Was Schwarz-rot verspricht (5)
Bezahlbar, verfügbar, umweltverträglich
Der Koalitionsvertrag verspricht eine moderate Neuausrichtung der Wohnungspolitik

Gemäß der jüngsten Erhebung zu den Laufenden Wirtschaftsrechnungen des Statistischen Bundesamts entfallen 36% aller Konsumausgaben der Menschen in Deutschland auf Wohnzwecke, also auf Ausgaben für Miete, Energie und Instandhaltungsmaßnahmen. Dies ist der mit Abstand größte Einzelposten innerhalb der Haushaltsrechnungen. Die Ausgaben für Nahrungsmittel, Getränke etc. sind nicht einmal halb so hoch, die Ausgaben für Verkehrsdienstleistungen belaufen sich auf ein Drittel der Wohnausgaben. Kleine Veränderungen im größten Ausgabeposten werden also von Haushalten sehr ernst genommen. Und weil Wohnraum insbesondere in den Ballungsräumen in den letzten Jahren weiter verknappte, sind die Mieten spürbar angestiegen. Entsprechend ist für viele Haushalte die Frage nach der Erschwinglichkeit von Wohnraum die wichtigste wohnungspolitische, vielleicht sogar soziale Frage dieser Zeit. Für die Koalitionäre traten neben diese Herausforderung drei weitere Ziele, bzw. Begrenzungen: Erstens führt die Wohnungsnutzung und Wohnraumerstellung zu erheblichen Ressourcenverbräuchen, die klimatischen Ziele für Deutschland lassen sich daher nur erreichen, wenn man deutliche Emissionseinsparungen auch beim Wohnen und im Wohnungsbau erreicht. Zweitens verändern sich Nutzungsstrukturen in den Städten, weil typische Hauptnutzungen von Immobilien (z.B. Einzelhandel und Büro) in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben. Städte müssen sich wandeln, und dies erfordert Investitionen. Drittens zwingen die geopolitischen Spannungen und Unsicherheiten zu umfangreichen Umschichtungen in öffentlichen Budgets. Dies hat zur Folge, dass die öffentlichen Kassen für finanzielle Wohnraumförderung begrenzt sind.

Mit dem Koalitionsvertrag können die Koalitionäre aus CDU/CSU und SPD dieses Spannungsverhältnis nicht vollständig auflösen, doch sie nehmen eine wichtige Weichenänderung im Vergleich zur Ampelregierung vor: Erschwinglichkeit wird zum Hauptmotiv der Wohnungspolitik. Dies kommt bereits darin zum Ausdruck, dass das (weit vorne im Vertrag stehende) Kapital zur Wohnungspolitik eingeleitet wird mit der Zielvorgabe, Wohnen solle „bezahlbar, verfügbar und umweltverträglich“ gestaltet werden. Für die Vorgängerkoalition wurden gleich sechs Ziele für die Wohnungspolitik vorgegeben: bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig, barrierearm, innovativ und lebendig (der öffentlichen Räume). Wer nur drei Ziele verfolgt, generiert weniger potenzielle Zielkonflikte, und zudem ist der Anspruch von Umweltverträglichkeit geringer als jener von Klimaneutralität UND Nachhaltigkeit.

Um diese Zieltrias zu erreichen, setzen die neuen Koalitionäre auf Stärkung der Angebotsseite, schlankere Prozesse und Erhalt der Mietpreisbremse. Hier ist insbesondere der für die ersten 100 Tage gesetzgeberisch vorzubereitende Wohnungsbau-Turbo der erste Lackmus-Test dafür, wie ernst es der künftigen Bundesregierung mit dieser Ausrichtung ist. Weitere Regelvereinfachungen werden mit Blick auf Technische Anleitungen (Lärm und Luft) sowie den vereinfachten Gebäudetypus E, der letztlich Bauen verbilligen soll, in Aussicht gestellt. Bauen soll auch in angespannten Wohnungsmärkten wieder für 15 EUR je Quadratmeter möglich sein. Daran wird sich die Regierung in ähnlicher Weise messen lassen müssen wie die Vorgängerregierung an dem nie erreichten Fertigstellungsziel von 400.000 Wohneinheiten pro Jahr.

Damit dies gelingt, wurden Zugeständnisse beim Thema Gebäudeeffizienz gemacht. Nicht mehr die Effizienz der Gebäudehülle gilt als Orientierung ökologischer Wohnungsbaupolitik, sondern das Einsparen von CO2. Dies kann – und das ist ein wichtiger Punkt – auch durch Quartierslösungen verfolgt werden. Die Orientierung an den Emissionen ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll. So kann der mögliche Zielkonflikt zwischen budgetären Grenzen und dem ökologisch Notwendigen zumindest gemindert werden. Doch selten wird die Re-Priorisierung zwischen Sozialer und Ökologischer Nachhaltigkeit deutlicher als darin, dass die Europäische Gebäuderichtlinie möglichst spät umgesetzt werden soll.

Konkret bezifferte Subventionszusagen sind im Koalitionsvertrag indes nicht zu finden. Das Angebot soll eher durch weniger Auflagen, schnellere (digitale) Prozesse und mehr Standardisierung erhöht werden als durch umfangreiche zusätzliche Förderprogramme. Eher geht es um den effektiven Einsatz bestehender Förderung als um große neue Maßnahmen. Dies passt in eine Welt notwendiger Verteidigungs- und versprochener Infrastrukturausgaben. Der wohnwirtschaftliche Spielraum muss dann auf der Angebotsseite durch Verschlankung erreicht werden. Da Fördermaßnahmen ein zweischneidiges Schwert sind, weil sie die Nachfrage stimulieren, ist dies nachvollziehbar. Wahrscheinlich musste in diesem Zuge auch die Mietpreisbremse verlängert werden, damit die Sozialdemokraten leichter dieser Zurückhaltung zustimmen konnten. Und wahrscheinlich folgte auch der Verzicht auf reformierte Grunderwerbsteuern einem ähnlichen fiskalischen Diktat knapper Kassen.

Von den eingangs genannten vier Herausforderungen (Erschwinglichkeit, Nachhaltigkeit, Budgetrestriktionen und innerstädtische Erneuerung) bietet der Koalitionsvertrag am wenigsten zum letzten Punkt. Dies ist auf der einen Seite erklärlich, weil innerstädtische Erneuerung definitionsgemäß ein kommunales eher als ein nationales Thema ist. Gleichwohl scheint die Wucht des Themas unterschätzt zu werden. Letztlich sind alle Städte gleichzeitig von einer Erneuerungsnotwendigkeit betroffen. Dann ist es eben kein rein individuell-kommunales Thema, sondern rechtfertigt einen stärker koordinierten Strategieansatz, bei dem sich auch nationale Politikvertreter einmischen sollten. Hier könnte sich die räumliche Offenheit („Wir stärken die städtebauliche Entwicklung des Landes, gerade auch in den ländlichen Räumen,[…]“) als schwere Last erweisen, denn jeder gestärkte ländliche Raum wird zur weiteren Schwächung der Innenstadt und umgekehrt. Weil Städte Größenvorteile bieten, weil sie die Kraftzentren von Innovationen und Wertschöpfung sind, ist der Preis der Außenraumstärkung hoch. Um Strukturdefizite ländlicher Räume zu kompensieren, bedarf es finanzieller Ressourcen – doch diese stehen nur unzureichend bereit. Dann ist Fokussierung die logische Konsequenz. Dies liest sich aus dem Koalitionsvertrag mit Blick auf diese Herausforderung nicht.

Insgesamt ermöglichen die wohnungspolitischen Ausführungen durchaus die Hoffnung, dass mehr Wohnangebote geschaffen werden. Doch weil die meisten Rezepte nicht neu und revolutionär sind, wird vor überzogenen Erwartungen gewarnt. 

Serie: „Was Schwarz-Rot verspricht

Stefan Seuffert (ALU): Rente im Koalitionsvertrag. Wiederbelebung der doppelten Haltelinie – doppeltes Versprechen oder doppelte Last?

Alexander Eisenkopf (Zeppelin): Was bleibt vom Sondervermögen Infrastruktur für den Verkehr?

Markus Brocksiek (BdSt): Bürokratieabbau quo vadis?

Holger Schäfer (IW): Was wird neu an der „Neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende“?

Norbert Berthold (JMU) und Jörn Quitzau (Bergos): Was Schwarz-Rot verspricht

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