Wir leben nicht in einem klassischen Paradies, denn vieles, was uns wichtig ist und was wir schätzen, ist knapp. Freie, wettbewerbliche Märkte helfen dabei, besser mit dieser Knappheit umzugehen und können durch die Förderung von Innovationen dazu beitragen, die Knappheit zu verringern. Es ist jedoch bekannt, dass Märkte nicht immer die Wohlfahrt maximieren. Deshalb sollte die Marktwirtschaft in einen angemessenen Regelrahmen eingebunden werden. Staatliche Eingriffe wie Verbote, Gebote und Regulierungen dienen im Idealfall diesem Zweck.
Kontrollillusion politischer Entscheidungsträger
Staatliche Eingriffe lösen jedoch nicht alle Probleme und sie beheben das Knappheitsproblem nicht. Häufig schaffen sie sogar neue und größere Probleme. Dies liegt unter anderem daran, dass „der Staat“ kein ideales, modellhaftes Konstrukt ist, sondern dass politische Entscheidungsträger im Staat selbst nur Menschen sind.
Realistischerweise achten politische Entscheidungsträger nicht nur auf das Wohl der Bürger, sondern auch auf das ihrer Interessengruppen, auf ihre eigene Karriere, ihre eigene Ideologie und natürlich auf ihr eigenes Portemonnaie. Sie engagieren sich im Staat mitunter deshalb, weil sie glauben, etwas im Sinne ihrer eigenen Interessen – die teilweise mit den Bürgerinteressen übereinstimmen – verändern zu können. Dabei sind sie oft überzeugt, über besondere Fähigkeiten oder Kenntnisse zu verfügen.
Wie andere Menschen unterliegen sie jedoch häufig einer Kontrollillusion, die durch das Erlangen von Machtfunktionen mit Entscheidungskompetenz noch verstärkt wird. Kontrollillusion bedeutet, zu glauben, man könne Prozesse und deren gesellschaftliche Ergebnisse kontrollieren, die in Wirklichkeit nicht oder bestenfalls nur marginal beeinflussbar sind. Entsprechend setzen politische Entscheidungsträger immer wieder Ziele, die oft unrealistisch sind und deren Umsetzungskosten dann höher ausfallen als der zu erwartende Nutzen für die Bürger. Noch dazu stehen die aufgrund von Kontrollillusion gesetzten Ziele häufig im Widerspruch zu anderen, bereits bestehenden gesellschaftlichen Zielen, wie dem Erhalt der Freiheit der Förderung des Wohlstands und dem sozialen Ausgleich.
Beispiele für Kontrollillusionen in der Politik gibt es zuhauf, man denke im Großen nur an die nationale Politik gegen die globale Erwärmung, die während der Corona-Pandemie geforderte „NoCovid“-Virus-Unterdrückungspolitik oder die „Refugees-Welcome“-Politik der jüngeren Vergangenheit. Besonders illustrativ ist das 1,5-Grad-Ziel in der Klimapolitik, das vorsähe, die weltweite Klimaerwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Für alle, die einen nüchternen und realistischen Blick auf die Welt haben, war von Anfang an klar, dass ein striktes 1,5-Grad-Ziel nicht zu erreichen sein würde. Vielleicht wäre das 1,5-Grad-Ziel bei seiner Verkündung im Jahr 2015 mit dem Pariser Klimaabkommen rein physikalisch betrachtet noch realisierbar gewesen, vorausgesetzt, die Treibhausgasemissionen wären zu diesem Zeitpunkt weltweit sofort und drastisch reduziert worden. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer solch drastischen Reduktion zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels wären jedoch verheerend gewesen und hätten sich in Form von Armut und Leid geäußert.
Gelingt den politischen Entscheidungsträgern die Umsetzung des von ihnen gesetzten illusorischen Ziels nicht, greifen sie häufig auf eine defensive Haltung zurück, indem die Kontrolle stillschweigend als gegeben vorausgesetzt wird. Über das illusorische Ziel wird dann nicht mehr gesprochen, und es erfolgt keine Aufarbeitung der Entscheidungen, die zur Setzung des unrealistischen Ziels geführt haben und welche den Bürgern Kosten dadurch entstanden sind. Stattdessen bleibt das unrealistische Ziel sogar oft bestehen und wird in eine Art Anspruchsniveau umgedeutet. Denn wer einer Kontrollillusion unterliegt, hinterfragt sich nicht und ist überzeugt, im Grunde alles richtig gemacht zu haben. Kritik von außen ist unerwünscht und wird mit dem Hinweis, dass man nach vorne blicken solle, abgebügelt. Illustrativ ist auch hier das 1,5-Grad-Ziel: Wer, wie manche politischen Entscheidungsträger, bei dessen Verfehlung das Ende der Menschheit nahegelegt hatte, kann dieses Ziel nun nicht einfach aufgeben. Diese Entscheidungsträger wollen auch keine Kritik hören oder Fragen beantworten, warum so ein unrealistisches Ziel überhaupt gesetzt wurde und welche Kosten die Bürger deshalb bereits tragen mussten.
Kontrollillusion als Aspekt von Nirwana-Politik
Die Kontrollillusion bestehender politischer Entscheidungsträger impliziert, dass sie dem Ansatz einer Nirwana-Politik folgen, die die Realitäten verkennt. Theoretisch und im Idealfall eines perfekten Staates erhöht staatliches Handeln die Wohlfahrt. Mit Bezug auf Märkte, können ideale staatliche Eingriffe in freie, wettbewerbliche Märkte die Wohlfahrt steigern, indem sie Marktversagen verringern. Doch wer daraus ableitet, dass die Ergebnisse real existierender, unvollkommener Märkte durch Staatseingriffe verbessert werden könnten, unterliegt einem Trugschluss und verfolgt eine Nirwana-Politik. Verglichen wurden nämlich reale Unvollkommenheiten mit den theoretischen Ergebnissen eines idealisierten Staates. Ein solcher Vergleich berücksichtigt nicht die Beschränkungen, denen ein realer Staat unterliegt und auch nicht die sehr menschlichen Beschränkungen und vielen Unzulänglichkeiten, denen reale politische Entscheidungsträger unterliegen.
Nirwana-Politik unterscheidet sich damit grundlegend von einem pragmatischen Politikansatz, der die realen Märkte mit den tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten realer Staaten vergleicht – Staaten, in denen politische Entscheidungsträger agieren, die nicht nur das Wohl der Bürger im Auge haben oder sogar Staaten in denen politische Entscheidungsträger vor allem eigennützig agieren und die das Wohl der Bürger nur wenig kümmert.
Reduktion der Kontrollillusion
Wie lässt sich das Problem der Kontrollillusion bei politischen Entscheidungsträgern entschärfen und dabei die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Nirwana-Politik tendenziell vermieden wird? Eine Schlüsselrolle spielen hierbei die politischen Rahmenbedingungen. Besonders hervorzuheben ist der Wettbewerb, der durch eine effektive Dezentralisierung zwischen Gebietskörperschaften entsteht, sowie der allgemeine Wettbewerb zwischen Politikern und Parteien.
Durch Dezentralisierung verbessern sich die Vergleichs- und Ausweichmöglichkeiten der Bürger. Dies erleichtert und beschleunigt deren Möglichkeiten zur Identifikation von Kontrollillusionen, denn die Bürger können beobachten, was anderswo passiert. Dabei können sie nicht nur durch ihre Wahlentscheidungen bei der nächsten Wahl dazu beitragen, die Auswirkungen von Kontrollillusion einzudämmen, sondern sie haben auch die Möglichkeit, sich durch einen Umzug in eine andere Gebietskörperschaft den negativen Konsequenzen jener Entscheidungen zu entziehen, die aufgrund von Kontrollillusionen getroffen wurden.
Allgemein gilt: Je intensiver der Wettbewerb zwischen Politikern und Parteien, desto schneller wird Kontrollillusion entlarvt, öffentlich kritisiert und es werden Alternativen zur verfolgten Nirwana-Politik aufgezeigt. Wenn es nicht die bestehenden Oppositionsparteien sind, die auf die Kontrollillusion der Entscheidungsträger in der Regierung hinweisen, entstehen unter demokratischen und damit wettbewerblichen Bedingungen neue Parteien, die die Nische nutzen und auf die Nirwana-Politik aufmerksam machen. Entstehen diese Parteien an den politischen Rändern, wird dies von manchen als unangenehm empfunden. Das ist verständlich, denn es handelt sich eben um den Preis für die Kontrollillusion der politischen Entscheidungsträger.
Hinweis: Eine gekürzte und leicht modifizierte Version dieses Beitrags erscheint in WiSt – Wirtschaftswissenschaftliches Studium.
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