Die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 22. Juni werden die EU nicht kontrollierbarer, demokratischer oder transparenter machen. Das Gegenteil ist zu erwarten.
Die EU wird unkontrollierbarer, weil das oberste Mehrheitserfordernis im Rat ab 2017 um fast zehn Prozentpunkte abgesenkt werden soll. Das wird uns noch mehr europäische Regulierungen – vor allem der Arbeits- und Finanzmärkte – bescheren, die Vertragsfreiheit aushebeln und Europa nicht stärken, sondern von innen heraus schwächen. Die Reaktivierung der sogenannten Ioannina-Klausel ändert daran nichts, denn sie hat nur eine aufschiebende Wirkung. Der fast vollständige Verzicht auf Einstimmigkeit wird sein übriges tun.
Die EU wird nicht dadurch demokratischer, dass der Rat Bevölkerungsgewichte verwendet. Für eine zweite Kammer, die die Gliedstaaten repräsentiert, ist es völlig normal, dass die kleinen Länder ein größeres Stimmgewicht erhalten, als ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Man denke an den deutschen Bundesrat, den amerikanischen Senat oder den schweizerischen Ständerat. Auf diese Weise werden regionale Minderheiten geschützt.
Undemokratisch ist, dass bei der Wahl zum Europäischen Parlament die Stimme eines Luxemburgers oder eines Maltesers mehr als zehn mal so viel wiegt wie die Stimme eines Deutschen. Hier wären Bevölkerungsgewichte ein großer Fortschritt. Sie sind aber nicht vorgesehen.
Die Parlamente der Mitgliedstaaten werden – entgegen anders lautenden Meldungen – im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU vollkommen machtlos bleiben. Die Mehrheit der Parlamente kann die Vorschläge der Kommission nicht stoppen. Das kann auch in Zukunft nur der Rat oder das Europäische Parlament.
Wird die EU transparenter? Der Europäische Rat hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, alles, was nach einer Verfassung aussieht, wegzulassen oder umzubenennen oder durch Querverweise zu verstecken, ohne die Substanz zu ändern und die Verbindlichkeit abzuschwächen. Hauptziel war es, bei den Bürgern den Eindruck zu erwecken, dass dies ein „Mini-Vertrag“ ist, der keiner Volksabstimmung bedarf. Dieser Eindruck täuscht.
Laut Guy Kirsch, der an der schweizerischen Universität Fribourg lehrt, beträgt die „implizite“ deutsche Staatsverschuldung 275,7 % des Bruttosozialprodukts. Das ist die Summe aus der offiziellen Staatsverschuldung von 64,5% und den künftigen, ungedeckten Lasten aus Rentenversicherung, Krankenversiucherung usw. (Quelle: FAS vom 06.01.2008)
Übrigens: laut Prof. Franz-Ulrich Willeke beliefen sich die Netto-Beiträge Deutschlands in der EU der 15 von 1995 bis 2003 (gemessen an den operationalen Zahlen) auf 76,711 Milliarden Euro. Das waren 53,6% aller Nettobeiträge in der EU. (Quelle: Franz-Ulrich Willeke, Tatsächliche und angemessene Netto-Beiträge – Die Europäische Union der 15 Mitgliedstaaten als Testfall, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften, Band 58 (2007), Heft 2.)
Herrn Vaubel stimme ich größtenteils zu. Ausnahme: Ich rechne eher damit, dass die Stärke der EU-Kommission zu mehr Deregulierungen in Europa (nicht Regulierungen) führen wird, was Europa eher schwächen wird. Aber das hängt natürlich davon ab, ob in den EU-Ländern mehr rechte oder linke Regierungen an der Macht sind.
Zu DDH:
Zur impliziten Staatsverschuldung: Die Zahl ist natürlich schlicht Unsinn. Warum?
1. Wie hoch ist denn der Zinssatz, mit dem Kirsch rechnet? Bei einer solchen Langfristbetrachtung bedeutet eine Veränderung um einen Prozentpunkt gleich eine höhere (oder niedrigere) Staatsverschuldung um etliche Millarden.
2. Wie entwichelt sich die Renten- und Krankengesetze in den nächsten Jahren? Die Rente mit 67 hat die implizite Staatsverschuldung deutlich gesenkt. Schon wird über die Rente mit 70 diskutiert. Ähnliche Änderungen sind im Gesundheitssystem (z.B. höhere Zuzahlungen) möglich.
3. Wie ist die demographische Entwicklung in den nächsten Jahren? Das ist gar nicht so klar, wie immer behauptet wird. Deutlich wird dies, wenn man die alle zwei Jahre neu berechneten Zahlen des Statistischen Bundesamtes miteinander vergleicht. Die Veränderungen innerhalb von zwei Jahren sind teilweise gravierend.
4. Vor allem: Wie hoch sind die zu erwartenden Einnahmen, die dieser „impliziten Staatsverschuldung“ gegenüber stehen? Selbstverständlich kann man einen hohen Wert ermitteln, wenn man „implizit“ davon ausgeht, dass ab morgen kein Bürger mehr die Lohnnebenkosten abführt. Realistisch ist dies nicht.
Zur EU: Es ist doch irgendwie logisch, dass reiche Länder mehr zahlen als ärmere. Interessant wäre jedoch eine Analyse, ob dieser Satz immer noch stimmt (für GBR sicherlich nicht, ein leidiges Thema). Da aber Deutschland auf jeden Fall immer noch das größte Land ist, ist natürlich klar, dass der absolute Betrag höher als z.B. von Luxemburg ist.
Das schlimmst ist, dass durch diesen Reformvertrag die ganze Diskussion über die demokratische Legitimation dieses merkwürdigen politischen Gebildes ausgehebelt wurde. Freiheitsrechts, über die auf nationaler Ebene erbittert gekämpft werden, werden auf europäische Ebene quasi auf dem Verordnungswege ausgehebelt.
Sehr lesenswert finde ich den Kommentar dazu von Klaus Peter Krause.
http://www.kpkrause.de