegt die rote Nulllinie. Demnach gibt es höchstwahrscheinlich keinen Zusammenhang.

    Sehen wir uns vor diesem Hintergrund nun das Ergebnis für die AFD an. Wer seine wirtschaftliche Situation sehr gut (1) einschätzt und zum Glauben an Verschwörungen neigt, wählt mit knapp zehn Prozent höherer Wahrscheinlichkeit die AFD als eine vergleichbare Person, die nicht zum Glauben an Verschwörungen neigt. Wer nicht allein zum Glauben an Verschwörungen neigt, sondern zudem seine eigene wirtschaftliche Situation als besonders schlecht (5) einstuft, wählt sogar mit mehr als 20 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit die AFD. Das ist viel, und man erkennt an den Konfidenzintervallen, dass es statistisch hochsignifikant ist.

    Die Kombination aus Unzufriedenheit mit der eigenen Lage und der Neigung zum Glauben an Verschwörungen ist demnach ein treibender Faktor für die Wahl der AFD. Etwas freier interpretiert, könnte man sagen: Wer mit seiner Lage sehr unzufrieden ist und dazu neigt, seine (gefühlt) schlechte Lage auf eine Verschwörung zurückzuführen, hat gegenüber jemandem, der keine Verschwörung sieht und im Übrigen mit seiner wirtschaftlichen Lage zufrieden ist, eine um nicht weniger als 36 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, die ADF anstelle der GRÜNEN zu wählen.

    2 Wer glaubt an Verschwörungen?

    Auch mit Blick auf die Zustimmung zu populistischen Politikern besteht ein enger Zusammenhang zur Neigung, an Verschwörungen zu glauben. Um dies zu zeigen, haben wir die Frage „Was halten Sie von …(Politiker X)“, die auf einer Skala von -5 bis +5 beantwortet wurde, ins Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit gesetzt, eine Person zu sein, die zum Glauben an Verschwörungen neigt. Das Ergebnis findet sich in Abbildung 5.

    Bei allen Politikern, deren Konfidenzintervall (die senkrechte blaue Linie) die rote Nulllinie schneidet, gibt es wiederum keinen Zusammenhang. Das gilt für alle von links nach rechts auf der horizontalen Achse abgetragenen Politiker von Klingbeil bis Bartsch. Für Lindner, Habeck und Lauterbach liegt das Konfidenzintervall allerdings vollständig unter der Nulllinie. Das bedeutet, dass jemand, der diese Politiker gut bewertet, mit einer weniger als durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit zum Glauben an Verschwörungen neigt. Am Beispiel von Karl Lauterbach können wir das einmal näher bestimmen. Der Mittelwert auf seiner senkrechten blauen Linie liegt bei – 0,015. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, zum Glauben an Verschwörungen zu neigen, mit jeder einzelnen Verbesserung der Bewertung von Karl Lauterbach auf der Skala von -5 bis +5 um 1,5 Prozentpunkte sinkt. Konkret heißt das: Jemand, der Karl Lauterbach mit +5 bewertet, ist gegenüber jemandem, der ihn mit -5 bewertet, eine Person, welche mit einer (10×1,5=) 15 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit zum Glauben an Verschwörungen neigt.

    Vergleichen das nun mit den Ergebnissen für Alice Weidel. Dann finden wir, dass eine Person, welche Alice Weidel mit +5 bewertet, gegenüber einer, die sie mit -5 bewertet, eine Person ist, welche mit einer um (10×1,8=) 18 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit dazu neigt, an Verschwörungen zu glauben. In abgeschwächter Form gilt alles das ebenfalls für Sahra Wagenknecht, und in noch einmal abgeschwächter Form gilt es auch für Hubert Aiwanger.

    3 Was lernen wir daraus?

    Wenn man sich eine ungünstige gesellschaftliche Entwicklung erklären will, dann muss man die oft komplexen Umstände analysieren, unter denen diese Entwicklung stattgefunden hat. Meist findet man so etwas wie soziale Dilemma-Strukturen, Versagen von Koordinationsmechanismen oder Kommunikationsfehler. Nur selten gibt es identifizierbare Personen oder Gruppen, welche die ungünstige Entwicklung – noch dazu bewusst, mutwillig oder gar in böser Absicht – herbeigeführt hatten. Dennoch haben wir Menschen eine gewisse Neigung, letzteres als Erklärung zu bevorzugen. Wenn Energiepreise steigen, dann sieht man lieber deren Profiteure im Hintergrund am Werk, und wenn sich das Klima wandelt, dann sucht man nach denen, die hieran tatsächlich oder vermeintlich in erster Linie Schuld tragen. Kurz: Wir neigen zur Personalisierung von gesellschaftlichen Problemen und dazu, unpersönliche und abstrakte Erklärungen zu verwerfen, obwohl hier meist der Schlüssel zum Problem liegt. Für diese Neigung gibt es evolutorische Gründe, die wir hier nicht weiterverfolgen können.

    Im Wissen darum erfordert es eine gewisse Disziplin, sich von der Neigung zu personalisierten Erklärungen und Verschwörungstheorien fernzuhalten, und deshalb lässt eine Neigung zum Glauben an Verschwörungen relativ tief blicken. Offensichtlich ist es aber gerade in der Folge des Siegeszugs der Demokratie nach 1989 vermehrt zur Gründung von Parteien gekommen, welche unsere Neigung zu Verschwörungstheorien zu ihrem politischen Wettbewerbsvorteil nutzen. Wieso erklärt sich das?

    Wir hatten geglaubt, dass mit den schwindenden sozialen, regionalen und schichtspezifischen Bindungen an bestimmte Parteien und mit dem Informationsangebot des Internet eine rationalere Debattenkultur und damit auch stärker wohlüberlegte Wahlentscheidungen entstehen würden. Wir hätten uns kaum gründlicher irren können, und wir taten dies, weil wir die menschliche Neigung zu personalisierten Erklärungen und Verschwörungstheorien dabei nicht berücksichtigt hatten. Vor deren Hintergrund hatten die alten Bindungen nämlich eine segensreiche Wirkung. Die Parteien hatten nicht allein inhaltliche Politikangebote gemacht, sondern auch jene Wähler, die besonders zu personalisierten Verschwörungstheorien neigten, immer wieder zurück auf den Boden unseres politischen und ökonomischen Regelsystems geholt. Es war eine Art Deal: „Wir vertreten eure Interessen im Rahmen des bestehenden politischen und ökonomischen Regelsystems; und im Gegenzug seht ihr davon ab, dieses Regelsystem als ein Instrument dunkler Verschwörungen darzustellen und akzeptiert es stattdessen – und wenn es mitunter auch zähneknirschend ist“. Das stabilisierte das Regelsystem und funktionierte im bayerischen Bierzelt ebenso gut wie im SPD-Ortsverband einer Ruhrgebietsstadt.

    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die weitgehende Auflösung sozialer, regionaler und schichtspezifischer Bindungen, mit welcher wir uns ein freieres und rationaleres politisches Denken versprochen hatten, den traditionellen Politikanbietern diese Fähigkeit geraubt hat. War die Stabilisierung des politischen Regelsystems unter den damaligen Bedingungen ein zuverlässiges Nebenprodukt des politischen Wettbewerbs, so kann man heute einen Wettbewerbsvorteil daraus ziehen, dieses Regelsystem als Instrument einer Verschwörung politischer Mitbewerber zu denunzieren. Deshalb sind die populistischen Politikanbieter, die genau das nutzen, nicht harmlos, wie manche glauben. Das ist vielleicht eine bittere Einsicht, aber eine, der wir uns stellen müssen.

    Thomas Apolte
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    2 Antworten auf „Populismus und Verschwörungstheorien“

    1. „b) Es gibt bestimmte politische Zirkel, die geheime Pläne verfolgen und sehr viel Einfluss haben.“

      Wieso soll es verboten / ungehörig / minderwertig / etc. sein, so etwas zu denken?

      Es könnte doch sein, dass solche Zirkel existieren und dann muss man in einer freien Gesellschaft auch darüber diskutieren können – insbesondere im Licht verfügbarer Informationen. Wer hat ein Interesse daran, das zu diskreditieren? (Oder ist das auch eine verbotene Frage?)

    2. Es ist nicht verboten und darf auch nicht verboten werden. Sowas steht im Text auch nicht.

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