Eine Korporation ist – wie in einem anderen Post bereits erläutert wurde – ein Zusammenschluß verschiedener Akteure, die zumindest im Hinblick auf den Zweck der Korporation weitgehend kongruente Zielsetzungen aufweisen. Die Korporation erhält ihre ökonomische Legitimation dadurch, daß ihr Handeln einen höheren Ertrag bei der Nutzung der eingebrachten Ressourcen erwarten läßt, als dies bei einer individuellen Disposition derselben der Fall wäre (Coleman 1979; 1991; 1992). Die in die Korporation eingebrachten Ressourcen können dabei alles umfassen, „was ein Akteur zur Beeinflussung seiner – physischen und sozialen – Umwelt einsetzen kann“ (Vanberg 1982, S. 11). In concreto können darunter neben finanziellen Ressourcen und der Arbeitsleistung auch andere materielle und immaterielle Güter subsumiert werden. Insofern stellt eine Korporation einen Ressourcenpool dar, der sich dadurch auszeichnet, daß die der Korporation angehörenden Akteure vorher definierte Ressourcen einbringen und auf eine individuelle Disposition der eingebrachten Ressourcen verzichten (Vanberg 1982; Daumann 1998). Die Existenz eines derartigen Ressourcenpools erfordert, daß zwei zentrale Entscheidungen implizit oder explizit getroffen werden müssen:
- Wie soll über die Verwendung des Ressourcenpools entschieden werden? Das ist Frage nach der Ausgestaltung der Koordinations- bzw. Dispositionsrechte.
- Wem soll der durch den Einsatz des Ressourcenpools erwirtschaftete Überschuß zugutekommen? Hierbei geht es um die Ausgestaltung der Ertragsrechte.
Der typische Sportverein mit dem Rechtskleid „Verein“ (§ 21 BGB) stellt nun eine derartige Korporation dar. Typischerweise gibt sich der Sportverein eine Satzung (§§ 57f. BGB), in der zumindest der Vereinsname, der Sitz des Vereins, der Vereinszweck, die Möglichkeiten des Ein- und Austritts und die von den Mitgliedern einzubringenden Ressourcen geregelt sind. Zudem enthält die Satzung Bestimmungen über die Bildung des Vorstandes und definiert die Voraussetzungen, wann eine Mitgliederversammlung einberufen werden kann. In der Mitgliederversammlung werden – sofern die Satzung nichts anderes vorsieht – Beschlüsse mit absoluter Mehrheit der anwesenden Mitglieder getroffen. Für Wahlen gilt regelmäßig dasselbe.
Nun zeigt sich, daß viele Mitglieder aufgrund der hohen Opportunitätskosten und der geringen Bedeutung für die eigene Vermögensposition nicht an den Mitgliederversammlungen teilnehmen. Die in der Versammlung oder durch den Vorstand zu treffenden Entscheidungen beziehen sich in der Regel auf die Verwendung des Ressourcenpools und auf die Art und Höhe der von den Mitgliedern zu erbringenden Ressourcen. Da es sich für die Mitglieder in den meisten Fällen beim Vereinszweck um eine Freizeittätigkeit handelt und die Mitglieder in der Lage sind, die Mitgliedschaft innerhalb eines kürzeren Zeitraums aufzukündigen und den Verein zu verlassen, sind die für das einzelne Mitglied potentiell entstehenden Kosten überschaubar und vergleichsweise klein.
Eine Möglichkeit, die Qualität der Entscheidungen zu verbessern, bestünde nun darin, es den Mitgliedern zu erlauben, ihre Wählerstimme für einzelne Entscheidungen oder für einen bestimmten Zeitraum zu verkaufen (Daumann & Wassermann 2009; Daumann et al. 2013). Auf diese Weise könnte ein Markt für Wählerstimmen entstehen und diejenigen Mitglieder die Stimmen anderer Mitglieder kaufen, für die die zu fällenden Entscheidungen eine größere Nutzenveränderung – diese kann in beide Richtungen erfolgen – bedeutet. Damit wäre gewährleistet, daß die Stärke der Präferenzen der Mitglieder stärker berücksichtigt wird. Zugleich würde bei einem derartigen Instrument, das Interesse der Mitglieder, sich mit den anstehenden Entscheidungen und deren potentiellen Auswirkungen auseinanderzusetzen, steigen würde.
Nun gibt es im wesentlichen zwei Argumente, die gegen die Veräußerung der Wählerstimmen im Sportvereinskontext hervorgebracht werden:
- Ein Markt für Wählerstimmen auf Vereinsebene könnte als Verstoß gegen demokratische Prinzipien angesehen werden. So sollten Entscheidungen und Wahlen durch die freie Willensbekundung der Mitglieder erfolgen. Ein Stimmenhandel könnte diesen Prozeß verzerren, weil nicht die tatsächliche Meinung der Mitglieder zum Ausdruck käme, sondern finanzielle Mittel die Entscheidung beeinflussen.
- Durch einen Markt für Wählerstimmen könnten Ungerechtigkeiten in dem Sinne auftreten, daß wohlhabendere Mitglieder oder Gruppierungen die Wahlen dominieren könnten, während finanziell schwächere Mitglieder benachteiligt wären.
Diese Argumente sind wie folgt zu würdigen:
Ad 1) Durch den Verkauf ihrer Stimme bringen die betreffenden Mitglieder zum Ausdruck, daß ihnen das Entgelt mehr wert ist als die Ausübung ihrer Stimme. Insofern handelt es sich um eine freie Willensbekundung und um eine effiziente Art, Präferenzen aufzudecken. Das Argument wäre damit zurückzuweisen. Zudem sind die Folgen für die Mitglieder überschaubar, da sie sich jederzeit durch Austritt mit geringen Kosten den Folgen der Entscheidungen entziehen können.
Ad 2) Ein Markt für Wählerstimmen auf Ebene eines Vereins kann nur auftreten, wenn Mitglieder bereit sind, ihre Stimme zu veräußern. Insofern ist das Argument, wohlhabendere Mitglieder könnten sich durchsetzen, zu relativieren. Es ist ja in diesem Fall nicht davon auszugehen, daß die Erlöse aus dem Verkauf einer Wählerstimme in einem Verein über das Wohl und Wehe des Verkäufers entscheiden, da es sich – wie oben beschrieben – beim Sportverein um eine Freizeitorganisation handelt. Selbst wenn nun finanziell schwächere Mitglieder sich nicht mehr entsprechend bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt sehen – was sie in der Tat selbst in der Hand haben –, verfügen sie immer noch über die kostengünstige Austrittsoption.
Insgesamt ist also davon auszugehen, daß die Ermöglichung eines Handels von Wählerstimmen die Aufdeckung der Präferenzen verbessert und daneben auch durch das größere Informationsinteresse zu qualitativ besseren Entscheidungen in der Mitgliederversammlung führt. Der Abstimmungsmechanismus des Vereins würde sich durch dieses Instrument stärker an den einer Aktiengesellschaft annähern, bei dem Aktionäre mit einem größeren Aktienpaket auch mehr Stimmen haben.
Literatur
Coleman, J. S. (1979), Macht und Gesellschaftsstruktur, Tübingen.
Coleman, J. S. (1991), Grundlagen der Sozialtheorie, Band 1: Handlungen und Handlungssysteme, München.
Coleman, J. S. (1992), Grundlagen der Sozialtheorie, Bd. 2: Körperschaften und die moderne Gesellschaft, München.
Daumann, F. (1998), Interessenverbände im politischen Prozess: Eine Analyse auf Grundlage der Neuen Politischen Ökonomie, Tübingen.
Daumann, F. & Wassermann, A. (2009), Does trading votes in national elections change election outcomes?. Public Choice, 139, 429-441.
Daumann, F., Wassermann, A. & Wunderlich, A. C. (2013), Towards more fairness: Forbid IOC vote trading. Applied Economics Quarterly, 59(4), S.295-311.
Vanberg, V. (1982), Markt und Organisation. Individualistische Sozialtheorie und das Problem korporativen Handelns, Tübingen.
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