Schuldig verschuldet?

Könnte ein einziges Wort unser Verhalten beeinflussen? Diese Frage mag manche Linguisten beschäftigen. Geht es dabei um das Wort „Schuld“, dann interessieren sich auch Ökonomen dafür. Ein aktueller wissenschaftlicher Artikel zeigt auf, wie die semantische Verknüpfung zwischen finanzieller Verschuldung und moralischer Schuld möglicherweise das individuelle Verschuldungsverhalten prägen kann.

Verschuldung bei semantischer Verknüpfung von finanzieller und moralischer Schuld

In einer Untersuchung („Guiltily indebted? How a word is linked to individual borrowing“ https://doi.org/10.1080/13504851.2024.2302891) haben Tamara Bogatzki, Benno Torgler und ich Daten der World Values Survey ausgewertet, die sich über 91 Länder und vier Umfragewellen von 1994 bis 2014 erstrecken. Der Fokus lag dabei auf der Frage, ob Personen in den letzten 12 Monaten Geld geliehen haben oder nicht. Besonderes Augenmerk wurde sodann auf die sprachliche Verwendung des Wortes „Schuld“ gelegt. In einigen Sprachen, wie dem Deutschen, kann „Schuld“ sowohl „finanzielle Schuld“ als auch „moralische Schuld“ bedeuten. In anderen Sprachen, wie dem Englischen, gibt es eine gewisse Trennung zwischen „debt“ (finanzielle Schuld) und „guilt“ (moralische Schuld).

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen einen interessanten, statisch robusten und quantitativ relevanten Zusammenhang zwischen dem Sprachgebrauch des Wortes „Schuld“ und finanzieller Verschuldung: Sprecher von Sprachen, in denen das Wort für finanzielle Verschuldung auch moralische Schuld bedeuten kann, haben eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit, sich finanziell zu verschulden. Dies wird auch in der unten angeführten Graphik ersichtlich. Diese Personen haben im Durchschnitt eine um rund 30 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, im letzten Jahr Geld geliehen zu haben, verglichen mit Sprechern von Sprachen ohne diese semantische Verknüpfung.

Robuste Korrelation von Sprachgebrauch und Verschuldung

Um die Robustheit der gefundenen Korrelation zu gewährleisten, wurden bei den Analysen eine Vielzahl von Kontrollvariablen berücksichtigt. Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Einwanderungsstatus, Vertrauen in andere Menschen, die Wichtigkeit von Familie und Ersparnissen, Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildung, Ehestatus und Kinderzahl wurden einbezogen. Der Zusammenhang zwischen der semantischen Verknüpfung von finanzieller und moralischer Schuld mit dem Verschuldungsverhalten bleibt bestehen. Auch ist die Korrelation nicht durch länderspezifische Faktoren zu erklären. Zudem wurde untersucht, ob im jeweiligen Sprachgebrauch zwingend grammatikalisch zwischen Gegenwart und Zukunft unterschieden wird, was ebenfalls das Finanzverhalten beeinflussen könnte. Bestehende Studien zeigen, dass wenn im Sprachgebrauch nicht zwischen Gegenwart und Zukunft differenziert wird, sich ebenfalls eine geringere Verschuldung zeigt.

Selbst nach Einbeziehung all dieser Kontrollvariablen blieb der Zusammenhang zwischen der sprachlichen Verknüpfung von finanziellen Schulden und moralischer Schuld und dem geringeren Verschuldungsverhalten bestehen. Interessanterweise zeigte sich, dass die zwingende grammatikalische Unterscheidung im Sprachgebrauch zwischen Gegenwart und Zukunft, wie sie beispielsweise im Englischen im Vergleich zum Deutschen gilt, keinen signifikanten Einfluss auf das Verschuldungsverhalten hatte, sobald die semantische Verknüpfung von finanzieller Schuld und moralischer Schuld berücksichtigt wird. Während der Begriff „Schuld“ in der deutschen Sprache eine doppelte Bedeutung trägt und somit eine abschreckende Wirkung auf das Verschulden haben könnte, zeigt sich in anderen Sprachgemeinschaften, dass eine klare Trennung zwischen finanziellen und moralischen Schulden möglicherweise mit einem sorgloseren Umgang mit Kreditaufnahmen zusammenhängt.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen

Diese Erkenntnisse erweitern unser Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Sprache, Kultur und Ökonomie und laden dazu ein, die Rolle der Sprache in weiteren sozialen und wirtschaftlichen Kontexten zu untersuchen. Sie erinnern uns auch daran, dass die Macht der Worte von ihrer Bedeutung abhängt und in unser Denken und Handeln eingebettet ist.

Doch Vorsicht: Obwohl die dargestellte Korrelation zwischen der Verwendung des Wortes „Schuld“ und Verschuldung bemerkenswert ist, wäre es irreführend, die Ergebnisse als kausal zu interpretieren. Sprache muss das Denken und auch das Verhalten nicht direkt beeinflussen. Zwar ist der deutsche finanzielle Begriff „Schuld“ („debt“) aus dem Kontext genommen nicht von seiner moralischen Entsprechung „Schuld“ („guilt“) zu unterscheiden. Doch ebenso kann eine Verbindung zwischen finanzieller und moralischer Schuld durch eine Kette von Synonymen auch problemlos in anderen Sprachen hergestellt werden. Im Englischen zum Beispiel ist eine Schuld („debt“) auch eine finanzielle Verpflichtung („liability“), was bereits einer Bürde („burden“) entspricht. Die Rückzahlung der Verpflichtung, wäre eben eine Pflicht („duty“) oder wenigstens ein Versprechen („commitment“), dessen Nichterfüllung mit Schuldgefühlen („guilt“) verbunden sein kann. Daher muss „finanzielle Schuld“ und „moralische Schuld“ nicht einmal im Englischen oder in vielen anderen Sprachen als kategorisch unterschiedlich angesehen werden. Es wäre also verwegen zu behaupten, dass sich ein direkter, kausaler Einfluss von der Nutzung eines Wortes auf das Handeln ableiten ließe.

Doch wer im Hinterkopf hat, dass „Schuld“ nicht nur finanzieller Natur sein muss, mag bei finanziellen Fragen doch etwas schneller und direkter die damit einhergehende Verpflichtung im Kopf haben. Vielleicht trägt die Beziehung zwischen „finanzieller Schuld“ und „moralischer Schuld“ auch dazu bei, dass Schuldenbremsen im deutschsprachigen Raum möglicherweise positiver bewertet werden als anderswo und die Bürger sich hierzulande eher wünschen, dass politische Entscheidungsträger sie nicht zu sehr mit Schulden belasten.

David Stadelmann
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