Gastbeitrag:
Den Einfluss von Partikularinteressen verringern!

Nicht erst seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist der Staat viel beschäftigt, aber schwach. Dabei stehen Regierungen nicht selten vor einem Dilemma: Ihrem Auftrag, eine an den allgemeinen Bürgerinteressen ausgerichtete Politik zu machen, steht der Anreiz entgegen, die eigenen Wahlchancen zu erhöhen, indem sie Subventionen und Transfers zu Gunsten gut organisierter Gruppen und zu Lasten der Allgemeinheit einführen. Die besten Lösungen für die Bürger insgesamt bleiben somit häufig aus. Die Folgen einer Politik der Privilegienvergabe an einzelne Gruppen sind Umverteilung von einer Tasche in die andere, nachlassende wirtschaftliche Dynamik und damit Wohlstandsverluste und nicht zuletzt eine Schwächung des Staates.

Für Politiker ist es unter den bestehenden Regeln sehr schwierig, allgemeinwohlorientierte Reformen durchzusetzen. Denn gut organisierte Interessengruppen versuchen, für ihre Mitglieder Sonderbehandlungen durchzusetzen. Kleine Gruppen mit spezifischen Interessen wie Apotheker, Fluglotsen oder Landwirte lassen sich dabei besser organisieren als große Gruppen mit allgemeinen Interessen wie die Bürger als Konsumenten oder Steuerzahler. In der Öffentlichkeit werden die Sonderbehandlungen einzelner Gruppen dann häufig wiederum als gemeinwohlförderlich „verkauft“. Der Widerstand gegen die Vergabe von Privilegien ist in der Regel wenig ausgeprägt, da die Zusatzbelastung für den einzelnen Bürger meist nur gering ist und sich große Gruppen eben kaum organisieren können. Darüber hinaus werden die gut organisierten speziellen Interessengruppen häufig bei Verhandlungen „am runden Tisch“ beteiligt, wo sie sich auf Kosten der nicht beteiligten Gruppen mit der Politik auf eine Lösung „zu Lasten Dritter“ einigen können. Zusätzlich werden Reformen auch dadurch erschwert, dass es in Deutschland durch das föderale System sowie die EU als weitere Ebene sehr viele „Vetopieler“ gibt.

Einmal gewährte Privilegien sind nur sehr schwer wieder rückgängig zu machen. Denn die Nachteile durch den Abbau von Privilegien Einzelner sind für diese meist sehr viel deutlicher spürbar als die Vorteile für die Allgemeinheit. Die Privilegierten gehören außerdem in der Regel einer gut organisierten Gruppe an, die sich bereits gebildet hat, um das Privileg zu erlangen. Der Nutznießer der Reform – die Allgemeinheit – ist hingegen nicht organisiert. Erschwerend kommt hinzu, dass es oft einige Zeit – zum Teil Jahre – dauert, bis sich die positiven Wirkungen von Strukturreformen bemerkbar machen, während die Anpassungskosten spürbar sind. Für Politiker, die wieder gewählt werden wollen, ist es daher schädlich, sich für Reformen einzusetzen, deren negative Effekte sofort spürbar sind, deren positive Wirkungen aber erst nach der Legislaturperiode und somit nach der nächsten Wahl eintreten.

Um den Einfluss von Partikularinteressen auf die Politik zu verringern, sind verbesserte Regeln für politisches Handeln notwendig. Glaubwürdige politische Selbstbindungen können starke Regeln sein. Denn sie erlauben es Politikern, sich wirksam vor dem Einfluss spezieller Sonderinteressen zu schützen. Indem von vorneherein bestimmte Handlungsmöglichkeiten auf dem Weg politischer Willensbildung ausgeschlossen werden, wird der Einfluss der Partikularinteressen verringert. Die stärkste Form der Selbstbindung ist eine in der Verfassung verankerte Regel. Aktuelles Beispiel dafür ist die so genannte Schuldenbremse, die die Bundesregierung dazu verpflichtet, das strukturelle Defizit des Bundes bis 2016 auf 0,35 Prozent des BIP zurückzuführen. Selbstbindung der Politik kann auch dadurch erreicht werden, dass die Befugnis, bestimmte Entscheidungen zu treffen, an eine unabhängige Institution oder internationale Organisation überantwortet wird. So hat die Übertragung geldpolitischer Entscheidungsmacht an unabhängige Notenbanken positive Auswirkungen auf die Geldwertstabilität. Unabhängige Institutionen mit Entscheidungsbefugnissen zu betrauen, ist in einer Demokratie durchaus legitim, wenn der Institution auf dem Wege der politischen Willensbildung ein eindeutiges Ziel, zum Beispiel Geldwertstabilität, vorgegeben wird. Einer Institution hingegen Entscheidungsfreiheit über die politischen Ziele zu übertragen, widerspricht dem demokratischen Grundverständnis.

Mehrere gute Gründe sprechen für eine freiwillige Selbstbindung der Politik: Versprechen der Politik werden glaubwürdiger, wenn sie durch (verfassungs-)rechtliche Regeln unterlegt sind. Dies führt zu mehr Rechtssicherheit und Vertrauen in die Politik, was sich wiederum positiv auf das Wachstum und damit die Wahlchancen von Politikern auswirkt. Darüber hinaus führen Selbstbindungen dazu, dass Komplexität reduziert wird und Entscheidungskosten sinken. Auch führen Selbstbindungen zu einer über die Zeit hinweg konsistenteren Politik. Allerdings bleibt abzuwarten, wie stark die Bindungswirkung von Regeln wie der Schuldenbremse wirklich sein wird.

Analog zum Wettbewerb auf dem Markt, der zu konsumentenfreundlichen Lösungen zu günstigeren Preisen führt, bringt mehr Leistungswettbewerb in der Politik eine stärker an den Bürgerinteressen orientierte Politik hervor. Neben Selbstbindungen sind daher wettbewerblicher Föderalismus und direkt-demokratische Bürgerbeteiligung geeignete Instrumente für einen produktiveren Wettbewerb in der Politik. Sie tragen dazu bei, den Staat in seiner Funktion als unabhängiger Regelsetzer zu stärken und den Einfluss von Partikularinteressen auf die Politik zu verringern.

Hinweise: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Starke Regeln – starker Staat. Wie der Einfluss von Partikularinteressen auf die Politik vermindert werden kann“ mit Michael Wohlgemuth, geschäftsführender Forschungsreferent des Walter Eucken Insituts Freiburg, am 15. November in Berlin.

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