Wirtschaftspolitik neu denken (4)
Rentenversicherung generationengerecht reformieren

Die gesetzliche Rentenversicherung muss gleichzeitig generationen- und verursachergerecht reformiert werden. Hierfür ist es zwingend erforderlich die Beiträge einzufrieren (Beitragsprimat) damit zukünftige Generationen die gleichen relativen Anteile ihres Lohnes an die älteren Generationen abgeben wie letztere es auch getan haben. Die damit einhergehenden Leistungsabsenkungen sind verursachergerecht, weil die geburtenstarken Jahre durch die niedrige Fertilität das Finanzierungsproblem selbst geschaffen haben. Die notwendige Botschaft ist einfach: Wir müssen die Renten- von der Lohnentwicklung entkoppeln (Stärkung des Nachhaltigkeitsfaktors), das gesetzliche Rentenzugangsalter bis 2020 auf 69 Jahre erhöhen und alle Subventionen für den vorgezogenen Ruhestand beenden. Keine dieser Maßnahmen befindet sich in den Wahlprogrammen der angetretenen Parteien, weil die Wählermehrheit schon heute älter als 55 ist.

Als der damalige Arbeitsminister Scholz im Jahr 2008 gemeinsam Kanzlerin Merkel die sogenannte Rentengarantie einführte und damit grundsätzlich Rentenkürzungen in Deutschland ausschloss, ahnte er wohl nicht, dass er als Kanzlerkandidat im Jahr 2025 einen Rentenwahlkampf zur Verhinderung dessen führen würde, was er selbst eben bereits 17 Jahre zuvor verhindert hatte. Offensichtlich bestehen auch hier erhebliche Erinnerungslücken des Noch-Kanzlers, denn bis 2008 hätten Nominalrenten dann gekürzt werden können, wenn die Lohnentwicklung negativ gewesen wäre. Die Symmetrie in der Entwicklung von Renten und Löhnen war Kern der intergenerativen Solidarität – bis der damalige Arbeitsminister Scholz die Solidarität nur für die guten Tage aber eben nicht für die schlechten Tage gesetzlich implementierte. Für eine gerechte Reform der Rentenversicherung wäre also zwingend erforderlich, dass die Rentengarantie des Jahres 2008 im Sinne einer gerechten Lastverteilung wieder zurückgenommen wird.

Was aber wäre weiterhin Bestandteil einer tragfähigen Reform der gesetzlichen Rentenversicherung? Um es gleich vorwegzunehmen: Die Antwort darauf findet sich in keinem Wahlprogramm der angetretenen Parteien. Sie wäre auch zu unpopulär und damit für jeden Mandatsträger extrem karriereschädlich, denn die Menschen müssen grundsätzlich länger arbeiten und bekommen im Gegenzug ein geringeres Rentenniveau. Wie genau müsste das aussehen?

Hinsichtlich des gesetzlichen Renteneintrittsalters sind mutige Entscheidungen zu treffen, denn selbst die Kopplung an die steigende Lebenserwartung nach skandinavischem Vorbild käme viel zu spät. Während in den 60er Jahren ein Rentner im Durchschnitt fast fünf Jahre für ein Rentenbezugsjahr gearbeitet hat, beläuft sich dies für gegenwärtige Rentner auf nur gut zwei Jahre. Damit die Rentenbezugsdauer sich der Beitragszahlungsdauer nicht noch weiter annähert, muss im Sinne einer generationengerechten Reform das gesetzliche Rentenzugangsalter ab 2026 um 3 Monate pro Jahr erhöht werden bis 2039 dann das gesetzliche Renteneintrittsalter bei 69 Jahren liegt. Damit würde man der gestiegenen Lebenserwartung der Vergangenheit Rechnung tragen und gleichzeitig die gesetzliche Rentenversicherung finanziell auf nachhaltigere Beine stellen. Zugleich würden die geburtenstarken Jahrgänge, die im Laufe der kommenden 15 Jahre in Millionenstärke in das Rentenalter kommen, Teile der demographischen Last, die sie selbst verursacht haben, auch selbst tragen.

Das Rentenniveau von derzeit 48 Prozent kann nur zum Preis steigender Beiträge und steuerfinanzierter Bundeszuschüsse aufrechterhalten werden. Um dies zu verhindern, führte der damalige Bundeskanzler Schröder den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor ein. Er induziert nach Maßgabe der demographischen Entwicklung eine Nominalrentenerhöhung die immer etwas unterhalb der Lohnentwicklung liegt. Diesen Nachhaltigkeitsfaktor hat Noch-Arbeitsminister Heil bis 2025 ausgesetzt und wollte diese Aussetzung mit seiner Rentenreform verlängern. Damit würden Beiträge so steigen, dass das derzeitige Rentenniveau gehalten wird und folglich ein reines Leistungsprimat vorläge. Notwendig wäre aber eine Fokussierung des Faktors auf ein reines Beitragsprimat. Will heißen: Das Rentenniveau wird auf gut  40 Prozent abgeschmolzen und die Beiträge stabilisieren sich bei 18 Prozent. Hierin liegt die verursachergerechte Verteilung der demographischen Last auf die Schultern der Baby-Boomer, denn sie sind dafür verantwortlich, dass immer weniger Beitragszahler für immer mehr Rentner aufkommen müssen.

Und schließlich sollten die Arbeitsanreize für ältere Beschäftigte spürbar erhöht werden. Derzeit wird tatsächlich alles dafür unternommen, dass die Menschen so früh wie möglich aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Dies liegt zum Teil an der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren (Rente mit 63 bzw. langfristig 65) aber auch an den viel zu geringen Abschlägen für jene, die eben nicht so lange Arbeitsphasen aufweisen. Statt also den vorgezogenen Ruhestand durch zu niedrige oder gar keine Abschläge zu belohnen, sollten mathematisch korrekte Abschläge in der Größenordnung von 0,4-0,5 statt 0,3 Prozent pro Monat vorgezogenem Ruhestand berechnet werden. Es ist höchste Zeit, dass sich hier etwas in die richtige Richtung bewegt und damit mehr ältere Beschäftigte ihren Renteneintritt nicht mehr subventioniert vorziehen. Wenig hilfreich wäre es, die Subventionen des vorgezogenen Ruhestands durch weitere Subventionen bei verlängerter Beschäftigung quasi neutralisieren zu wollen. Diese Entscheidung träfen viele Menschen von sich aus und schon deshalb, weil es sonst eben einfach zu „teuer“ für sie wird.

In den Wahlprogrammen aller Parteien finden sich hinsichtlich der Rentenfinanzierung keine wirklichen Reformen. Im Gegenteil, es wieder die Zeit für Wahlgeschenke. Keine Partei tritt für die Stärkung des Nachhaltigkeitsfaktors ein, manche wollen ihn weiterhin aussetzen, andere eher beim Status quo bleiben und damit mehr oder weniger stark das Finanzierungsproblem auf die Schultern der jungen Generation legen. Keine Partei macht sich für eine Anhebung des gesetzlichen Rentenzugangsalters stark und nirgendwo findet sich eine Diskussion der versicherungsmathematischen Fairness von Abschlägen bei vorzeitigem Rentenzugang. All dies ist verständlich angesichts der Tatsache, dass der derzeitige Medianwähler bereits älter als 55 Jahre ist. Es ist jedoch völlig unverständlich angesichts des Akzeptanzproblems, das die junge Generation der Beitragszahler mit den Generationenverträgen insgesamt hat. Eine Kündigung ist nicht auszuschließen und wäre eine vollkommen rationale Entscheidung, die bereits heute durch Abwanderung in die Selbständigkeit oder in andere Länder massenweise erfolgt. 

Serie „Wirtschaftspolitik neu ausrichten“

Astrid Rosenschon (IfW): Subventionen radikal kürzen

Michael Heise (HQ Trust): Wachstumskräfte und Arbeitsvolumen steigern

Norbert Berthold (JMU) und Jörn Quitzau (Bergos): Wirtschaftspolitik neu ausrichten

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