Was uns in den nächsten Monaten erwartet
Seit einigen Wochen wird im Fahrwasser der amerikanischen Finanzpolitik auch in Deutschland ein konjunkturpolitischer Kurswechsel vollzogen. Nachdem die Haltung der Bundeskanzlerin noch vor kurzer Zeit durch ausgeprägte Skepsis gegenüber expansiver Fiskalpolitik und Sympathie für schwäbische Hausfrauen gekennzeichnet war, wird nun ein Konjunkturpaket im Umfang von 50 Mrd. Euro für die Jahre 2009 und 2010 geplant. Den größten Teil des Paketes machen öffentliche Investitonen in Höhe von rund 17 Mrd. Euro aus. Dazu kommen Entlastungen in der Einkommensteuer im Umfang von etwa 9 Milliarden Euro. Ebenso teuer wird die moderate Senkung der Krankenversicherungsbeiträge. Schließlich wird es eine Reihe kleinerer Maßnahmen geben, etwa einen einmaligen Kinderbonus in Höhe von 100 Euro oder auch eine Abwrackprämie für mindestens neun Jahre alte Autos in Höhe von 2.500 Euro. Darüber hinaus war auch der vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten vorgeschlagene Deutschlandfonds offenbar nicht mehr zu verhindern. Der Staat wird sich also zusätzlich zum Konjunkturpaket im Umfang von 100 Mrd. Euro mittels Bürgschaften für Not leidende Unternehmen engagieren.
„Democracy in deficit“
Man kann gegen die konjunkturpolitischen Pläne der Bundesregierung viele grundsätzliche Einwände vorbringen. Die behauptete Wirkungslosigkeit der Geldpolitik, die eine massive fiskalpolitische Intervention erst begründen könnte, ist beispielsweise alles andere als erwiesen. Und es kommen ganz praktische Erwägungen hinzu. So soll ein signifikanter Anteil des Paketes für Infrastrukturausgaben bereitgestellt werden. Aber selbst wenn es hier eine Reihe sinnvoller Projekte in fortgeschrittenen Planungsstadien gibt, wird sicher noch der Fund der einen oder anderen bedrohten Mopsfledermaus dafür sorgen, daß ein nicht kleiner Teil dieser Ausgaben eher später und damit auch eher prozyklisch wirksam wird.
Gravierender ist aber wohl, daß jedes ausgabenseitige, defizitfinanzierte Konjunkturprogramm die Verfügungsgewalt über erhebliche Ressourcen an Entscheidungsträger transferiert, die keinem wirtschaftlichen Wettbewerb ausgesetzt sind. Der wesentliche Einwand klassischer Ökonomen gegen eine schuldenfinanzierte Erhöhung von Staatsausgaben bestand aus zwei Teilargumenten: Erstens umgeht die Schuldenfinanzierung den Steuerwiderstand der Bürger und erleichtert so eine Ausweitung der Staatstätigkeit, zweitens werden damit Ersparnisse einer produktiven Verwendung in Form privater Investitionen entzogen und stattdessen verschwenderischen Zwecken wie Kriegsführung und Hofhaltung zugeführt. Auch wenn Hofhaltung inzwischen vielleicht eine kleinere Rolle spielt, bleibt der Kern des Argumentes doch relevant: Staatsdefizite transformieren Ersparnisse, die eigentlich Investitionen hätten werden sollen, regelmäßig zu einem großen Teil in Konsum. Das keynesianische Gegenargument bestand dann vor allem in der Behauptung, daß das zweite klassische Teilargument nicht zuträfe: Ein crowding out produktiver Ausgaben durch Staatsausgaben muß uns demnach kaum interessieren, solange es noch eine Nachfragelücke zu schließen gilt, weil das Produktionspotential bei Vollbeschäftigung noch nicht ausgelastet wird.
James M. Buchanan und Richard E. Wagner haben in ihrem Band Democracy in Deficit von 1977 allerdings das erste der beiden klassischen Teilargumente entscheidend aktualisiert und wiederbelebt. Der keynesianische Makel der im Aufschwung fast niemals sinkenden Staatsausgaben und Schuldenstandsquoten wird bei ihnen als das eindeutige und einzige politisch-ökonomische Gleichgewicht identifiziert. Auf dieses Gleichgewicht steuert eine Demokratie, der man das Instrument der Defizitfinanzierung in die Hand gibt zu, nachdem durch das Versprechen technokratischer Konjunkturkontrolle auch noch die zuvor einmal existierende informelle Norm beseitigt wurde, nach der öffentliche Verschuldung unerwünscht oder sogar unmoralisch war. Neben den im engeren Sinne makroökonomischen Kontroversen ist dies auch heute noch ein wesentliches Argument gegen aktive Konjunkturpolitik: Eine funktionierende, konjunkturgerechte Feinsteuerung der Finanzpolitik ist kein politisch-ökonomisches Gleichgewicht.
Ein ordnungspolitisch akzeptables Konjunkturpaket?
Vor dem oben skizzierten Hintergrund erscheint die Suche nach einem ordnungspolitisch akzeptablen Konjunkturpaket als ein Ding der Unmöglichkeit. Dies gilt ganz sicher für ein Instrument des Interventionismus nach Gutsherrenart wie den Deutschlandfonds. Wir werden demnächst gespannt verfolgen können, ob auch in Deutschland Stilfragen wie die Wahl des Verkehrsmittels zum Verhandlungstermin (Firmenjet oder lieber Regionalbahn?) eine Rolle bei Entscheidungen über Staatsbürgschaften spielen. Auch werden wir mal mehr und mal weniger sachlich fundierte Versuche sehen, objektive Kritierien zur Unterscheidung rettungswürdiger und zum Untergang verdammter Unternehmen zu definieren. Die Prognose, daß größere Unternehmen in Bundesländern mit nahen Landtagswahlen relativ hohe Chancen haben werden, ein „tragfähiges Geschäftsmodell“ attestiert zu bekommen, ist jedenfalls nicht allzu gewagt.
Aber was ist mit dem restlichen Paket? Was hätte man sich unter der Prämisse, daß konjunkturpolitischer Aktivismus per se nicht mehr verhinderbar ist, aus ökonomischer Sicht im Detail im Maßnahmenpaket gewünscht? Derzeit wird häufig auf ein Papier von David und Christina Romer verwiesen, in dem empirisch gezeigt wird, daß Änderungen der Steuerpolitik sehr starke Auswirkungen auf das kurzfristige Wachstum des Bruttoinlandproduktes haben. Die Autoren zeigen allerdings auch, daß diese Effekte vor allem für exogene Steuerreformen besonders stark waren; für steuerpolitische Maßnahmen mit explizit antizyklischer Motivation sind die gemessenen Auswirkungen wesentlich schwächer. Da die Interpretation dieser Resultate nicht unumstritten ist, soll noch auf ein zweites aktuelles Papier hingewiesen werden, nämlich eines von Andrew Mountford und Harald Uhlig. Hier werden empirisch mit Daten für die USA die Multiplikatoreffekte von schuldenfinanzierten Ausgabenprogrammen, schuldenfinanzierten Steuersenkungen und steuerfinanzierten Ausgabenerhöhungen verglichen. Mountford und Uhlig berichten, daß die zweite Variante den mit Abstand stärksten konjunkturstimulierenden Effekt hatte. Die dritte Variante hingegen hatte, im Gegensatz zu einem Standardresultat keynesianischer Ausgabenmechanik, nach einer kurzen expansiven Übergangsphase sehr schnell einen negativen Effekt auf das Bruttoinlandprodukt.
Sofern man Steuersenkungen schnell auf den Weg bringt und vorerst Budgetdefizite zu ihrer Finanzierung hinnimmt, wäre also ein deutlicher antizyklischer Effekt zu erwarten, wenn auch verzögert. Ordnungspolitisch unproblematisch wäre aber auch dies nicht, denn ein wesentlicher Einwand von Buchanan und Wagner gilt auch hier: Rational uninformierte Wähler, die ihre Nachfrage nach öffentlichen Gütern nur an aktuell spürbaren Steuern orientieren und Schuldenlasten nicht berücksichtigen, werden auch hier dazu neigen, zu viel Staatsaktivität zu fordern. Dies gilt umso mehr, weil es zur Stimulierung privater Nachfrage wichtig wäre, zu signalisieren, daß die Steuersenkungen permanent und nicht nur übergangsweise gelten sollen. Um beide Probleme zu lösen, müßte also eine klare und glaubwürdige Ankündigung erfolgen, zukünftig zur Schuldenkonsolidierung notwendige Primärüberschüsse in günstigeren Zeiten nicht über Steuererhöhungen, sondern über die Kürzung öffentlicher Ausgaben zu erzielen. Vermutlich ist es eine Illusion zu glauben, daß man dies in einer wasserdichten Weise erreichen kann, die dem strengen, theoretischen Kriterium echter Zeitkonsistenz genügt. Aber ein halbwegs glaubwürdiges Engagement der handelnden Finanzpolitiker in dieser Richtung wäre bereits ein Fortschritt.
Steuersenkungen für wen?
Mit Recht hat es der sogenannte Mittelstandsbuckel in der Einkommensteuer jüngst wieder zu einiger Prominenz in der steuerpolitischen Diskussion gebracht. Gemeint ist damit der konkave Tarifverlauf zwischen dem Grundfreibetrag und einem zu versteuernden Einkommen von 52.152 Euro, wo der Grenzsteuersatz 42 Prozent erreicht. Besonders problematisch ist dies bei geringen zu versteuernden Einkommen bis zu aktuell 12.740 Euro. Vom Grundfreibetrag (aktuell 7664 Euro) an steigt hier der Grenzsteuersatz sehr schnell von 15 auf 24 Prozent. Ob die Tatsache, daß vom 7.665sten Euro 15 Cent an den Fiskus fließen, vom 12.740sten aber 24 Cent, wirklich einen erheblich negativen Effekt auf marginale Arbeits- und Leistungsanreize hat, sei einmal dahingestellt. Tatsächlich problematisch ist vermutlich eher, daß die kumulierte, durchschnittliche Einkommensteuer- und Sozialabgabenlast gerade für Haushalte mit moderaten Einkommen so hoch ist, daß der gefühlte Abstand zwischen ihren Nettoeinkommen und denen von Transferempfängern unangemessen gering wirkt.
Auch im Hinblick auf die Senkung der durchschnittlichen Steuerlast würde die Beseitigung des Mittelstandsbuckels natürlich einen sinnvollen Beitrag leisten. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt, daß eine vollständige Glättung des Tarifs der Einkommensteuer im relevanten Bereich, also eine völlige Beseitigung des Tarifknicks, Steuerausfälle von rund 24 Mrd. Euro verursachen würde. So bedenklich hoch dieser Betrag in normalen Zeiten wäre — er würde dennoch nicht einmal die Hälfte des geplanten zweiten Konjunkturpakets beanspruchen. Die tatsächlich beschlossenen steuerpolitischen Maßnahmen wirken dagegen erschreckend verhalten: Sogar der moderate Anstieg des Grundfreibetrags auf 8.004 Euro wird über zwei Jahre gestreckt. Die Senkung des Eingangssteuersatzes von 15 auf 14 Prozent kann man wohl getrost als symbolisches Placebo bezeichnen. Und die geplante Rechtsverschiebung der Tarifeckwerte kompensiert zwar wenigstens zum Teil die kalte Progression der vergangenen Jahre, aber sie verschiebt auch den Mittelstandsbuckel nach rechts.
Von einer schnellen und deutlich spürbaren Entlastung der Einkommen im unteren Bereich kann also keine Rede sein. Weder findet eine ernsthafte Reform des Tarifverlaufs statt, noch wird das Problem der kalten Progression auch für die Zukunft nachhaltig gelöst. Schauen wir nun auch kurz auf die Seite der Transferempfänger: Das Einkommen einer Familie, die Hartz IV empfängt und zwei Kinder hat, wird mit den gerade beschlossenen Maßnahmen um etwa 840 Euro im Jahr steigen (ohne den einmaligen Kinderbonus). Diese Entscheidung ist für sich genommen zwar verständlich und nachvollziehbar, aber sie hätte eine deutlichere Entlastung der Einkommensteuerzahler am unteren Rand der Einkommensverteilung nach sich ziehen müssen. Der ordnungspolitische Auftrag bestünde darin, den Abstand zwischen Transfer- und Arbeitseinkommen durch Steuerentlastungen deutlicher zu vergrößern.
Fazit
Die konjunkturellen Auswirkungen von spürbaren Steuersenkungen wären nicht sofort eingetreten. Ebenso wie bei Ausgabenprogrammen hätte auch hier die Gefahr bestanden, daß sie erst dann konjunkturell wirksam geworden wären, wenn wir das Schlimmste bereits hinter uns haben. Es kommt aber auf etwas anderes an: Die deutsche Einkommensteuer ist ohnehin reformbedürftig, trotz aller Ansätze der vergangenen Jahre. Hier das Richtige zu tun, ist unabhängig von der konjunkturellen Lage wichtig. Wenn zusätzlich mit einer deutlich positiven Wahrscheinlichkeit noch ein konjunktureller Effekt zur rechten Zeit zu haben ist, wieso sollte man dann nicht jetzt dieses Problem mit dem nötigen Tatendrang angehen? Die Bundesregierung hat sich stattdessen für Maßnahmen entschieden, die das verfügbare Einkommen der Haushalte kaum spürbar erhöhen, wie die Senkung des Krankenkassenbeitrages auf 14,9 Prozent, sowie für teure Klientelpolitik wie die Abwrackprämie zugunsten der Automobilindustrie. Wieder einmal folgt dem deficit spending das politisch sorgsame Austarieren der Sonderinteressen, wo eine Fokussierung auf wenige, aber sinnvolle Maßnahmen angezeigt wäre. Wenn Krisen die besten Zeiten für Reformen sind, dann ist diese Krise wohl noch nicht ernst genug.
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Solange man die Politiker nicht vernünftig zur Rechenschaft ziehen kann, und solange die Vielzahl von Ihnen kaum je selber für Ihr Geld wirklich Dienste am Markt haben anbieten müssen kann ich da keine Besserung erkennen.
Ich denke wenn man sich die Verteiung von Berufen im Bundestag anschaue sind viele von Ihnen „Berufspolitiker“, d.h. sie haben sich um Stimmenfang zu kümmern und um Aufbau von ich nenn‘ es jetzt mal böse ‚Seilschaften‘. Wirtschaftliche Sorgen dürften nur die haben, die absolut ahnungslos sind und Ihr Geld eh‘ nie zusammen halten konnten.
Wie kann man da „ausgewogene“ Entscheidungen erwarten?
Wieviele spezielle Gesetz und Ausnahmen gibt es für Abgeordnete? Es fängt doch schon bei der Krankenkasse an und hört da noch lange nicht auf. Steht nicht jedem Abgeordneten ein Fahrdienst zur Verfügung und wieivel sind diese nicht von Ihnen mit Geld zu bezahlende Dinge wert?
Also sie machen seit 60 Jahren nur eins, Geld bei denen nehmen die es sich „erarbeiteten“ und es durch eine Riesenmühle zu drehen wo es reichlich „Schmierverluste“ gibt. Und dann tuns Sie so als ob Sie doch allen etwas gutes tun.
Und genau das liegt ja die Crux mit dem Keynianismus. Er „behauptet“ mit „geeigneten“ Steuerung kann man im Prinzip „alles erreichen“ und das ist schlicht und einfach eine Lüge.
Wenn es wirklich so einfach wäre warum sind dann nicht alle zumindest Millionäre? Wenn es so einfach wäre wie kommt es dann, daß unsere Schulden sich auf zig Billionen verteilen. Ganz zu schweigen von allen Taschenspielertricks die man sich nur denken kann. Man schau sich doch nur einmal an wieviel „Rücklagen“ gebildet wurden für das unsägliche Enteignungsgesetzt verbrämt als FMStg. Ich glaube das haben sich noch nicht einmal die Abgeordneten genauer angeschaut, ganz zu schweigen von uns Steuerzahlern die den ganzen Schlamassel ausbaden sollen.
Im Augenblick belügen uns die Politiker nach Strich-und-Faden. Immer wieder heißt es „wir haben alles unter Kontrolle“ und dann kommen vollkommen unausgegorene „Aktionen“ in Gange.
Wirtschaftliche Vernunft wurde komplett abbestellt.
@ Friedrich
1.) Wenn wir gute und fähige Leute in der Politik haben wollen, dann müssen die auch anständig entlohnt werden. Oder glauben sie, dass junge, fähige Menschen sich für die Politik entscheiden (und damit gegen eine wirtschaftliche Karriere), wenn es dort keine Sicherheiten und gute Gehälter gibt. Oder wollen Sie zurück in preußische Zeiten, in denen es den Mittellosen nicht möglich war, sich für die Politik zu engagieren?
Sie müssen ja nur in die Entwicklungsländer schauen, bzw. auf Korruptionsstatistiken, um zu erkennen, wie sich niedrige Diäten und Beamtenbezüge auswirken können (nicht das ein hohes Gehalt vor Fehlverhalten schützt – s. beispielsweise Zumwinkel).
2.) Ich kann auch nichts Falsches daran erkennen, dass sich Politiker um eine Maximierung der Stimmenzahl kümmern – soweit ich mich entsinne, nennt man das Demokratie (sicherlich ein im hohen Maße unvollkommenes System, aber immer noch das beste, das wir kennen. – frei nach Churchill).
3.) Beim Keynes geht es (so wie ich ihn verstehe) um eine antizyklische Wirtschaftspolitik, um vorübergehend die Gesamtnachfrage zu stützen und nicht um die Umverteilung innerhalb einer Gesellschaft. Ein Konjunkturpaket sollte „timely, temporary, and targeted“ sein (demnach sind durchaus wünschenswerte permanente Steuersenkungen momentan fehl am Platz).
Fazit: Sicherlich kann und muss man über Subventionen, Bürokratie und falsche Anreize für Politiker reden, besonders wenn antizyklische Politik angestrengt wird, die ja den „Spielraum“ und die Fehlermöglichkeiten für die Politiker erweitert, allerdings hat das in erster Linie nichts mit Keynes zu tun.
Gruß
Knut