Währungspolitischer Murks in Europa
Fehlerhafte Statik, eklatante Baumängel und ordnungspolitische Irrwege

„Wenn alle für alles verantwortlich sind, ist niemand für irgendwas verantwortlich“. (Alte deutsche Volksweisheit)

Die augenblickliche Ruhe täuscht. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Die Probleme des Euro sind nicht gelöst. Es droht währungspolitisch weiter schwere See. Ein paar hastige Korrekturen tief in der Brüsseler Nacht werden nicht helfen. Der Euro ist ein politisches Projekt und die Politik pfeift auf die Ökonomie. Dennoch wird er nur überleben, wenn das politische Projekt auf eine solide ökonomische Basis gestellt wird. Das macht dreierlei notwendig: Erstens muss die ökonomische Statik des Euro-Projektes neu justiert werden. Fehler müssen korrigiert, übersehene Faktoren berücksichtigt werden. Zweitens müssen fiskalische Geburtsfehler behoben werden. Der Trend zur Zentralisierung muss gebrochen, der Druck auf die Europäische Zentralbank gemildert werden. Drittens muss entschieden werden, wer in Europa welche wirtschaftspolitischen Aufgaben zu erledigen hat. Dabei sollte gelten: Wettbewerb geht vor Koordination.

Die Architektur des Euro

Die Europäische Währungsunion ist relativ einfach konstruiert. Das wirtschaftspolitische Assignment ist asymmetrisch, es basiert auf drei elementaren Bausteinen. 1) Von allen Wirtschaftspolitiken ist nur die Geldpolitik zentralisiert. Deren Ziel ist Preisniveaustabilität und sonst nichts. Der Träger dieser Politik ist die politisch unabhängige EZB. 2) Alle anderen Wirtschaftspolitiken sind dezentral organisiert. Die Akteure sind nationale Regierungen und Tarifpartner. Sie sind für Beschäftigung und wirtschaftliches Wachstum verantwortlich. 3) Die autonomen nationalen Fiskalpolitiken sollten durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die No-Bail-Out-Klausel im Zaum gehalten werden. Damit sollte verhindert werden, dass nationale Fiskalpolitiken ausufern und die stabilitätsorientierte Geldpolitik der EZB unter Druck setzen. Das wirtschaftspolitische Konzept der EWU ist also regelgebunden und stabilitätsorientiert.

Diese Architektur des Euro ist ungewöhnlich und anspruchsvoll. Die Lohn- und Tarifpolitik trägt die Hauptlasten exogener Schocks. Eine Anpassung über expansive nationale Fiskalpolitiken ist nur noch in Grenzen möglich, die zentrale Geldpolitik ist allein der Preisniveaustabilität im Euro-Raum verpflichtet. Damit tragen die Tarifparteien große Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung. Sie müssen für flexible Löhne und Lohnstrukturen sowie mobile Arbeit sorgen. Diese Bürde wird noch verstärkt, weil in der EWU keine Mechanismen existieren, die helfen, Lasten exogener Schocks zumindest temporär finanziell abzufedern. In der EWU gibt es weder einen Finanzausgleich zwischen den Ländern noch zentrale Systeme der Sozialen Sicherung, über die ein europaweiter finanzieller Ausgleich bei Schocks möglich wäre. Es erstaunt deshalb, dass die deutschen Gewerkschaften die eifrigsten Verfechter des Euro sind.

Fehlerhafte Statik und Baumängel

Diese Konstruktion einer „Währung ohne Staat“ (Padoa-Schioppa) ist riskant. Sie stellt hohe Anforderungen an private und staatliche Akteure. Die Väter des Euro wollten die staatliche Verschuldung disziplinieren. Dabei hatten sie aber nur den Fall im Auge, dass Staaten über ihre Verhältnisse leben. Der SWP und die No-Bail-Out-Klausel sollten davor schützen. Nicht im Blick hatten sie den Fall, dass sich „systemrelevante“ Finanzinstitute verantwortungslos bis über beide Ohren verschulden. Aus privaten Schulden wurden in der Krise dann auch prompt staatliche Schulden. Davor schützen die fiskalischen Brandmauern der EWU aber nicht. Helfen könnten eine als „Pigou-Steuer“ ausgestaltete Bankenabgabe, höhere Eigenkapitalanforderungen und wettbewerbspolitische Maßnahmen der Entflechtung. Die Bankenlobby war allerdings wohl erfolgreich. Keine dieser Maßnahmen steht vorne auf der Reformagenda des Euro.

Auch aus einem anderen Grund war die Statik der EWU fehlerhaft. Beim Start war die EWU weit entfernt von einem optimalen Währungsgebiet, nicht überall waren die Märkte funktionsfähig. Der Start der EWU mit wenigen, wirtschaftlich möglichst homogenen Ländern, hätte diesen Mangel verringert. Damit wären aber auch europäische Kernländer, wie etwa Italien, nicht Gründungsmitglieder geworden. Das aber war politisch nicht gewollt. Der Glaube war groß, dass der Euro die Güter- und Faktormärkte funktionsfähiger machen würde. Tatsächlich ist es aber nicht gelungen, die Preise auf Märkten spürbar flexibler und die Produktionsfaktoren mobiler zu machen. Auf exogene Schocks wird nach wie vor weniger mit Preisen als vielmehr mit Mengen reagiert. Hohe Arbeitslosigkeit, niedriges Wachstum und regional divergente Entwicklungen sind die Folge.

Diese Fehler der Statik der EWU wurden durch fiskalische Baumängel verstärkt. Es ist ein gravierender Mangel, dass fiskalische Sünder über sich selbst zu Gericht sitzen. Das gilt für den SWP und die No-Bail-Out-Klausel. Kein Wunder, dass die Politik dem SWP 2005 die schärfsten Zähne zog und in der Frühjahrskrise 2010 die vertraglichen Regeln des Haftungsausschlusses ohne viel Federlesens brach. Der fiskalische Dammbruch wird seit Ausbruch der Krise verstärkt, weil die EZB unter politischem Druck halbseidene Staatspapiere insolventer Mitglieder aus dem Markt nimmt. Die europäische Politik hat nicht vor, ihr Verhalten zu ändern. Nach wie vor lehnt sie es ab, den SWP mit einem automatischen Sanktionsmechanismus zu versehen. Sie ist auch nicht bereit, die No-Bail-Out-Klausel zu härten. Eine Insolvenzordnung für Staaten steht nicht mehr auf der Tagesordnung, wohl aber die Frage, um wie viel Milliarden die „Rettungsschirme“ vergrößert werden sollen.

Anziehungskraft zentraler Budgets

Die EWU wird nur aus der fiskalischen Krise kommen, wenn es gelingt, die Banken finanziell und die Staaten fiskalisch an die Kette zu legen. Aber auch dann wäre das Schuldenproblem in Europa noch nicht gelöst. Es reicht nicht aus, die Verschuldung der Mitgliedsländer wirksam zu begrenzen. Mit einem gehärteten SWP, einer wirksameren No-Bail-Out-Klausel und einer Insolvenzordnung für Staaten hält man günstigstenfalls die nationale Verschuldung im Zaum. Die Erfahrungen der USA zeigen, dass es möglich ist, die Schuldenquoten von Bundesstaaten und lokalen Gebietskörperschaften zu begrenzen. Das gelingt umso besser, je intensiver der Steuerwettbewerb zwischen untergeordneten Gebietskörperschaften ist und je weniger Möglichkeiten bestehen, übergeordnete Gebietskörperschaften in Haftung zu nehmen (Abb. 1). Weniger horizontale und vertikale Solidarität im staatlichen Gefüge aktivieren den Kapitalmarkt als Disziplinierungsinstrument der staatlichen Verschuldung.

Abb. 1: US gross public debt: federal, state, and local, 1902-2012 (percent of US GDP)

US GDP
Quelle: Darvas, 2010
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Eine solche Entwicklung ist in Europa nicht zu erwarten. Horizontale und vertikale Solidarität machen es für untergeordnete Gebietskörperschaften wenig attraktiv, sich bei der Verschuldung zurückzuhalten. Die Philosophie gleichwertiger Lebensverhältnisse ist weit verbreitet. Im Gegensatz zu den USA werden andere Mittel eingesetzt, um dieses Ziel zu erreichen. In den USA verringert mobile Arbeit inter-regionale Einkommensunterschiede. Finanzielle Transfers spielen eine untergeordnete Rolle. Das ist in Europa anders. Da Arbeit weniger mobil ist, setzt die Politik auf inter-regionale finanzielle Transfers. Diese Transfers hebeln den Sanktionsmechanismus der Kapitalmärkte aus. Untergeordnete Gebietskörperschaften haben kaum Anreize, sich bei der Verschuldung zu disziplinieren. Dabei schlagen die Kleinen stärker über die fiskalischen Stränge als die Großen.

Das letzte Wort über die gesamte Verschuldung eines Staates (Währungsraumes) ist damit aber noch nicht gesprochen. Untergeordnete Gebietskörperschaften sind immer in Versuchung, kostspielige staatliche Aufgaben auf die übergeordnete Ebene zu verlagern. Das gilt auch für die USA und ist in der EWU nicht anders. Gelänge es, die Schulden der Euroländer wirksam zu begrenzen, würden zentralistische Tendenzen in der EU verstärkt. Mehr staatliche Aktivitäten würden auf die EU-Ebene verlagert. Es würde zwar möglicherweise gelingen, die staatliche Verschuldung auf nationaler Ebene zu begrenzen. Der fiskalische Druck auf die EZB käme aber durch die Hintertür der zentralen Verschuldung wieder in das System und zwar stärker als zuvor. Die EU-Kommission bekäme endlich den lange ersehnten Schlüssel zur Kasse, das fiskalische „moral hazard“ nähme zu. Mit der zentralen Verschuldung stiege die Gefahr für die Geldwertstabilität. Die Situation wäre schlechter als zuvor.

Wettbewerb oder Koordination?

Aus diesem Dilemma gibt es keine einfachen Auswege. Viel wäre schon gewonnen, wenn das Prinzip wieder gelten würde, „wer handelt, der haftet“. Es ist notwendig, die Auswege zu verstopfen, Ausgaben und Aufgaben nach Europa zu verlagern. Die Politik muss eindeutig entscheiden, auf welcher europäischen Ebene welche Aufgaben anzusiedeln sind. Diese klare vertikale Verteilung wirtschaftspolitischer Kompetenzen hat zwei Vorteile: Erstens verhindert sie, dass Verantwortung verwischt wird. Die Anreize sinken, sich fiskalisch daneben zu benehmen. Zweitens intensiviert sie bei dezentralen Lösungen den institutionellen Wettbewerb. Die Anpassung an exogene Schocks ist leichter. Beides trägt der asymmetrischen Architektur der EWU wieder Rechnung. Im Idealfall wird die nationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und verhindert, dass Finanzinstitute und Staaten finanziell über ihre Verhältnisse leben.

Die vertikale Verteilung von wirtschaftspolitischen Kompetenzen ist nicht einfach. Größenvorteile und grenzüberschreitende Spillovers sprechen für mehr Zentralisierung wirtschaftspolitischer Aktivitäten, heterogene Präferenzen und Lernen von den Besten dagegen für mehr Dezentralisierung. Gemessen an diesen Kriterien ist es nur sinnvoll, eine Ordnungspolitik in Europa zu koordinieren, die Märkte öffnet und Wettbewerbsverzerrungen unterbindet. Eine Koordination der Fiskal- und Verteilungspolitik ist riskant und nicht zu empfehlen. Schädlich ist es, die Lohn- und Tarif-, die Arbeitsmarkt- und die Sozialpolitik europaweit zu koordinieren. Wir brauchen keinen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“, der nicht mehr, sondern weniger Wettbewerb auf Märkten bringt. Notwendig ist vielmehr, die Regionalisierung der Wirtschaftspolitik voranzutreiben. Nur so werden die wirtschaftlichen Akteure in die Lage versetzt, auf die immer heterogeneren exogenen Schocks adäquat zu reagieren.

Fazit

Die EWU ist in keinem guten Zustand. Nach wie vor dominieren Konstruktionsfehler, Baumängel und ordnungspolitische Irrwege. Neue exogene Schocks können das währungspolitische Gebäude zum Einsturz bringen. Die Politik ist trotzdem nicht bereit, an den Ursachen der Probleme anzusetzen. Vielmehr versucht man den Euro mit immer mehr Geld der (deutschen) Steuerzahler zu retten. Eine Wirtschaftsregierung soll das Kartengebäude der EWU nachhaltig stabilisieren. Man will Regierungsversagen mit noch mehr Kompetenzen für die Regierungen bekämpfen. Das ist grober ökonomischer Unfug. Der Euro ist nur zu retten, wenn er entpolitisiert wird. Das gelingt aber nur, wenn Banken und Staaten an die Kette gelegt, horizontale und vertikale Solidarität kleiner geschrieben, vertikale Kompetenzen eindeutig verteilt und Wirtschaftspolitiken stärker dezentralisiert und regionalisiert werden. Das verschärft den institutionellen Wettbewerb und stärkt das Immunsystem des Euro.

12 Antworten auf „Währungspolitischer Murks in Europa
Fehlerhafte Statik, eklatante Baumängel und ordnungspolitische Irrwege

  1. Vor einiger Zeit habe ich mich darüber ausgelassen:
    http://fdominicus.blogspot.com/2009_05_01_archive.html

    Seit dem wurde alles getan um Kredit noch billiger zu bekommen und „sich“ aus der Krise zu drucken. Das es so klappen könnte kann man nur Aberglaube nennen. Aber in gewissen Bereichen gibt es in Deutschland keine Diskussion mehr und wir wissen ja auch der Euro ist „alternativlos“….

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