De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Geschäftsmodelle, De-Globalisierung und ruinöse Politik

„Deutschland richtet seine eigene Industrie zugrunde.“ (Hans-Werner Sinn)

Die Hiobs-Botschaften von BASF, Bosch, Continental, ZF, Meyer-Werft und VW werfen Schlaglichter auf den Zustand der deutschen Industrie. Diese Unternehmen haben schon Arbeitsplätze abgebaut oder werden es noch tun. Der industrielle Sektor galt in Deutschland lange als krisensicher. Diese Zeiten sind vorbei. Auch in Deutschland gelten die „Gesetze“ des sektoralen Strukturwandels. Eine ideologiegetriebene Politik gegen die eigene Industrie beschleunigt ihn, erhöht den Anpassungsdruck und destabilisiert Wirtschaft und Gesellschaft.

Geschäftsmodell Deutschland

Deutschland ist ein Nachzügler im inter-sektoralen Strukturwandel. Es ist noch immer stark industrielastig (hier). Das wird sich ändern. Der industrielle Sektor wird weiter schrumpfen. Die interessante Frage ist: Warum ist das verarbeitende Gewerbe in Deutschland größer als in wirtschaftlich ähnlich entwickelten Ländern? Eine Antwort gibt das „Geschäftsmodell Deutschland“ (hier). Es basiert stark vereinfacht auf drei Elementen: Billige Vorprodukte, effiziente Produktion, offene Absatzmärkte.

Deutsche Unternehmen haben die Globalisierung lange besser genutzt als andere. Sie erkannten die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung schneller. Auf offeneren Märkten kauften sie weltweit Vorprodukte günstig ein. Das Geschäft mit billigem russischem Gas war allerdings nur temporär lukrativ. Und die Unternehmen produzierten die Güter effizienter. Qualifizierte Arbeit, risikofreudige Unternehmer, gelebte Tarifpartnerschaft, und eng verbundene Klein-, Mittel- und Großetriebe halfen. Auf weltweit offeneren Absatzmärkten verkauften sie die Produkte profitabel.

Mit dieser Strategie gelang es Deutschland, vom internationalen Muster des sektoralen Strukturwandels abzuweichen. Überall schrumpft mit steigendem Wohlstand die Industrie stark. Von diesem Trend konnte sich Deutschland lange abkoppeln (Mitte 90er – Mitte 10er). Den Unternehmen der Industrie gelang es, weltweit immer neue Abnehmer für ihre Produkte zu finden. Sie nutzen die Vorteile der Globalisierung. Die De-Industrialisierung verzögerte sich, der Strukturwandel wurde aufgeschoben.

Inter-sektoraler Strukturstau

Die Kräfte, die Deutschlands Industriesektor stabilisierten, schwinden. Das „Geschäftsmodell Deutschland“ erodiert. Eine treibende Kraft ist die De-Globalisierung. Weltweit schottet die Politik die Märkte wieder ab. Protektionismus und Subventionen feiern fröhliche Urständ. Der Multilateralismus zerbröselt, die Blockbildung nimmt zu. Das trifft die stark in die internationale Arbeitsteilung eingebundene deutsche Industrie hart.

Der Markt für Vorprodukte wird weltweit segmentiert. Die Preise steigen. Einige Produkte, wie seltene Erden, werden als politische Waffe eingesetzt. Dazu kommt der Ukraine-Krieg. Er hat die Preise für Energie erhöht. Das trifft Deutschland mit seiner missratenen, stark von russischem Gas abhängigen Energiepolitik besonders. Vor allem energieintensive Industriebranchen, wie Chemie, Metall und Kunststoffe, sind in Schwierigkeiten. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Die auf Offenheit angewiesene deutsche Industrie leidet unter dem weltweiten Trend, heimische Absatzmärkte wieder abzuschotten. Tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse sind en vogue. Sie schrumpfen die Absatzmärkte für deutsche Industrieprodukte. Ob China oder die USA, überall wird der Marktzugang beschränkt. Ein Lichtblick ist der Europäische Binnenmarkt. Aber auch dort verzerren nationale Industriepolitiken und willkürliche Taxonomien der EU-Kommission den Wettbewerb.

Der industrielle Sektor leidet, wie andere Sektoren auch, unter typischen deutschen Standortproblemen. Die Produktion im Inland lohnt immer weniger. Sie wandert ab. Ein wichtiger Treiber ist die Demographie (Fachkräftemangel und PISA). Die marode Infrastruktur (analog und digital) ist ein anderer. Ein dritter ist die überbordende Bürokratie (national und europäisch). Schließlich macht eine hohe Steuer- und Abgabenbelastung (Sozialstaat und Staatskonsum) den Standort weniger attraktiv.

Die Erosion des „Geschäftsmodells Deutschland“ schrumpft den industriellen Sektor. Wie schnell sich der „aufgestaute“ Strukturwandel entlädt, hängt von De-Globalisierung und nationaler Politik ab. Er läuft kontrolliert ab, wenn sich die De-Globalisierung relativ langsam durch die Weltwirtschaft frisst und/oder die Politik den Standort attraktiver macht. Ein Ketchup-Effekt ist möglich, wenn sich die De-Globalisierung stark beschleunigt und/oder die nationale Politik eine Politik gegen den eigenen Standort macht.

Ruinöse Politik gegen die Industrie

Der Strukturwandel ist ein starker Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. „Altes“ verschwindet, „Neues“ entsteht. Er folgt einem inter-sektoralen Muster. Mit steigendem Wohlstand fragen Haushalte und Unternehmen mehr Dienstleistungen nach (hier). Der industrielle Sektor verliert, Dienstleistungen gewinnen. Strukturwandel schafft mehr Wohlstand. Kostenlos ist das aber nicht, Friktionen sind unvermeidlich. Die Brüche lassen sich aber besser handhaben, wenn für die wirtschaftlichen Akteure noch Zeit bleibt, sich kontrolliert an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

Die Politik hat einen anderen Weg eingeschlagen. Sie vergrößert die Gefahr eines Ketchup-Effektes. Eine falsche Schrittfolge in der Energiepolitik beschleunigt den Strukturwandel. Billige, verlässliche und klimafreundliche atomare Energiequellen wurden abgeschaltet bevor flatterhafte Erneuerbare von Nord nach Süd transferierbar und effizient speicherbar sind. Teures (Ersatz)Gas setzt energieintensiven (Industrie)Branchen zu. Das alles bringt uns aber der Klimaneutralität keinen Schritt näher.

Der Anpassungsdruck für die Autoindustrie hat sich mit dem Verbot des Verbrenners bis zum Jahr 2035 drastisch erhöht. Treibende Kraft war zwar die EU-Kommission, die Bundesregierung hat aber zugestimmt, ihre eigene Vorzeigebranche in Schwierigkeiten zu bringen, ohne dem Klima zu helfen. Die komparativen Vorteile der deutschen Automobilindustrie bei Verbrennern werden pulverisiert. Sie ist gezwungen, auf E-Autos umzusteigen, um die europäischen Flottengrenzwerte zu erreichen. Elektorautos produzieren können aber gegenwärtig andere (noch) besser. Die gegenwärtige VW-Krise ist auch ein Ergebnis dieser Politik gegen die (Auto)Industrie.

Mit dem Lieferkettengesetz hat die (deutsche und europäische) Politik einen weiteren Pfeiler des erfolgreichen „Geschäftsmodells Deutschland“ mutwillig beschädigt. Der bürokratische Aufwand des Gesetzes ist hoch. Die Produktion international handelbarer Güter verteuert sich, ohne den Schutz der Umwelt und die Menschen- und Kinderrechte nachhaltig zu verbessern. Der Standort wird beschädigt. Der stark in die internationale Arbeitsteilung eingebundene industrielle Sektor leidet. 

Mit der Energiepolitik, dem Verbrennerverbot und dem Lieferkettengesetz beschleunigt die Politik den Strukturwandel. Sie beschädigt das „Geschäftsmodells Deutschland“. Der Prozess der De-Industrialisierung wird forciert. Die Politik provoziert industrielle Ketchup-Effekte. Hans-Werner Sinn, der frühere Präsident des Ifo-Instituts, hat es kürzlich in der NZZ prägnant formuliert: „Deutschland richtet seine eigene Industrie zugrunde“. Das alles hilft weder dem Klima noch den Menschenrechten.

Politik für den Strukturwandel

Die (Industrie)Politik der Bundesregierung ist bizarr. Erst kämpft sie mit kostspieligen, marktwidrigen Mitteln gegen die Industrie, oft um nicht-ökonomische Ziele zu erreichen. Die Ziele werden zwar nicht erreicht. Der Strukturwandel nimmt aber Fahrt auf, der Anpassungsdruck auf die Unternehmen steigt. Geraten die Unternehmen dann aber über kurz oder lang wirtschaftlich in Not, subventioniert die Politik (erfolglos) gegen den auch von ihr verursachten Niedergang an. Die Politik kämpft mit Problemen, die sie selbst (mit)verursacht hat.

Eine vernünftige Politik sieht anders aus. Sie betreibt keine „alte“, oft strukturkonserviernde Strukturpolitik, sondern eine Politik für den Strukturwandel. Der (sektorale) Strukturwandel ist für alle alternativlos, die nicht in einer (Postwachstums)Welt des ständigen Verzichts leben wollen. Haushalte und Unternehmer treiben den Strukturwandel. Idealerweise sorgt der Staat für offene Märkte, verhindert wettbewerbliche Verzerrungen und federt die Friktionen des strukturellen Wandels sozial ab. Vor allem aber bemüht er sich um bessere Bedingungen für den Standort.

Eine solche (Angebots)Politik für den Strukturwandel versucht, national immobile Produktionsfaktoren für international mobile Faktoren interessant zu machen (Herbert Giersch). Grob vereinfacht: Ein Land muss besser, billiger und schneller als die weltweite Konkurrenz sein. Notwendig sind ein effizientes Angebot an öffentlichen Gütern, ein günstiges Preis-Leistungsverhältnis bei Steuern und staatlichen Leistungen und attraktive institutionelle Regelungen.

Der Klimawandel erschwert eine solche Politik für den Strukturwandel. Weltweit sollten weniger Treibhausgasen ausgestoßen werden. Welche Klimaziele gewählt werden, sollte davon abhängen, wie die Weltbevölkerung die Verringerung der Gase und die Anpassung an den Klimawandel gewichtet. Eine effiziente Energiewende, die darauf aus ist, C02 zu verringern, sollte nicht über Verbote und Subventionen, sondern über alle Sektoren umfassende C02-Preise gesteuert werden. Das macht die Klimapolitik billiger. Wachstum und Umweltverbrauch lassen sich (teilweise) entkoppeln.

Der Klimaschutz kostet. Mit dem Preis für eine Kugel Eis ist es nicht getan. Steigende C02-Preise verteuern nicht nur die Produktion, sie verzerren auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das wäre nicht der Fall, wenn es eine einheitliche Lösung weltweit gäbe. Davon sind wir aber weit entfernt. Das Dilemma weltweiter Kooperation lässt sich nur schwer entschärfen. Solange das nicht gelingt, ist es notwendig, temporär Klimazölle auf die Produkte ausländischer Unternehmen zu erheben, in deren Länder geringere C02-Preise erhoben werden (hier). Unproblematisch ist das aber nicht.

Fazit

Deutschland kann sich dem sektoralen Strukturwandel nicht entziehen. Der industrielle Sektor wird weiter schrumpfen. Das „Geschäftsmodell Deutschland“ erodiert. Die De-Globalisierung ist eine treibende Kraft. Der sektorale Strukturstau baut sich ab. Unternehmen kommen unter Druck. Die Politik gießt Öl ins Feuer. Eine ideologiegetriebene Politik gegen die (eigene) Industrie verstärkt den Anpassungsdruck. Ein explosives Gemisch entsteht, es drohen industrieller Ketchup-Effekte. Nur eine marktliche (Angebots)Politik für den Strukturwandel (hier) kann den Flurschaden in Grenzen halten.

Blog-Beiträge zum Thema:

Norbert Berthold (2022), Das „Geschäftsmodell Deutschland“ in Zeiten der Krise. De-Globalisierung, Ukraine-Krieg und Energie-Embargo

Norbert Berthold (2023), De-Industrialisierung ante portas? Politik für den Strukturwandel statt Strukturpolitik mit der Gießkanne

Eine Antwort auf „De-Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Geschäftsmodelle, De-Globalisierung und ruinöse Politik

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