Nationale Ersparnis und internationale Kreditrisiken als wirtschaftspolitische Herausforderung

Makroökonomische Modelle zur intertemporalen Optimierung gehen von einem Wohlfahrtsgewinn beider Länder aus. Der Kapital- und Güterexporteur spart für die Zukunft. Der Konsumverzicht von heute ermöglicht mehr Konsum für morgen, beispielsweise für alternde Gesellschaften. Hingegen zieht der Kapital- und Güterimporteur Konsum und Investitionen vor. Werden die Kapitalimporte sinnvoll investiert, dann ist die Rückzahlung der Verschuldung ohne Konsumverzicht sichergestellt. In Zwei-Perioden-Modellen kehren sich die Gläubiger-Schuldner-Beziehungen von Periode 1 zu Periode 2 um, und die intertemporale Bilanz ist ausgeglichen.

In Zeiten von globalen Ungleichgewichten, wandernden Finanzmarktblasen, dramatischen Krisen und gigantischen geld- und fiskalpolitischen Rettungsaktionen scheinen zwei Annahmen der intertemporalen Optimierung ausgesetzt. Erstens Leistungsbilanzsalden haben sich als persistent erwiesen. Zweitens Verbindlichkeiten werden oftmals nicht mehr von den Schuldnerländern, sondern den Steuerzahlern der Gläubigerländer zurückgezahlt. Der Kreditausfall durch die Schuldnerländer hat drei Gesichter.

Die offenste Art des Defaults ist die Einstellung von Zins- und Ratenzahlungen und die Stundung von Krediten. Beispielsweise wurde Argentinien 2001 nach dem Zusammenbruch des umstrittenen Currency Boards zahlungsunfähig. Da die Auslandsverschuldung in Fremdwährung denominiert war, wurde diese durch die Abwertung gemessen in Peso nochmals aufgebläht. Die argentinischen Euro- und Dollar-Bonds, die u.a. von vielen privaten Anlegern in den Industrieländern gehalten wurden, bleiben weitgehend unbedient. Daran änderte auch die durch die Abwertung verbesserte Wettbewerbsfähigkeit nichts. Ebenso stellten sich mit der Subprime-Krise als AAA eingestufte Verbriefungen als wertlos heraus. Insbesondere deutsche Landesbanken und Halter von Lehman-Zertifikaten realisierten schmerzhafte Verluste. Die Landesbanken wurden durch Steuergelder am Leben gehalten.

Weniger offensichtlich ist der Kreditausfall durch internationale Krisenkreditvergabe kombiniert mit Zinssenkungen in den Kreditgeberländern. Beispielsweise stabilisierten im Verlauf der Asienkrise und der jüngsten Krisen in Mittel-, Ost- und Südeuropa öffentliche Kredite an die Krisenländer die Finanzsektoren der Kreditgeberländer. Die öffentlichen Kredite in Fremdwährung machten den Schuldendienst trotz Abwertung der Krisenwährungen möglich. Dem Vorwurf, dass die öffentlichen Hilfspakete zu einem Moralischen Risiko bei der internationalen Kreditvergabe führten, wurde entgegnet, dass die öffentlichen Kredite bisher immer zurückgezahlt worden seien.

Allerdings wurde die Rückzahlung der Hilfskredite durch Zinssenkungen in den Kreditgeberländern begünstigt. Monetäre Expansion in Gläubigerländern in Reaktion auf Krisen in Schuldnerländern ermöglicht – transportiert von Carry Trades – eine schnelle Stabilisierung der Krisenländer und damit der Finanzsektoren der Kreditgeberländer. Da im Aufschwung nach der Krise die Zinserhöhungen geringer ausfielen als die Zinssenkungen während der Krise wurde der Schuldendienst vereinfacht. Die Kosten der Krisen wurden durch den graduellen Verfall des Weltzinsniveaus verschleiert und über Inflation oder Umverteilung im Verlauf von Finanzmarktblasen auf die Sparer bzw. Sparnationen überwälzt. Ist der Zinssenkungsspielraum ausgereizt, steigt wie jüngst zu beobachten die Verschuldung in den Gläubigerländern an. Diese sehen sich gezwungen, Steuern zu erhöhen und/oder Ausgaben zu kürzen. In allen Fällen tragen die Länder mit Sparüberschüssen überproportional die Risiken des versteckten Defaults.

(3) Schließlich kann es zur Schuldenentwertung durch Inflation bzw. durch Abwertung kommen. Dieser schleichende Default steht Ländern offen, die über das Privileg einer internationalen Leit- und Ankerwährung verfügen. Insbesondere die USA haben einen hohen Bestand an internationalen Verbindlichkeiten in eigener Währung angehäuft. Eine zeitnahe Konsolidierung wird in Washington derzeit nicht für nötig erachtet. Denn die reale Entwertung der US-Verbindlichkeiten erfolgt über zwei Kanäle. Erstens, (moderate) Inflation entwertet die Dollarersparnisse der Ausländer. Zweitens, die Abwertung des Dollars reduziert die realen internationalen Verbindlichkeiten. Der zweite Kanal wird blockiert, wenn Länder wie China ihren Wechselkurs an den Dollar gebunden halten. Gelingt es über politischen Druck eine Aufwertung des chinesischen Yuan zu erzwingen, dann realisiert China beträchtliche Verluste auf sein immenses Dollarvermögen.

Je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass Kapitalexporte nicht der Finanzierung von zukünftigen heimischen Konsum dienen, sondern in den internationalen Zentren des Konsums versickern, desto dringlicher ist die Frage nach der adäquaten wirtschaftspolitischen Reaktion. Kann man nicht mehr darauf vertrauen, dass internationale Kredite zurückgezahlt werden, dann könnte der derzeitige restriktive Kurs der deutschen Finanzpolitik ein Fehler sein. Eine fiskalische Kontraktion, die sich negativ auf das Konsum- und Investitionsverhalten des privaten Sektors auswirkt, könnte zu einem erneuten Anstieg der deutschen Exportüberschüsse führen. Dieser dürfte um so stärker ausfallen, je restriktiver die deutsche Finanzpolitik im Vergleich zu anderen Ländern ist. Beispielsweise wäre ein deutlicher Anstieg der deutschen Kapital- und Güterexporte in die USA zu erwarten, wo der makroökonomische Kurs weiterhin expansiv ist. Neue Risiken würden für den deutschen Steuerzahler im US-Finanzmarkt entstehen.

Soll dies verhindert werden, dann wäre eine expansive Finanzpolitik angesagt. Ein schuldenfinanziertes Investitionsprogramm keynesianischer Prägung, z.B. durch den vorgezogenen Bau des Berliner Stadtschlosses, dem Ausbau des ICE-Netzes oder der Sanierung heruntergekommener westdeutscher Stadtkerne, würde – ähnlich der deutschen Wiedervereinigung  – den deutschen Spar- und Leistungsbilanzüberschuss reduzieren. Die Bauindustrie würde auf Kosten der Exportindustrie profitieren. Globale Ungleichgewichte würden – wie weithin gewünscht –  reduziert. Doch stehen diesem Weg die Grundsätze einer soliden Haushaltspolitik sowie der (bald reformierte) Stabilitäts- und Wachstumspakt entgegen.

Alternativ könnte das nationale Investitionsprogramm über steigende Steuern finanziert werden. In diesem Fall wäre aber nicht die Erhöhung der Mehrwertsteuer, sondern die Anhebung des Spitzensteuersatzes angesagt, da die Sparüberschüsse vor allem von den oberen Einkommensschichten generiert werden. Diesem Ansatz stehen die negativen Anreizwirkungen eines hohen Steuerniveaus sowie die Interessen der liberal-konservativen Regierung entgegen.

Damit deutet vieles auf neue Kosten für den deutschen Steuerzahler hin. Es sei denn, dieser ahnt die neuen Risiken und misstraut dem Finanzsystem. Dann würden die deutschen Sparer in mehr Konsum bzw. in Sachwerte getrieben. Die Konstanz des Konsums während der Krise sowie der in Deutschland einsetzende Anstieg der Immobilienpreise könnten in diese Richtung deuten. Diese Entwicklung hätte eine Licht- und eine Schattenseite. Einerseits würde der kommende Aufschwung ohne staatliche Intervention getragen. Doch könnte einem  Immobilienboom eine Bilanzrezession japanischen Musters folgen.

Deshalb bleibt nur eine Alternative: Die globale Rückkehr zu Haftungsprinzipien, stabilitätsorientierter Geld- und Finanzpolitik sowie zu mehr Konstanz in der Wirtschaftspolitik. Bleibt diese aber in anderen Ländern aus, dann könnte für Deutschland die einseitige Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen neue internationale Kreditausfälle nach sich ziehen. Die jüngsten Konsolidierungsbemühungen unserer Regierung sollten deshalb nicht nur im Lichte nationaler oder europäischer Ausgabendisziplin, sondern auch im Kontext internationaler Kreditrisiken diskutiert werden.

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