Schnittblumen und Aktien

Der Rundfunk Journalist Dr. Michael Braun machte mich mit einer Kommentaranfrage auf den Sachverhalt aufmerksam, dass die deutschen Bürger pro Jahr mehr Geld für Schnittblumen ausgeben als für deutsche Aktien. Daraus ergeben sich einige interessante Folgefragen. Unter anderem ist zu überlegen, ob es denn besser wäre, wenn deutsche Börsenunternehmen mehr deutsche Aktionäre hätten. Genauer formuliert ist die Frage allerdings nicht, ob es besser wäre, sondern für wen dies besser wäre.

Möglicherweise könnte man etwa argumentieren, dass Inländer gegenüber inländischen Firmen mehr Loyalität zeigen und damit das Leben für die Vorstände der Unternehmen und unter Umständen auch die anderen Arbeitnehmer dieser Unternehmen leichter machen. Dabei bleibt jedoch offen, ob es auch für diejenigen, deren mangelnde Investitionsbereitschaft in deutsche Aktien beklagt wird, besser wäre, mehr in deutsche als in ausländische Aktien zu investieren.

Positiv gewendet

Die geringe Neigung zu Investitionen in deutsche Aktien könnte Ausdruck der Tatsache sein, dass die deutschen Aktionäre, insoweit klüger als die Aktionäre in den meisten anderen Ländern, sich dazu entschlossen hätten, möglichst unabhängige Risiken als (zusätzliche) Quellen ihrer Einkommen zu wählen. Da sie ihren Arbeitsplatz in Deutschland haben, ist es für sie vernünftig, sich Einkommensquellen außerhalb von Deutschland zu sichern. Falls es mit der deutschen Wirtschaft insgesamt einmal schlecht gehen sollte, wird durch ein ausländisches Investment ein Bündel-Risiko reduziert.

Jeder weiß, dass man sprichwörtlich nicht alle Eier in den gleichen Korb legen sollte. Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse kann auch wissen, dass er sich auf Dauer nicht auf staatliche Pensionszahlungen verlassen kann. Der Bürger weiß letztlich ebenfalls, dass er selber für das Alter Vorsorge treffen muss. Kein vernünftiger Politiker wird ihm insoweit zu anderen Verhaltensweisen raten dürfen (die Politiker, die dennoch anderes tun, sind entweder selbst nicht vernünftig oder zynisch genug, um des kurzfristigen Wahlerfolges willen, die Interessenwahrung der Bürger nachhaltig zu gefährden).

Soweit der Bürger für das Alter und für den Fall anderer möglicher Einbußen im Einkommen Vorsorge trifft, wird er seine Vermögensanlagen – weitgehend unabhängig von deren absoluter Höhe – vernünftigerweise auf verschiedene Investitionsarten verteilen wollen (z.B. klassisch Immobilienbesitz, festverzinsliche Papiere und Aktien). Um innerhalb der unterschiedlichen Investitionsarten Risiken zu streuen, liefern gerade die viel gescholtenen Finanz-Innovationen der letzten Jahre geeignete Hilfsmittel. Moderne Investitionsformen wie so genannte ETF’s (exchange traded funds), durch die man beispielsweise mit einem selbst börsenfähigen Papier zu geringen Gebühren auf den gesamten Index eines anderen Landes setzen kann, kommen als geeignete, jederzeit leicht verkäufliche Investitions-Vehikel für jedermann in Frage.

Für denjenigen, der in einem entwickelten Industrieland wie der Bundesrepublik lebt und arbeitet, wird es beispielsweise recht nahe liegen, auf ETF-Papiere für die so genannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) zu setzen. Wenn er der Rechtssicherheit der genannten Länder misstraut, dann könnte er zumindest in Australien oder Kanada investieren und dabei nicht nur Aktien, sondern auch so genannte Rentenpapiere (ein durchaus treffender Name ) aus solchen Ländern erstehen. Europäische, amerikanische und japanische Börsen würden sich ebenfalls anbieten, wobei in Europa etwa außerhalb des Euro-Raumes zu investieren wäre, um eine Unabhängigkeit von dem den Euro-Ländern gemeinsamen Währungsrisiko zu gewährleisten.

Die vorangehenden Überlegungen bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Insgesamt ist klar, dass der vernünftiger Anleger versuchen sollte, möglichst breit gestreut zu investieren. Neben inländischen Anlagen beispielsweise im von den Deutschen immer noch bevorzugten aber keineswegs immer zukunftssicheren Immobiliensektor, ist daran zu denken, im Ausland Geld anzulegen. Das gilt jedenfalls dann, wenn man an einer Risiken eingrenzenden Altersvorsorge interessiert ist.

Die beschriebene Strategie steht allerdings nicht hinter der geringen Neigung deutscher Aktionäre, in deutsche Aktien zu investieren. Sie neigen vielmehr dazu, gegenüber ausländischen Papieren noch misstrauischer zu sein als gegenüber den deutschen. Wenn sie überhaupt in Aktien investieren, dann schon eher in Deutschland. Sie scheinen der Auffassung zu sein, dass der Wert von Aktien in etwa so schnell verblüht, wie der von Schnittblumen in der Vase. Einen Kurseinbruch kann man selbstverständlich niemals ausschließen. Alle Investitionen beinhalten Risiken und die Finanzkrise sowie der dramatische Wertverfall von Aktien in ihrem Verlauf scheinen das erneut belegt zu haben. Also sieht sich der deutsche Anleger darin bestärkt, lieber in Schnittblumen als in Aktien zu investieren. Und da schließt er gleich die gesamte Welt in sein vorsichtiges Herz mit ein.

Negativ gewendet

Gunter Sachs wurde einmal danach gefragt, ob er größere Anteile des Unternehmens Fichtel-& Sachs hielte. Der höchst vernünftige Herr Sachs, dem ganz zu Unrecht der Ruf eines zur Geldverschleuderung neigenden unvorsichtigen Playboys anhaftet, antwortete darauf, dass er niemals irgend jemandem mehr als 2 % seines Vermögens anvertrauen würde. Wäre er in dem von seiner Familie gegründeten Unternehmen angestellt gewesen, so hätte er gewiss überhaupt keine Anteile dieses Unternehmens erworben. Dennoch neigen viele Deutsche dazu, wenn überhaupt, dann schon Aktien jenes Betriebes zu halten, dem sie angehören (selbst wenn sie frei sind, die Papiere zu veräußern).

So wie man von den Vorständen der Unternehmen erwartet, dass sie Bonus-Zahlungen in Form von Aktien oder Optionen über eine längere Zeit halten, bevor sie diese (bzw. die Optionen) verkaufen (bzw. einlösen) können, so könnte man auch darin, dass Arbeitnehmer in Aktien ihres Arbeitgebers investieren, zumindest eine verdienstliche moralische Handlung sehen. Diese Sichtweise ist zwar nicht völlig abwegig. Geht es aber dem Unternehmen schlecht oder macht es pleite, dann fallen die Aktienkurse und der Job geht ebenfalls verloren.

Trotzdem lässt sich nicht bestreiten, dass es möglicherweise für die Kultur eines Unternehmens vorteilhaft ist, wenn Unternehmensangehörige zugleich auch in der Rolle von Aktionären am Unternehmen und seinem Erfolg Anteil nehmen. Dadurch, dass sie als Anteilseigner in gewisser Weise auch die Rolle von Unternehmern einnehmen, werden die Unternehmensangestellten gleichsam zu „Anteilsnehmern“. Viele Arbeitnehmer des Unternehmens Enron können allerdings ein Lied davon singen, wie gefährlich dieses Vorgehen ist. Sie verloren nicht nur ihre Arbeitsplätze, sondern ihre gesamten Ersparnisse.

Wenn wir von Anteilseignern reden, die nicht zugleich Arbeitnehmer des Unternehmens sind, kann man weit weniger erwarten, dass sie auch Anteilsnehmer sind. Zwar kennt das Aktienrecht über die Hauptversammlung und ähnliche Einrichtungen die Möglichkeit, nicht nur Anteile zu verkaufen — und damit die so genannte Austrittsoption zu ziehen (exit) –, sondern durch Teilnahme an Abstimmungen (voice) aktiv auf die Gestaltung der Unternehmensstrategie und -politik einzuwirken. Der Einzelaktionär ist aber gewöhnlich als Stimm-Bürger des Unternehmens ähnlich insignifikant wie der einzelne Stimmbürger in der demokratischen Politik. Nur jene Aktionäre, die über große Aktienpakete verfügen, haben einen signifikanten Einfluss auf Abstimmungsergebnisse in Hauptversammlungen. Deshalb hat auch der einzelne Aktionär wenig Grund, sich über das Unternehmen und seine Politik zu informieren. Selbst dann, wenn er aus irgendwelchen Gründen intrinsisch dazu motiviert wäre, sich über ein bestimmtes Unternehmen besonders kundig zu machen und dessen Aktien zu halten, wüsste er, dass die anderen Aktionäre — außer den Großaktionären natürlich — keinen Grund hätten, sich zu informieren, um in der Hauptversammlung „besser“ abzustimmen. Dagegen kommt der einzelne nicht an und seine Investition in Information muss folgenlos bleiben.

Was die qualitativ gute Kontrolle der Unternehmensführung anbelangt, kann der einzelne Aktionär bei einem Unternehmen, dessen Aktien im Streubesitz sind, letztlich nur darauf vertrauen, dass die Märkte halbwegs rationale Erwartungen über die zukünftigen Auswirkungen von Unternehmenspolitiken in die Gegenwartskurse „einpreisen“. Dass der Glaube an die absolute Effizienz von Märkten kurzfristig eher auf Mythen als auf Fakten beruht, ist klar. Auf lange Sicht, werden alle Übertreibungen aber nivelliert werden. Kurzfristig — also über Zeiträume, die unterhalb von zwei Jahren liegen –, muss mit Schwankungen aller Art gerechnet werden. Trotzdem haben rationale und geduldige Anleger bei Investitionen an den Börsen in der Regel besser abgeschnitten als mit vielen – wenn nicht sogar allen – alternativen Anlageformen. Diese historische Erfahrung vernachlässigen die deutschen Anleger augenscheinlich.

Mut zum Risiko?

In einer Welt, in der man mittlerweile auf eine Vielzahl von ETF’s oder passiv „gemanagte“ Fonds setzen kann, muss man nicht Gunter Sachs sein, um sein Vermögen – und sei es auch noch so klein – streuen zu können (wobei es auch hier schon Produkte virtueller Art mit toxischen Beimischungen gibt, die man vermeiden sollte). Aktieninvestitionen sind zwar vielleicht weniger geeignet für jene insbesondere auch älteren Mitbürger, deren Netto-Vermögen weniger als einen Jahreslohn beträgt. In Deutschland gibt es aber sehr viele Menschen, deren Vermögen einschließlich der von ihnen besessenen Immobilien über dem zehnfachen ihres Netto-Jahresverdienstes liegt. Auch diese haben vielfach nicht an den Börsen investiert. Sie zeigen gerade dadurch, dass sie sich in dieser Weise verhalten, eine Neigung zum Risiko, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Das gilt insbesondere für viele jüngere Bürger, die unbedingt in weit gestreuten Wertpapierbesitz investieren sollten, um das Bündel-Risiko einer ausschließlich öffentlichen Daseins-Vorsorge zu reduzieren. Natürlich ist auch dieses auf Risiko-Reduktion ausgelegte Vorgehen nicht frei von Risiken. Aber keine denkbare Strategie der Vorsorge ist gänzlich frei von Risiken. Es kommt darauf an, die Risiken zu streuen. Durch den Kauf von Schnittblumen ist das nicht möglich, doch durch Investitionen im Gegensatz zu Konsum kann man es erreichen.

Es trifft zwar zu, dass auch jene, die Indexpapiere hielten, in der Krise der letzten Jahre zumindest vorübergehend große Teile ihres Vermögens vorübergehend verloren. Die Indizes brachen insgesamt ein. Die Kurse erholten sich jedoch nach einer Weile – und streben nun der nächsten von leichtem Geld beflügelten Blase zu. Geduldige langfristige Anleger scheinen nach aller Erfahrung mit Aktienbesitz insbesondere dann, wenn er in der Jugend breit gestreut erworben und dauerhaft gehalten wird, sehr gut mit Blick auf ihre langfristigen Vermögensinteressen beraten zu sein.

Von einer so genannten aktiven Anlagepolitik ist demgegenüber eher abzuraten. Das gilt für aktive private Anleger ebenso wie diejenigen, die sich aktiven Beratern anvertrauen wollen. Einige Aktivisten hatten zwar schon vor der Finanzkrise dem „Braten“ nicht getraut und in höherem Maße neben Aktienanteilen auch Barmittel vorgehalten. Diese Anleger kamen zunächst glimpflich durch die Krise, weil der Staat letztlich in allen entwickelten Ländern die Bareinlagen garantiert hat. Allerdings zeigte nur eine kleine Untergruppe dieser vorsichtigen Zeitgenossen auch im Verlauf der Krise weiterhin Besonnenheit und begann im Zuge des dramatischen Verfalls der Aktienkurse allmählich zu investieren. Fast niemand hat in dieser bewegten Zeit allerdings wirklich die Nerven behalten und stetig die Einsätze nach vorher festgelegten Regeln erhöht. Diejenigen, die sich nicht beirren lassen wollten und gerade in der Krise investierten, machten große Gewinne (und noch mehr jene, die Verkaufsoptionen — sogenannte shorts oder Leerverkäufe tätigten, um sich gegen einen möglichen Kursverfall zu versichern). Dennoch ist es nicht nur für Otto-Normalverbraucher vernünftig, sich von solchen spekulativen Vorgehensweisen eher fernzuhalten, es sei denn, er kann auf das Geld, das er hier einsetzt, so leicht verzichten wie auf jenes, das er für Schnittblumen ausgibt.

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