Der internationale Freihandel gerät aus geostrategischen und sicherheitspolitischen Motiven zunehmend unter Druck, Protektionismus greift um sich. Donald Trumps erratische Zollpolitik führt zu hoher Unsicherheit und schickt die Aktienmärkte sowie den Dollar auf eine Achterbahnfahrt. Ist der Freihandel vor diesem Hintergrund noch zu retten? Auch wenn es angesichts der unklaren Motivation der USA schwierig ist, eine konsistente Verhandlungsstrategie zu entwerfen, sollte die EU weiterhin eine aktive Freihandelsagenda verfolgen und das Mercosur-Abkommen zügig ratifizieren sowie Abkommen beispielsweise mit Indien und Indonesien vorantreiben. Gegenüber den USA sollte sie einen schrittweisen Ansatz verfolgen, indem sie Gegenzölle vorbereitet und ggf. maßvoll einsetzt, sich aber zugleich verhandlungsbereit zeigt.

Die Globalisierung war für den langjährigen Exportweltmeister Deutschland bisher Garant für Wachstum und Wohlstand. Insbesondere erfolgreiche Entwicklungs- und Schwellenländer verdanken ihren heutigen Wohlstand maßgeblich dem freien Handel der letzten Jahrzehnte. An einem Handelskrieg kann aber niemand Interesse haben, da letztlich alle verlieren. Die Betroffenheiten sind dabei allerdings sehr unter-schiedlich. Handelsmodelle zeigen, dass technologisch stark hinterherhinkende Länder im Falle eines Handelskriegs mit bis zu achtmal größeren Wohlstandsverlusten rechnen müssen als der Technologieführer. Sehr kleine Länder müssen einen bis zu sechszehnmal größeren Rückgang ihres Pro-Kopf-Einkommens befürchten als große Länder.
Spielen neben ökonomischen auch (macht-)politische Erwägungen eine Rolle, befinden wir uns nicht mehr in einer „gains from trade-Welt“, in der Regierungen darauf abzielen, das Pro-Kopf-Einkommen der eigenen Bevölkerung zu maximieren. Im Extremfall bewegen wir uns dann in einer „zero sum-Welt“, in der die Gewinne des einen Landes die Verluste des anderen sind, d. h. die relative wirtschaftliche Position des eigenen Landes gegenüber einem anderen Land die relevante politische Zielgröße ist. In einem Handelskrieg ist wirtschaftliche Größe vorteilhaft, da sie die Verhandlungs-position verbessert. Zudem ist es zentral, dem Gegner glaubwürdig drohen zu können. Für die EU-Verhandlungsposition gegenüber den USA unterstreicht dies, wie wichtig es ist, mit einer Stimme zu sprechen und sich nicht auseinander dividieren zu lassen. Zudem kommt es darauf an, robuste Gegenmaßnahmen zu entwickeln, die schrittweise zum Einsatz kommen sollten, während immer wieder Verhandlungsbereitschaft signalisiert wird. Die Gegenmaßnahmen sollten „schlau“ sein, d. h. möglichst gezielt eingesetzt werden und vor allem auch unkonventionelle Instrumente umfassen.
Seit 2010 und noch einmal beschleunigt seit 2019 hat weltweit die Anzahl tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse deutlich zugenommen. Der Welthandel zeigt sich bisher jedoch relativ robust, das Handelsvolumen nimmt weiter zu, wenn auch gebremst. Ob sich dies fortsetzt, hängt nicht zuletzt auch davon ab, welche Zölle die USA ihren Handelspartnern schließlich auferlegen und wie sich diese längerfristig auswirken. Die am „Liberation Day“ verkündeten Zollsätze haben die USA z. T. zwischenzeitlich aufgeschoben. Begründet wurden die Zollerhöhungen mit angeblichen Asymmetrien im Güterhandel zwischen den USA und seinen Handelspartnern. Dabei ist jedoch nur ein kleiner Teil des Leistungsbilanzdefizits gegenüber der EU auf unfaire Handelsbedingungen zurückzuführen. Der deutlich größere Teil resultiert aus den hohen Budgetdefiziten und der niedrigen Sparquote in den USA. Zudem ist nicht berücksichtigt, dass die USA im Dienstleistungshandel mit der EU einen hohen Überschuss erzielen.
Die aktuelle Zollpolitik der USA hat zu einem historisch außergewöhnlichen Anstieg der Unsicherheit geführt, die sich z. B. an den Aktienmärkten und der Entwicklung des Dollars zeigt. Diese hohe Unsicherheit dürfte vor allem den USA selbst schaden. So müssen sie Berechnungen zufolge mit einem Rückgang ihrer Exporte um 35 Prozent sowie einem Verlust des BIP von einem Prozent rechnen, während für Deutschland und die EU ein BIP-Verlust von lediglich ca. 0,2 Prozent zu erwarten ist.
Seit der Zollankündigung Trumps Anfang April sind die Verhandlungen der EU mit den USA in vollem Gange. Die Verhandlungsführung der EU wird dadurch erschwert, dass nach wie vor unklar ist, was die US-Administration mit ihrer Zollpolitik bewirken möchte. Es werden verschiedene Ziele genannt, die jedoch z. T. im Konflikt zueinanderstehen. So könnte es darum gehen, mit hohen Zollankündigungen eine gute Verhandlungsposition aufzubauen, um bei den Handelspartnern einen Abbau von Handelsbarrieren, Zusagen im Bereich der Migrationsbekämpfung oder eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu erreichen sowie strategische Rivalen zu zügeln. Die Politik könnte zudem darauf abzielen, die US-Industrie vor Konkurrenz zu schützen. Und schließlich steht immer wieder das Ziel im Raum, durch die Zollpolitik hohe Staatseinnahmen zu generieren, um die sehr teuren Maßnahmen des „One Big Beautiful Bill“ zu finanzieren – dazu müssten die Importe aber hoch bleiben.
In den Verhandlungen mit den USA sollte die EU auf ihre gute Verhandlungsposition vertrauen und nicht einen „Deal“ um jeden Preis abschließen. Sie sollte zudem aktiv Freihandelsabkommen mit Partnern in Lateinamerika und Asien vorantreiben. Dabei gilt es, einen pragmatischen Ansatz zu verfolgen, um möglichst schnell Verhandlungserfolge zu erzielen. Flankierend sollte über Unterstützungsmaßnahmen aus dem „European Globalisation Adjustment Fonds“ nachgedacht werden, um die Handelspolitik abzusichern. Trotz allem handelspolitischen Gegenwind sollte die EU sich dafür einsetzen, dass die Regeln der Welthandelsorganisation eingehalten werden.
Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Das Ende des Freihandels: Steht unser Wohlstand auf dem Spiel?“ mit Prof. Gabriel Felbermayr, PhD (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung).