An jenem denkwürdigen 15. September 2008, einem Montag, als die Regierung Bush die Investment Bank Lehman Brothers in die Pleite schickte, hielt das Auktionshaus Sotheby’s in London einen Auktion ab. Der Künstler Damian Hirst, dessen Vermögen auf rund 200 Millionen Pfund geschätzt wurde, versteigerte seine gesamte Jahresproduktion – eine in Formaldehyd eingelegte Kuh zum Beispiel oder regelmäßig angeordnete farbige Punkte auf Leinwänden – und erlöste dafür 111 Millionen Pfund. Das war der Höhepunkt einer globalen Preisblase am Kunstmarkt.
Danach ging es bergab, auch für Damian Hirst. Der Künstler, ein echter Unternehmer, kündigte an, er müsse 17 Mitarbeiter entlassen und den Markt beobachten. Im Vergleich mit den parallel bei der Citigroup gekündigten 35000 Beschäftigten hält sich das Ausmaß der Krise bei der Firma Hirst noch in Grenzen: Doch die Feuilletons waren entsetzt.
Die Koinzidenz der Ereignisse am 15. September ist von vielen Zeitgenossen bemerkt worden: Sie spiegelt die Gleichzeitigkeit des Unleichzeitigen. Während die Pleite von Lehman die Kernschmelze im Finanzsystem auslöste, zeigte der Verkaufserlös von Hirst noch einmal den Reichtum der Kunst. Es war, als ob die Händler und Sammler bei Sotheby’s an jenem Tag noch nicht begriffen hätten, was zugleich um sie herum passierte. Oder ob sie noch ein letztes Mal schwelgen sollten.
Nur wer naiv war, konnte übersehen, dass es einen Zusammenhang gab zwischen den exorbitant hohen Preisen, die in den Jahren zuvor am Kunstmarkt bezahlt wurden, und dem Anschwellen der weltweiten Vermögenswerte. „Zwischen 1998, als wir ,Orange Marilyn’ von Andy Warhol für 17,3 Millionen Dollar verkauften, und 2007 lag der Höchstpreis für zeitgenössische Kunst immer so um 20 Millionen Dollar“, sagt der New Yorker Star-Auktionator Tobias Meyer von Sotheby’s: Aber danach seien die Preise explodiert. Im Februar 2007 spielte das große Papst-Bild von Francis Bacon 53 Millionen Dollar ein, und im Mai jenes Jahres wurde ein Gemälde von Marc Rothko aus der Rockefeller-Sammlung für 73 Millionen Dollar verkauft.
Ist es so verwunderlich, dass zwischen dem Finanzmarkt und dem Kunstmarkt ein Gleichklang der Preisentwicklung besteht (auch wenn Anlageberater häufig aus Eigeninteresse das Gegenteil behaupten)? Eigentlich nicht. Die Investmentbanker in New York wollten mit ihren Boni nicht nur teure Appartments am Central Park kaufen. Und die vom Öl neureich gewordenen Russen wollten ihre Statusansprüche nicht nur mit Ikonen der orthodoxen Kirche befriedigen. Wo viel Geld da ist, überbietet man sich mit immer noch mehr Geld.
Mehr noch: Die Unternehmen, vor allem die Banken, haben sich als Mäzene im großen Stil betätigt. Allein das Stiftungskapital des Museums of Contemporary Art in Los Angeles wuchs zwischen 2000 und 2007 von 20 auf 36 Millionen Dollar. Der Direktor hatte das bescheidende Jahresgehalt von 500 000 Dollar bezogen, gewiss eine vernachlässigbare Größe im Vergleich zu den Millioneneinkommen der Banker.
Besonders spektakulär waren die mäzenatischen Aktivitäten von Lehman Brothers. Sie hatten eine große Tradition. Der Robert Lehman Wing im New Yorker Metropolitan Museum beherbergt Werke des Impressionismus und der Renaissance. Die Firma selbst war im Besitz einer Sammlung von 3500 Werken. Und das New Yorker Whitney Museum für zeitgenössische amerikanische Kunst bestritt regelmäßig einen Großteil seines Budgets aus den Gewinnen von Lehman. Allein im Jahr 2007 soll die Investmentbank 40 Millionen Dollar gespendet haben.
Das alles ist auf einmal zusammengebrochen. Die Kulturkritik hat lautem aufgeschluchzt, dass diese Krise so furchtbare Folgen habe, und gezetert, wie schlimm es mit dem Kapitalismus gekommen sei, dass er jetzt noch nicht einmal mehr die Kunst sponsern könne. Haben die Leute nicht bemerkt, dass sie zuvor mit vergleichbarer Abscheu jene gewinnsüchtige Gier gegeißelt haben, die doch die Voraussetzung für das Mäzenatentum und die Gewinne der zeitgenössischen Künstler bildete? Hat nicht der ganze Kunstbetrieb jahrelang sehr gut von der Inflation der Vermögenspreise gelebt?
Gerade die Künstler – und ihre professionellen Freunde bei den Auktionshäusern und in den Feuilletons – sollten nichts auf die Investmentbanker kommen lassen. Im Rausch einer Finanzblase ist es ihnen noch immer gut gegangen. Das Florenz der Renaissance beruhte auf dem Mäzenatentum der Medici. Venedig verwandelte im 16. Jahrhundert das Gold aus dem Gewürzhandel in Gemälde von Tizian und Tintoretto. Und Finanziers wie JP Morgan, Henry Frick oder Andrew Mellon gaben einen großen Teil ihres Vermögens für Kunst aus.
Harold James, Wirtschaftshistoriker aus Princeton, geht mit dem Lob des Kunstsinns der neuen Investmentbanker noch weiter. Während Morgan und Mellon vor allem Werke alter Meister gesammelt hätten, ein risikoloses Geschäft, denn deren Geltung war längst anerkannt, hätten die neuen Mäzene des beginnenden 21.Jahrhunderts wie die Medici agiert: Sie haben Künstler zu neuem Schaffen angeregt und sind auch bei ihren künstlerischen Investitionen – in Formaldehyd eingelegte Kühe – voll ins Risiko gegangen. Kein Wunder, meint Harold James, die Erfinder der neuen Finanzprodukte und die zeitgenössische Kunst eine der Begriff der Avantgarde: Innovation gab es noch nie ohne Risiko, weder in der Kunst noch im Finanzkapitalismus. Ein solches Lob der Avantgarde klingt heute ziemlich daneben. Warten wir es ab: Ob etwas Großes aus den Bubble-Jahren bleiben wird und ob die soeben angebrochene Ära der Langeweile dem etwas entgegenzusetzen hat, das werden wir erst in einigen Jahren – oder Dekaden – genauer wissen.
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Mäzenatentum in Ehren, aber leider geht es in Wahrheit häufig um Korruption und Geldwäsche, dafür ist Kunst perfekt geeignet.
Die berühmten Peanuts der Investmentbanker haben der Kunstszene zudem nur eine Scheinblüte eingebracht, die nach dem Platzen der überbordenden Finanzspekulationsblase genau so schnell vergeht, wie sie entstanden war.
Mäzenatentum, das nicht auf wirklichem Interesse und auch auf Leidenschaft beruht, kann als Spiegelbild kalten Geldes nur käufliche Kunst hervorbringen.